Südkorea: Präsidentin Park Geun Hye ein Jahr im Amt

Hannes B. Mosler

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Ungefähr ein Jahr ist vergangen seit der Amtseinführung der südkoreanischen Präsidentin Park Geun Hye (Pak Kŭn-hye) am 25. Februar 2013. Park ist die erste weibliche Besetzung des höchsten politischen Amtes in der Geschichte der Republik Korea (Südkorea). Es ist auch das erste Mal, dass ein Nachkomme eines früheren Präsidenten in das Amt gewählt wurde. Ihr Vater war der frühere Militärdiktator Park Chung Hee (Pak Chŏng-hi).[1] Er regierte das Land 18 Jahre lang mit eiserner Faust, nachdem er sich 1961 an die Macht geputscht hatte. 1979 wurde er von seinem Geheimdienstchef erschossen. Seine Frau war 1974 bei einem Attentat ums Leben gekommen und Park Geun Hye hatte die Rolle der First Lady übernommen. So lernte die 1953 geborene Park das Politikgeschäft schon in jungen Jahren. 2013 ist die 62-jährige Rechtskonservative in die Fußstapfen ihres Vaters getreten.

Die Bilanz nach den ersten zwölf Monaten – die einmalige Amtszeit beträgt fünf Jahre – fällt durchwachsen aus. Bisher hat sie so gut wie keines ihrer zentralen Wahlversprechen eingelöst. In der Öffentlichkeit erschien sie meist nur, wenn über ihre Auslandsreisen, ihre Staatsbanketts im Präsidentenpalast oder einer ihrer Termine in einem Kindergarten, einer Berufsschule oder auf einem Wochenmarkt berichtet wurde. Zu aktuellen Fragen äußerte sie sich selten; und wenn, dann nur, um jegliche Kritik als ungerechtfertigten Angriff zurückzuweisen. Selbst ihre eigene Partei, die rechtskonservative Saenuridang (Neue Welt Partei – NWP), scheint häufig irritiert. Seit der Amtseinführung haben sich ehemals treue Berater von ihr abgewendet und werfen ihr mangelnde Professionalität vor. Ihre Umfragewerte in der Bevölkerung haben ebenfalls merklich abgenommen. Ende November vergangenen Jahres folgten die ersten vereinzelten Forderungen aus dem Volk, sie solle abtreten.

Die Tochter des Diktators wird Präsidentin

Park Geun Hye gewann die Präsidentenwahlen im Dezember 2012, nicht obwohl, sondern weil sie die Tochter des Militärdiktators Park Chung Hee ist. Der schwache Wahlkampf des Oppositionslagers tat sein Übriges. Dennoch ist die Frage berechtigt, warum wurde die Tochter eines Diktators in einem seit zweieinhalb Dekaden demokratisierten Land von der Mehrheit der Wähler (51,5 Prozent) zur Präsidentin gewählt? Hauptgrund ist die Tatsache, dass in Südkorea die Gegenwartsgeschichte noch in einem verhältnismäßig geringen Maße aufgearbeitet werden konnte. Historisch ist dies auf die Situation der Teilung zurückzuführen, die sowohl Resultat zweier heißer Kriege (Asien-Pazifik- bzw. Zweiter Weltkrieg und Koreakrieg) als auch des Kalten Krieges ist. Der Koreakrieg hat für die Konservierung der ideologischen Spannungen und Spaltungen gesorgt, die sich nach der Befreiung aus der japanischen Kolonialherrschaft und unter Eindruck der Interessen der Großmächte Bahn gebrochen hatten. Während in Nordkorea ein totalitäres Regime Einzug fand, das keinerlei Konkurrenz in Sachen Systemideologie zuließ, gab es im Süden von Anfang an Widerstand gegen die autoritäre Regierung und einen Kampf für Demokratie. Nach der formalen Demokratisierung 1987 folgte Ende der 90er Jahre mit der Kim Dae Jung-Administration (1998-2003) schließlich der erste friedliche Regierungswechsel. Die nachfolgende Regierung unter Roh Moo Hyun (No Mu-hŏn; 2003-2008) führte die progressiv-liberale Politik fort. Erst mit dem erneuten Regierungswechsel zur rechtskonserva-tiven Regierung von Lee Myung Bak (Yi Myŏng-bak; 2008-2013) wurde die „politische Uhr [wieder] zurückgedreht“.[1] Als Resultat jahrzehntelanger Diktatur sind Politik und Gesellschaft jedoch immer noch dominiert von rechten, reaktionären Kräften, die einer weitreichenden Aufarbeitung der Geschichte entgegen-stehen. Ein nicht unwesentlicher Teil davon steht dem Regierungslager nahe und hat immer noch großen Einfluss auf die Politik.

In der Bevölkerung hatte Park bereits Jahre vor der Präsidentenwahl eine solide Zustimmung von 30 bis 40 Prozent. Ihre Familiengeschichte war ihr größtes politisches Kapital. Viele sehen in ihr entweder ihren Vater Park Chung Hee oder ihre Mutter Yuk Young Soo (Yuk Yŏng-su), die fürsorgliche First Lady, oder beide.[2] Wie ihre Eltern wurde auch Tochter Park Opfer eines Attentats. Bei einem öffentlichen Auftritt vor acht Jahren wurde ihr mit einem Teppichmesser eine elf Zentimeter lange Wunde an der rechten Gesichtshälfte zugefügt. Damals war Bundeskanzlerin Angela Merkel eine der ersten Politikerinnen aus dem Ausland, die Park schriftlich Beistand leistete. Dieser dramatische Vorfall aus dem Jahr 2006 stand im Mittelpunkt des ersten Werbevideos für Parks Präsidentschafts-wahlkampf Ende 2012. Auch damals hatte Merkel ihr noch zwei Tage vor der parteiinternen Nominierungswahl für die Präsidentschaftskandidatur ein Schreiben geschickt, in dem sie ihr und ihrer Partei ausdrücklich Erfolg wünschte. Ein entsprechend großes Medienecho in Südkorea blieb nicht aus. Die beiden Politikerinnen hatten sich bereits einige Jahre zuvor kennengelernt. Zum ersten Mal trafen sie sich 2000, als Park Geun Hye als Mitglied des südkoreanischen Parlamentsausschusses für Wiederverei-nigung, Handel und Außenangelegenheiten nach Deutschland reiste. Seitdem halten Park und Merkel schriftlich Kontakt und trafen mehrmals bei verschiedenen öffentlichen Anlässen in Deutschland und Korea erneut zusammen. Bei ihrem bisher letzten Zusammentreffen im Jahr 2010 wurde Merkel an der Ewha Frauenuniversität die Ehrendoktorwürde verliehen. Noch im Frühling dieses Jahres werden sie sich zum vierten Mal treffen – wieder in Deutschland, aber dieses Mal auf Augenhöhe: von Staatschefin zu Staatchefin. Angela Merkel ist Park Geun Hyes erklärtes Vorbild – neben Margret Thatcher. Häufig wird in der koreanischen Presse darauf hingewiesen, dass Park und Merkel beide biologisch Frauen sind, naturwissenschaftliche Fächer studiert haben (Park studierte Elektrotechnik) und amtierende Staatsoberhäupter. Man könnte noch hinzufügen: Beide haben in ihren jungen Jahren in einer Diktatur gelebt, wenn auch mit sehr verschiedenen Rollen. Merkel wuchs als Tochter eines Pfarrers auf.

In Südkorea verspüren viele, insbesondere ältere Menschen, eine Nostalgie, wenn sie an die Zeit der Diktatur unter Vater Park denken, da sich in diesem Zeitraum das Land schnell entwickelt hat und viele Menschen zu Wohlstand kamen. Erst in den 70er Jahren hatte Südkorea den Systemfeind im Norden wirtschaftlich überholen können. Außerdem ist ein großer Anteil der meisten Südkoreaner, die heute über 60 Jahre alt sind, direkt oder indirekt immer noch stark geprägt vom Koreakrieg, und (damit) nicht zuletzt von der anti-kommunistischen und autoritären Erziehung der vergangenen Dekaden.

Aber es gibt auch viele Kritiker. Sie sehen in Park Geun Hye die Tochter des Militärdiktators, der es mit seiner Herrschaft so weit trieb, dass er schließlich durch seinen eigenen Geheimdienstchef ermordet wurde. Jedoch richtet sich die Kritik nicht an Park als Tochter persönlich, sondern als Tochter und an die gestandene Politikerin, die das Handeln ihres Vaters, des Militärdiktators, rechtfertigt. Erst nach langem Zögern hatte Park sich kurz vor dem Wahltag schließlich doch noch von Parteigenossen überreden lassen, öffentlich Stellung zu beziehen zu den zahllosen Vorwürfen gegen das Vorgehen ihres Vaters. Dabei blieb sie jedoch vage, was die eigentlichen früheren Verbrechen anging und sie schwieg zu der im Raum stehenden Frage, wie sie diese als potentielle Präsidentin beurteilen würde. Es reichte trotzdem, dem Angriff der Opposition die Spitze zu nehmen.

Wahlversprechen vor der Wahl, Wahlversprechen nach der Wahl

In ihrem Präsidentschaftswahlkampf standen Demokratisierung der Wirtschaft, Wohlfahrtsstaatlichkeit und Arbeitsplatz-beschaffung ganz oben auf der Liste der Wahlversprechen. Dadurch, dass sich die rechtskonservative Regierungspartei unter Federführung Parks diese Themen zu Eigen gemacht hatte, nahm vor allem der größten oppositionellen Partei, der Minjudang (Demokratischen Partei – DP) viel Wind aus den Segeln. Viel ist von Parks Wahlversprechen bisher jedoch nicht geblieben. Eine Art Grundsicherungsrente von umgerechnet ca. 140 Euro, die sie allen Bürgern ab dem 65sten Lebensjahr zugesagt hatte, ist praktisch vom Tisch. Auch die kostenlose Betreuung von Kindern bis zum fünften Lebensjahr ist kein Thema mehr. Das Versprechen, Arzt- bzw. Behandlungskosten bei schwer-wiegenden Krankheitsfällen vom Staat übernehmen zu lassen, wurde nicht eingelöst. Und von der versprochenen Senkung der Studiengebühren war nach der Wahl auch nichts mehr zu hören. Schließlich verwässerte Park auch die groß angekündigte „Demokratisierung der Wirtschaft“. Parks ehemaliger diesbezüglicher Chefideologie und Wahl-kampfhelfer Kim Chong In (Kim Chong-in) hat sich deshalb im Nachhinein bereits mehrmals deutlich kritisch von ihr distanziert.

Bei der Bilanz von Parks Außenpolitik und Diplomatie gehen die Meinungen ein wenig auseinander. Ihre sales diplomacy bei ihren zahlreichen Auslandreisen wird ihr in Teilen positiv angerechnet. In ihrer Rede auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos erklärte sie ihre Idee einer „kreativen Ökonomie“ u.a. damit, staatliche Regulierung „flächendeckend abzubauen“.[3] Ausländische Investoren lädt sie immer wieder nachdrücklich ein und versichert, dass sie persönlich für gute Bedingungen sorgen werde. Ebenso schätzen viele Beobachter auch im Ausland Parks Haltung gegenüber Nordkorea, da sie trotz der Dauerkrise in den Beziehungen zum Bruderstaat immer Gesprächsbereitschaft gezeigt habe. Tatsächlich hat Park – anders als ihr Vorgänger – politische Fragen von humanitären Hilfeleistungen an Nordkorea entkoppelt. Ihre mit Nachdruck angekündigte trust policy[4] macht sie immer noch davon abhängig, ob Nordkorea sein Atomprogramm aufgibt. Viele Beobachter sehen hierin einen Widerspruch, denn es ist ja gerade das Vertrauen, um welches es Nordkorea geht und weshalb es mit seinem Atomprogramm pokert. Außer der Wiederinbetriebnahme des Kaesong Industriekomplexes Mitte September vergangenen Jahres hat sich deshalb in den innerkoreanischen Beziehungen wenig getan; sie bleiben stark unterkühlt.

Ähnlich verhält es sich mit den Beziehungen zu Japan. Park hatte nach ihrem Amtsantritt Anfang 2013 als erstes Land die USA besucht, danach China. Sie reiste zum G20-Gipfel nach Russland, besuchte Vietnam und nahm in Indonesien am APEC-Gipfel teil, machte einen Abstecher nach Brunei und traf sich mit den ASEAN-Vertretern. Im Januar 2014 flog Park nach Indien und in die Schweiz, wo sie auch am Weltwirtschaftsgipfel teilnahm. Ein Zusammentreffen mit dem japanischen Staatsoberhaupt ist bisher jedoch ausgeblieben. Die offizielle Begründung ist die Haltung Japans zu Fragen des Umgangs mit der Geschichte und Territorialkonflikten, die zwischen den beiden Ländern stehen.[5] Kurz vor Silvester 2013 hatte es sich Park nicht nehmen lassen, in einem sehr harten Ton den Besuch des Premierministers Abe Shinzo beim Yasukuni-Schrein, indem auch Kriegsverbrecher der Klasse A beigelegt sind, zu kritisieren.[6] Japan solle nicht alte Wunden aufreißen.[7] Schon früher hatte sie deutlich gemacht, dass erst ein grundlegender Wandel Japans in Sachen Geschichtsaufarbeitung voraus-gehen muss, wenn sich die bilateralen Beziehungen und die regionale Politik in Nordostasien positiv ändern sollen. Die Mehrheit der südkoreanischen Beobachter stimmen Park in der Sache zu, bewertet ihren undiplomatischen Umgang jedoch als problematisch. Denn auch hier – wie im Fall Nordkoreas – macht Park fundamentale Zugeständnisse des Gegenübers zur Voraussetzung für die Aufnahme eines Dialogs, durch den dann später das nötige Vertrauen aufgebaut werden soll.

Problematisch ist auch, dass Park mit zweierlei Maß zu messen scheint. Denn während sie Japan Geschichtsklitterung vorwirft und davon alles abhängig macht, lässt sie die neuere Geschichte Südkoreas ebenso ungeklärt und offen für Fehlinterpretationen. Das Bildungsminis-terium vergab jüngst die Zulassung für ein stark umstrittenes Schulbuch für den Geschichtsunterricht in der Oberstufe, in dem die japanische Kolonialzeit, Kollaboration mit den Besatzern und die Militärdiktatur in Teilen beschönigt wurde. Die New York Times schrieb dazu, Park Geun Hye wolle die Kollaboration von Koreanern mit den japanischen Behörden herunterspielen und habe das Bildungs-ministerium dazu veranlasst, dieses neues Schulbuch zu zertifizieren.[8] Der Leitartikel erklärt die Motivation damit, dass die Mehrzahl der heutigen Bürokraten des Landes aus Familien stammen, die mit den Kolonialherren zusammengearbeitet hätten. Dass sich in ganz Südkorea nur eine von rund 1800 Schulen fand, die sich für das umstrittene Schulbuch als Lehrmaterial entschied, zeigt, wie fern ab vom Volk das Regierungslager mit seinen ideologischen Vorstellungen ist. Dass Parks jüngere Schwester Mitglied des Direktoriums dieser Schule ist, erklärt den Rest.

Regierungsumbildung: Hyper-Präsidentialismus und Militär-zuerst-Personalpolitik

Das präsidentielle Regierungssystem Südkoreas verleiht der Präsidentin weitreichende Befugnisse bzw. lässt Raum für eine Auslegung zum „Hyper-Präsidentialismus“. Park nutzt dieses Potential, um ihr Amtsverständnis in die Praxis umzusetzen. Das zeigt sich sowohl an der Art, wie sie die Regierungsorganisation umstrukturierte als auch daran, mit wem sie die wichtigsten Ämter besetzte. Nach der Regierungs-umbildung unterstehen der Präsidentin seit Anfang 2013 neben dem Büro der Präsidentin (BdSP), vergleichbar mit dem Bundeskanzleramt, nun zwei weitere Präsdialbüros mit Ministerialrang. Das Büro für Sicherheit der Präsidentin (BfSP) und das Büro für Nationale Sicherheit (BfNS) wurden zu Oberen Regier-rungsbehörden aufgewertet. Erklärt wurde diese Maßnahme mit dem ausgeprägten Sicherheitsbedürfnis Parks. Dem BfNS wurde als Reaktion auf die Hinrichtung Jang Song Thaeks (Chang Sŏng-t’aek) Mitte Dezember 2013 in Nordkorea[9] der Ständige Ausschuss des Nationalen Sicherheitsrates (NSC) unterstellt. Weitere wichtige Obere Regierungsbehörden, die dem Präsidenten-amt seit jeher direkt unterstehen, sind der Geheimdienst (NIS) und der Rechnungshof (BAI).

Auffällig an der Personalpolitik Parks ist, dass sie fast ausnahmslos auf Personen zurückgreift, die in einer vertrauens-würdigen Beziehung zum Regime ihres Vaters stehen, bzw. die sie bereits lange kennt und/oder solche, von denen sie sicher sein kann, dass sie Anweisungen befolgen. In einer Art ‚Militär-zuerst‘-Personalpolitik besetzte Park Geun Hye wichtige Ämter – Verteidigungsminis-terium, Büro für Nationale Sicherheit, Büro für Sicherheit der Präsidentin, Geheimdienst – mit ehemaligen Vier-sternegenerälen, die ihre Soldatenkarriere während der Diktatur in den 70er Jahren begonnen hatten. Wirtschaftsminister wurde Hyeon O Seok (Hyŏn O-sŏk), Ökonomon und Verwaltungswissen-schaftler, der bereits unter Vater Park Chung Hee mit an der Schaffung des letzten Fünf-Jahres-Wirtschaftsplans 1978 beteiligt gewesen war. Kritik an ihm wurde jedoch laut, weil er sich öffentlich gegen die Ausweitung der Wohlfahrtspolitik aussprach, wie sie noch während des Wahlkampfes von Park Geun Hye propagiert worden war. Jüngst wurden erste Rücktrittsforderungen laut, als Hyeon sich in der Folge eines riesigen Datenklau-Skandals bei mehreren Banken verständnislos und abfällig über die besorgten und wütenden Kunden geäußert hatte.

Auch Justizminister Hwang Kyo Ahn (Hwang Kyo-an) steht in der Kritik. Er machte in den 70er Jahren unter Park Chung Hee Karriere als Staatsanwaltschaft in der Abteilung für Kommunismus-bekämpfung. Außerdem gehört Hwang zu insgesamt fünf Ministern, die sich bei der für die Ernennung obligatorischen Befragung durch einen Parlaments-ausschuss nicht eindeutig zum Militärputsch von Parks Vaters geäußert haben. Die Putschisten unter der Führung von General Park Chung Hee hatten sich damals selbst als „Revolutio-näre“ bezeichnet, um ihren Umsturz zu legitimieren. Spätestens seit der ersten Zivilregierung unter Kim Young Sam (Kim Yŏng-sam; 1993-1998) wird der Coup d`Etat in Schulbüchern offiziell als „Militär-putsch“ bezeichnet. Auch das Verfas-sungsgericht hat in mehreren Entschei-dungen (1993, 1995, 2003) explizit argumentiert, dass es sich damals um einen „Militärputsch“ gehandelt habe. Park Geun Hye hatte seit Ende der 80er Jahre jedoch  immer wieder öffentlich davon gesprochen, dass es sich damals um die „einzig richtige Entscheidung“ ihres Vaters gehandelt habe. Erst kurz vor der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr wurde die Kritik so stark, dass sie in einer extra einberufenen Pressekonferenz das damalige Vorgehen als eine Verletzung der Verfassung bezeichnete. Dass ihre Minister sich dennoch davor scheuen, historische Fakten beim Namen zu nennen, lässt erahnen, wie die Präsidentin ihr Verhältnis mit den Ministern interpretiert und umgekehrt.

Mit der Leitung des wichtigen Büros der Präsidentin (BdSP) wurde Kim Ki Choon (Kim Ki-ch’un) betraut. Kim begann seine berufliche Laufbahn Ende der 60er Jahre als Staatsanwalt in der Abteilung für Kommunismusbekämpfung. Er hatte wichtige Posten im berüchtigten Geheimdienst inne und war aktiv an der Ausarbeitung der Yushin-Verfassung Anfang der 70er Jahre beteiligt, die das autoritäre Regime Park Chung Hees in eine noch extremere Diktatur verwandelte. Mitte der 70er Jahre übernahm er wichtige Posten im Geheimdienst und wurde später Sekretär im Präsidentenpalast Park Chung Hees. Nach der Demokratisierung wurde er Parlamentsabgeordneter und war 2003 federführend am umstrittenen (wenn auch schließlich erfolglosen) Amtsenthebungs-antrag gegen den progressiv-liberalen Präsidenten Roh Moo Hyun beteiligt. Als Leiter des Präsidialbüros von Park Geun Hye war einer seiner bisher wichtigsten Amtshandlungen, den Parteiverbotsantrag gegen die Vereinte Progressive Partei (VPP) vorzubereiten (s.u.).

Südkoreas Watergate? – Der Konflikt um die Wahlkampfmanipulation on- und offline

Die bisher größte Herausforderung der Regierung Park ist der Skandal um die illegale Einflussnahme des Geheim-dienstes NIS, der einst von Vater Park geschaffen worden war und dem er schließlich selbst zum Opfer fiel. Der NIS hatte während des Präsidentschafts-wahlkampfes 2012 dem Regierungslager offensichtlich Abschriften von den Aufzeichnungen des Gipfeltreffens zwischen Roh Moo Hyun und Kim Jung Il (Kim Chŏng-il) im Jahr 2007 zugespielt. Im Regierungslager verwendete man diese Informationen, um den Kandidaten der Opposition (Moon Jae In) zu diskreditieren. Die Aufzeichnungen würden belegen, dass Präsident Roh beim Gipfeltreffen dem Norden zusagte, die Entscheidung über die Northern Limit Line (NLL) Nordkorea überlassen zu wollen.[10] Später stellte sich heraus, dass die Abschrift in einigen Details offensichtlich absichtlich verfälscht wurde, um einen solchen Eindruck entstehen zu lassen. Neben dieser böswilligen Fälschung jedoch wiegt umso schwerer, dass der NIS dieses Dokument, das der höchsten Geheim-haltungsstufe unterliegt, der Regierung zugespielt hat.

Der manipulative Eingriff der NIS in den Präsidentschaftswahlkampf hat noch weitere Kreise gezogen. Mitte Dezember 2012 – auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes – war eine Geheimdienst-Agentin in ihrem Apartment aufgeflogen. Dort hatte sie mit mehreren Accounts unter Aliasnamen in einschlägigen Foren und auf anderen Internetseiten mit Kommentaren Stimmung gemacht für Park Geun Hye.[11] Die Staatsanwaltschaft leitete Untersuchungen ein und präsentierte bald Mitschnitte von CCTV-Aufnahmen aus den Büros der Polizeiermittler, die den Laptop der Agentin beschlagnahmt hatten. Aus den Bändern war ersichtlich, dass die Ermittler sowohl auf dem Computer der Agentin als auch im Internet Beweise sicherstellen konnten, jedoch von Vorgesetzten Anweisung erhalten hatten, diese Beweise nicht in den zu veröffentlichenden Bericht aufzunehmen. Der damals zuständige Polizeipräsident Seouls musste sich schließlich vor Gericht dafür verantworten.[12] Später stellte sich heraus, dass es ein komplettes Team beim NIS gab, die im Netz gezielt für Park Geun Hye agierten. Das Militär unterhält eine ähnliche Sondereinheit, deren Soldaten damals ebenfalls zum Teil damit beauftragt waren, in einschlägigen Internetforen und auf den Webseiten von Massenmedien Stimmung für die Kandidatin des Regierungslagers zu machen. Auch das Ministerium für Angelegenheiten von Patrioten und Veteranen hat bei Fortbildungsveranstaltungen Videoma-terial vorgeführt, das eindeutig als Werbematerial für die Präsidentschafts-kandidatin Park fungieren sollte.

Als die Untersuchung zur NIS-Affäre mit den Parlamentsanhörungen jedoch in seine heiße Phase kam, wurde der Generalstaatsanwalt, unter dessen Führung alle diese Erkenntnisse ermittelt worden waren, bald Opfer einer Schmieren-kampagne der rechtsreaktionärer Medien. Man beschuldigte ihn, eine außereheliche Affäre und ein aus dieser Beziehung stammendes Kind zu haben. Der Generalstaatsanwalt trat bald darauf zurück. Später stellte sich heraus, dass unter anderem ein Angestellter des Büros der Präsidentin darin verwickelt war, illegal bei Behörden Informationen über den Generalstaatsanwalt eingeholt zu haben. Einer der zentralen Chefuntersucher der Generalstaatsan-waltschaft, der mit den Ermittlungen zur Wahlmanipulation des NIS und des Militärs beauftragt war, musste ebenfalls seinen Hut nehmen. Er hatte nicht nur wichtige Beweise erarbeiten können, die die illegalen Aktivitäten bestätigten, sondern auch offen über die Einflussnahme einiger Vorgesetzter auf den Untersuchungsprozess gesprochen. Er wurde kurze Zeit später von Junistizminister Hwang gemaßregelt mit der Begründung, er habe seinem Vorgesetzten nicht ordentlich Bericht erstattet. Bald darauf wurde er sowie weitere Staatsanwälte schließlich auf Posten in der Provinz versetzt.

Keine Herausforderung geduldet – aus Prinzip exklusiv

Unterdessen hatte die Regierung Anfang November beim Verfassungsgericht einen Antrag eingereicht, die T’onghapjin-bodang (Vereinte Progressive Partei – VPP) zu verbieten. Die Begründung: sie würde die Interessen Nordkoreas vertreten und hätte gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßen. Die VPP ist die Nachfolgepartei der Minjunodongdang (Demokratische Arbeiterpartei – DAP), die 2004 als erste links-progressive Partei in der Geschichte Südkoreas den Sprung ins Parlament schaffte. Derzeit hat sie sechs von 300 Sitzen im Parlament inne. Die Hauptnachrichtensendung des Kabelfern-sehsenders JTBC berichtete noch am Tag der Antragsstellung ausgiebig über den Fall. In einem Studiointerview kam Abgeordnete der VPP lange zu Wort und konnte den Standpunkt ihrer Partei im Einzelnen darlegen. Dies nahm die staatliche Aufsichtsbehörde für Rundfunk und Fernsehen (KOCSC) zum Anlass, den Sender zu rügen und Disziplinar-maßnahmen gegen die Programmgestalter einzuleiten. Dasselbe Schicksal erfuhr auch eine Nachrichtensendung des Radiosenders CBS, in der ein Priester zu Wort gekommen war, der sich kritisch über die Wahlmanipulation durch den NIS geäußert hatte. Vor dem Hintergrund des sich ausweitenden Wahlmanipulations-skandals und der passiven Haltung der Regierung forderte eine Abgeordnete der großen oppositionellen DP Anfang Dezember die Präsidentin offiziell auf, zurückzutreten und sich Neuwahlen zu stellen. Die Regierungspartei beantragte daraufhin, ihr das Abgeordnetenmandat abzuerkennen. Zuvor hatten bereits religiöse Gemeinden und vereinzelt Demonstrationen – auch von Koreanern im Ausland – ihren Rücktritt gefordert. In einer Umfrage Anfang Januar 2014 gaben 60,2 Prozent der Befragten in Bezug auf den Geheimdienst-Skandal an, Park müsse zurücktreten (18,2 Prozent), sich einem Vertrauensvotum stellen (21,9 Prozent) bzw. sich entschuldigen (20,8 Prozent). Nur 32,3 Prozent meinten, dass die Präsidentin nichts zu verantworten habe.[13]

Unterdessen hatte die Regierung Ende Oktober 2013 ein Verfahren eingeleitet, der progressiven Lehrergewerkschaft KTU (Korean Teachers‘ Union) den rechtlichen Status als Gewerkschaft abzuerkennen. Die KTU machte den Fall international publik über Kanäle wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und das gewerkschaftlichen Beratungskomitee TUAC bei der OECD. Die südkoreanische Regierung jedoch hält an ihrer Position fest. Seit Mitte Dezember 2013 ging die Staatsgewalt gegen Mitglieder des Gewerkschaftsdachverbandes KCTU (Korea Confederation of Trade Unions) vor. Die Gewerkschaft der Koreanischen Bahngesellschaft KORAIL war in einen Generalstreik getreten, nachdem Pläne der Regierung bekannt geworden waren, die einzig profitable Strecke des Schnellzuges KTX de facto privatisieren zu wollen, und mehrere Verhandlungen diesbezüglich scheiterten. Der daraufhin losebrechende Generalstreik war mit einer Dauer von 22 Tagen längster Ausstand in der süd-koreanischen Geschichte.

Die Bilanz des berüchtigten Nationalen Sicherheitsgesetzes, mit dem auch Park Chung Hee seine Gegner unschädlich gemacht hatte, ist ebenfalls betrüblich. In Park Geun Hyes erstem Amtsjahr wurden mit 118 Personen im Durchschnitt gegen mehr Bürger Ermittlungserfahren auf Grundlage des umstrittenen Gesetzes eingeleitet als in den vergangenen zehn Jahren.[14] In Parks erstem Regierungsjahr ist Südkoreas Pressefreiheit im inter-nationalen Ranking der Reporter ohne Grenzen um sieben Stellen auf Platz 57 gefallen.[15]

Fazit

Park hatte während des Wahlkampfes offensichtlich zweifelnde Bürger davon überzeugen können, dass sie es ernst meinte mit progressiven Vorschlägen für die Wohlfahrtspolitik und Vertrauens-politik. Mit der bisherigen Regierungs-arbeit jedoch hat sich über die alten Zweifel hinaus zusätzliche Skepsis verbreitet. Weder ist es ihr gelungen, aus dem Schatten ihres Vaters herauszutreten, noch konnte sie über ihren eigenen Schatten springen. Park hat sich die Staatsaparatur auf den Leib geschneidert und sich mit treu Ergebenen umgeben, von denen keiner es zu wagen scheint, die Präsidentin über ihre „neuen Kleider“ aufzuklären, wenn dies nötig ist. Kritik der Opposition und der Zivilgesellschaft stoßen bei ihr auf Unverständnis. Selbst der koreanische „Watergate-Skandal“ um die illegale Wahlmanipulation durch zentrale Regierungseinrichtungen hat sie weder zu einer deutlichen Stellungnahme noch zu Gegenmaßnahmen veranlasst. Bei Fragen der Innen- wie Außenpolitik regiert vor allem anderen ihre Prinzipientreue. Auch die Frage-und-Antwort-Runde der bisher einzigen Pressekonferenz seit ihrer Wahl wirkte wie eine Inszenierung, in der Journalisten wie Statisten auftraten. Park möchte nichts dem Zufall überlassen. Umso mehr kann man auf den Ausgang der Anfang Juni anstehenden regionalen Wahlen gespannt sein. Denn das Ergebnis wird als Zwischenzeugnis der Regierung Park Geun Hyes gewertet werden. Die Opposition wird alles daran setzen, der Regierung einen blauen Brief ins Blaue Haus, den Präsidentenpalast, zu schicken. Das Regierungslager wird alle Anstrengungen unternehmen, ihre Präsidentin nach den Wahlen nicht zu einer „lame duck“ werden zu lassen.

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[1] Financial Times, 12.12.2007, https://www.ft.com/cms/s/0/924aedb2-a900-11dc-ad9e-0000779fd2ac.html#axzz2ryH8ytzv (10.01.2014).

[2] Für einen ausführlichen Überblick zu Parks Werdegang bis 2006 siehe Hüstebeck, Momoyo. 2006. „Park Geun-hye: Als Präsidententochter zur ersten Staatspräsidentin Südkoreas?,“ Duisburger Arbeitspapiere Ostasienwissenschaften, No. 66/2006. https://www.uni-due.de/in-east/fileadmin/publications/gruen/paper66.pdf (10.01.2014).

[3] Internetauftritt der Präsidentin, https://english1.president.go.kr/activity/speeches.php?srh[view_mode]=detail&srh[seq]=4355&srh[detail_no]=23 (22.01.2014).

[4] Für einen kurzen Überblick siehe Mosler, Hannes B. und Eric J. Ballbach, „Perspektiven der innerkoreanischen Beziehungen nach den Machtwechseln in Süd- und Nordkorea“, Kultur Korea 2013/2, 53-55.

[5] Zu klären sind u.a. die schwerwiegenden Fragen der koreanischen Sexsklavinnen und die koreanischen Zwangsarbeiter während der japanischen Kolonialzeit sowie der Inselstreit um Dokdo (Liancourt-Felsen).

[6] FAZ, 26.12.2013, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/asien/japan-provoziert-china-abe-besucht-yasukuni-schrein-12727068.html (26.12.2013)

[7] Yonhapnews, 30.12.2013, https://english.yonhapnews.co.kr/news/2013/12/30/37/0200000000AEN20131230004951315F.html (10.01.2014).

[8] New York Times, https://www.nytimes.com/2014/01/14/opinion/politicians-and-textbooks.html?_r=0 (14.01.2014).

[9] NZZ, 13.12.2013, https://www.nzz.ch/aktuell/international/auslandnachrichten/kim-laesst-seinen-onkel-hinrichten-1.18203845 (10.01.2014). Jang war als Vizevorsitzender der Nationalen Verteidigungskommission, mit seiner führenden Position in der Arbeiterpartei und durch seine Heirat mit Kim Jong Uns Tante zweiter Mann in der nordkoreanischen Führung. Er fiel in Ungnade und wurde exekutiert.

[10] Die NLL ist die zwischen Nord- und Südkorea hart umstrittene Seegrenze im Westmeer bzw. Gelben Meer.

[11] NZZ, 12.12.2013, https://www.nzz.ch/aktuell/international/auslandnachrichten/ins-amt-gezwitschert-1.18202760 (10.01.2014).

[12] Er wurde jedoch zum Unverständnis vieler Kritiker schließlich freigesprochen.

[13] Polinews, 08.01.2014, https://www.polinews.co.kr/news/article.html?no=195557 (10.01.2014).

[14] Yonhapnews, 29.12.2013, https://www.yonhapnews.co.kr/society/2013/12/29/0701000000AKR20131229040200004.HTML (10.01.2014).

[15] Siehe Reporter ohne Grenzen, https://rsf.org/index2014/en-index2014.php (13.02.2014); siehe auch Lill, Felix, „Wer zu kritisch ist, landet im Sportressort“, in: Die ZEIT Online, https://www.zeit.de/politik/ausland/2014-02/suedkorea-journalismus-newstapa


[1] Mosler, Hannes B. 2005. „Park Chung Hee. Der lange Schatten des Diktators,“ Korea Forum, Ausgabe 1+2 2005, 37-39.

„Präsidentin Park Geun-hye ernennt ihre Minister und steht wie ihre Bürger vor einer ungewissen Zukunft

– Kommentar zur Regierungsbildung am 11. März 2013

Hannes B. Mosler
Institut für Koreastudien
Freie Universität Berlin

(PDF)

 

Zusammenfassung

  • Das Gros der insgesamt 17 Minister der neuen Regierung wurde offiziell in ihre Ämter eingeführt, die Entscheidungen der ersten Staatsratssitzung muten jedoch populistisch und reaktionär an.
  • Wiederholte ungeschickte Personalentscheidungen der Präsidentin und Tauziehen mit der Opposition über die Gestaltung der Medienpolitik verzögerten die Regierungsbildung.
  • Der Umgang der Präsidentin mit der eigenen Regierungspartei, der Opposition, dem Parlament und den Bürgern erinnert in seiner Einseitigkeit und im autoritären Stil an vergangene Zeiten.
  • Die Themen Arbeit, Politik und Wohlfahrt spielen bei der Präsidentin eine offenbar stark untergeordnete Rolle, auf eine intelligente Nordkoreapolitik kommt es jetzt mehr an denn je.

 

Die neue Regierung tritt an

Gestern, rund drei Wochen nach ihrer Amtseinführung, hat die neue Staatspräsidentin Park Geun-hye ihr Kabinett eingesetzt. Am Vormittag übergab sie im Blauen Haus, dem Präsidentenpalast, 13 ihrer insgesamt 17 Minister ihre Ernennungsurkunden und hielt die erste Sitzung des Staatsrates ab. So viel Zeit hatte ein Präsident in Südkorea noch nicht verstreichen lassen, um die Regierungsmannschaft zu bilden. Die Ursache dafür ist hauptsächlich selbstverschuldet. Das wirft kein gutes Licht auf die neue Präsidentin und sorgt für Befürchtungen bezüglich der kommenden fünf Jahre ihrer Präsidentschaft.

Präsidentin Park hatte im vergangenen Dezember deutlich gegen ihren Herausforderer der Oppositionspartei, Moon Jae-in, gewonnen (siehe „Kommentar zur 18. Präsidentenwahl am 19. Dezember 2012“). Zuvor war sie bereits zwei Mal als Präsidentschaftskandidatin gehandelt worden und hatte Jahre lang Umfragewerte um die 30-Prozent-Marke. Nur Wenige zweifelten daran, dass die Tochter des autokratischen Staatspräsidenten Park Chung-hees diese Wahlen gewinnen würde, auch wenn letztlich 48 Prozent der Wahlgänger nicht für sie gestimmt hatten.

Park hatte sich in den letzten zehn Jahren in und außerhalb der Regierungspartei immer weiter in den Vordergrund gearbeitet und schließlich unentbehrlich gemacht. Sie hatte die Partei mehrere Male aus der Krise geholt, wichtige Wahlen gewonnen und ihr Image als glaubwürdige rechtskonservative Politikerin gepflegt. Spätestens nach ihrer Wahl zur ersten Präsidentin Südkoreas Geschichte begann dieses Bild sich mehr und mehr zu trüben.

In den vergangenen drei Monaten hat sich gezeigt, dass sie einen autoritären Führungsstil pflegt, der dem ihres Vaters ähnelt, was sich in ihren Personalentscheidungen, ihrer Regierungsorganisation und der Schwerpunktsetzung ihrer Regierungspolitik wiederspiegelt. Außerdem scheint sie insgesamt eine weniger „vorbereitete Präsidentin“ gewesen zu sein, als die sie sich den Wählern empfohlen hatte.

Eigene Personalpolitik wirft Präsidentin hinter den Zeitplan zurück

Die Verfassung Südkoreas sieht vor, dass die Kandidaten für die Ministerämter, die formal vom Premierminister der Staatspräsidentin vorgeschlagen und dann von ihr nominiert werden, vom entpsrechenden Ausschuss des Parlaments bestätigt werden müssen. Unter den Kandidaten, die Park Geun-hye nominiert hatte, gab es fast keinen, dem nicht mindestens eines der folgenden unlauteren Praktiken vorgeworfen wurde: Steuerhinterziehung, Immobilienspekulation, Ausmusterung vom Wehrdienst, Dokumentenfälschung, Überbesoldung oder einfach mangelnde Qualifikation. Dem designierten Verteidigungsminister Kim Byoung-kwan wurde sogar vorgeworfen, als Waffenlobbyist für eine Rüstungsfirma tätig gewesen zu sein, nachdem er ehrenvoll aus dem Militär entlassen worden war. Neben diesem Vorwurf stach er in den Medien vor allem wegen der Portraitfotos von Park Geun-hyes Eltern hervor, die er an einer Anhängerkette seines Mobilfunktelefons befestigt hat. Er soll ernannt werden, im Notfall auch, ohne die Bestätigung der Nationalversammlung.

Über den designierten Wirtschaftsminister ist bekannt, dass er bereits unter Park Geun-hyes Vater Park Chung-hee mit an der Schaffung des letzten Fünf-Jahres-Planes 1978 beteiligt war. Kritik an ihm wurde jedoch vor allem laut, weil er sich öffentlich aussprach gegen die Ausweitung der Wohlfahrtspolitik, wie sie noch während des Wahlkampfes von Park Geun-hye propagiert worden war, sowie gegen die Regulierung von Großhändlern, die den Kleinhändlern in den Seitenstraßen der Städte Schwierigkeiten bereiten. Auch ihm wird Steuerhinterziehung angelastet. Der neue Justizminister Hwang Kyo-ahn wurde unter fraglichen Umständen vom Wehrdienst befreit und hat die Pfändung seines Autos nicht abwenden können – er hatte wiederholt Strafzettel nicht bezahlt. Außerdem gehört Herr Hwang zu insgesamt fünf Ministern, die sich nicht eindeutig zum Militärputsch vom 16. Mai 1961 geäußert haben.

Mit dem Putsch begann die Entwicklungsdiktatur unter Park Chung-hee, die 18 Jahre andauern sollte. Bei den Anhörungen im Parlament wurden u.a. die Minister für Justiz, Inneres, Bildung, Frauen und Familie und Wiedervereinigung gefragt, ob sie den Militärputsch als „Revolution“ oder als „Militärputsch“ verstehen. Die Putschisten, angeführt von General Park Chung-hee, hatten sich selbst als „Revolutionäre“ bezeichnet, um ihren Umsturz zu legitimieren. Spätestens seit der ersten Zivilregierung unter Kim Young-sam (1993-1998) wird der Coup de`Etat in Schulbüchern offiziell als „Militärputsch“ bezeichnet. Auch das Verfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen (1993, 1995, 2003) explizit argumentiert, dass es sich damals um einen „Militärputsch“ gehandelt habe.

Park Geun-hye hatte seit Ende der 1980er Jahre immer wieder öffentlich davon gesprochen, dass es sich damals um die „einzig richtige Entscheidung“ ihres Vaters gehandelt habe. Erst kurz vor den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr wurde die Kritik so stark, dass sie in einer extra einberufenen Pressekonferenz das damalige Vorgehen als eine Verletzung der Verfassung bezeichnete. Dass ihre Minister sich dennoch davor scheuen, historische Fakten beim Namen zu nennen, lässt erahnen, wie die Präsidentin ihr Verhältnis mit den Ministern interpretiert und umgekehrt.
Begonnen hatte die Verzögerung ihrer Regierungsbildung jedoch viel früher. Eine Entscheidung, die eigentlich noch in die Amtszeit ihres Vorgängers Lee Myung-baks gehörte, leitete die missliche Personalpolitik Park Geun-hyes ein. Der damalige Präsident Lee bezog seine designierte Nachfolgerin in die Entscheidung des neuen

Verfassungsgerichtspräsidenten mit ein. Der angeblich von ihr allein ausgewählte Kandidat, Lee Dong-heub, vor Kurzem noch Richter am Verfassungsgericht, stellte sich jedoch bald als unhaltbar heraus und trat nach langem Lavieren unter dem Druck der Oppositions-, aber auch Teilen der Regierungspartei sowie der Öffentlichkeit von seiner Kandidatur zurück. Die zweite Personalentscheidung Park Geun-hyes, die sich fatal auswirken sollte, war die für den Premierministerposten. Denn auch der von ihr nominierte Kandidat Kim Yong-joon trat noch vor seiner Anhörung im Parlament zurück, weil ihm eine ganze Bandbreite von Vergehen nachgesagt wurden. Diese beiden Fehlentscheidungen haben großen Anteil daran, dass der gesamte Zeitplan für die Regierungsbildung nach hinten verschoben werden musste.

Präsidentin verschlimmbessert die festgefahrene Situation

Erschwerend kam hinzu, dass die Oppositionspartei auch grundlegende Kritik am Revisionsvorschlag für das Regierungsorganisationsgesetztes hatte, den die desgnierte Präsidentin vorgelegt hatte. In diesem Gesetz wird die Organisation der Regierung reguliert. Unter Anderem wird darin die Anzahl, Form und Benennung der Ministerien festgehalten und bei jedem Regierungswechsel geändert. Die Oppositionspartei stößt sich vor allem an dem Vorhaben, die Befugnisse der Kommission für Rundfunk- und Fernsehanstalten in das neu zu gründende Ministerium für Zukunft, Kreativität und Technologie einzugliedern. Ihr Bedenken ist, dass somit die Kontrolle der Medien durch die Präsidentin erleichtert und sich die repressive Medienpolitik der Lee Myung-bak-Regierung wiederholen würde.

Auch mehrere Verhandlungsmarathons von Vertretern der Regierungs- und Oppositionspartei haben bis heute nicht vermocht, diesen Streitpunkt zu lösen. Die Folge davon ist, dass die Präsidentin die Minister, für die sie ganz neue Ministerien erdacht hat, noch nicht einmal zur Anhörung ins Parlament schicken kann. Das Gesetz müsste zuerst geändert und damit das zu besetzende Ministerialamt geschaffen werden. Deshalb griff die Präsidentin vergangene Woche zu einem für diesen Zeitpunkt ungewöhnlichen Mittel und hielt eine Art „Wutrede“ an die Nation, in der sie sich zwar dafür entschuldigte, dass sich der Prozess der Regierungsbildung hinzieht, aber auch die Oppositionspartei aufrief, ihr entgegen zu kommen, weil sie von ihrer Position nicht abrücken könne (und werde). Sie hat damit viel Porzellan zerschlagen.

Nicht nur der harte Ton und ihre offensichtliche Aufgebrachtheit während der Liveübertragung, sondern ihre grundlegende Haltung, über die Öffentlichkeit Druck auf die Opposition ausüben zu wollen, haben eine entsprechende Gegenreaktion der Opposition provoziert. Hier ist nicht nur bedenklich, dass die Präsidentin mit populistischen Mitteln versucht, die Opposition gefügig zu machen, sondern auch gegenüber der Regierungspartei, die sie damit nämlich als gleichberechtigten Partner und Verhandlungsführer im Parlament übergangen hat. In der – für sie eigentlich untypisch – emotionalen Ansprache betonte sie, dass man in Zeiten der Krise (sowohl wirtschaftlich als auch in Bezug auf die äußere Sicherheit) an einem Strang ziehen müsse. Es ginge ihr um die Führung des Landes zum Wohl des Volkes. Tatsächlich wirkte die Rede eher bevormundend als wirklich besorgt.

Nicht erst hier wird die Nähe zu ihrem Vater deutlich. Bekanntlich hat sie Politik und Staatsführung von ihrem Vater gelernt, spätestens als sie neben ihm als First Lady fungierte. Das war jedoch in der Zeit, als Park Chung-hee zu einem harschen Diktator wurde. Ob diese negative Seite sich auf sie abgefärbt hat, ist schwer zu beantworten, ihr Führungsstil ähnelt dem ihres Vaters dennoch. Oberflächlich lässt sich das unschwer daran ausmachen, dass sie Slogans aus der Zeit der Entwicklungsdiktatur ohne zu zögern öffentlich ausspricht, seitdem sie zur Präsidentin gewählt wurde. So spricht sie immer wieder vom „Wunder am Han“, vom Motto „Lass` uns gut leben!“ und „Wenn man macht, geht es!“. Auch Park Geun-hye ist dafür bekannt, dass sie keine Nummer 2 neben sich duldet.

Kontrollstrategie: Sicherheit, Wirtschaft und Technologie

Entsprechend trifft sie wichtige Personalentscheidungen meistens allein. Ihren Beratern wird nachgesagt, sich nicht zu trauen, Kritik zu äußern. Das Gleiche gilt für Führung der Regierungspartei, die einhellig hinter ihr zu stehen scheint. Innerhalb der Partei gibt es wiederum keine Kräfte, die der Parteiführung etwas entgegen zu bieten hätten. Es scheint ihr folglich an einer internen Kontrollinstanz zu fehlen.

Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum, dass sie zentrale Posten in ihrer Regierungsmannschaft an Militärs vergeben hat und auch hier in die Fußstapfen ihres Vaters tritt. In einer Art ‚Militär-zuerst‘-Personalpolitik sollen folgende Ämter von ehemaligen Militärs besetzt werden: Chef des Geheimdienst, Verteidigungsminister, Staatssekretär für Staatssicherheit, Staatssekretär für Außenpolitik und Sicherheit, Chef des Sicherheitsdienstes der Präsidentin. Hinzu kommt noch, dass sie den Chefposten des Sicherheitsdienstes auf Ministerrang hat heben lassen. Wenn es nach der Präsidentin geht, soll der ehemalige Generalstabschef der Armee, Nam Jae-joon, erster Mann des National Intelligence Service (NIS) werden. Verteidigungsminister wird der ehemalige Viersternegeneral Kim Byung-kwan, das Amt des Staatssekretärs für Sicherheit wird der ehemalige Generalstabschef der Armee Kim Jang-soo.

Ihre Entscheidungen sind nicht willkürlich, sie sind offensichtlich durchdacht. Ihre Vorstellung von einer effektiven Regierungsorganisation basiert auf dem Prinzip eines starken, lenkenden Staates, der vor allem auf drei Grundpfeilern, den sogenannten „Kontrolltürmen“ ihrer Regierung, realisiert werden soll. Der erste Kontrollturm soll für eine starke Sicherheitspolitik sorgen. Dafür hat Park ihr Sicherheitspersonal im Büro der Präsidentin gestärkt; es soll eng mit dem Verteididungsministerium und dem Ministerium für Sicherheit und Verwaltung (zuvor „Ministerium für Verwaltung und Sicherheit“) zusammenarbeiten. Der zweite Kontrollturm soll mit der Wiedereinführung eines quasi-Vize-Premierministers eingerichtet werden, der gleichzeitig für das Ressort Wirtschaft und das Ressort Planung und Finanzen zuständig ist. Einen dritten Kontrollturm verteidigt sie aktuell besonders engagiert – das Ministerium für Zukunft, Kreativität und Technologie. Ihre Vision für die kommenden fünf Jahre ist stark abhängig von der Strategie, gezielt die neue Informations- und Kommunikationstechnologie zu fördern. Das neue Ministerium, deren Realisierung zurzeit die Gegnerschaft der Opposition entgegensteht, ist das Kernstück dafür.

Offiziell war der Premierminister der dritte Kontrollturm. Er sollte sich um eines der Hauptversprechen aus dem Wahlkampf intensiv kümmern – soziale Wohlfahrtspolitik. Diese spielte in den vergangenen drei Monaten nach der Wahl jedoch eine merklich untergeordnete Rolle. Slogans wie „Demokratisierung der Wirtschaft“ oder „Wohlfahrtspolitik für die Durchschnittsmenschen“ sind fast völlig verschwunden. Gleiches gilt für die Ankündigung, bei wichtigen Personalentscheidungen integrativ und ausgleichend vorzugehen. Nicht weniger als sechs der wichtigsten Regierungsmitglieder sind Absolventen derselben (Sungkyunkwan) Universität, neun stammen aus dem Hauptstadtseinzugsgebiet und acht aus ihrer Heimatprovinz Gyŏngsang. Dass sie bei ihren Entscheidungen Personen aus der Provinz Chŏlla oder etwa aus dem Oppositionslager berücksichtigt hätte, kann man nicht sagen. Und auch diejenigen, die Park Geun-hye vor allem zur ersten Präsidentin machen wollten, müssen enttäuscht sein. Gerade einmal zwei der 18 Minister sind Frauen. Ins Büro der Präsidentin hat es keine einzige Geschlechtsgenossin geschafft.

Eine der ersten Entscheidungen, die der neue Staatsrat (Kabinett) bei seiner ersten Sitzung beschlossen hat, war die Verschärfung der Bestrafung von leichten Gesetzesübertretungen. So muss zum Beispiel eine Strafe von umgerechnet circa 35 Euro bezahlt werden, wenn man sich in der Öffentlichkeit „übermäßig freizügig kleidet“. Viele haben sich sofort an die Zeit in den 1970er Jahren unter Park Chung-hee erinnert gefühlt, als auf den Straßen von Polizisten sowohl die Haar- als auch die Rocklänge der Passanten kontrolliert wurde und bei übermäßig langen Haaren und übermäßig kurzen Röcken ein Bußgeld fällig wurde.

Politik und Arbeit vernachlässigt, Nordkorea im Fokus

Die wichtigen Bereiche der Arbeit (bzw. Arbeitsbeziehungen) und Politik hat Park Geun-hye von Anfang vernachlässigt, sodass es nicht verwundert, dass diese Themen auch jetzt keine Rolle zu spielen scheinen.

Die Besetzung des Ministeramtes für Wiedervereinigung ist eine positive Ausnahme. Sie hat sich hier für den Vertrauten Ryoo Khil-jae entschieden, der Professor für Nordkoreastudien ist und sich nicht zu Unrecht einen Namen in diesem Forschungsbereich gemacht hat. Das langjährige vertraute Verhältnis zu ihrem neuen Wiedervereinigungsminister geht auf seinen Vater zurück, der nach dem Militärumsturz 1961 als Berater der Putschisten im „Revolutionskomittee für den Staatsaufbau“ fungierte. Das heißt jedoch nicht, dass Herr Ryoo in seiner Forschung seinem Vater folgen würde. Im Gegenteil, er ist selbst in sogenannten „progressiven“ Kreisen als „moderat“ bekannt. In einem frühen Aufsatz von Mitte der 1990er Jahre schreibt er über Park Chung-hee, er habe den „Verfall der Politik hervorgerufen“ und für „die Einrichtung einer Korruption reproduzierenden Struktur gesorgt“. Dies sei das Grundübel, aus dem sich eine politische Kultur entwickelt habe, die verhindere, dass die politische Geschichte des Landes richtig bewertet wird. Und diese problematischen Zustände in Südkorea seien hinderlich für die Auseinandersetzung mit dem Norden in Hinsicht auf das Fernziel einer Wiedervereinigung.

Soviel zur Theorie. Die praktische Nordkoreapolitik Park Geun-hyes muss sich nun bewähren. Im Wahlkampf hat sie noch einen „Vertrauensprozess“ vorgeschlagen (siehe Beitrag in Kultur Koreas, April 2013). Wie sie nun vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen auf der koreanischen Halbinsel agiert, ist entscheidend für die kommenden fünf Jahre – mindestens. Ihr Vorgehen ist natürlich nicht allein von ihr abhängig. In der Region haben angefangen mit Nordkorea China, Japan, die USA, Russland, die UN und neuestens sogar die EU ein Wörtchen mitzureden. Innenpolitisch jedoch hat die neue Präsidentin theoretisch mehr Spielraum und könnte sich am Problembewusstsein ihres neuen Wiedervereinigungsministers orientieren, erst einmal vor der eigenen Haustür zu kehren.

Insgesamt lassen diese ersten ungelenken Schritte der neuen Präsidentin die Sorgen für die kommenden fünf Jahre größer werden. Aber noch ist nicht aller Tage Abend und ihre Präsidentschaft hat erst begonnen. Die Ereignisse in den kommenden Monaten – der Ausgang der Nach- und Wiederholungswahlen Ende April eingeschlossen – werden wegweisend dafür sein, was in der kommenden halben Dekade in Südkorea zu erwarten ist.

Kommentar zu den Regionalwahlen in Südkorea vom 2. Juni 2010: Deutliche Absage an das rechtskonservative Regierungslager

Etwas über 38 Millionen südkoreanische Bürger waren am 2. Juni bei den fünften landesweiten Regionalwahlen aufgerufen, ihre Stimmen abzugeben. Die oppositionelle Demokratische Partei (DP) gewann diese Wahlen deutlich, die Regierungspartei Große Nationalpartei (GNP) wurde klar abgestraft. Anders als die Parlamentswahlen, die weniger als ein halbes Jahr nach den Präsidentschaftswahlen Ende 2007 im Frühling 2008 stattfanden, können diese Regionalwahlen als klassische „Bewährungsprobe“ des amtierenden Regierungslagers verstanden werden. Sie hat sie nicht bestanden.
Neben 16 Oberbürgermeistern und Provinz-Gouverneuren sowie 16 Bildungsministerämter (Superintendenten) standen auch über 200 Bezirksleiterposten, rund 700 Abgeordnetensitze der Bezirks- und knapp 3000 der Kommunalparlamente zur Wahl. Insgesamt standen knapp 4000 Ämter zur Disposition. Die oppositionelle DP erhält sieben der 16 Governeursämter, die GNP sechs, die Restlichen gehen an die Partei für Freiheit und Fortschritt (FFP; Stadt Daejon) und zwei parteilose Kandidaten.

Der komplette Kommentar ist hier als PDF-Datei abrufbar.

Gewaltige Spaltungen über politische Konflikte

Das südkoreanische Verfassungsgericht kam am 29. Oktober zu einem strittigen Urteil über die Frage, ob die Verabschiedung der sogenannten Mediengesetze durch das Parlament rechtens sei. Am 22. Juli dieses Jahres hatte die regierende rechtskonservative Partei Hannaradang (Grand National Party – GNP) unter großem Protest der Öffentlichkeit und der Oppositionsparteien ein Gesetzespaket in der Nationalversammlung durchgebracht, das unter anderem großen Unternehmen und Zeitungshäusern den Einstieg in den Fernsehmarkt ermöglicht.
Die Gegner der Gesetze befürchten hauptsächlich, dass mit dem neuen Gesetz einschlägigen Großkonzernen, den jaebeol, und großen rechtskonservativen Zeitungshäusern, wie Chosun Ilbo, Joongang Ilbo oder Donga Ilbo, die mittels finanzieller Mittel bzw. hohen Auflagen bereits die öffentliche Meinungsbildung stark beeinflussen, noch größere Einflussnahme ermöglicht würde. Das, so das Argument, würde den ohnehin schon verzerrten Medienmarkt vollends entdemokratisieren.

Kommentar zur umstrittenen Mediengesetz-Entscheidung des südkoreanischen Verfassungsgerichts

Das südkoreanische Verfassungsgericht kam am 29. Oktober zu einem strittigen Urteil über die Frage, ob die Verabschiedung der sogenannten Mediengesetze durch das Parlament rechtens sei. Am 22. Juli dieses Jahres hatte die regierende rechtskonservative Partei Hannaradang (Grand National Party – GNP) unter großem Protest der Öffentlichkeit und der Oppositionsparteien ein Gesetzespaket in der Nationalversammlung durchgebracht, das unter anderem großen Unternehmen und Zeitungshäusern den Einstieg in den Fernsehmarkt ermöglicht.
Die Gegner der Gesetze befürchten hauptsächlich, dass mit dem neuen Gesetz einschlägigen Großkonzernen, den jaebeol, und großen rechtskonservativen Zeitungshäusern, wie Chosun Ilbo, Joongang Ilbo oder Donga Ilbo, die mittels finanzieller Mittel bzw. hohen Auflagen bereits die öffentliche Meinungsbildung stark beeinflussen, noch größere Einflussnahme ermöglicht würde. Das, so das Argument, würde den ohnehin schon verzerrten Medienmarkt vollends entdemokratisieren.

Verfassungsklage gegen Regierungspartei

Während der Abstimmung im Plenarsaal im Sommer war es nicht nur zu Handgreiflichkeiten zwischen den Abgeordneten gekommen, sondern auch zu Unregelmäßigkeiten beim Abstimmen. Sowohl Abgeordnete der Hannaradang als auch Oppositionspolitiker wurden von CCTV-Kameras dabei gefilmt, wie sie die elektronischen Wahlknöpfe anderer Abgeordneter drückten, um das Ergebnis entsprechend zu beeinflussen. Gleich am Folgetag reichte die größte Oppositionspartei Minjudang (Democratic Party – DP) eine Verfassungsbeschwerde beim höchsten Gericht ein. Hauptargument war, dass man beim Prozedere der Abstimmung über die Gesetze gegen das Parlamentsgesetz verstoßen habe.

Das Verfassungsgericht kam nach mehreren Monaten der Prüfung am 29. Oktober schließlich zu dem Ergebnis, dass der Abstimmungsprozess tatsächlich nicht rechtens gewesen sei.

Abstimmung über Gesetze “illegal”

Die Auswertung des Videomaterials ergab, dass bei mindestens acht Abgeordneten der Abstimmknopf von einem Kollegen „missbraucht“ worden war. Des Weiteren entschied das Verfassungsgericht, dass auch die wiederholte Abstimmung gegen das geltende Gesetz verstoßen hatte.

Nach dem Parlamentsgesetz Südkoreas darf über denselben Vorschlag nur einmal pro Tag abgestimmt werden. Der Vizepräsident des Parlaments jedoch hatte zum erneuten Abstimmen gerufen, nachdem beim ersten Gang nicht hinreichend Abgeordnete anwesend waren.

Schließlich hatte das höchste Gericht außerdem am Abstimmungsprozess bemängelt, dass vor der Abstimmung zum Zeitungsgesetz, das Teil des Pakets war, die eigentlich vorgeschriebene Frage- und Diskussionsrunde ausgespart worden war.

Unrecht, aber gültig?

Umso überraschender wurde die Entscheidung des Verfassungsgerichts aufgenommen, dass durch diesen damit eindeutig illegalen Prozess verabschiedete Gesetz trotzdem gültig sein solle!

Viele sehen darin eine politische Entscheidung des Verfassungsgerichts zu Gunsten der Regierungspartei, die schon vor den Präsidentschaftswahlen 2007 und Parlamentswahlen 2008 im Sinne ihres Hauptklientels angekündigt hatte, den Medienmarkt liberalisieren zu wollen. Kritiker befürchten, dass nach der vierten Gewalt, den Medien, nun auch die dritte Gewalt, die Judikative, zum Strohmann der Regierung mutieren würde.

Das Verfassungsgericht hingegen behauptet, diese widersprüchliche Entscheidung gerade deshalb getroffen zu haben, um die Gewaltenteilung zu stärken! Denn wenn das Verfassungsgericht, so die Logik, jedes Mal, wenn es prozedurale Probleme im Parlament gibt, darüber entscheiden würde, eine Gewaltenteilung zwischen Judikative und Legislative nicht mehr gegeben wäre. Man wolle lediglich die Autonomie der Legislative nicht beeinträchtigen und die Abgeordneten dazu anhalten, die Sache selbst zu klären.

Wiederholung der Geschichte?

Schon einmal vor 13 Jahren hatte das Verfassungsgericht nach dieser Logik entschieden. Damals hatte die Vorgängerpartei der Hannaradang, die Sinhangukdang (New Korea Party – NKP), ein neues Arbeitsgesetz im Parlament durchgepeitscht. Auch damals hatte die Oppositionspartei, die Vorgängerpartei der heutigen Oppositionpartei Minjudang, Klage beim Verfassungsgericht eingelegt – mit demselben Ergebnis.

Die Argumentation des Verfassungsgerichts scheint mehr als merkwürdig, folgt aber einer sehr einfachen Logik. Das einseitige Durchsetzen eines Gesetzes bedeute zwar die Verletzung der Rechte der Abgeordneten der Oppositionsparteien, aber da die Mehrheit der Anwesenden dafür gestimmt habe, kann man in Hinblick auf die Verfassung nicht davon sprechen, dass das Majoritätsprinzip verletzt worden sei.

Und solange nicht gegen Prinzipien der Verfassung verstoßen wurde und wenn das Gesetz bereits verabschiedet ist, auch wenn im Verabschiedungsprozess das Parlamentsgesetz dabei verletzt wurde, habe das Verfassungsgericht nicht die Befugnis, diese Entscheidung für ungültig zu erklären.

“Gewählt, aber nicht Präsident!”

In Zeitungen und im Internet herrschte daraufhin große Aufruhr. Nur 24 Stunden nach dem Urteil zählte die sonst spärlich besuchte Kommentarseite des Verfassungsgerichts nicht weniger als 1 500 neue Einträge – die große Überzahl davon kritisch.

Überwiegend geht es um die Widersprüchlichkeit der Entscheidung. Das sei so, “als wenn man entscheidet, es wäre Abseits, aber das Tor trotzdem gelten lässt.” Oder “als wenn man die Medaille behalten darf, obgleich festgestellt wurde, dass man gedopt war.” Ein Netizen mit der ID “An Jun Geun”, womit offensichtlich auf den gleichnamigen Freiheitskämpfer angespielt wird, schrieb in seinem Eintrag, “Ist dann also auch die [von Japan zwecks Kolonialisierung erzwungene] Vereinigung Koreas und Japans [Anfang des 20. Jahrhunderts] zwar verfassungswidrig, aber im Resultat gültig?”

Unterdessen wurde vor dem Blauen Haus, dem Sitz des Präsidenten, ein junger Mann fotografiert, der dort eine Ein-Personen-Demonstration abhielt. Auf seinem Schild stand: “Sie sind zwar gewählt, aber nicht Präsident!”

Reaktionen bei Regierung und Opposition konträr

Während die großen Zeitungshäuser, die sich von der Verabschiedung des Gesetzespakets Vorteile erhoffen, die Entscheidung in ihren Editorials und Kolumnen begrüßen, kritisieren progressive Zeitungen das Urteil umso schärfer. Die Regierungspartei spricht davon, dass man die Entscheidung des Verfassungsgerichts anerkennen und aufhören solle, durch weitere Kritik an den Gesetzen zu politisieren. Die Oppositionsparteien sind sich einig, dass die Entscheidung eine politische im Sinne der Regierung gewesen sei.

Wer hat Recht? Im äußersten Zweifelsfall entscheidet gerade darüber die letzte Instanz des Staates – das Verfassungsgericht.

Nach offizieller Bekundung erfüllt das südkoreanische Verfassungsgericht die Rolle, „die gesellschaftliche Ordnung friedlich aufrecht zu erhalten, indem es die Verfassung konkret in die Realität umsetzt, den Missbrauch von öffentlicher Gewalt Einhalt gebietet, die Grundrechte der Bürger, die durch die öffentliche Gewalt verletzt worden sind, wiederherstellt und außerdem extremen Auseinandersetzungen zwischen politischen Kräften vorbeugt.“

Beim deutschen Bundesverfassungsgericht ist neben solchen grundlegenden Aufgabendefinition zusätzlich angefügt: „Das Gericht ist aber kein politisches Organ. Sein Maßstab ist allein das Grundgesetz. Fragen der politischen Zweckmäßigkeit dürfen für das Gericht keine Rolle spielen. Es bestimmt nur den verfassungsrechtlichen Rahmen des politischen Entscheidungsspielraums. Die Begrenzung staatlicher Macht ist ein Kennzeichen des Rechtsstaats.“ Man kann davon ausgehen, dass dies auch für das südkoreanische Verfassungsgericht gilt.

Fazit

Letztlich hat das Verfassungsgericht sich selbst keinen Gefallen mit der Entscheidung getan. Da hiermit das Misstrauen, dass es politische Entscheidungen fälle, weiter gewachsen ist, hat sich das Gericht damit immens geschadet. In demokratischen Rechtsstaaten ist das Verfassungsgericht die höchste Instanz. Wenn sich jedoch dieses höchste Gericht in der Ausübung dieser so fundamental wichtigen Rolle selbst so eindeutig widerspricht, erschüttert dies seine Integrität erheblich. Denn das Verfassungsgericht ist in der Verantwortung, schwerwiegende Entscheidungen zu treffen, und zwar (zumindest juristisch) widerspruchslos.

Auch für keine der beiden Seiten des Konflikts ist die widersprüchliche Entscheidung hilfreich. Die Regierung(spartei) sieht sich neben der Kritik, die Medien zu manipulieren zu wollen, mit dem Vorwurf konfrontiert, die vierte Instanz zu ihren Gunsten manipuliert zu haben. Die Oppositionsparteien haben offensichtlich allen Grund, die Entscheidung in Zweifel zu ziehen. Nur die potentiellen Interessensgruppen, Zeitungshäuser und (andere) Investoren, haben nun faktisch freie Hand und freuen sich als Dritte.

Trotzdem muss man die Begründung des Verfassungsgerichts, dass man die Parteien damit auffordern wolle, die Verantwortung selbst zu übernehmen und eine Lösung zu finden, ernstnehmen. Während es nicht von der Hand zu weisen ist, dass das Verfassungsgericht, insbesondere in Zeiten der Diktatur, Entscheidungen politisch gefällt hat, und selbst von vielen Staatsrechtlern wegen zweifelhalfter Entscheidungen immer wieder scharf kritisiert wird, ist es mindestens ebenso offensichtlich, dass in Südkorea eine regelrechte Verfassungsklagen-Inflation herrscht.

Insbesondere Parteien in der Opposition neigen dazu, bei Streitfragen unterhalb der Verfassungsgrenze die Latte zu hoch zu legen, um ihren Forderungen den nötigen dramatischen Nachdruck zu verleihen. Gleiches gilt für die sehr extrem physisch ausgelebte Protestkultur innerhalb der Nationalversammlung, die dem bereits sehr angeschlagenen Ansehen des Parlaments – national wie international – wenig zuträglich ist.

Zusammenfassend kann man folglich festhalten, wenn die Parteien im Parlament ihre Arbeit vernünftig machen würden, müssten sie nicht das Verfassungsgericht anrufen, und hätten sich auf demokratisch und juristisch einwandfreiem Weg auf einen Kompromiss geeinigt. Und wenn das Verfassungsgericht durch überzeugende, widerspruchsfreie Entscheidungen die nötige Autorität genießen würde, hätte man sich im Parlament erst gar nicht zu so einer Eskalation des Konflikts hinreißen lassen, weil man sich bewusst gewesen wäre, dass man in der letzten Instanz damit nicht durchkommen würde – einmal ganz abgesehen von den zu erwartenden kritischen Reaktionen der Öffentlichkeit und/oder Wählerschaft.

Die Opposition fordert auch nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts eine Revision der Mediengesetze – wie auch die große Mehrheit der Bevölkerung. Die Regierung ist bisher stur geblieben. Auch in anderen großen Streitfragen stehen sich die Kräfte derzeit wieder einmal an verhärteten Fronten gegenüber.

Hätte das Verfassungsgericht konsequent entschieden, wären die Parlamentsparteien zu einem erneuten Kompromiss quasi gezwungen – so liegt es nun allein in den Händen der rechtskonservativen Regierung mit ihrem großunternehmerfreundlichen Präsidenten an der Spitze, auf die Forderungen der Opposition zu reagieren.

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* Dieser Kommentar erschien auch auf der Internetseite des Instituts für Koreastudien an der Freien Universität Berlin (IKS).

„Tsuhallyu“? Medienpolitik der südkoreanischen Regierung schlägt Wellen

„Hallyu“ ist ein Begriff aus dem Koreanischen, heißt so viel wie „koreanische Welle“ und meint damit den Erfolg südkoreanischer Populärkultur wie Musik, Film und Produkte wie Autos, Mobilfunktelefone und ähnliche Erzeugnisse in Asien und der Welt. Nicht nur koreanische Beobachter sehen eine Welle der Begeisterung über südkoreanische Kulturprodukte über den Globus schwappen.

Die jüngste und beeindruckenste Schaumkrone der Welle, um bei dem bildlichen Vergleich zu bleiben, ist der Ritterschlag für Schauspielerin Jeon Do-yeon („Secret Sunshine“, 2007; „Beste Schauspielerleistung“) von der französischen Regierung.

Immer häufiger stehen Schauspieler, Sänger und andere Entertainer des Landes im internationalen Rampenlicht. In Südkorea ist man auf seine kulturellen Botschafter stolz. Das Image und die Tourismusbranche des Landes profitiert am meisten von der Welle.

Umso gelähmter reagiert die Öffentlichkeit auf die Welle von Entlassungen bekannter und beliebter Entertainer des südkoreanischen Rundfunks und Fernsehens seit dem Amtsantritt Präsident Lee Myung-Baks Anfang des vergangenen Jahres. Die Verantwortlichen dementieren zwar jegliche politische Motivation, doch in Presse und Internet wird bereits eine heiße Debatte über die tatsächlichen Hintergründe geführt. Auch bei den zur Zeit stattfindenden Untersuchungen der Administration durch das Parlament wurden die Personalien zum Politikum.

„Hallyu“ ist ein Begriff aus dem Koreanischen, heißt so viel wie „koreanische Welle“ und meint damit den Erfolg südkoreanischer Populärkultur wie Musik, Film und Produkte wie Autos, Mobilfunktelefone  und ähnliche Erzeugnisse in Asien und der Welt. Nicht nur koreanische Beobachter sehen eine Welle der Begeisterung über südkoreanische Kulturprodukte über den Globus schwappen.

Die jüngste und beeindruckenste Schaumkrone der Welle ist der Ritterschlag für Schauspielerin Jeon Do-yeon(„Secret Sunshine“, 2007; „Beste Schauspielerleistung“) von der französischen Regierung. Immer häufiger stehen Schauspieler, Sänger und andere Entertainer des Landes im internationalen Rampenlicht. In Südkorea ist man auf seine kulturellen Botschafter stolz. Das Image und die Tourismusbranche des Landes profitiert am meisten von der Welle.

Umso gelähmter reagiert die Öffentlichkeit auf die Welle von Entlassungen bekannter und beliebter Entertainer des südkoreanischen Rundfunks und Fernsehens seit dem Amtsantritt Präsident Lee Myung-Baks Anfang des vergangenen Jahres.

Die Verantwortlichen dementieren zwar jegliche politische Motivation, doch in Presse und Internet wird bereits eine heiße Debatte über die tatsächlichen Hintergründe geführt. Auch bei den zur Zeit stattfindenden Untersuchungen der Administration durch das Parlament wurden die Personalien zum Politikum.

Komiker Kim in der Hauptrolle einer Tragödie

Jüngstes Opfer der Entlassungen im Medienbereich ist der Entertainer Kim Je Dong, der am vergangenen 12. Oktober die letzte Folge seiner Fernsehsendung „Star – Golden Bell“ aufnahm. Einige Tage zuvor hatte Herr Kim erfahren, dass ihn sein Sender KBS nicht mehr beschäftigen wolle. Vermutungen legen nahe, dass Komiker Kim zum Verhängnis wurde, dass er sich in letzter Zeit in ein anderes Licht der Öffentlichkeit gestellt hatte. Er hatte bei den Trauerfeiern zum Tod des vorigen Präsidenten Roh Moo Hyun die Moderation übernommen.

Außerdem hatte er sich „kritisch“ (?) dazu geäußert, dass eine Zwangsräumungsaktion in einem Seouler Bezirk schließlich zu Toten geführt hatte. Im Mai hatten sich die Bewohner gesträubt, ihre Wohnungen zu verlassen, um teuren Neubauten Platz zu machen. Sie wurden in einer sehr fragwürdigen Nacht-und-Nebelaktion eines Sonderkommandos der Polizei überwältigt, bei dem es zu dem Unglück kam.

Auch die große Streikaktion der Fabrikarbeiter des Automobilherstellers Ssangyong im vergangenen Sommer hatte Herr Kim auf seinem persönlichen Blog erwähnt. Die Teilnahme an der Gründungsfeier der Roh Moo Hyun-Stiftung am 9. Oktober hatte wahrscheinlich das Fass zum Überlaufen gebracht.

Der neue Chefintendant von KBS, Lee Byeong Sun, bestritt zwar, dass politische Motive oder sogar „politische Vergeltung“ hinter der Entscheidung gestanden hätten, die Öffentlichkeit jedoch scheint ihre Zweifel zu haben. Die GNP-Abgeordnete Na Gyeong Won hatte in einer Anhörung Intendant Lee gefragt, ob Herr Kim gefeuert worden war, weil er auf der Trauerfeier für den ehemaligen Präsidenten Roh „linke Aussagen gemacht hat“.

Daraufhin ging ein Sturm der Entrüstung durch die Editorials und Internetforen, warum man versuche, einen Entertainer in politische Auseinandersetzung hineinzuziehen, die sich eindimensional auf fragwürdigen Bewertungen von „links“ oder „rechts“ bewegten.

Die Begründung des Senders ist banal. Herr Kim habe die Sendung fünf Jahre lang moderiert – das sei lang genug. Ähnliche Begründungen hatte man vor einiger Zeit auch für den Rocksänger Yun Do Hyeon vorgeschoben, der seine Fernsehsendung „Loveletter“ (KBS 2 TV) und seine Radiosendung „Yun Do Hyeons Musikshow“ (KBS FM) abgeben musste. Über seinen Kollegen sagte Yun in einem jüngsten Interview, er hätte ihn einmal davor gewarnt, dass ihn dasselbe Schicksal wie ihn ereilen könne, wenn er nicht vorsichtiger sei.

Bereits im Oktober 2008 musste Sänger und Moderator Shin Hae Cheol seine Radiosendung „Shin Hae Cheol´s Gost Station“ beim Sender SBS aufgeben. Da Shin bereits 2004 auf Protestkundgebungen gegen den Versuch einer Amtsenthebung des damaligen Präsidenten Roh Moo Hyun durch rechtskonservative Kräfte „negativ aufgefallen“ war, waren vielen bereits im letzten Jahr klar, dass Shin nicht, wie er damals noch beschönigte, der Sendung „müde geworden“ war , sondern tatsächlich der Sender ihn entlassen hatte.

Maulkorb für sozial engagierte Medienmenschen?

Auch die allbekannte Schauspielerin Kim Min Seon („Ogamdo“ 2009) bekam den neuen Gegenwind der rechtskonservativen Regierungspartei GNP und rechtsradikalen Bürgergruppen deutlich zu spüren. Grund war, dass sie sich vor Kurzem auf ihrer persönlichen Internetseite zum Rindfleischskandal vom vergangenen Jahr äußerte, der zu Massendemonstrationen gegen die Politik der Lee-Regierung geführt hatte. 

Die für ihre stürmischen Kommentare bekannte rechtskonservative „eiserne Lady“, die GNP-Politikern Jeon Yeo Ok, hatte den Angriff auf die Schauspielerin eingeleitet, als sie die persönlichen Einträge der Schauspielerin zum Politikum machte.

Bereits im April hatte die Radiomoderatorin und Komikerin Kim Mi Hwa des Senders MBC („Die Welt und wir“) die neuen Tendenzen zu spüren bekommen, als rechtskonservative, regierungsparteinahe Gruppen Druck ausübten, um sie absetzen zu lassen. Als Hintergrund der Anfeindungen vermutete man die Tatsache, dass Frau Kim aktiv an den Kerzendemonstrationen des vergangenen Jahres teilgenommen hatte.

Im Juli 2008, als täglich Kerzendemonstrationen in der Seouler Innenstadt und vielen anderen Städten des Landes stattfanden, hatte der damals gerade frische Kulturminister Yu In Chon, seines Zeichens ehemaliger Volksschauspieler, seine Kollegen aufgerufen, nun endlich ihre Teilnahme an den Kerzendemonstrationen einzustellen und an ihre Arbeitsplätze zurück zu kehren. Viele Celebrities hatten als „Bürger“ an den Protestkundgebungen teilgenommen.

Kritische Politprogramme werden ab-, Redakteure versetzt

Opfer der Entlassungwelle in der Medienlandschaft beschränken sich jedoch nicht auf den Berufsstand der klassischen Entertainer. Kurz nachdem die neue Regierung für eine neue Leitung beim Nachrichtensender YTN gesorgt hatte, wurde Redakteur Im Jang Hyeok zwangsversetzt.  Seit Jahren war Herr Im für die Rubrik „Dolbalyeongsang“ beim Sender zuständig.

Hier wird Videomaterial zusammengeschnitten, das es nicht in die Nachrichten geschafft hat, aber über Politik und Gesellschaft umso mehr aussagt. Auf unterhaltsame Weise werden dem Zuschauer Tatsachen präsentiert, mit denen er sich seine eigene Meinung bilden kann. Nachdem Herr Im diese Zwangspause eingelegt hatte, nahm er seine Arbeit wieder auf, nur um kurze Zeit später für zwei Monate erneut suspendiert zu werden. Begründung: er habe die Regierung einseitig kritisiert.

Der für das Politmagazin „Sisa 360“ verantwortliche Produzent vom Fernsehsender KBS, Hong Seong Hyeob, musste ebenfalls für seinen Investigativ-Journalimus büßen. Er wurde zur KBS-Abteilung auf der Insel Jeju versetzt – weiter weg von Seoul und der Zentrale des Senders geht es nicht.

Auch die Politsendung „Sisa Tonight“ (KBS 2TV), die aktuelle Entwicklungen aus Politik und Gesellschaft kritisch unter die Lupe nahm, wurde bereits im November letzten Jahres aus dem Programm gestrichen. Das Magazin „Mediafocus“ (KBS), ehemals bekannt für kritische Analysen über Medienberichterstattung, wurde Ende vergangenen Jahres stark verändert.

Hintergrund ist der Wechsel am Ruder der Sendeanstalt. Auf Treiben dem neuen Präsidenten Nahestehender wurde Jeong Yeon Ju, der ehemalige Chefintendant von KBS, kurzerhand ab- und der regierungsfreundliche Lee Byeong Sun eingesetzt. Die für solche Personalentscheidung verantwortlichen Gremien wurden mit zwielichtigen Methoden gefügig gemacht.

Eingeleitet jedoch wurde der Sturz des „linken“ Chefs, der den neuen Machthabern im Blauen Haus offensichtlich ein Dorn im Auge war, von rechtskonservativen Gruppen, die Jeong wegen angeblicher Dienstvergehen angezeigt haben. Nach Monaten Prozedieren wurde Jeong jedoch Ende August schließlich von allen Anklagepunkte freigesprochen. Für die Regierungskritiker ein klarer Beweis dafür, dass es bei der Personalie lediglich um die Machtergreifung im wichtigsten Rundfunkhaus des Landes ging.

Kritische Meinungsmacher bekommen Gegenwind deutlich zu spüren

Auch Professor Son Seok Heui, der seit Langem die erfolgreiche Diskussionssendung „100-Minuten-Debatte“ (MBC) moderiert, wird allen Anzeichen nach schon bald seinen Hut nehmen müssen. Offiziell geht die geplante Personalie auf die Programmumgestaltung, die zweimal im Jahr vorgenommen wird, zurück. Inoffiziell wird jedoch vermutet, dass seinen Vorgesetzten die Zunge ihres smarten Moderators zu spitz sei.

Der ehemalige Vorsitzende der GNP, Hong Jun Pyo, schürte die Atmosphäre weiter, als er in einem Liveinterview Äußerungen machte, die darauf anspielten, dass die geplante Entlassung Sons wegen überhöhter Gagenforderungen seinerseits zu Stande gekommen sei. Sons Talk-Sendung beim Radiosender von MBC, „Im Blick“, wird er fortführen können – bis auf Weiteres.

Professor Kim Yong Min, der für den Radiosender von CBS das Politmagazin „Sisa Jockey“ moderiert, ist bisher noch mit relativ leichten Einschränkungen davongekommen. Er hatte eine seiner Sendungen wie folgt eingeleitet:

„Präsident Lee ist ´Kirchenältester´ und repräsentativster Pro-Amerikaner. Er wird außerdem dafür kritisiert, dass er sich zudem mit projapanischen Kollaborateuren zusammengetan und seine politischen Feinde politisch ermordet zu haben. Des Weiteren pervertierte sich die Politik von Tag zu Tag, weil er die Opposition nicht anerkennen wollte; er ist von Speichelleckern umgeben. Demonstrationen gegen die Regierung hat er mit Polizeigewalt  brutal unterdrückt. Geendet hat dies schließlich, als er aus dem Amt getrieben wurde.“

Nach einer kleinen Kunstpause beendete der Moderator seine Einleitung mit den Worten: „Mit Präsident Lee ist hier Präsident Rhee Syng Man gemeint.“ Daraufhin musste Professor Kim für die Zukunft gänzlich auf seine Einleitung verzichten.

Professor Jin Jung Gwon ist ein weiterer Fall, der vielerseits mit in diese jüngste Personalpolitik gestellt wird. Professor Jin war am Fachbereich für Germanistik  der ChungAng Universität angestellt, vor Kurzem wurde ihm jedoch der Arbeitsvertrag mit der Begründung nicht verlängert, er hätte formelle Voraussetzungen nicht erfüllt. Die Mehrheit jedoch vermutet politische Absichten der Universitätsleitung dahinter. Der umstrittene Präsident der Hochschule, Park Beom Hun, ist ein enger Vertrauter aus dem Umfeld des Wahlkampf-Teams von Präsident Lee Myung Bak.

Professor Jin hingegen ist einer der bekanntesten und schärfsten Kritiker in der südkoreanischen Gesellschaft. Mit der neuen Regierung und besonders mit dem Rindfleischskandal letzten Jahres war Jin wieder auf die öffentliche Bühne zurückgekehrt, nachdem er sich in den vergangenen Jahren mehr und mehr zurückgezogen und auf seine akademische Arbeit beschränkt hatte. Auch seine Lehraufträge an anderen Universitäten wurden ihm in der Folge gestrichen.

Werden die Medien „erobert“ und „gleichgeschaltet“?

Alle diese Beispiele sind Teil einer zweiten Welle von Personalien in der Medienlandschaft. Anfang letzten Jahres, kurz nach dem Amtsantritt Lee Myung Baks, wurden zunächst (in einer ersten Welle) die Intendanten der wichtigsten Fernsehanstalten ausgewechselt. Weitere Personalreformen sorgten dafür, dass die Gremien, die für Personal und Inhalte zuständig sind, so zusammengesetzt sind, dass regierungsnahe Mitglieder die Mehrheit haben.

Die rechtskonservative Regierungspartei GNP, die eine deutliche Mehrheit im Parlament hat, hat Gesetze erlassen, die eine strenge Internetzensur zulassen. Jüngst wurde das sogenannte Mediengesetz „durchgepeitscht“, wonach Großunternehmen und großen (fast ausschließlich rechtskonservativen) Zeitungshäusern der Zugang zum Fernsehmarkt zugänglich gemacht wird.

Austausch der Intendanten, Absetzen von kritischen Sendungen, Entlassung von Journalisten, Erlassung von die Meinungsfreiheit gefährdenden Gesetzen – viele sehen in diesen Entwicklungen eine gezielte Medienpolitik der „Gleichschaltung“ seitens der Regierung, die unter dem „Schock“ der Kerzendemonstrationen des vergangenen Jahres leide.

Ein jüngster Kommentarfast diese Ansicht wie folgt zusammen:

„Die Abteilung für Staatssicherheit wird wiederbelebt, die Bespitzelung von Zivilisten durch den militärischen Geheimdienst wird wieder aufgenommen und sogar die Mithaftungsregelung soll wieder eingeführt werden. Nicht nur hat man das Mediengesetz durchgepeitscht, um die Rundfunkanstalten unter Kontrolle zu bekommen, sondern selbst kritische Medienmenschen aus dem Entertainmentbereich verjagt. Yun Do Hyeon und Shin Hae Cheol sind schon abgefertigt worden und nun war Kim Je Dong dran. Wenn das so weiter geht, werden wir die Auferstehung der „Ddaengjeon News“ der 80er Jahre wiedererleben.“

Dieser Kommentar spiegelt eine Seite der Debatte wieder. Obgleich selbst die Financial Times früh davor warnte, das mit der Regierungspolitik Präsident Lees die „politische Uhr zurückgedreht“ würde. Auf der anderen Seite der Debatte spricht man von „übertriebenen Anschuldigungen“, „Verschwörungen gegen die Regierung“ und „unnötigem Überpolitisieren“. 

Die Tragödie der südkoreanischen Politik: nur mit liebsamen Komödianten

Dass hier eine eindeutige Überpolitisierung stattfindet, wird kein Beobachter von der Hand weisen können. Nur wer was mit welchen Absichten überpolitisiert, darüber lässt sich streiten. In diesem Zusammenhang ist interessant, zur Kenntnis zu nehmen, dass es in Fällen anderer Medienmenschen, wie dem Komiker Shim Hyeon Seob, dem Sänger Kim Heung Guk oder dem Schauspieler Lee Cham zu keiner merklichen Politisierung gekommen  war.

Komiker Shim hatte bei den Präsidentschaftswahlen 2002 den rechtskonservativen Kandidaten Lee Hoi Chang öffentlich und aktiv unterstützt, hat aber keine merklichen Nachteile im Nachhinein erfahren, obgleich Lees scharfer Kontrahent Roh Moo Hyun Präsident geworden war.

Sänger Kim, der den Präsidentschaftskandidaten Jeong Mong Jun unterstützt hatte, der sich kurz vor der Wahl mit Roh Moo Hyun auf eine gemeinsame Kandidatur geeinigt hatte, um dann noch kurzfristiger wieder seine Kooperation aufzukündigen, sorgte 2005 für einen Skandal. In seinem Buch stellte er die Behauptung auf, dass die Meinungsumfrage, nach der schließlich Roh zum gemeinsamen Kandidaten für die Präsidentschaft gewählt wurde, manipuliert worden sei. Dennoch erhielt Kim während der gesamten Zeit der Roh-Regierung Engagements beim Radiosender SBS und selbst bei Sitcoms der Fernsehanstalt MBC. Später wurde ihm sogar mit dem Ehrenamt des „Bürgerbotschafters“ des Justizministeriums anvertraut.

Lee Cham, ein eingebürgerter Deutscher, der seit Jahrzehnten in Südkorea lebt und u.a. als Schauspieler erfolgreich ist, war während des Präsidentschaftswahlkampfes 2007 der Verantwortliche für das Kanalprojekt von Präsidentschaftskandidat Lee Myung Bak. Vor Kurzem wurde er als erster Südkoreaner mit Migrationshintergrund zum Chef der staatlichen Tourismusagentur ernannt.

Schaut man in die USA, wo sich bei Präsidentschaftswahlen häufig Schauspieler und andere Bekanntheiten einschalten, zeigt sich, dass den Betreffenden fast nie Nachteile durch ihre politische Partizipation entstehen. Im Gegenteil: zum Beispiel wurde die bekannte Schauspielerin und politische Aktivistin Jane Fonda 2005 zu einem Gala-Dinner ins Weisse Haus eingeladen, obgleich sie nur ein Jahr zuvor die Bush-Regierung öffentlich heftig für die Irak-Invasion kritisiert hatte.

Wie auch immer schließlich die Bewertung der aktuellen Entlassungswelle in Südkoreas Medienlandschaft ausfallen wird, zeigt sich jetzt schon, dass es sich um eine „Tsuhallyu“ handelt – eine tsunamiartige Entwicklung, bei sich der zuerst das Wasser gespenstisch ins Meer zurückzieht, um dann mit voller Wucht für große Verwüstung zu sorgen.