Südkorea: Präsidentin Park Geun Hye ein Jahr im Amt

Hannes B. Mosler

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Ungefähr ein Jahr ist vergangen seit der Amtseinführung der südkoreanischen Präsidentin Park Geun Hye (Pak Kŭn-hye) am 25. Februar 2013. Park ist die erste weibliche Besetzung des höchsten politischen Amtes in der Geschichte der Republik Korea (Südkorea). Es ist auch das erste Mal, dass ein Nachkomme eines früheren Präsidenten in das Amt gewählt wurde. Ihr Vater war der frühere Militärdiktator Park Chung Hee (Pak Chŏng-hi).[1] Er regierte das Land 18 Jahre lang mit eiserner Faust, nachdem er sich 1961 an die Macht geputscht hatte. 1979 wurde er von seinem Geheimdienstchef erschossen. Seine Frau war 1974 bei einem Attentat ums Leben gekommen und Park Geun Hye hatte die Rolle der First Lady übernommen. So lernte die 1953 geborene Park das Politikgeschäft schon in jungen Jahren. 2013 ist die 62-jährige Rechtskonservative in die Fußstapfen ihres Vaters getreten.

Die Bilanz nach den ersten zwölf Monaten – die einmalige Amtszeit beträgt fünf Jahre – fällt durchwachsen aus. Bisher hat sie so gut wie keines ihrer zentralen Wahlversprechen eingelöst. In der Öffentlichkeit erschien sie meist nur, wenn über ihre Auslandsreisen, ihre Staatsbanketts im Präsidentenpalast oder einer ihrer Termine in einem Kindergarten, einer Berufsschule oder auf einem Wochenmarkt berichtet wurde. Zu aktuellen Fragen äußerte sie sich selten; und wenn, dann nur, um jegliche Kritik als ungerechtfertigten Angriff zurückzuweisen. Selbst ihre eigene Partei, die rechtskonservative Saenuridang (Neue Welt Partei – NWP), scheint häufig irritiert. Seit der Amtseinführung haben sich ehemals treue Berater von ihr abgewendet und werfen ihr mangelnde Professionalität vor. Ihre Umfragewerte in der Bevölkerung haben ebenfalls merklich abgenommen. Ende November vergangenen Jahres folgten die ersten vereinzelten Forderungen aus dem Volk, sie solle abtreten.

Die Tochter des Diktators wird Präsidentin

Park Geun Hye gewann die Präsidentenwahlen im Dezember 2012, nicht obwohl, sondern weil sie die Tochter des Militärdiktators Park Chung Hee ist. Der schwache Wahlkampf des Oppositionslagers tat sein Übriges. Dennoch ist die Frage berechtigt, warum wurde die Tochter eines Diktators in einem seit zweieinhalb Dekaden demokratisierten Land von der Mehrheit der Wähler (51,5 Prozent) zur Präsidentin gewählt? Hauptgrund ist die Tatsache, dass in Südkorea die Gegenwartsgeschichte noch in einem verhältnismäßig geringen Maße aufgearbeitet werden konnte. Historisch ist dies auf die Situation der Teilung zurückzuführen, die sowohl Resultat zweier heißer Kriege (Asien-Pazifik- bzw. Zweiter Weltkrieg und Koreakrieg) als auch des Kalten Krieges ist. Der Koreakrieg hat für die Konservierung der ideologischen Spannungen und Spaltungen gesorgt, die sich nach der Befreiung aus der japanischen Kolonialherrschaft und unter Eindruck der Interessen der Großmächte Bahn gebrochen hatten. Während in Nordkorea ein totalitäres Regime Einzug fand, das keinerlei Konkurrenz in Sachen Systemideologie zuließ, gab es im Süden von Anfang an Widerstand gegen die autoritäre Regierung und einen Kampf für Demokratie. Nach der formalen Demokratisierung 1987 folgte Ende der 90er Jahre mit der Kim Dae Jung-Administration (1998-2003) schließlich der erste friedliche Regierungswechsel. Die nachfolgende Regierung unter Roh Moo Hyun (No Mu-hŏn; 2003-2008) führte die progressiv-liberale Politik fort. Erst mit dem erneuten Regierungswechsel zur rechtskonserva-tiven Regierung von Lee Myung Bak (Yi Myŏng-bak; 2008-2013) wurde die „politische Uhr [wieder] zurückgedreht“.[1] Als Resultat jahrzehntelanger Diktatur sind Politik und Gesellschaft jedoch immer noch dominiert von rechten, reaktionären Kräften, die einer weitreichenden Aufarbeitung der Geschichte entgegen-stehen. Ein nicht unwesentlicher Teil davon steht dem Regierungslager nahe und hat immer noch großen Einfluss auf die Politik.

In der Bevölkerung hatte Park bereits Jahre vor der Präsidentenwahl eine solide Zustimmung von 30 bis 40 Prozent. Ihre Familiengeschichte war ihr größtes politisches Kapital. Viele sehen in ihr entweder ihren Vater Park Chung Hee oder ihre Mutter Yuk Young Soo (Yuk Yŏng-su), die fürsorgliche First Lady, oder beide.[2] Wie ihre Eltern wurde auch Tochter Park Opfer eines Attentats. Bei einem öffentlichen Auftritt vor acht Jahren wurde ihr mit einem Teppichmesser eine elf Zentimeter lange Wunde an der rechten Gesichtshälfte zugefügt. Damals war Bundeskanzlerin Angela Merkel eine der ersten Politikerinnen aus dem Ausland, die Park schriftlich Beistand leistete. Dieser dramatische Vorfall aus dem Jahr 2006 stand im Mittelpunkt des ersten Werbevideos für Parks Präsidentschafts-wahlkampf Ende 2012. Auch damals hatte Merkel ihr noch zwei Tage vor der parteiinternen Nominierungswahl für die Präsidentschaftskandidatur ein Schreiben geschickt, in dem sie ihr und ihrer Partei ausdrücklich Erfolg wünschte. Ein entsprechend großes Medienecho in Südkorea blieb nicht aus. Die beiden Politikerinnen hatten sich bereits einige Jahre zuvor kennengelernt. Zum ersten Mal trafen sie sich 2000, als Park Geun Hye als Mitglied des südkoreanischen Parlamentsausschusses für Wiederverei-nigung, Handel und Außenangelegenheiten nach Deutschland reiste. Seitdem halten Park und Merkel schriftlich Kontakt und trafen mehrmals bei verschiedenen öffentlichen Anlässen in Deutschland und Korea erneut zusammen. Bei ihrem bisher letzten Zusammentreffen im Jahr 2010 wurde Merkel an der Ewha Frauenuniversität die Ehrendoktorwürde verliehen. Noch im Frühling dieses Jahres werden sie sich zum vierten Mal treffen – wieder in Deutschland, aber dieses Mal auf Augenhöhe: von Staatschefin zu Staatchefin. Angela Merkel ist Park Geun Hyes erklärtes Vorbild – neben Margret Thatcher. Häufig wird in der koreanischen Presse darauf hingewiesen, dass Park und Merkel beide biologisch Frauen sind, naturwissenschaftliche Fächer studiert haben (Park studierte Elektrotechnik) und amtierende Staatsoberhäupter. Man könnte noch hinzufügen: Beide haben in ihren jungen Jahren in einer Diktatur gelebt, wenn auch mit sehr verschiedenen Rollen. Merkel wuchs als Tochter eines Pfarrers auf.

In Südkorea verspüren viele, insbesondere ältere Menschen, eine Nostalgie, wenn sie an die Zeit der Diktatur unter Vater Park denken, da sich in diesem Zeitraum das Land schnell entwickelt hat und viele Menschen zu Wohlstand kamen. Erst in den 70er Jahren hatte Südkorea den Systemfeind im Norden wirtschaftlich überholen können. Außerdem ist ein großer Anteil der meisten Südkoreaner, die heute über 60 Jahre alt sind, direkt oder indirekt immer noch stark geprägt vom Koreakrieg, und (damit) nicht zuletzt von der anti-kommunistischen und autoritären Erziehung der vergangenen Dekaden.

Aber es gibt auch viele Kritiker. Sie sehen in Park Geun Hye die Tochter des Militärdiktators, der es mit seiner Herrschaft so weit trieb, dass er schließlich durch seinen eigenen Geheimdienstchef ermordet wurde. Jedoch richtet sich die Kritik nicht an Park als Tochter persönlich, sondern als Tochter und an die gestandene Politikerin, die das Handeln ihres Vaters, des Militärdiktators, rechtfertigt. Erst nach langem Zögern hatte Park sich kurz vor dem Wahltag schließlich doch noch von Parteigenossen überreden lassen, öffentlich Stellung zu beziehen zu den zahllosen Vorwürfen gegen das Vorgehen ihres Vaters. Dabei blieb sie jedoch vage, was die eigentlichen früheren Verbrechen anging und sie schwieg zu der im Raum stehenden Frage, wie sie diese als potentielle Präsidentin beurteilen würde. Es reichte trotzdem, dem Angriff der Opposition die Spitze zu nehmen.

Wahlversprechen vor der Wahl, Wahlversprechen nach der Wahl

In ihrem Präsidentschaftswahlkampf standen Demokratisierung der Wirtschaft, Wohlfahrtsstaatlichkeit und Arbeitsplatz-beschaffung ganz oben auf der Liste der Wahlversprechen. Dadurch, dass sich die rechtskonservative Regierungspartei unter Federführung Parks diese Themen zu Eigen gemacht hatte, nahm vor allem der größten oppositionellen Partei, der Minjudang (Demokratischen Partei – DP) viel Wind aus den Segeln. Viel ist von Parks Wahlversprechen bisher jedoch nicht geblieben. Eine Art Grundsicherungsrente von umgerechnet ca. 140 Euro, die sie allen Bürgern ab dem 65sten Lebensjahr zugesagt hatte, ist praktisch vom Tisch. Auch die kostenlose Betreuung von Kindern bis zum fünften Lebensjahr ist kein Thema mehr. Das Versprechen, Arzt- bzw. Behandlungskosten bei schwer-wiegenden Krankheitsfällen vom Staat übernehmen zu lassen, wurde nicht eingelöst. Und von der versprochenen Senkung der Studiengebühren war nach der Wahl auch nichts mehr zu hören. Schließlich verwässerte Park auch die groß angekündigte „Demokratisierung der Wirtschaft“. Parks ehemaliger diesbezüglicher Chefideologie und Wahl-kampfhelfer Kim Chong In (Kim Chong-in) hat sich deshalb im Nachhinein bereits mehrmals deutlich kritisch von ihr distanziert.

Bei der Bilanz von Parks Außenpolitik und Diplomatie gehen die Meinungen ein wenig auseinander. Ihre sales diplomacy bei ihren zahlreichen Auslandreisen wird ihr in Teilen positiv angerechnet. In ihrer Rede auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos erklärte sie ihre Idee einer „kreativen Ökonomie“ u.a. damit, staatliche Regulierung „flächendeckend abzubauen“.[3] Ausländische Investoren lädt sie immer wieder nachdrücklich ein und versichert, dass sie persönlich für gute Bedingungen sorgen werde. Ebenso schätzen viele Beobachter auch im Ausland Parks Haltung gegenüber Nordkorea, da sie trotz der Dauerkrise in den Beziehungen zum Bruderstaat immer Gesprächsbereitschaft gezeigt habe. Tatsächlich hat Park – anders als ihr Vorgänger – politische Fragen von humanitären Hilfeleistungen an Nordkorea entkoppelt. Ihre mit Nachdruck angekündigte trust policy[4] macht sie immer noch davon abhängig, ob Nordkorea sein Atomprogramm aufgibt. Viele Beobachter sehen hierin einen Widerspruch, denn es ist ja gerade das Vertrauen, um welches es Nordkorea geht und weshalb es mit seinem Atomprogramm pokert. Außer der Wiederinbetriebnahme des Kaesong Industriekomplexes Mitte September vergangenen Jahres hat sich deshalb in den innerkoreanischen Beziehungen wenig getan; sie bleiben stark unterkühlt.

Ähnlich verhält es sich mit den Beziehungen zu Japan. Park hatte nach ihrem Amtsantritt Anfang 2013 als erstes Land die USA besucht, danach China. Sie reiste zum G20-Gipfel nach Russland, besuchte Vietnam und nahm in Indonesien am APEC-Gipfel teil, machte einen Abstecher nach Brunei und traf sich mit den ASEAN-Vertretern. Im Januar 2014 flog Park nach Indien und in die Schweiz, wo sie auch am Weltwirtschaftsgipfel teilnahm. Ein Zusammentreffen mit dem japanischen Staatsoberhaupt ist bisher jedoch ausgeblieben. Die offizielle Begründung ist die Haltung Japans zu Fragen des Umgangs mit der Geschichte und Territorialkonflikten, die zwischen den beiden Ländern stehen.[5] Kurz vor Silvester 2013 hatte es sich Park nicht nehmen lassen, in einem sehr harten Ton den Besuch des Premierministers Abe Shinzo beim Yasukuni-Schrein, indem auch Kriegsverbrecher der Klasse A beigelegt sind, zu kritisieren.[6] Japan solle nicht alte Wunden aufreißen.[7] Schon früher hatte sie deutlich gemacht, dass erst ein grundlegender Wandel Japans in Sachen Geschichtsaufarbeitung voraus-gehen muss, wenn sich die bilateralen Beziehungen und die regionale Politik in Nordostasien positiv ändern sollen. Die Mehrheit der südkoreanischen Beobachter stimmen Park in der Sache zu, bewertet ihren undiplomatischen Umgang jedoch als problematisch. Denn auch hier – wie im Fall Nordkoreas – macht Park fundamentale Zugeständnisse des Gegenübers zur Voraussetzung für die Aufnahme eines Dialogs, durch den dann später das nötige Vertrauen aufgebaut werden soll.

Problematisch ist auch, dass Park mit zweierlei Maß zu messen scheint. Denn während sie Japan Geschichtsklitterung vorwirft und davon alles abhängig macht, lässt sie die neuere Geschichte Südkoreas ebenso ungeklärt und offen für Fehlinterpretationen. Das Bildungsminis-terium vergab jüngst die Zulassung für ein stark umstrittenes Schulbuch für den Geschichtsunterricht in der Oberstufe, in dem die japanische Kolonialzeit, Kollaboration mit den Besatzern und die Militärdiktatur in Teilen beschönigt wurde. Die New York Times schrieb dazu, Park Geun Hye wolle die Kollaboration von Koreanern mit den japanischen Behörden herunterspielen und habe das Bildungs-ministerium dazu veranlasst, dieses neues Schulbuch zu zertifizieren.[8] Der Leitartikel erklärt die Motivation damit, dass die Mehrzahl der heutigen Bürokraten des Landes aus Familien stammen, die mit den Kolonialherren zusammengearbeitet hätten. Dass sich in ganz Südkorea nur eine von rund 1800 Schulen fand, die sich für das umstrittene Schulbuch als Lehrmaterial entschied, zeigt, wie fern ab vom Volk das Regierungslager mit seinen ideologischen Vorstellungen ist. Dass Parks jüngere Schwester Mitglied des Direktoriums dieser Schule ist, erklärt den Rest.

Regierungsumbildung: Hyper-Präsidentialismus und Militär-zuerst-Personalpolitik

Das präsidentielle Regierungssystem Südkoreas verleiht der Präsidentin weitreichende Befugnisse bzw. lässt Raum für eine Auslegung zum „Hyper-Präsidentialismus“. Park nutzt dieses Potential, um ihr Amtsverständnis in die Praxis umzusetzen. Das zeigt sich sowohl an der Art, wie sie die Regierungsorganisation umstrukturierte als auch daran, mit wem sie die wichtigsten Ämter besetzte. Nach der Regierungs-umbildung unterstehen der Präsidentin seit Anfang 2013 neben dem Büro der Präsidentin (BdSP), vergleichbar mit dem Bundeskanzleramt, nun zwei weitere Präsdialbüros mit Ministerialrang. Das Büro für Sicherheit der Präsidentin (BfSP) und das Büro für Nationale Sicherheit (BfNS) wurden zu Oberen Regier-rungsbehörden aufgewertet. Erklärt wurde diese Maßnahme mit dem ausgeprägten Sicherheitsbedürfnis Parks. Dem BfNS wurde als Reaktion auf die Hinrichtung Jang Song Thaeks (Chang Sŏng-t’aek) Mitte Dezember 2013 in Nordkorea[9] der Ständige Ausschuss des Nationalen Sicherheitsrates (NSC) unterstellt. Weitere wichtige Obere Regierungsbehörden, die dem Präsidenten-amt seit jeher direkt unterstehen, sind der Geheimdienst (NIS) und der Rechnungshof (BAI).

Auffällig an der Personalpolitik Parks ist, dass sie fast ausnahmslos auf Personen zurückgreift, die in einer vertrauens-würdigen Beziehung zum Regime ihres Vaters stehen, bzw. die sie bereits lange kennt und/oder solche, von denen sie sicher sein kann, dass sie Anweisungen befolgen. In einer Art ‚Militär-zuerst‘-Personalpolitik besetzte Park Geun Hye wichtige Ämter – Verteidigungsminis-terium, Büro für Nationale Sicherheit, Büro für Sicherheit der Präsidentin, Geheimdienst – mit ehemaligen Vier-sternegenerälen, die ihre Soldatenkarriere während der Diktatur in den 70er Jahren begonnen hatten. Wirtschaftsminister wurde Hyeon O Seok (Hyŏn O-sŏk), Ökonomon und Verwaltungswissen-schaftler, der bereits unter Vater Park Chung Hee mit an der Schaffung des letzten Fünf-Jahres-Wirtschaftsplans 1978 beteiligt gewesen war. Kritik an ihm wurde jedoch laut, weil er sich öffentlich gegen die Ausweitung der Wohlfahrtspolitik aussprach, wie sie noch während des Wahlkampfes von Park Geun Hye propagiert worden war. Jüngst wurden erste Rücktrittsforderungen laut, als Hyeon sich in der Folge eines riesigen Datenklau-Skandals bei mehreren Banken verständnislos und abfällig über die besorgten und wütenden Kunden geäußert hatte.

Auch Justizminister Hwang Kyo Ahn (Hwang Kyo-an) steht in der Kritik. Er machte in den 70er Jahren unter Park Chung Hee Karriere als Staatsanwaltschaft in der Abteilung für Kommunismus-bekämpfung. Außerdem gehört Hwang zu insgesamt fünf Ministern, die sich bei der für die Ernennung obligatorischen Befragung durch einen Parlaments-ausschuss nicht eindeutig zum Militärputsch von Parks Vaters geäußert haben. Die Putschisten unter der Führung von General Park Chung Hee hatten sich damals selbst als „Revolutio-näre“ bezeichnet, um ihren Umsturz zu legitimieren. Spätestens seit der ersten Zivilregierung unter Kim Young Sam (Kim Yŏng-sam; 1993-1998) wird der Coup d`Etat in Schulbüchern offiziell als „Militär-putsch“ bezeichnet. Auch das Verfas-sungsgericht hat in mehreren Entschei-dungen (1993, 1995, 2003) explizit argumentiert, dass es sich damals um einen „Militärputsch“ gehandelt habe. Park Geun Hye hatte seit Ende der 80er Jahre jedoch  immer wieder öffentlich davon gesprochen, dass es sich damals um die „einzig richtige Entscheidung“ ihres Vaters gehandelt habe. Erst kurz vor der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr wurde die Kritik so stark, dass sie in einer extra einberufenen Pressekonferenz das damalige Vorgehen als eine Verletzung der Verfassung bezeichnete. Dass ihre Minister sich dennoch davor scheuen, historische Fakten beim Namen zu nennen, lässt erahnen, wie die Präsidentin ihr Verhältnis mit den Ministern interpretiert und umgekehrt.

Mit der Leitung des wichtigen Büros der Präsidentin (BdSP) wurde Kim Ki Choon (Kim Ki-ch’un) betraut. Kim begann seine berufliche Laufbahn Ende der 60er Jahre als Staatsanwalt in der Abteilung für Kommunismusbekämpfung. Er hatte wichtige Posten im berüchtigten Geheimdienst inne und war aktiv an der Ausarbeitung der Yushin-Verfassung Anfang der 70er Jahre beteiligt, die das autoritäre Regime Park Chung Hees in eine noch extremere Diktatur verwandelte. Mitte der 70er Jahre übernahm er wichtige Posten im Geheimdienst und wurde später Sekretär im Präsidentenpalast Park Chung Hees. Nach der Demokratisierung wurde er Parlamentsabgeordneter und war 2003 federführend am umstrittenen (wenn auch schließlich erfolglosen) Amtsenthebungs-antrag gegen den progressiv-liberalen Präsidenten Roh Moo Hyun beteiligt. Als Leiter des Präsidialbüros von Park Geun Hye war einer seiner bisher wichtigsten Amtshandlungen, den Parteiverbotsantrag gegen die Vereinte Progressive Partei (VPP) vorzubereiten (s.u.).

Südkoreas Watergate? – Der Konflikt um die Wahlkampfmanipulation on- und offline

Die bisher größte Herausforderung der Regierung Park ist der Skandal um die illegale Einflussnahme des Geheim-dienstes NIS, der einst von Vater Park geschaffen worden war und dem er schließlich selbst zum Opfer fiel. Der NIS hatte während des Präsidentschafts-wahlkampfes 2012 dem Regierungslager offensichtlich Abschriften von den Aufzeichnungen des Gipfeltreffens zwischen Roh Moo Hyun und Kim Jung Il (Kim Chŏng-il) im Jahr 2007 zugespielt. Im Regierungslager verwendete man diese Informationen, um den Kandidaten der Opposition (Moon Jae In) zu diskreditieren. Die Aufzeichnungen würden belegen, dass Präsident Roh beim Gipfeltreffen dem Norden zusagte, die Entscheidung über die Northern Limit Line (NLL) Nordkorea überlassen zu wollen.[10] Später stellte sich heraus, dass die Abschrift in einigen Details offensichtlich absichtlich verfälscht wurde, um einen solchen Eindruck entstehen zu lassen. Neben dieser böswilligen Fälschung jedoch wiegt umso schwerer, dass der NIS dieses Dokument, das der höchsten Geheim-haltungsstufe unterliegt, der Regierung zugespielt hat.

Der manipulative Eingriff der NIS in den Präsidentschaftswahlkampf hat noch weitere Kreise gezogen. Mitte Dezember 2012 – auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes – war eine Geheimdienst-Agentin in ihrem Apartment aufgeflogen. Dort hatte sie mit mehreren Accounts unter Aliasnamen in einschlägigen Foren und auf anderen Internetseiten mit Kommentaren Stimmung gemacht für Park Geun Hye.[11] Die Staatsanwaltschaft leitete Untersuchungen ein und präsentierte bald Mitschnitte von CCTV-Aufnahmen aus den Büros der Polizeiermittler, die den Laptop der Agentin beschlagnahmt hatten. Aus den Bändern war ersichtlich, dass die Ermittler sowohl auf dem Computer der Agentin als auch im Internet Beweise sicherstellen konnten, jedoch von Vorgesetzten Anweisung erhalten hatten, diese Beweise nicht in den zu veröffentlichenden Bericht aufzunehmen. Der damals zuständige Polizeipräsident Seouls musste sich schließlich vor Gericht dafür verantworten.[12] Später stellte sich heraus, dass es ein komplettes Team beim NIS gab, die im Netz gezielt für Park Geun Hye agierten. Das Militär unterhält eine ähnliche Sondereinheit, deren Soldaten damals ebenfalls zum Teil damit beauftragt waren, in einschlägigen Internetforen und auf den Webseiten von Massenmedien Stimmung für die Kandidatin des Regierungslagers zu machen. Auch das Ministerium für Angelegenheiten von Patrioten und Veteranen hat bei Fortbildungsveranstaltungen Videoma-terial vorgeführt, das eindeutig als Werbematerial für die Präsidentschafts-kandidatin Park fungieren sollte.

Als die Untersuchung zur NIS-Affäre mit den Parlamentsanhörungen jedoch in seine heiße Phase kam, wurde der Generalstaatsanwalt, unter dessen Führung alle diese Erkenntnisse ermittelt worden waren, bald Opfer einer Schmieren-kampagne der rechtsreaktionärer Medien. Man beschuldigte ihn, eine außereheliche Affäre und ein aus dieser Beziehung stammendes Kind zu haben. Der Generalstaatsanwalt trat bald darauf zurück. Später stellte sich heraus, dass unter anderem ein Angestellter des Büros der Präsidentin darin verwickelt war, illegal bei Behörden Informationen über den Generalstaatsanwalt eingeholt zu haben. Einer der zentralen Chefuntersucher der Generalstaatsan-waltschaft, der mit den Ermittlungen zur Wahlmanipulation des NIS und des Militärs beauftragt war, musste ebenfalls seinen Hut nehmen. Er hatte nicht nur wichtige Beweise erarbeiten können, die die illegalen Aktivitäten bestätigten, sondern auch offen über die Einflussnahme einiger Vorgesetzter auf den Untersuchungsprozess gesprochen. Er wurde kurze Zeit später von Junistizminister Hwang gemaßregelt mit der Begründung, er habe seinem Vorgesetzten nicht ordentlich Bericht erstattet. Bald darauf wurde er sowie weitere Staatsanwälte schließlich auf Posten in der Provinz versetzt.

Keine Herausforderung geduldet – aus Prinzip exklusiv

Unterdessen hatte die Regierung Anfang November beim Verfassungsgericht einen Antrag eingereicht, die T’onghapjin-bodang (Vereinte Progressive Partei – VPP) zu verbieten. Die Begründung: sie würde die Interessen Nordkoreas vertreten und hätte gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßen. Die VPP ist die Nachfolgepartei der Minjunodongdang (Demokratische Arbeiterpartei – DAP), die 2004 als erste links-progressive Partei in der Geschichte Südkoreas den Sprung ins Parlament schaffte. Derzeit hat sie sechs von 300 Sitzen im Parlament inne. Die Hauptnachrichtensendung des Kabelfern-sehsenders JTBC berichtete noch am Tag der Antragsstellung ausgiebig über den Fall. In einem Studiointerview kam Abgeordnete der VPP lange zu Wort und konnte den Standpunkt ihrer Partei im Einzelnen darlegen. Dies nahm die staatliche Aufsichtsbehörde für Rundfunk und Fernsehen (KOCSC) zum Anlass, den Sender zu rügen und Disziplinar-maßnahmen gegen die Programmgestalter einzuleiten. Dasselbe Schicksal erfuhr auch eine Nachrichtensendung des Radiosenders CBS, in der ein Priester zu Wort gekommen war, der sich kritisch über die Wahlmanipulation durch den NIS geäußert hatte. Vor dem Hintergrund des sich ausweitenden Wahlmanipulations-skandals und der passiven Haltung der Regierung forderte eine Abgeordnete der großen oppositionellen DP Anfang Dezember die Präsidentin offiziell auf, zurückzutreten und sich Neuwahlen zu stellen. Die Regierungspartei beantragte daraufhin, ihr das Abgeordnetenmandat abzuerkennen. Zuvor hatten bereits religiöse Gemeinden und vereinzelt Demonstrationen – auch von Koreanern im Ausland – ihren Rücktritt gefordert. In einer Umfrage Anfang Januar 2014 gaben 60,2 Prozent der Befragten in Bezug auf den Geheimdienst-Skandal an, Park müsse zurücktreten (18,2 Prozent), sich einem Vertrauensvotum stellen (21,9 Prozent) bzw. sich entschuldigen (20,8 Prozent). Nur 32,3 Prozent meinten, dass die Präsidentin nichts zu verantworten habe.[13]

Unterdessen hatte die Regierung Ende Oktober 2013 ein Verfahren eingeleitet, der progressiven Lehrergewerkschaft KTU (Korean Teachers‘ Union) den rechtlichen Status als Gewerkschaft abzuerkennen. Die KTU machte den Fall international publik über Kanäle wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und das gewerkschaftlichen Beratungskomitee TUAC bei der OECD. Die südkoreanische Regierung jedoch hält an ihrer Position fest. Seit Mitte Dezember 2013 ging die Staatsgewalt gegen Mitglieder des Gewerkschaftsdachverbandes KCTU (Korea Confederation of Trade Unions) vor. Die Gewerkschaft der Koreanischen Bahngesellschaft KORAIL war in einen Generalstreik getreten, nachdem Pläne der Regierung bekannt geworden waren, die einzig profitable Strecke des Schnellzuges KTX de facto privatisieren zu wollen, und mehrere Verhandlungen diesbezüglich scheiterten. Der daraufhin losebrechende Generalstreik war mit einer Dauer von 22 Tagen längster Ausstand in der süd-koreanischen Geschichte.

Die Bilanz des berüchtigten Nationalen Sicherheitsgesetzes, mit dem auch Park Chung Hee seine Gegner unschädlich gemacht hatte, ist ebenfalls betrüblich. In Park Geun Hyes erstem Amtsjahr wurden mit 118 Personen im Durchschnitt gegen mehr Bürger Ermittlungserfahren auf Grundlage des umstrittenen Gesetzes eingeleitet als in den vergangenen zehn Jahren.[14] In Parks erstem Regierungsjahr ist Südkoreas Pressefreiheit im inter-nationalen Ranking der Reporter ohne Grenzen um sieben Stellen auf Platz 57 gefallen.[15]

Fazit

Park hatte während des Wahlkampfes offensichtlich zweifelnde Bürger davon überzeugen können, dass sie es ernst meinte mit progressiven Vorschlägen für die Wohlfahrtspolitik und Vertrauens-politik. Mit der bisherigen Regierungs-arbeit jedoch hat sich über die alten Zweifel hinaus zusätzliche Skepsis verbreitet. Weder ist es ihr gelungen, aus dem Schatten ihres Vaters herauszutreten, noch konnte sie über ihren eigenen Schatten springen. Park hat sich die Staatsaparatur auf den Leib geschneidert und sich mit treu Ergebenen umgeben, von denen keiner es zu wagen scheint, die Präsidentin über ihre „neuen Kleider“ aufzuklären, wenn dies nötig ist. Kritik der Opposition und der Zivilgesellschaft stoßen bei ihr auf Unverständnis. Selbst der koreanische „Watergate-Skandal“ um die illegale Wahlmanipulation durch zentrale Regierungseinrichtungen hat sie weder zu einer deutlichen Stellungnahme noch zu Gegenmaßnahmen veranlasst. Bei Fragen der Innen- wie Außenpolitik regiert vor allem anderen ihre Prinzipientreue. Auch die Frage-und-Antwort-Runde der bisher einzigen Pressekonferenz seit ihrer Wahl wirkte wie eine Inszenierung, in der Journalisten wie Statisten auftraten. Park möchte nichts dem Zufall überlassen. Umso mehr kann man auf den Ausgang der Anfang Juni anstehenden regionalen Wahlen gespannt sein. Denn das Ergebnis wird als Zwischenzeugnis der Regierung Park Geun Hyes gewertet werden. Die Opposition wird alles daran setzen, der Regierung einen blauen Brief ins Blaue Haus, den Präsidentenpalast, zu schicken. Das Regierungslager wird alle Anstrengungen unternehmen, ihre Präsidentin nach den Wahlen nicht zu einer „lame duck“ werden zu lassen.

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[1] Financial Times, 12.12.2007, https://www.ft.com/cms/s/0/924aedb2-a900-11dc-ad9e-0000779fd2ac.html#axzz2ryH8ytzv (10.01.2014).

[2] Für einen ausführlichen Überblick zu Parks Werdegang bis 2006 siehe Hüstebeck, Momoyo. 2006. „Park Geun-hye: Als Präsidententochter zur ersten Staatspräsidentin Südkoreas?,“ Duisburger Arbeitspapiere Ostasienwissenschaften, No. 66/2006. https://www.uni-due.de/in-east/fileadmin/publications/gruen/paper66.pdf (10.01.2014).

[3] Internetauftritt der Präsidentin, https://english1.president.go.kr/activity/speeches.php?srh[view_mode]=detail&srh[seq]=4355&srh[detail_no]=23 (22.01.2014).

[4] Für einen kurzen Überblick siehe Mosler, Hannes B. und Eric J. Ballbach, „Perspektiven der innerkoreanischen Beziehungen nach den Machtwechseln in Süd- und Nordkorea“, Kultur Korea 2013/2, 53-55.

[5] Zu klären sind u.a. die schwerwiegenden Fragen der koreanischen Sexsklavinnen und die koreanischen Zwangsarbeiter während der japanischen Kolonialzeit sowie der Inselstreit um Dokdo (Liancourt-Felsen).

[6] FAZ, 26.12.2013, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/asien/japan-provoziert-china-abe-besucht-yasukuni-schrein-12727068.html (26.12.2013)

[7] Yonhapnews, 30.12.2013, https://english.yonhapnews.co.kr/news/2013/12/30/37/0200000000AEN20131230004951315F.html (10.01.2014).

[8] New York Times, https://www.nytimes.com/2014/01/14/opinion/politicians-and-textbooks.html?_r=0 (14.01.2014).

[9] NZZ, 13.12.2013, https://www.nzz.ch/aktuell/international/auslandnachrichten/kim-laesst-seinen-onkel-hinrichten-1.18203845 (10.01.2014). Jang war als Vizevorsitzender der Nationalen Verteidigungskommission, mit seiner führenden Position in der Arbeiterpartei und durch seine Heirat mit Kim Jong Uns Tante zweiter Mann in der nordkoreanischen Führung. Er fiel in Ungnade und wurde exekutiert.

[10] Die NLL ist die zwischen Nord- und Südkorea hart umstrittene Seegrenze im Westmeer bzw. Gelben Meer.

[11] NZZ, 12.12.2013, https://www.nzz.ch/aktuell/international/auslandnachrichten/ins-amt-gezwitschert-1.18202760 (10.01.2014).

[12] Er wurde jedoch zum Unverständnis vieler Kritiker schließlich freigesprochen.

[13] Polinews, 08.01.2014, https://www.polinews.co.kr/news/article.html?no=195557 (10.01.2014).

[14] Yonhapnews, 29.12.2013, https://www.yonhapnews.co.kr/society/2013/12/29/0701000000AKR20131229040200004.HTML (10.01.2014).

[15] Siehe Reporter ohne Grenzen, https://rsf.org/index2014/en-index2014.php (13.02.2014); siehe auch Lill, Felix, „Wer zu kritisch ist, landet im Sportressort“, in: Die ZEIT Online, https://www.zeit.de/politik/ausland/2014-02/suedkorea-journalismus-newstapa


[1] Mosler, Hannes B. 2005. „Park Chung Hee. Der lange Schatten des Diktators,“ Korea Forum, Ausgabe 1+2 2005, 37-39.

Kommentar zu den Regionalwahlen in Südkorea vom 2. Juni 2010: Deutliche Absage an das rechtskonservative Regierungslager

Etwas über 38 Millionen südkoreanische Bürger waren am 2. Juni bei den fünften landesweiten Regionalwahlen aufgerufen, ihre Stimmen abzugeben. Die oppositionelle Demokratische Partei (DP) gewann diese Wahlen deutlich, die Regierungspartei Große Nationalpartei (GNP) wurde klar abgestraft. Anders als die Parlamentswahlen, die weniger als ein halbes Jahr nach den Präsidentschaftswahlen Ende 2007 im Frühling 2008 stattfanden, können diese Regionalwahlen als klassische „Bewährungsprobe“ des amtierenden Regierungslagers verstanden werden. Sie hat sie nicht bestanden.
Neben 16 Oberbürgermeistern und Provinz-Gouverneuren sowie 16 Bildungsministerämter (Superintendenten) standen auch über 200 Bezirksleiterposten, rund 700 Abgeordnetensitze der Bezirks- und knapp 3000 der Kommunalparlamente zur Wahl. Insgesamt standen knapp 4000 Ämter zur Disposition. Die oppositionelle DP erhält sieben der 16 Governeursämter, die GNP sechs, die Restlichen gehen an die Partei für Freiheit und Fortschritt (FFP; Stadt Daejon) und zwei parteilose Kandidaten.

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