Umweltpolitikanalyse

Eine Forschungsagenda

#9

Umweltschutz im Mehrebenensystem

Umweltpolitik ist heute immer auch Mehrebenenpolitik. Genauso wie die nationale Umweltpolitik in immer größerem Maße von supra- oder internationalen Politikentwicklungen geprägt ist (Börzel 2002; Knill 2001; Jordan/Liefferink 2004), wird die Entwicklung der internationalen Umweltpolitik in starkem Maße von nationalen oder subnationalen Entwicklungen vorangetrieben (Jörgens 2004; Betsill/Bulkeley 2004; Schreurs et al. 2009a). Die vielleicht wichtigste Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte ist dabei die kontinuierliche Verdichtung des institutionellen Rahmens der Umweltpolitik über alle Politikebenen. Auf der internationalen Ebene drückt sich dies vor allem in einer graduellen Neudefinition der Rolle inter- und supranationaler Organisationen aus. Internationale Organisationen werden nicht mehr ausschließlich als Instrumente zwischenstaatlicher Kooperation gesehen, sondern zunehmend auch als autonome Akteure definiert, die die internationale Politik in nicht unerheblicher Weise beeinflussen (Reinalda/Verbeek 1998; Nielson/Tierney 2003; Thatcher/Stone Sweet 2003; Hawkins et al. 2006). Traditionelle Konzepte des Intergouvernementalismus, in denen Nationalstaaten die dominierenden Akteure im Mehrebenesystem darstellen, werden immer mehr von neuen Konzepten des Supra- oder Internationalismus überlagert, in denen internationale Bürokratien und transnational vernetzte Regulierungsbehörden einen eigenständigen Einfluss auf globale Politikergebnisse haben (Barnett/Finnemore 2004). Gleichzeitig ist auch eine Erosion des Nationalstaats „von unten“ zu beobachten, bei der nationalstaatliche Entscheidungen zunehmend von subnationalen Politikinnovationen beeinflusst oder gar substituiert werden (Schreurs 2008; Happaerts et al. 2010). Im Folgenden werden die Auswirkungen dieser Entwicklungen für die Umweltpolitikanalyse skizziert.

9. These: Internationale Verwaltungen beeinflussen in steigendem Maße die Entwicklung nationaler und internationale Umweltpolitiken. Ihre eigenständige Rolle ist jedoch bisher nur ansatzweise untersucht.

Die Politikwissenschaft hat internationale Organisationen lange Zeit in erster Linie als von Nationalstaaten geschaffene und von ihnen gesteuerte Infrastrukturen zur Erleichterung der zwischenstaatlichen Kooperation betrachtet (Keohane 1984). Erst in den letzten 10 Jahren wurde diese intergouvernementalistische Perspektive durch eine principal-agent Perspektive ergänzt, die internationalen Organisationen eine – wenn auch begrenzte – Handlungsautonomie zuspricht und von einer wechselseitigen Beeinflussung von nationalen Regierungen und internationalen Organisationen ausgeht (Hawkins et al. 2006). Durch diese neue Perspektive rückten auch die Verwaltungsstäbe internationaler Organisationen, ihre Sekretariate und Verwaltungsapparate, in den Mittelpunkt des politikwissenschaftlichen Interesses (Liese/Weinlich 2006; Benner et al. 2009). Die Rolle, die Motivationen und Strategien sowie der Einfluss dieser internationaler Bürokratien ist bislang jedoch noch weitgehend ungeklärt (Barnett/Finnemore 2004; Dingwerth et al. 2009). Nicht zuletzt steht die weitgehende Vernachlässigung der Bedeutung und des Einflusses internationaler Verwaltungen in einem krassen Gegensatz zur öffentlichen und politischen Kritik am ungebremsten Wachstum der EU- und UN-Bürokratie (Enzensberger 2011).

Die Umweltpolitik bietet sich aus verschiedenen Gründen besonders für die systematische Erforschung des Einflusses internationaler Verwaltungen an. Zum einen ist sie als wissensintensiver Politikbereich in besonderem Maße auf administrative Expertise angewiesen (Keller 2009). Gerade bei wissenschaftlichen Verwaltungsstäben kann davon ausgegangen werden, dass sie sich nicht mit der Rolle neutraler Helfer begnügen, sondern eigene Werte und Überzeugungen bewusst oder unbewusst in ihre Tätigkeit einfließen lassen (Bauer 2006b; Biermann et al. 2009b). Zum anderen bestehen umweltpolitische Programme aus einem komplexen Gemenge von hochpolitisierten und auch für die allgemeine Öffentlichkeit sichtbaren Entscheidungen (etwa über die Treibhausgasreduktionsziele im Rahmen der Kyoto-Nachfolgeverhandlungen) und komplizierten technischen oder rechtlichen Details, deren Bedeutung und Tragweite nur mit Hilfe speziellen Fachwissens erfasst werden kann. Hieraus ergibt sich eine Reihe von Fragen für die internationale Umweltpolitikanalyse: Wie stark ist der eigenständige Einfluss internationaler Verwaltungen in der internationalen Umweltpolitik? In welchen Phasen des Politikprozesses ist ihr Einfluss am größten? Welches sind die Mechanismen der Einflussnahme internationaler Verwaltungen? Wie wirken sich Organisationsstrukturen auf ihren jeweiligen Einfluss aus (Busch 2009; Bauer 2009; Jinnah 2010)? Schließlich geht es auch darum, die Frage der demokratischen Legitimität internationaler Verwaltungen zu behandeln und die Grenzen ihres Einflusses auszuloten. Alle diese Aspekte sind natürlich auch für die Debatte um die Vor- und Nachteile einer Weltumweltorganisation von Bedeutung (Biermann/Simonis 2000; WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen) 2001; Najam 2003), die spätestens im Juni 2012 auf der UN Konferenz zur Nachhaltigen Entwicklung in Rio de Janeiro auf höchster Regierungsebene thematisiert werden wird.

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