#12
Das Verhältnis von Wissenschaft und Politik
Das Wissen um mittel- und langfristige Umweltveränderungen und die wissenschaftliche Analyse der erwarteten Wirkungen umweltpolitischer Instrumente wird als Legitimationsgrundlage für Umweltpolitik immer wichtiger (Bocking 2004). Dies ist nicht zufällig so: Umweltfragen sind, wenn es um lokale und unmittelbare Verschmutzungen geht zunächst einmal Verteilungsfragen zwischen Verursacher und Betroffenen. Diese können im politischen System, das auf Legitimation durch Abstimmung und Mehrheit basiert, gut abgebildet werden. Solche lokalen und unmittelbaren Umweltfragen können dann als Teil der pluralistischen Auseinandersetzung zwischen den widerstreitenden Interessen gesehen werden. In dieser Perspektive stellen sich Fragen nach der hinreichenden institutionellen Stärke oder der Ressourcenausstattung von Umweltakteuren.
Anders ist dies bei Umweltproblemen bei denen Verursachung und Wirkungen zeitlich oder räumlich auseinanderfallen. Hier sind die damit verbundenen Interessen nicht mehr im politischen Prozess vertreten: der langfristige Klimawandel oder die Umweltauswirkungen der weltweiten Ressourcen- und Produktströme sind nicht in einem Politikmodell lösbar, das auf einen Ausgleich zwischen Verursachern und Geschädigten abzielt. Eine Legitimation durch Beteiligung oder durch Repräsentation ist mangels Akteuren nicht oder nicht in einem angemessenen Maße möglich. Nicht zufällig bedienen sich daher Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitiker immer stärker wissenschaftlicher Expertise um ihre Politikvorschläge zu begründen (Litfin 1994; Skodvin 2000).
Die Evidenzbasierung von Politik manifestiert sich auch institutionell: In Forschungsprogrammen, der Anwendungs-/Policyorientierung von Umweltforschung (Böcher/Krott 2010), der institutionellen Politikberatung in Kommissionen und Beratungseinrichtungen, der Politikfolgenabschätzung und der Evaluation. Sicherlich wurde wissenschaftliche Politikberatung bereits seit Beginn von Umweltpolitik nachgefragt. So datiert die Gründung des Sachverständigenrats für Umweltfragen auf das Jahr 1971 zurück und dieser legt seitdem Gutachten vor, die teils eine weite Beachtung fanden (Timm 1989; Hey 2009; Jörgens 2009). Auch die Gründung des Umweltbundesamtes (1974) zielte darauf, die Wissensbasis von Umweltpolitik zu verbessern. Mehrere Enquete Kommissionen des Bundestages haben mit ihrer Expertise seit den 1980er Jahren für eine Entwicklung nicht nur der nationalen Umweltpolitik beigetragen (Altenhof 2002). Die Bedeutung von Wissen für den politischen Prozess nimmt auch international an Bedeutung zu. Die Rolle der Berichte des IPCC ist ein ganz besonders prominentes Beispiel dafür (Haas 2001; Bolin 2007). In der Öffentlichkeit weniger beachtet ist die Bedeutung der ex-ante Politikfolgenabschätzung für die Politikvorschläge der Europäischen Kommission. Diese Verfahren haben sich mittlerweile als zentral für die Legitimation von Politikvorschlägen der Europäischen Kommission entwickelt (European Court of Auditors (ECA) 2010).
Das Verhältnis zwischen der Begründung von Politik durch Aushandlung, Suche nach Mehrheiten, Kompromissfindung und Abstimmung einerseits und durch Wissensbasierung andererseits ist aber nicht einfach. Parlamentarier sehen ihre Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt. Kommissionen, Gutachten, Folgenabschätzungen werden als eine Einschränkung der parlamentarischen Willensbildung wahrgenommen. Andererseits werden Gutachten oder Kommissionen strategisch nicht zur ergebnisoffenen Problemlösung eingesetzt, sondern um den politisch bereits entschiedenen Weg zu legitimieren. Das Verhältnis von Wissenschaft und politischem Prozess und Entscheidung ist vor diesem Hintergrund ein Thema das aus verschiedenen Perspektiven der näheren Untersuchung verdient.
12. These: Die Verschiebung hin zur Legitimation durch wissenschaftliche Expertise birgt das Potential einer Verschiebung der Kräfteverhältnisse zwischen den demokratischen Institutionen.
Wenn es richtig ist, dass Wissen als Legitimationsgrundlage an Bedeutung gewinnt, was bedeutet dies für die politischen Institutionen und das Kräfteverhältnis zwischen ihnen? Bedeutet es, dass die Entscheidungsvorbereitung durch Ministerien an Bedeutung gewinnt, weil diese über die notwendigen Ressourcen verfügen und dies zu Lasten von Parlamenten geht? Bedeutet es, dass Kommissionen, Räte, wissenschaftliche Agenturen eine eigenständige Rolle in der Entscheidungsfindung spielen? Der Normenkontrollrat in Deutschland und vergleichbare Institutionen in anderen europäischen Ländern (mit teils noch weitergehenden Mandaten) haben für die Bewertung der Qualität von Rechtssetzung eine wichtige Rolle eingenommen und nehmen Einfluss auf die Gesetzgebung noch bevor Vorschläge dem Parlament vorgelegt werden. Ob Umwelt- oder Nachhaltigkeitsräte eine vergleichbare Rolle einnehmen oder ob Normenkontrollräte auch diese Aspekte mit bearbeiten, ist noch offen.
Zu untersuchen wäre aber auch, ob sich Parlamente stärker dieser Instrumente bedienen und eine eigene Rolle dabei einnehmen. Mit den in vielen Ländern eingerichteten Institutionen zur Technikfolgenabschätzung könnten Parlamente eine Rolle bei der Evidenzbasierung von Politikvorschlägen übernehmen. Die Rolle des deutschen Bundestags bei der Prüfung von Nachhaltigkeitsprüfungen der Regierung ist zwar noch international einmalig, könnte aber beispielgebend sein. Auch das Europäische Parlament hat in einer gemeinsamen Erklärung mit dem Rat und der Kommission erklärt, Verfahren der Politikfolgenabschätzung zu unterstützen und die erwarteten Folgen eigener Politikvorschläge ebenfalls mit Studien zu untersetzen. Ob diese Aktivitäten der Parlamente aber dazu führen, dass mit den Möglichkeiten von Ministerien gleichgezogen wird, ist offen.

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