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Umweltpolitische Prioritätensetzung
Umweltpolitik ist mittlerweile ein weit ausdifferenziertes Politikfeld. Es umfasst Klimapolitik, Naturschutz, den Schutz vor gefährlichen Chemikalien, vor Emissionen in die verschiedenen Umweltmedien, Abfallpolitik, Lärmschutz usw. Diese Ausdifferenzierung ist einerseits sachlichen Gründen geschuldet: Immer neue Umweltmedien, Problemfelder oder Gruppen von Verursachern und Betroffenen wurden im Laufe der Zeit – abhängig von ihrer Sichtbarkeit und/oder Dringlichkeit – Gegenstand der Umweltpolitik. Weiterhin erfolgte in der Vergangenheit die umweltpolitische Themensetzung häufig in Verbindung mit anderen Politikfeldern. Umwelt und Sicherheit, Umwelt und Gesundheit, Umwelt und Entwicklung, Umwelt und Arbeit oder Wirtschaft sind nur einige Beispiele dafür. Einerseits war dies von dem Bemühen um eine Integration von Umwelterfordernissen in diesen anderen Politikbereichen motiviert. Andererseits war dies aber auch von der Motivation getragen, Umweltthemen in der politischen Agenda aufzuwerten, sich mit etablierten und gut legitimierten Politikfeldern und den dortigen Akteuren zu verbinden.
Was bedeutet diese Vielfalt von umweltpolitischen Themen- und Handlungsfeldern für die Weiterentwicklung von Umweltpolitik? Zum einen kann konstatiert werden, dass der Kern von Umweltpolitik legislativ abgedeckt ist. Reformen finden dort statt, wo das Instrumentarium gewechselt wird, wo die Politikebenen gewechselt werden (z.B. Europäisierung) oder eine Integration von verschiedenen Handlungsfeldern angestrebt wird (z.B. Umweltgesetzbuch, Wasserrahmenrichtlinie oder Anlagenzulassung). Dabei stellt sich immer mehr die Frage, wie das Verhältnis der unterschiedlichen Teilbereiche untereinander zu bewerten und zu gewichten ist. Umweltpolitik in sich ist nicht spannungsfrei.
Zum anderen stellt sich die Frage, ob Umweltpolitik immer noch der Verstärkung durch andere Politikbereiche bedarf oder ob nicht sogar umgekehrt umweltpolitische Handlungserfordernisse dazu genutzt werden können um anderen Anliegen zusätzliche Legitimation zu verleihen. Auch dabei stellt sich dann die Frage nach der Prioritätensetzung.
22. These: Die Bedeutung von Strategien und Strategieprozessen zur Weiterentwicklung von Umweltpolitik nimmt zu.
Eine strategische Umweltpolitik, die Handlungserfordernisse und Ziele formuliert, hat in der vergangenen Dekade einen Aufschwung erfahren. Dies reflektiert ein Governanceverständnis, das die Grenzen der eigenen Zuständigkeiten und Problemlösungskapazitäten anerkennt. Umweltprobleme lassen sich nicht mehr alleine in der Zuständigkeit von Umweltverwaltungen lösen. Eine solche zielorientierte Umweltpolitik hat durch die Agenda21 einen enormen Schub erfahren (Jänicke/Jörgens 2004). So wurden in nahezu allen Staaten Nachhaltigkeitsstrategien entwickelt (Jörgens 2004; Meadowcroft 2007). Strategien erfüllen dabei eine Vielfalt von Funktionen: Sie stellen idealer Weise die Wissensbasis zusammen, leiten daraus Handlungserfordernisse ab, formulieren Ziele und Indikatoren für deren Erreichung, Maßnahmenprogramme, benennen Zuständigkeiten, kommunizieren in die verschiedenen Zielgruppen und definieren einen Prozess für die Beteiligung, Erfolgskontrolle und Anpassung (Jänicke/Jörgens 1998; Volkery et al. 2006). Strategien haben das Potential umweltpolitische Handlungskapazitäten bei dezentralen Akteuren zu mobilisieren: Sie adressieren Länder, Kommunen, Unternehmen, gesellschaftliche Organisationen oder auch Individuen und suchen deren Problemlösungspotentiale zu mobilisieren. Dies schafft eine Vielzahl von Überschneidungen zu anderen Themenfeldern und den Domänen anderer Akteure – Konflikte sind damit vorprogrammiert. Strategien, die solchen Konflikten aus dem Weg gehen drohen zu verwässern, allenfalls den status quo zu beschreiben oder Maßnahmen zusammenzufassen, die sowieso schon in der Planung waren.
Die Analyse der Ausprägungen und die Wirksamkeit umweltpolitischer Strategien kann von Arbeiten der Strategieanalyse profitieren (Raschke/Tils 2010): Wie kann zwischen verschiedenen umweltpolitischen Zielen und Handlungsfeldern priorisiert werden und wie können Ressourcen aufeinander abgestimmt werden? Welche Formen können solche Strategien haben, welche Prozesse sind geeignet um wirkungsvolle Strategien zu entwickeln und wie können solche Wirkungen sichtbar gemacht werden?

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