Inequalitics

Promotionskolleg "Steuer- und Sozialpolitik bei wachsender Ungleichheit"

Zur Einkommensungleichheit in Deutschland und was der Mindestlohn allein nicht leisten kann

Der Koalitionsvertrag ist ausgehandelt; zielgerichtete Maßnahmen zur Reduzierung der Einkommensungleichheit fehlen. Die von der SPD ursprünglich geforderte Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 45 auf 49 Prozent (bereits auf Einkommen ab 100.000 Euro pro Jahr und Person) konnte gegen den Widerstand der Union nicht umgesetzt werden.

Wie sinnvoll eine solche Kurskorrektur von Seiten der Politik gewesen wäre, zeigen u.a. die neuesten Ergebnisse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin zur Einkommensungleichheit in Deutschland: Denn spätestens seit 2011 stockt der Rückgang der Einkommensungleichheit und das trotz der relativ guten konjunkturellen Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft. Ob es sich dabei um eine temporäre Verschlechterung handelt, kann zum jetzigen Zeitpunkt nur unter Unsicherheiten beantwortet werden. Allerdings fiel der Rückgang der messbaren Einkommensungleichheit auch in den Jahren zuvor nur gering aus, wenn die Einkommensungleichheit denn überhaupt rückläufig war.

Doch zunächst lohnt sich ein genauerer Blick auf die Entwicklung der bedarfsgewichteten und inflationsbereinigten verfügbaren Haushaltseinkommen über die vergangenen Jahre in Deutschland. Wie aus Abbildung 1 hervorgeht, stieg das durchschnittliche verfügbare Haushaltseinkommen unmittelbar nach der Wiedervereinigung zunächst an. Zwischen 1999 und 2008 durchlief es eine Phase der Stagnation, begleitet von kleineren Schwankungen, um im Jahr 2010 ein Zwischenhoch von rund 21.000 Euro pro Jahr zu erreichen.1

Abbildung 1: Preisbereinigtes verfügbares Haushaltseinkommen (in 1000 Euro pro Jahr)
DIW Excerpt 1
Quelle: Berechnungen und Grafik aus Grabka und Göbel (2013, S. 14), SOEPv29.

Im Jahr 2011 zeichnet sich jedoch ein Ende des Anstieges des durchschnittlichen Nettohaushaltseinkommens ab, wobei der leichte Rückgang noch innerhalb des Fehlerbereiches der Stichprobe liegt und damit nicht signifikant ist: „Gemessen am arithmetischen Mittel stand den privaten Haushalten im Jahr 2011 ein höheres Realeinkommen zur Verfügung als zehn Jahre zuvor” (Grabka und Goebel, 2013, S. 15). An dieser Stelle kann die Untersuchung jedoch nicht zu Ende sein, da die alleinige Betrachtung des arithmetischen Mittels noch keinerlei Aussagen über die tatsächliche Verteilung der Haushaltseinkommen zulässt. Es bleibt die Frage offen, ob alle Haushalte gleichermaßen einen Anstieg ihrer realen verfügbaren Haushaltseinkommen verzeichnen konnten oder nicht.

In einem nächsten Schritt bietet sich daher eine Betrachtung des verfügbaren Medianhaushaltseinkommens an. Zur Ermittlung des Medianwertes werden zunächst alle Haushalte aufsteigend nach ihren verfügbaren Einkommen sortiert, um sie anschließend in zwei gleich große Gruppen aufzuteilen. Der Median ist dann das verfügbare Einkommen des Haushaltes, der inmitten dieser beiden Gruppen liegt. Aber auch in diesem Fall zeigt sich, dass sich das real verfügbare Medianhaushaltseinkommen seit 1999 ebenfalls nicht signifikant verändert hat und zwischen 2008 und 2010 anstieg (vgl. Grabka und Goebel, 2013, S. 15).

Als wesentliche Ursache für die beschriebene Entwicklung, aber insbesondere für den Rückgang in 2011, nennen die Forscher vom DIW Berlin die unterschiedliche Entwicklung der Haushaltseinkommen in den einzelnen Dezilen der Einkommensverteilung. „Unterteilt man die Bevölkerung in sogenannte Dezile und indexiert das durchschnittliche Einkommen je Dezil auf das Jahr 2000, so ist erkennbar, dass vor allem die Bezieher der höchsten Einkommen (oberstes Dezil) überdurchschnittliche reale Einkommenszuwächse erzielen konnten (…), während für das erste bis vierte Dezil Einkommensrückgänge von bis zu fünf Prozent im Vergleich zum Jahr 2000 zu konstatieren sind“ (Grabka und Goebel, 2013, S. 15). Demzufolge haben sich die positive Entwicklung bei den obersten 10 Prozent und die negative Entwicklung bei den untersten 40 Prozent gegenseitg ausgeglichen, was u.a. zu der langen Stagnationsphase zwischen 1999 und 2008 führte.

Abbildung 2: Verfügbares Einkommen nach ausgewählten Dezilen (Veränderung der Mittelwerte gegenüber dem Jahr 2000 in Prozent)
DIW Excerpt 2
Quelle: Berechnungen und Grafik aus Grabka und Göbel (2013, S. 15), SOEPv29.

Darüber hinaus zeigt die Entwicklung des Gini Index’ in Abbildung 3, welcher ein oft verwendetes statistisches Maß zur Quantifizierung der Einkommensungleichheit ist und auf einen Wertebereich zwischen 0 und 1 normiert ist, dass trotz der stagnierenden und später steigenden verfügbaren Haushaltseinkommen die Ungleichheit in den vergangenen zwanzig Jahren zugenommen hat, wenngleich es einen vorübergehenden Rückgang zwischen 2005 und 2010 gab.

Abbildung 3: Entwicklung des Gini Koeffizienten der verfügbaren Haushaltseinkommen
DIW Excerpt 3
Quelle: Berechnungen und Grafik aus Grabka und Göbel (2013, S. 15), SOEPv29.

Als Ursache für diese Entwicklung im Allgemeinen und die Trendumkehr im Jahr 2011 im Besonderen identifizieren Grabka und Goebel (2013) neben einer steigenden Ungleichheit in den Erwerbseinkommen insbesondere eine Zunahme der Ungleichheit in den Kapitaleinkommen. In Abbildung  4 ist sodann die Entwicklung des Gini Koeffizienten der Kapitaleinkommen zum Vergleich abgebildet.

Abbildung 4: Entwicklung des Gini Koeffizienten der Kapitaleinkommen
DIW Excerpt 4
Quelle: Berechnungen und Grafik aus Grabka und Göbel (2013, S. 18), SOEPv29.

An dieser Stelle kann zusammengefasst werden, dass 40 Prozent der Bevölkerung am unteren Rand der Einkommensverteilung seit dem Jahr 2000 keinen signifikanten Zuwachs ihrer realen durchschnittlichen Nettohaushaltseinkommen verzeichnen konnten sondern allein die obersten 10 Prozent.

Demgegenüber steht die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes in Höhe von € 8,50 brutto die Stunde, die aus Sicht der SPD und der Gewerkschaften durchaus ein Erfolg ist. Ob der Mindestlohn zu einer Umverteilung der Einkommen von den obersten 10 Prozent zu den untersten 40 Prozent der Bevölkerung führen wird, ist bezogen auf die verfügbaren Haushaltseinkommen ex ante nur unter Schwierigkeiten vorherzusagen. Einen vorsichtigen Versuch zur Bemessung der Umverteilungswirkungen unternehmen Müller und Steiner (2013), in der sie dieser Fragestellung mithilfe eines Mikrosimulationsmodelles nachgehen. Unter Anwendung verschiedener Mindestlohnszenarien und unter Variation der Arbeitsnachfrageelastizität- sowie der Konsumgüterpreisreaktionen können sie zeigen, dass sogar ein relativ hoher gesetzlicher Mindestlohn i.H.v. 10,50 Euro brutto die Stunde nur eine geringe Auswirkung auf die Verteilung der verfügbaren Haushaltseinkommen hätte. Die wesentliche Ursache liegt ihren Erkenntnissen nach darin, dass die Erhöhung der Bruttostundenlöhne durch eine Reduzierung des staatlichen Transferbezugs und einer steigenden Einkommenssteuerbelastung neutralisiert wird.

Die alleinige Einführung eines Mindestlohnes würde somit aller Voraussicht nach nicht zu einer signifikanten Reduzierung der Ungleichheit in den verfügbaren Haushaltseinkommen führen. Sollte Letzteres jedoch das Ziel der nächsten Bundesregierung sein, so wäre es vielmehr geboten, den gesetzlichen Mindestlohn bspw. durch eine zielgerichtete Erhöhung des Spitzensteuersatzes zu ergänzen.2

Fußnoten:
  1. Äquivalenzgewichtung erfolgt nach der modifizierten OECD Skala. Einkommen sind in Preisen von 2005 angegeben. Das verfügbare Haushaltseinkommen bzw. Nettohaushaltseinkommen setzt sich aus der Summe der Erwerbs- und Kapitaleinkommen, Renten und Pensionen sowie der staatlichen Transfers abzüglich Steuern und Sozialbeiträge zusammen. Weitere Details zum verwendeten Einkommenskonzept finden sich in Grabka und Goebel (2013, S. 16).
  2. Über die Höhe des optimalen Grenzsteuersatzes für Deutschland siehe u.a. Bach, Corneo und Steiner (2012).
Literaturverweise:
  1. Bach, S., G. Corneo und V. Steiner (2012): “Optimal Top Marginal Tax Rates Under Income Splitting for Couples”, European Economic Review 56, 1055-1069.
  2. Grabka, M. und J. Goebel (2013): “Rückgang der Einkommensungleichheit stockt”, DIW Wochenbericht 46.
  3. Müller, K.-U. und V. Steiner (2013): “Distributional Effects of a Minimum Wage in a Welfare State: The Case of Germany”, Discussion Paper.

 

 

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Der Beitrag wurde am Donnerstag, den 12. Dezember 2013 um 19:45 Uhr von Maximilian Stockhausen veröffentlicht und wurde unter Einkommensverteilung abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf Ihrer Seite einrichten.

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