Privatheit

Zur politischen Bedeutung eines umstrittenen Begriffs

Der weibliche Körper als Ort der Privatheit

Der Text von Danielson beschäftigte sich mit einem Fall aus dem 19. Jahrhundert, in dem es um das Recht auf Privatheit für eine Frau in einem Moment äußerster Intimität – der Geburt ihres Kindes – im Mittelpunkt stand. Für besondere Kontroverse sorgte die Frage, inwiefern sich von einer feministischen Perspektive hierin überhaupt sprechen lässt. Schliesslich ergibt sich das Recht der Privatheit der Frau in dem vorgestellten Fall vor allem auch aus ihrem Status als nicht-öffentliche Person, für die es nicht schicklich ist, zuviel von sich Fremden preiszugeben. Hier scheint es sich um eine Verfestigung traditioneller Rollen- und Geschlechterunterschiede zu handeln, die einer wirklichen Gleichberechtigung eher im Wege steht.

robersonTatsächlich war die Mehrzahl derjenigen, die am Ende des 19. Jahrunderts ein Recht auf Privatheit vor den Gerichten der USA einforderten Frauen. Insbesondere ging es dabei, wie Jessica Lake (Lake 2014) feststellt, auch um die Verletzungen von Privatheit, die durch die „neue“ Technologie der „instant“ Photographie ermöglicht wurden. In einem aufsehenerregenden Fall verlor dabei Abigail Roberson eine Klage gegen eine Firma, die ihr Bild auf einer Mehlpackung verwendet hatte. Zur Debatte stand dabei, inwieweit ein Einzelner – hier im besonderen eine „hübsche Frau“ – ein Recht an seinem Bild hat. Erneut stand dabei das Eigentumsrecht Pate, was wohl auch dazu beigetragen hat, dass Roberson schlussendlich verloren hat. [Wer sich für die Ironie des Lebens interessiert, sollte unbedingt Seite 126 des Artikels lesen.] Tatsächlich aber beruhte ein Grossteil der Argumentation auch hier darauf, dass es sich um eine Frau handelte, deren Konstitution besonderen Schutzes bedürfte.

Anita Allen und Erin Mack (Allen/Mack 1991) verweisen auf diese keineswegs geschlechtsneutralen Ursprünge des amerikanischen Privacydiskurses. Die fundamentale Ungleichheit der Geschlechter drücke sich auch in den Argumentationen für oder gegen ein Recht auf Privatheit aus. Warren und Brandeis stehen dabei für eine männliche Hegemonie, wenn sie sich auf Persönlichkeitsrechte und den Schutz der eigenen Angelegenheiten berufen. Recht auf Privatheit für Frauen leitete sich hingegen aus dem angenommenen besonderen Bedürfnis nach Zurückgezogenheit, der geziemlichen Bescheidenheit und besonderen Schutzbedürfnis der empfindlichen Frauen ab. Letztlich also aus einem konservativen Frauenbild, dass wir so heute nicht teilen würden.

Hier nun kommt Danielsons Argument Bedeutung zu, denn das Interessante an dem dort geschilderten Fall ist, dass der Frau entgegen der landläufigen Praxis als eigenens Rechtssubjekt konstitutiert. So bietet sich ein Einfallstor für eine Erweiterung dieser Rechte. Die Anerkennung als Rechtssubjekt ist ein wesentlicher Schritt hin zu eigenen Rechten – wie sich beispielsweise auch in jüngeren Diskussionen zu Tierrechten oder auch Rechten (und Pflichten!) von Robotern zeigt.

Auch wenn viele Aspekte der damaligen Diskussion heute antiquiert erscheinen, lohnt sich eine Beschäftigung damit. Es finden sich viele höchst aktuelle Aspekte wieder, die sich in folgenden Fragen ausdrücken:

  • Gibt es einen intimen Bereich, dem immer besonderer Schutz gebührt?
  • Welche Rolle spielt Technologie?
  • Ist Privatheit ein Recht, dass aus dem Eigentum am eigenen Sein resultiert?
  • Welche Rolle spielt es, aus welchen Grundlagen man ein Recht auf Privatheit ableitet?

Hinreichend Stoff für weitere Diskussionen…

HINWEIS: Als Service für euch habe ich diesen Beitrag bereits heute erstellt, damit ihr ihn schon kommentieren könnt. Bitte lest im Gegenzug zur kommenden Sitzung ALLE die Texte.

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Der Beitrag wurde am Freitag, den 13. November 2015 um 17:03 Uhr von Ulrike veröffentlicht und wurde unter Inhaltlich abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

7 Reaktionen zu “Der weibliche Körper als Ort der Privatheit”

  1. Lelia Mackenzie

    Die feministische Perspektive ist im Fall DeMay sicherlich streitbar. Die genannten Gegenargumente, z.B. besondere Schutzbedürftigkeit der Frau, sind für mich in jedem Fall wichtig.
    Jedoch sind diese Argumente im Fall der Mrs. Roberts nicht ausschlaggebend. Hier wird auf das persönliche Recht einer Frau eingegangen, nicht auf die Rechte des Mannes. Auch wenn die Klage von ihm eingereicht wurde, geschah dies doch auf Wunsch seiner Frau und ihre Sicht der Dinge gab den Ausschlag für das für damalige Verhältnisse einzigartige Urteil, welches die Frau als Rechtsperson anerkannte.
    Natürlich kann man aus heutiger Sicht über die Frage diskutieren warum man das Urteil nicht geschlechtsneutral hielt, aber man sollte immer auch die Umständen der Zeit beachten und Feminismus aus der Sicht in diesem Fall des 19. Jahrhunderts definieren.

  2. Mirja

    Ulrike, vielen Dank für den Beitrag! Und zwar nicht nur aus Service-Gründen.

    Die Frage nach den Technologien ist eine, die ich mir selbst nach dem Seminar als offene Frage notiert hatte, weil es mir scheint, als gingen tatsächlich mit jeder wichtigen Technologieinnovation zunehmende Eingriffe in die Privatsphäre einher und damit auch eine Welle an neuen Überlegungen und Definitionsversuchen. Was man hierbei nicht vergessen sollte, ist allerdings, dass nicht die Technologien die Privatsphäre verletzen, sondern die Menschen, die sie benutzen.

    Das Eigentum am Sein spielt sicherlich eine Rolle bei der Privatheit. Spontan hätte ich aber eher gesagt, das sie sich aus der Würde des Menschen ergibt. Und zu dieser Würde gehört es auch, dass mir niemand Informationen ablockt, die ich nicht preisgeben möchte oder mein Foto auf Plakate druckt (auch wenn ich das durch AGBs erlaubt habe). Allerdings ist „Würde“ ein Begriff mit derart viel Spielraum, dass er zur Definition wohl auch nicht viel hilft. Dadurch, dass es sich bei der Würde des Menschen aber um den allerersten Artikel des Grundgesetzes handelt, würde eine hierauf beruhende rechtliche Definition von Privatheit einen besonders hohen Stellenwert bekommen. Und insofern spielt es gerade bei konfligierenden Rechten durchaus eine Rolle, aus welchen Grundlagen man das Recht auf Privatheit ableitet.

  3. Tilman

    Gedanken bzgl. der Sekundärfrage „Ist Privatheit ein Recht, dass aus dem Eigentum am eigenen Sein resultiert?“, die ich als eine der Kernfragen der „Privatheit“-Debatte ansehe.

    Theoretisch klingt ein „Ja“ auf diese Frage sehr plausibel, doch scheint sie in der Realität kaum Bestand zu haben. Das „eigene Sein“ ist in meinem Verständnis nie vollkommen „privatisierbar“ und unterliegt somit nie komplett dem Besitz „des Eigenen“ als Idealvorstellung.

    Im meinen Gedanken setze ich das „eigene Sein“ dem „Dasein“ gleich.
    Unterteilt man das „Dasein“ in das gesellschaftlich-seiende Dasein (Mensch im Umfeld) und das existierende Dasein (Mensch im Nichts) – orientierend an Hegel, der das Dasein nicht der Existenz gleichsetzt, sondern zwischen „seiendem Etwas“ und „existierendem Etwas“ unterscheidet –, so entsteht ein „eigenes Sein“, dass sich eher durch gesellschaftliche Kommunikations-/Interaktionsprozesse (eine Art Gegenteil von Privatheit – „Gesellschaftliches Stattfinden“) definiert, statt sich ihrer entziehen zu können.

    Paul Watzlawick brachte dieses immanente Paradoxon auf den Punkt: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“

    Mit anderen Worten: Dadurch, dass das „eigene Sein“ in Prozessen der Kommunikation entsteht und nur dort vorhanden ist, ist es zwangsläufig nur zu einem Teil dein Eigentum (zum anderen Teil deines Umfelds).

    Das würde bei der Betrachtung der Frage nach dem „Eigentum am eigenen Sein“ neue Überlegungen erzwingen.

  4. Ulrike Höppner

    Lieber Tilman, liebe Mirja,

    tatsächlich macht es einen Unterschied, ob man ein Recht auf Privatheit aus der Menschenwürde oder aus den Eigentumsrechten ableitet oder ob man gar den Menschen als soziales Wesen zur Grundlage des Privatheitsverständnisses macht. Colin Bennett hat das in einer Kritik der Surveillance Studies – wie ich finde – einmal sehr schön aufgeschlüsselt. Vielleicht ist das ja für euch von Interesse.

  5. Paul Rahn

    Der Umgang mit der Privatheit wird durch die rasante Entwicklung der Technologie beeinflusst. Die Informations- und Kommunikationstechnologien der letzten Jahrzehnte haben die Privatheit dadurch starkt verändert. Plötzlich treten in den öffentlichen Verkehrsmitteln durch Privatgespräche intime Bereiche anderer Mitmenschen hervor, über deren Gesundheit oder Beziehungsleben, oder wir erleben als Fremde die Privatheit einer Geburt durch das Klicken eines Livestreams direkt aus dem Kreissaal. Private Bereiche unterliegen einem Wandel, angestoßen von der Technologie. Die Politik hat die Aufgabe zu reagieren zwischen Staats-, Wirtschafts- und Bürgerinteressen.

  6. Ulrike Höppner

    Lieber Paul, das ist zwar richtig, aber irgendwie auch ziemlich allgemein. Natürlich ist heute vieles anders und auch die Forderung nach einer politischen Lösung ist bekannt. Warum aber braucht es die, besonders wo dein Beispiel die Handynutzung im ÖPNV zu sein scheint. Würde es da nicht reichen, wenn sich die Leute besser benehmen? Und wollen wir bei so etwas überhaupt eine gesetzliche Regelung? Warum?
    Unklar ist mit auch, was das mit den besprochenen Fällen zu tun hat. Kannst du das näher erklären?

  7. Miriam Mogge

    Ich denke das man die Frage nach dem Recht auf Privatheit auf das eigene Bild, begründet auf das Eigentum am eigenen Körper, noch weiter denken kann. Ich möchte an dieser Stelle eine weitere Frage in den Raum werfen. Haben wir überhaupt ein Recht auf Eigentum an unserem eigenen Körper? Dazu möchte ich ein Beispiel geben.

    In den Niederlanden ist Jeder (der nicht ausdrücklich Wiederspruch eingelegt hat) Organspender.Das bedeutet er legt nach dem Tod das Recht auf Eigentum an seinem eigenen Körper ab.

    Mann könnte behaupten dort gellte kein Recht auf Eigentum am eigenen Körper. Anders verhält es sich mit dem Bildrecht. Um zurück zu kommen auf den Text. Was ist der Unterschied dieser beiden Fälle? Seine Nieren weg zu geben erscheint drastischer als ein Bild von sich in der Zeitung zu sehen. Jedoch kann das Bild einen Einfluß auf den Gesellschaftlichenstatus der Person und so mit auf das weiter Leben haben.Ob ich man mit oder ohne Nieren begraben wird scheint in diesem Diskurs erst einmal egal. Der Punkt ist die Folgen des durchbrechens der Privatsphäre, ist ausschlaggebend auf das Recht am eigenen Körper.