Umweltpolitikanalyse

Eine Forschungsagenda

#19

Die transformative Kraft des Umweltthemas

Wohin führt die zunehmende Institutionalisierung von Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitiken? Auf der einen Seite ist vorstellbar, dass die Entwicklung des Politikfelds zu einem Abschluss kommt: Mit der Etablierung von Ministerien, Umweltverbänden, Parteien, internationalen Regime und den dazugehörigen Politiken, Gesetzen und Instrumenten wäre vorstellbar, dass es bei der Ausbildung eines Politikfeldes bleibt, das gleichberechtigt neben den anderen Politikfeldern steht (Jörgens 1996). Politische Systeme hätten dann in Reaktion auf spezifische Herausforderungen, seien es umweltbedingte Verteilungsprobleme, auf veränderte Präferenzen der Wählerinnen und Wähler oder auf internationale Einflüsse reagiert. Die Etablierung von Umweltpolitik kann in dieser Perspektive als ein Ergebnis der weiteren Ausdifferenzierung politischer und gesellschaftlicher Systeme gesehen werden (Mayntz et al. 1988). Neue Akteure, Ziele und neue Institutionen ergänzen die bestehenden, bzw. werden in das bestehende System integriert.

Denkbar ist aber auch, dass das Umweltthema nicht nur ein weiteres Politikfeld unter vielen ist, sondern Ausgangspunkt einer umfassenden Transformation von großen sozio-ökonomischen Systemen und Gesellschaften insgesamt ist (Jänicke/Jacob 2008; Rifkin 2008; Schreurs/Bang 2011). Umweltfragen haben offenkundig einen Einfluss auf politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen (wobei offen ist, ob dieser Einfluss auch hinreichend ist oder nur im Zusammenspiel mit anderen Faktoren zustande kommt). So wird die Umweltfreundlichkeit von Produkten zunehmend zum Gegenstand von Wettbewerb. Die derzeitige Bundeskanzlerin hat sich zumindest zeitweilig als „Klimakanzlerin“ zu profilieren versucht. Mit den Grünen ist die einzige dauerhaft erfolgreiche Neugründung einer Partei seit Jahrzehnten gelungen. Umweltverbände haben mittlerweile ähnliche Mitgliedszahlen wie Gewerkschaften. Werden sich Umweltfragen also zu dem gestaltenden Merkmal von Gesellschaften entwickeln? Werden Umweltthemen zu dem dominierenden gesellschaftlichen Thema, vergleichbar mit sozialen Verteilungsfragen? Oder bleiben Umweltfragen ein Thema unter vielen, möglicher Weise in dieser Bedeutung auch auf die westlichen Industrieländer beschränkt?

19. These: Umwelttechnologien und die Umweltfreundlichkeit von Technologien werden sich in Reaktion auf Regulierungsmuster zu einem Leitmotiv industrieller Produktion entwickeln – welche Regulierungsmuster und welche konkreten Technologien dabei erfolgreich werden, ist Gegenstand des Wettbewerbs.

Umwelttechnologien (bei allen Schwierigkeiten der genauen Abgrenzung) sind mittlerweile Gegenstand des Wettbewerbs nicht nur zwischen den alten Industrienationen. Auch die neuen Industrieländer namentlich China, Indien und Brasilien treten in diese Märkte ein und stellen für deren Entwicklung und Markteinführung erhebliche Ressourcen zur Verfügung (Walz et al. 2008). Die Märkte um Elektromobilität, um umweltfreundliche Energieerzeugung oder um Produkte für effiziente Wasser- und Ressourcennutzung wachsen rasch. Diese Technologien und Märkte gewinnen an Bedeutung für weitere Zulieferbranchen. Im Ergebnis kann ein umfassender industrieller Wandel erwartet werden. Allerdings sind diese Entwicklungen nicht alleine marktgetrieben, sondern hängen von politischer Regulierung und Unterstützung ab.

Die Europäische Union hat in vielen umweltpolitischen Handlungsfeldern die Standards vorgegeben, die international nachgeahmt worden sind. Ob Europa diese Rolle weiter beibehalten wird, ist aber offen. Absehbar ist, dass in den neuen Industrieländern andere Governance- und Regulierungsmuster entwickelt werden (Rennings et al. 2008). Welche Governancemuster diese neuen Märkte erschließen werden, bleibt ein offener Wettbewerb.

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