Privatheit

Zur politischen Bedeutung eines umstrittenen Begriffs

Warren/Brandeis: Zum Recht, in Ruhe gelassen zu werden. Auch wenn man nichts zu verstecken hat

Schon das 19. Jahrhundert kennt Paparazzi und Spähangriffe, bei denen Informationen über Menschen gesammelt werden, die diese nicht von sich preisgeben wollen. Louis Brandeis und Samuel Warren befürchten angesichts solcher Entwicklungen den Verfall sozialer und moralischer Standards und die Zerstörung des privaten Rückzugsraums, dessen der Mensch doch gerade in der immer komplizierter werdenden Welt bedürfe. Um dem vorzubeugen, untersuchen sie das amerikanische Recht auf Gesetze oder Präzendenzfälle, in denen ein Recht auf Privatheit zum Ausdruck kommt.

Louis_Brandeis_Associate_Justice_c1916

Louis Brandeis (ca. 1916) – public domain

Fündig werden sie schließlich bei impliziten Verträgen und Vertrauensverhältnissen, die einige Richter als Begründung angeführt hatten, um die ungewollte Veröffentlichung persönlicher Informationen zu unterbinden. Dass eine solche Konzeption als juristische Grundlage von Privatheit ihre Tücken hat, sehen auch Warren und Brandeis: Ein Vertrauensverhältnis ist etwas Gegenseitiges. Stimme ich automatisch einem Vertrauensverhältnis zu, indem ich einen Brief öffne?

Sie führen dies nicht weiter aus, dafür tut es die politische Geschichte der letzten Jahre: Die NSA verfolgt Gespräche auf Angela Merkels Handy, diese sagt: Unter Freunden lauscht man nicht. Ein Vertrauensverhältnis von einer Seite, von der anderen eher weniger?

Jurist Erwin Chemerinsky hebt in einem Konferenzbeitrag hervor, dass es Warren und Brandeis in ihrer Konzeption von Privatheit hauptsächlich um den Schutz persönlicher Informationen gehe. Er führt weiter aus, dass dieses Recht von allen drei Formen der Privatheit (privacy as freedom from State intrusion, privacy as autonomy, informational privacy) rechtlich betrachtet am wenigsten Schutz erhalte (S. 651f). Zum Beispiel seien Ärzte verpflichtet worden, die Krankendaten ihrer Patienten minutiös zu sammeln, diese dann an die Krankenkassen weiterzuleiten und an den Staat, sollten sich Medikamente häufen, bei denen Suchtpotential besteht. Hier vermengt sich das Konzept der informational privacy mit dem der privacy as freedom from intrusion und zeigt, wie schwer bzw. unmöglich es ist, die Privatheitskonzepte klar voneinander zu trennen.

Über den Eingriff des Staates in die Privatsphäre seiner Bürger denken Warren und Brandeis in ihrem Aufsatz in der Tat nicht nach. Diese gerade heute so aktuelle Frage und ihre Implikationen von globaler Vernetzung und terroristischen Anschlägen war für das ausgehende 19. Jahrhundert wohl bestenfalls Science Fiction.

Dennoch gibt es eine klare Positionierung Brandeis‘ zur Frage, wie weit der Staat gehen darf, um öffentliche Interessen zu wahren. Zum Richter am Supreme Court ernannt, unterstützte Brandeis im Fall Olmstead vs. United States den Berufungsantrag der Angeklagten, da ihre Verurteilung auf abgehörten Telefonaten basierte. Zur Begründung führte er u.a. an: „If the government becomes a lawbreaker, it breeds contempt for law; it invites every man to become a law unto himself; it invites anarchy. To declare that in the administration of criminal law the end justifies the means […] would bring terrible retribution.“ Und noch pointierter: „Experience should teach us to be most on our guard to protect liberty when the government’s purposes are beneficent. Men born to freedom are naturally alert to repel invasion of their liberty by evil-minded rulers. The greatest dangers to liberty lurk in insidious encroachment by men of zeal, well-meaning but without understanding.

So viel zu ‚I have nothing to hide‘.

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Der Beitrag wurde am Mittwoch, den 4. November 2015 um 15:15 Uhr von Mirja veröffentlicht und wurde unter Inhaltlich abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

Eine Reaktion zu “Warren/Brandeis: Zum Recht, in Ruhe gelassen zu werden. Auch wenn man nichts zu verstecken hat”

  1. Paul Meyer-Dunker

    Ich würde in Zweifel ziehen, dass die angeführte Entscheidung und genannten Zitate dafür geeignet sind, eine generelle Positionierung von Brandeis gegen
    Telefonüberwachung und generell für enge Grenzen für staatliche Eingriffe in die Privatsphäre darstellen. Moniert wird von ihm im Fall Olmstead vs. US nicht die Telefonüberwachung als solche, sondern dass sie ohne vorherige richterliche Anordnung einfach polizeilich durchgeführt wurde und somit aus seiner Sicht die aus dieser illegalen Aktion erlangten Beweise nicht zu einer Verurteilung genutzt werden dürfen (Beweisverwertungsverbot/fruit of the poisonous tree). Wäre dieser Richterliche Beschluss vorher eingeholt worden, würde Brandeis die Telefonüberwachung also durchaus für vertretbar halten. Ich würde auch sagen dass die von Brandeis im Text angeführten Zitate das auch noch stützen. Dort schreibt er nochmal, dass die Regierung nicht zum Gesetzesbrecher werden darf und die größte Gefahr für die Freiheit von denen ausgeht die zwar gute Absichten haben aber keine Ahnung haben. (Also nicht die richtige Wege und Mittel nutzen, an dieser Stelle die richterliche Anordnung) Somit unterstützt er vielmehr die Möglichkeit der Telefonüberwachung und somit staatlicher Eingriffe in die Privatsphäre.

    Das würde sich wiederum mit den Erfahrungen decken, die wir bereits im Text „The right to privacy“ gemacht haben, in dem staatliche Eingriffe überhaupt keine Rolle spielen und privacy vor allem als Recht gesehen wird, das vor allem im Privatrecht eine Rolle spielt.