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Rettung vor der Insolvenz

Fragen und Kommentare zum Fall „Rettung vor der Insolvenz„.

Der Beitrag wurde am Freitag, den 19. Februar 2010 um 08:46 Uhr von Sebastian Schwarz veröffentlicht und wurde unter Allgemein abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf Ihrer Seite einrichten.

7 Reaktionen zu “Rettung vor der Insolvenz”

  1. Student

    Liebes Hauptstadtfälle-Team!

    Zum Fall „Rettung vor der Insolvenz“ hätte ich eine technische und eine inhaltliche Frage.

    Die technische ist lediglich, ob es auch zu diesem Fall noch pdf-Dokumente geben wird, was das Ausdrucken immer erheblich erleichtert!?

    Zur inhaltlichen Frage:
    Bei der Beschäftigung mit der Verfassungsbeschwerde des Workinski (im Folgenden: W) habe ich mich gefragt, ob hinsichtlich der Übertragung der Betriebsvorsorge (und freilich nur insoweit) nicht doch auch eine abwehrrechtliche Prüfung in Betracht gekommen wäre. Zwar ist der Vortrag des W wohl eher im Sinne einer Berufung auf staatliche Schutzpflichten zu verstehen („W beklagt nun, dass der Staat es unterlassen habe, seine Rechte ausreichend zu sichern.“), doch schiene mir (angesichts des Sachverhalts i.Ü.) eine Auslegung dahin, dass W sich direkt gegen das BetrVorÜG als in sein Eigentum eingreifendes Gesetz wendet, jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen.
    Geht man davon aus, wäre mE in dem BetrVorÜG eine Inhalts- und Schrankenbestimmung iSd Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG zu sehen, die sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen müsste. Da im Lösungsvorschlag ja sogar eine Schutzpflicht hinsichtlich der generellen Zustimmungsbedürftigkeit des Schuldneraustausches bejaht wird, dürfte ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ohne Weiteres anzunehmen sein, das BetrVorÜG wäre also insoweit verfassungswidrig und für nichtig zu erklären, sodass W wieder in den Genuss des Schutzes durch § 415 BGB käme.
    Damit will ich natürlich nicht sagen, dass nicht auch eine Schutzpflicht bestehen kann, aber angesichts der Schwierigkeiten die regelmäßig mit der Bestimmung der Grenzen solcher Pflichten einhergehen (s. die Anmerkungen im Lösungsvorschlag zum Untermaßverbot und zur Evidenzkontrolle), hätte es aus meiner Sicht nahe gelegen, hier zunächst auf die abwehrrechtliche Dimension einzugehen. Zudem scheint mir die im Lösungsvorschlag vorgesehene Rechtsfolge (Nichtanwendbarkeit des Gesetzes) nicht ganz konsequent, denn bei der Verletzung von Schutzpflichten würde ich regelmäßig eine Pflicht zum Tätigwerden erwarten (vgl. hierzu die von Krebs vorgeschlagene Dichotomie von Unterlassungs- und Leistungsfunktionen in HdbdGR Band II, § 31 Rn 75 bis 82). Oder wo liegt mein Denkfehler?

    Vielen Dank schonmal für die Beantwortung und viele Grüße!

  2. Dominik Steiger

    Das ist ein wirklich guter Punkt, herzlichen Dank für Ihren Beitrag.
    Schutzpflichtenkonstellationen von abwehrrechtlichen Konstellationen zu unterscheiden, ist nicht immer einfach und eindeutig, insbesondere in Fällen des unechten Unterlassens nicht. Nichtumsonst finden Sie noch immer eine gewichtige Ansicht in der Literatur (Murswieck, Szczekalla, z.T. auch Scholz), die die Existenz von Schutzpflichten bezweifelt bzw. an eine abwehrrechtliche Lösung anknüpft. Demgemäß sollte eine abwehrrechtliche Lösung in einer Klausur auch als vertretbar gewertet werden, sofern zumindest das Abgrenzungproblem zur Schutzpflicht gesehen worden ist. Hierzu müssen Sie auf die Formulieren im Sachverhalt achten (Unterlassen, Pflicht zum Schutz).
    Warum ist hier die Schutzpflichtenlösung vorzuziehen? Gegenstand des Verfahrens ist das Zivilrecht. Die mögliche Beeinträchtigung der Grundrechtsposition folgt zunächst aus dem Handeln Privater (nicht aus staatlichem Handeln), nämlich aus der Übertragung der Betriebsvorsorge, was grundsätzlich von der Privatautonomie gedeckt ist. Der Staat muss aber durch die Rechtsordnung, die er zur Verfügung stellt, dafür Sorge tragen, dass die grundrechtlich geschützte Privatautonomie auch tatsächlich wahrgenommen werden kann; dass die Bedingungen für die Selbstbestimmung des Einzelnen tatsächlich gegeben sind. Das spricht die Schutzpflichtenfunktion der Grundrechte an: Schutz vor Fremdbestimmung, Schutz der schwächeren Vertragspartei. Da es die gesetzlich ausgestaltete Ordnung im vorliegenden Fall dem Beschwerdeführer durch den Ausschluss des § 415 BGB unmöglich macht, seine Interessen selbst durchzusetzen, verlangt Art. 2 Abs. 1 GG Schutzvorkehrungen, die ausgleichen, dass eine privatautonome Verfolgung der eigenen Belange ausgeschlossen ist (siehe dazu BVerfGE 114, 1). Anders als in abwehrrechtlichen Konstellationen sind hier aber verschiedene Schutzmaßnahmen denkbar, um den Grundrechtschutz zu verwirklichen. Es ist nicht zwingend, § 415 BGB uneingeschränkt zur Anwendung zu bringen, sondern das neue Gesetz könnte den widersteitenden Interessen auch anders Rechnung tragen.
    Das führt auch zu Ihrem zweiten Punkt, den Rechtsfolgenausspruch des Gerichts betreffend: Nach dem eben Gesagten ist die Rechtsfolge eines Schutzbegehrens grundsätzlich die Verpflichtung des Staates, entsprechend einer Schutzpflicht zu handeln. Da hier aufgrund des unechten Unterlassens des Gesetzgebers eine Norm den grundrechtlichen Schutz, den eine andere Norm bietet, zunichte macht, verdichtet sich der Schutz in einem ersten Schritt darauf, dass die Norm für unvereinbar erklärt wird, was zur Folge hat, dass
    sie nicht mehr angewendet werden darf. Oder in den Worten des BVerfG in 114, 1: „Hat der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten, den Verfassungsverstoß zu beseitigen, trägt das Bundesverfassungsgericht dem in der Weise Rechnung, dass es die verfassungswidrige Norm nur für unvereinbar mit dem Grundgesetz
    erklärt… „, so dass das Gesetz unangewendet bleibt, bis der Gesetzgeber Änderungen entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vorgenommen hat. Diese Lösung trägt gerade der Schutzpflichtenkonstellation und der damit verbundenen Problematik der Gewaltenteilung Rechnung: Dem Gesetzgeber bleibt ein weiter Spielraum bei der Verwirklichung der
    Schutzpflichten.
    Schließlich: eine pdf.-Datei wird es natürlich auch noch geben.

  3. Student

    Vielen Dank für die ausführliche und sehr hilfreiche Antwort!!

    Zwar bin ich noch nicht zu 100% überzeugt, da mE die Besonderheiten des Art. 14 I GG (normgeprägter Schutzbereich, Inhalts- und Schrankenbestimmungen) iVm dem Erlass des Änderungsgesetzes (bei dem ich mir schwer tue, hierin ein Unterlassen zu erkennen) hier eben doch eine abwehrrechtlich Betrachtung ermöglichen. Denn die Beschränkung eines einmal gewährten Schutzes stellt ja zunächst (!) eine Schrankenbestimmung dar (durch das Gesetz ändert der Gesetzgeber hier den Inhalt des geschützten Eigentums insoweit, als dass nunmehr der Schutz vor unfreiwilligem Schuldneraustausch nicht mehr umfassend gewährt ist; das stellt eine Inhaltsbestimmung dar, die angesichts der vorherigen Rechtslage aber zunächst auch eine Schrankenbestimmung ist), die isb. am Maßstab des Übermaßverbots zu messen ist. Ist diese Beschränkung unverhältnismäßig, ist sie verfassungswidrig (hier also das Änderungsgesetz). Insbesondere scheint mir das Argument nicht durchzugreifen, der Gesetzgeber habe ja mehrere Gestaltungsmöglichkeiten. Denn auch nach der Schutzpflichten-Lösung kommt es ja – so die Lösungsskizze – zu einer (vollständigen) Nicht-Anwendbarkeit der Neuregelung (und eben nicht zu einem bloßen Änderungsauftrag an den Gesetzgeber oder gar einer Art „geltungserhaltenden Reduktion“). Dass der Gesetzgeber im Anschluss nicht verpflichtet ist, die Regelung des § 415 mit genau dem gleichen Inhalt aufrecht zu erhalten, leuchtet ein, dem steht aber auch die abwehrrechtliche Lösung nicht im Wege; eine andere, verfassungsmäßige Einschränkung des Rechts zum Schuldneraustausch ist hierdurch ja keineswegs präkludiert.

    Trotzdem haben mir Ihre Hinweise schon sehr geholfen. Nochmals vielen Dank dafür!!!

  4. Dominik Steiger

    Eine 100% Überzeugung werden Sie in der Rechtswissenschaft auch kaum finden, das gehört zur Schönheit unseres Fachgebiets!
    Dennoch will ich auf einige Punkte eingehen:
    Ein Unterlassen kann auch immer in einem unvollständigen Handeln bestehen: werden Schutzmaßnahmen ergriffen, reichen diese aber nicht aus, so hat es der Gesetzgeber eben unterlassen, ausreichende Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Wenn Sie sich die Diskussion hinsichtlich der Abgrenzung von Tun und Unterlassen aus dem Strafrecht vor Augen führen, sehen Sie aber, wie schwierig diese Frage ist, und dass hier vieles vertretbar erscheint.
    In Hinblick auf die Gestaltungsmöglichkeiten gilt es zu unterscheiden: dem Gesetzgeber stehen vielerlei Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, er muss lediglich im Ziel den grundrechtlichen Schutzanspruch erfüllen. Dem BVerfG hingegen stehen diese Gestaltungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung; so kann es nicht eine neue Regelung entwerfen, sondern lediglich das Gesetz weiter gelten lassen oder für nicht oder nur beschränkt anwendbar erklären.
    Dass die abwehrrechtliche Lösung dennoch vertretbar ist, steht außer Frage, für die Schutzpflichtenlösung sprechen aber die gewichtigeren Argumente, vor allem, dass der Staat verpflichtet ist, in jedem Fall eine gesetzliche Regelung zu erlassen, die das Eigentum hinreichend schützt. Das Besondere an dem Fall ist, dass er dies schon 1900 durch das BGB getan hat und deshalb keine neue Handlung notwendig ist. Denken Sie den § 415 BGB weg, so reicht eine rein abwehrrechtliche Lösung nicht mehr – an der Grundkonzeption hat sich aber eben nichts verändert.

  5. JB

    Sehr geehrte Damen und Herren,
    ich würde meinem Vorredner zustimmen, wenn er meint, es ginge im ersten Teil bzgl. des BetrVorÜG um einen Eingriff bzw. eine diesem gleichzustellende Aus- oder Umgestaltung durch den Gesetzgeber.

    1. Zwar geht der Anspruch aus der Betriebsvorsorge erst mit dem Dazwischentreten Privater verloren. Die Übertragbarkeit selbst lässt sich aber doch zumindest ebenso gut als Inhalt des Rechts begreifen. Oder nicht?

    2. Ebenso möchte W nicht ein Mehr an privatautonomen Handlungsmöglichkeiten: Er möchte sein Gegenüber lediglich an der bereits getroffenen privatautonomen Entscheidung festhalten. Die Vereinbarung verändert aber ihren Inhalt durch die nachträglich eingeführte Übertragbarkeit der Ansprüche (Man hätte ein entsprechendes Verbot ja auch vereinbaren können, was aber zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses sinnlos erschien.). Diesen Inhalt ändert sie nicht durch die Übertragung selbst, sondern durch Handeln des Gesetzgebers.

    Viele Grüße, JB

  6. CS

    Sehr geehrte Verfasser,
    bei der Durchsicht des Lösungsvorschlages ist es mir persönlich schwer gefallen im Rahmen der Zulässigkeit den exakten Beschwerdegegenstand auszumachen.
    Einerseits wird auf das Unterlassen der BReg abgestellt, die KfW nicht angewiesen zu haben. Doch dieses Unterlassen müsste doch dann ein sog. „echtes Unterlassen“ darstellen, da die BReg zwar beraten hat, aber doch dann gänzlich untätig blieb.
    Andererseits steht der Erlass des BetrVorÜG durch den Gesetzgeber im Raum. Dies wird als „unechtes Unterlassen“ angesehen, obwohl doch ein positives Tun vorliegt. Entfernt man sich einmal von der gedanklichen Konstruktion eines Unterlassens, liegt es meines Erachtens dann auch konsequenterweise näher von einem Eingriff bzw. einer Umgestaltung auszugehen und im Rahmen von Art. 14 GG nicht auf Schutzpflichten abzustellen.

  7. Dominik Steiger

    Liebe Fragesteller,
    bitte entschuldigen Sie zunächst die sehr späte Antwort.

    Zu CS: Sie haben völlig Recht, das erste Unterlassen ist ein „echtes Unterlassen“, wir haben das inzwischen klargestellt. Danke für den Hinweis!
    Zum zweiten Teil: ein unechtes Unterlassen zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass ein Handeln vorliegt, der betreffende Bereich aber nicht oder nicht ausreichend (gemessen an den grundrechtlichen Schutzpflichten) mitgeregelt wurde, hier der Gesetzgeber also untätig geblieben ist.

    Zu JB: Sicherlich lässt sich das staatliche Handeln als Eingriff (und zwar als ISB) qualifizieren. Die abwehrrechtliche Lösung ist dementsprechend vertretbar. Nur ist aus den erwähnten Gründen (Blogeintrag vom 19. März) die schutzrechtliche Lösung eleganter.

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