Privatheit

Zur politischen Bedeutung eines umstrittenen Begriffs

Die Balance von Freiheit vs. Sicherheit und warum Organisationen Privatheit benötigen

In unserer Sitzung vom 20.11. wurde vor allem das von Westin zu Beginn seines Buches „privacy and freedom“ mithilfe von Beschreibungen aus sog. „primitiven Kulturen“ und der Tierwelt konstruierte „quasi-biologische Bedürfnis“ nach Privatheit kontrovers diskutiert und infrage gestellt. Da dazu vieles an Kritik aufgegriffen wurde was bereits im vorbereitenden Blogbeitrag stand möchte ich vor allem auf Aspekte eingehen die keine oder kaum Beachtung fanden, aber dem Recht auf Privatheit, welches im Seminar bisher vor allem ein indivduelles Schutzrecht war, eine völlig neue Bedeutungsdimension zusprechen.

So führt Westin an, dass Privatheit für das funktionieren von Demokratie von elemenatrer Bedeutung ist. Er beschreibt es als Teil einer Balance zwischen staatlichen Geheimniskrämerei und Überwachung auf der einen und Privatheit für Individuen und Organisationen auf der anderen Seite. Während Autoritäre Regime vor allem wenig Privatheit und maximale Geheimniskrämerei und Überwachung anstreben, ist es in Demokratien genau gegenteilig. Privatheit wäre somit mehr als nur ein individuelles Recht, in Ruhe gelassen zu werden, sondern vielmehr ein notwendiges Recht für eine funktionierende Demokratie.

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Wenn in einer Demokratie diese Balance auseinanderfällt, ist auch die Demokratie selbst in Gefahr. Durch die Möglichkeiten der Digitalen Revolution sind Geheimdienste eine viel größere Gefährdung für die Privatsphäre, da es noch nie so leicht war so unbegrenzt viele Informationen über alles und jede*n zu sammeln. Allein der BND darf 20% der gesamten digitalen Kommunikation die über Deutschland läuft abfangen. In der Folge stellt sich die Frage ob Geheimdienste die Demokratie die sie schützen sollen nicht gefährden. Dieser Gegensatz wird auch in dem Konferenzbeitrag von Katja Gloger, Markus Löning und Christian Flisek „Demokratie vs. Geheimdienste“ auf der Re Publica 14 aufgemacht, in dem u.a. festgestellt wird, dass es sich bei den NSA-Skandalen nicht bloß um einen wilden, unkontrollierten Geheimdienst handelt, sondern diese Aktivitäten heutzutage Geheimdienststandard und politisch gewollt sind.

Wenn der große Teile unseres Lebens digitalisiert ist, ein Großteil der digitalisierten Kommunikation jedoch abgefangen wird, was ist dann heutzutage überhaupt noch Privat? Und wenn der Rückzug ins analoge weder gewollt noch möglich ist, wie kann die Balance zwischen Sicherheit und Privatheit die immer mehr ins Ungleichgewicht fällt wiederhergestellt werden?

Als letzten Aspekt möchte ich den Punkt aufgreifen, dass auch Organisationen Privatheit benötigen. Während dieser Gedanke zunächst ein wenig komisch anmuten mag, da im Seminar Privatheit bisher lediglich als individuelles Recht betrachtet wurde, gibt es in der jüngeren Vergangenheit Diskussionen und Gruppierungen die diesen Gedanken sehr schön veranschaulichen. Das ist zum einen die Diskussion um mehr staatliche Transparenz und das Beispiel der Piratenpartei, die genau dieses Thema auf die politische Tagesordnung gehoben hatte. Peter Hoeres zeigt in seinem Artikel mithilfe historischer Beispiele, dass „totale Transparenz“ schädlich ist, da gerade im Bereich der Außenpolitik nur durch vertauliche Kommunikation abseits der Öffentlichkeit Vertrauen aufgebaut und erhalten werden kann um gerade in schwierigen Situationen Lösungen zu finden. Damit veranschaulicht er warum die „Organisation“ Regierung Privatheit benötigt. Und die Piratenpartei hat eindrucksvoll gezeigt was passiert, wenn sich eine Organisation eben jener Privatheit verweigert. Die ständige Zurschaustellung innerer Konflikte, das fehlende Möglichkeit sich unbeachtet vom Lichte der (Partei)Öffentlichkeit auf Kompromisse zu einigen und eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, hat letztlich mit zum Scheitern der Piratenpartei geführt und deutlich vor Augen geführt, warum auch Organisationen Privatheit benötigen.

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Der Beitrag wurde am Montag, den 23. November 2015 um 20:13 Uhr von Paul Constantin Meyer-Dunker veröffentlicht und wurde unter Inhaltlich abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

4 Reaktionen zu “Die Balance von Freiheit vs. Sicherheit und warum Organisationen Privatheit benötigen”

  1. Ulrike Höppner

    Das sind zwei interessante Aspekte. Insbesondere mit der Frage, warum und welche Form von Privatheit eine funktionierende Demokratie benötigt, werden wir uns noch vor Weihnachten beschäftigen – zum Beispiel bei Sennett und Arendt.

    Die Frage nach der Privatheit von Organisationen ist bis jetzt noch nicht eingeplant. Aber vielleicht würde es sich lohnen in einer der letzten Sitzungen über das Thema zu sprechen?

  2. Gruppe 1

    – Erweiterung der Frage von Privatheit bei Organisationen zu Transparenz in politischen Institutionen (EU Debatten etc)
    – Phänomen des Crowdfunding: Transparenz der Planung/ Ideen — Unternehmen früher eher geheimniskrämerisch: Umdenken –> Transparenz als Gegenteil von Privatheit (im öffentlichen Rahmen)
    – Jemandem, der Privatheit einfordert, vertraue ich nicht — Nothing to Hide-Debatte

  3. Anna Maren Barthel

    Gruppe 3:

    Was ist heutzutage überhaupt noch Privat? Wenn wir nicht an digitalisierten Orten sind, sollte das doch der Fall sein. Niemand, der uns überwacht und mithört, was wir mit unseren Freunden im Wohnzimmer besprechen. Viele Menschen geben ihre Freiheit auch freiwillig auf- so wissen wir inzwischen, was wer heute zum Frühstück gegessen hat und wohin er jetzt unterwegs ist. Zudem ist uns inzwischen, vor allem nach Snowden klar, dass wir überwacht werden. Müssten wir uns nicht inzwischen damit abgefunden haben? Und einfach damit leben. Zudem ist es uns doch dennoch möglich, auch im Netz, unsere Privatsphäre zu schützen, wenn uns das wirklich wichtig ist. Wir müssten ja schließlich nur die notwendigen Fähigkeiten dafür erlernen.
    Zur Balance von Sicherheit und Privatheit könnte man anführen, dass es eine Instanz geben sollte, die unsere Geheimdienste kontrolliert. So gäbe es „keinen“ Missbrauch von unseren Informationen mehr und wir könnten das Ungleichgewicht zumindest ein Stück weit weiter in Gleichgewicht bringen.

  4. Paul Meyer-Dunker

    Zu Gruppe drei:

    Die Annahme, dass man an nicht digitalisierten Orten Privatbesitz bewahren könnten setzt voraus, dass wir in 2 verschiedenen Welten leben, eine digitale und eine nichtdigitale. Das würde ich aber zurückweisen, da diese Welten immer mehr miteinander verschmolzen sind und das eine heutzutage bei den meisten genauso zur eigenen Identität gehört wie das andere.

    Den Hinweis dass Menschen heute ihre privatheit (ich glaube das meintet ihr mit Freiheit, oder) freiwillig aufgeben ist richtig, allerdings weiß ich nicht worauf ihr damit hinaus wollt, da der Satz zusammenhangslos dasteht. Es wirkt fast so als ob ihr sagen wollt „was kümmert es uns das bisschen Überwachung, stellt ja heutzutage es alles jeder online“. So oder so fehlt mir ein Hinweis darauf, dass es ein riesenunterschied macht, ob eine Person etwas freiwillig preisgibt oder es gegen ihren Willen erschnüffelt wird.

    Ich finde den Ansatz zu sagen „wir sollten uns damit abgefunden haben und damit leben und wem dass nicht passt, der soll halt technische verschlüsselungslösungen für sich finden“ befremdlich und auch höchst gefährlich. Der Lösungsvorschlag ist nicht sonderlich inklusiv, da er nur denjenigen zur Verfügung steht die z.B. das technische Know-how haben. Und sich damit abzufinden Schutzmaßnahmen gegen digitale Übergriffe eines demokratischen Staates ergreifen zu müssen, ist für mich mindestens unbefriedigend.

    Der Vorschlag, eine demokratische Kontrolle von Geheimdiensten einzuführen, ist insofern wirkungslos, als dass es sie in den demokratischen Ländern ja bereits gibt, aber diese demokratische Kontrolle entweder versagt, weil sie nicht umfassend informiert wird, wie es in Deutschland mit dem BND der Fall war oder die demokratische Kontrolle es zwischenzeitlich gebilligt hat wie in den USA und der NSA. Ich frage mich immer wie eine demokratische Kontrolle funktionieren soll, wenn die Kontrolle der Geheimdienste im geheimen stattfindet und die kontrollierenden Probleme in der Öffentlichkeit nicht ansprechen dürfen. Da ich die Forderung, Geheimdienste komplett abzuschaffen allerdings nur für inlandsgeheimdienste sinnvoll finde, bin ich mir auch noch nicht im Klaren, wie dieses Problem sinnvoll zu lösen ist.

    Was mir an eurem Kommentar noch aufgefallen ist, ist dass es im Laufe des Seminares noch einmal eine größere trennschärfe zwischen den Begriffen privatheit und Freiheit herauszuarbeiten, da ich zumindest fand dass ihr teilweise von privatheit geschrieben habt wo ich Freiheit für sinnvoller gehalten hätte und einmal auch andersherum.