Umweltpolitikanalyse

Eine Forschungsagenda

#5

5. These: Anders als ältere Bereiche der Politikwissenschaft hat die Umweltpolitikanalyse die Bedeutung von Routinen bisher kaum untersucht. Ein besseres Verständnis von „standard operating procedures“ sowohl in der umweltpolitischen Entscheidungsfindung wie auch im Vollzug kann dazu beitragen, Defizite aufzudecken und Optionen des Politiklernens zu identifizieren.

Die Bedeutung von Routinen ist in der Umweltpolitikanalyse bisher kaum untersucht worden. Zurückzuführen ist dies nicht zuletzt darauf, dass Umweltpolitik immer noch als neues Politikfeld wahrgenommen wird. Anders stellt sich die Situation in älteren Politikfeldern dar. Für die Sozialpolitik zeigen Hicks et al. (1989), dass wohlfahrtsstaatliche Entscheidungen zu einem erheblichen Teil Ausdruck routinemäßiger Reaktionen auf veränderte Arbeitslosenzahlen oder auf demographischen Wandel sind. Für die Außenpolitik zeigt Allison (1971) am Beispiel der Kubakrise von 1962, wie stark sich außenpolitische Entscheidungen selbst in Krisensituationen an eingefahrenen Routinen orientieren. Schließlich zeigen Parker und Stern (2002) für den Bereich der inneren Sicherheit, wie unvorbereitet die US-amerikanischen Behörden während der Attacken des 11. Septembers waren, weil es routinemäßige Planungen nur für den Fall einer Flugzeugentführung in ausländischem Luftraum, nicht aber auf US-amerikanischem Boden, gab.

Routinen vereinfachen die Entscheidungsfindung in häufig wiederkehrenden Standardsituationen (Hodgson 2008). Dadurch erhöhen sie die Handlungskapazität des politischen Systems (McKeown 2008). Sichtbar wird die Bedeutung von Routinen daher immer dann, wenn die öffentliche Verwaltung vor Aufgaben steht, für die noch keine klaren Zuständigkeiten und eingespielten Verfahren existieren. Ein Beispiel ist der Rückbau von Atomkraftwerken wie etwa in Lubmin/Greifswald, in dessen Verlauf für eine Vielzahl von Arbeitsschritten neue Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren entwickelt werden müssen, und der nicht zuletzt wegen fehlender politisch-administrativer Routine in der Regel nur sehr langsam vorankommt. Eine systematische Analyse dieses und ähnlicher Fälle – z.B. den Auswirkungen der Unerfahrenheit der Verwaltungen in den neuen Bundesländern im Umgang mit Genehmigungsanträgen für Windkraftanlagen in den 1990er Jahren (Bruns et al. 2009) – könnte nicht nur unser Verständnis der Bedeutung von Routinen in der Umweltpolitik verbessern, sondern auch die Bedeutung öffentlicher Verwaltungen und ihrer Organisationsstruktur für den Erfolg öffentlicher Politiken zurück ins Bewusstsein rufen.

Routinen tragen jedoch nicht immer zu einer Erhöhung politischer Handlungskapazitäten bei. Sind sie erst einmal fest etabliert, dann führen Routinen dazu, dass Behörden und Entscheidungsträger auf neue Herausforderungen tendenziell mit altbewährten Mitteln reagieren. Beispielsweise kann der Rückgriff auf Routineverfahren dazu führen, dass die Neuheit eines Problems oder die besondere Bedrohlichkeit einer Situation verkannt wird und die zuständigen Akteure sich zu lange auf der sicheren Seite wähnen. Ein Beispiel hierfür könnte die Reaktorkatastrophe von Fukushima sein, bei der sich die Betreiber der Anlage wie auch die staatlichen Behörden lange Zeit an „standard operating procedures“ orientiert haben, die gar nicht für einen solchen Fall geschaffen waren. Dadurch wurde die tatsächliche Gefahr möglicherweise eher unter- als überschätzt und es ging wichtige Zeit verloren.

Für die Umweltpolitikanalyse ergibt sich hieraus eine Reihe potentiell interessanter Forschungsfragen: Welche Routinen haben sich in umweltpolitischen Entscheidungsprozessen etabliert? Wie unterscheiden sich diese Routinen zwischen Ländern, Politikebenen oder zwischen Politikfeldern? Wie wirken sie sich auf konkrete Politikergebnisse aus? Wie und unter welchen Bedingungen verändert sich routinemäßiges Organisationsverhalten in staatlichen Umweltbehörden? Und wie können Art und Ausmaß von routinegeleitetem Handeln überhaupt festgestellt und gemessen werden (siehe hierzu auch den Forschungsüberblick in McKeown 2008: 41)?

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