Migration und Flucht

Ein Blog des Lateinamerika-Intituts der Freien Universität Berlin

Deutsch-Arabisches Tandemtreffen

Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge belegt Syrien im Jahr 2015 in der Liste der zehn zugangsstärksten Herkunftsländer in der Bundesrepublik Deutschland Platz 1. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das, dass die Gesamtzahl der Asylerstanträge von Personen mit syrischer Nationalität 158.657* betrug. Um diese enorme Zahl zu veranschaulichen, lässt sich im Vergleich dazu die Anzahl der Asylerstanträge von Personen albanischer Herkunft betrachten. 2015 waren es insgesamt 53.805. Albanien belegt daher den zweiten Rang der zugangsstärksten Herkunftsländer. Anhand dieser Zahlen erkennt man, dass eine enorme Menge an Syrern und Syrerinnen nach Deutschland gekommen sind. 66,6% der Anträge wurden von Syrer*innen gestellt , die sich der Ethnie der Araber zuordnen lassen. Dementsprechend bestand im Jahr 2015 ein riesiges Bedürfnis daran, den Sprachaustausch zwischen Deutschen und Arabern zu fördern.

Seit dem Wintersemester 2014 belege ich an der Freien Universität Berlin einen Sprachkurs der arabischen Sprache im Rahmen des ABV-Moduls. Da ich selbst in einer palästinensisch-deutschen Familie aufgewachsen bin, habe ich einen engen Bezug zur arabischen Kultur und Sprache. Mit Hilfe des Kurses wollte ich meine Sprachkenntnisse  verbessern und endlich lernen, die arabische Schrift zu schreiben. Zu jenem Zeitpunkt war die Zuwanderung von syrischen Staatsbürgern noch kein großes Thema, weshalb es weniger Student*innen gab, die Arabisch-Kurse belegen wollten. Mich in den ABV-Unterricht von Dozentin Nour anzumelden, war daher keine Schwierigkeit.

Die folgenden drei Semester besuchte ich weiterhin Arabisch-Kurse an der FU bei Nour. Als im Sommer 2015 überall nur noch von syrischen Geflüchteten die Rede war, besprachen wir dieses Thema auch in ihrem Unterricht. Mehrere Stundent*innen waren bereits in Kontakt mit arabischsprachigen Syrer*innen in Kontakt getreten und halfen am LaGeSo oder in Unterkünften für Geflüchtete. Unsere Dozentin schlug uns daher vor, den Kontakt zu diesen Personen zu intensivieren und ein Sprachaustausch-Programm zu veranstalten. Es bot sich einfach an, denn wir waren bereits auf einem fortgeschrittenen Niveau des Arabischen und benötigten nur noch Übung beim Sprechen. Andererseits könnten wir den Syrer*innen dabei helfen, Deutsch zu lernen und in Kontakt mit Einheimischen zu treten. Eine Kommilitonin, die sehr engagiert mit Geflüchteten arbeitete, verschaffte uns den Kontakt zu vielen Personen, die an einem Tandem-Treffen interessiert waren. Eine weitere Studentin hatte gute Kontakte zu einer Jugendeinrichtung in Berlin-Mitte, in der wir einen Tag in der Woche kostenfrei einen Raum zur Verfügung gestellt bekommen haben.

Nach ungefähr einem Monat Vorbereitungszeit fand das erste Austausch-Treffen Anfang Dezember 2015 statt. Es kamen ausschließlich syrische Männer, im Alter von 18 bis 26 Jahren, die sehr motiviert und interessiert waren. Da mehr syrische als deutsche Teilnehmer anwesend waren, saß meistens eine deutsche Person mit zwei/drei Syrern an einem Tisch. Die ersten Minuten verliefen etwas unkoordiniert, da niemand etwas vorbereitet hatte, sondern alle auf spontane Einfälle hofften. Doch nach kurzer Zeit kamen alle Anwesenden ins Gespräch und tauschten Geschichten und Sprachkenntnisse aus. Ich saß zufälligerweise mit einem Syrer am Tisch, dessen Eltern Palästinenser sind. Er erzählte mir, dass er im palästinensischen Flüchtlingscamp „Yarmouk“ in Damaskus geboren und aufgewachsen sei. In seinem Pass sei vermerkt, dass er Palästinenser ist, obwohl er niemals in den palästinensischen Gebieten gewesen ist. Es sei allerdings sein Lebenstraum, einmal in das Land seiner Vorfahren zu reisen, doch für Syrer ist es von Seiten der israelischen Regierung aus verboten, diese umkämpfte Region zu betreten. Ich fragte ihn, ob er Einschränkungen in Syriern erfahren hat, da in seinem Ausweis gekennzeichnet wurde, dass er Palästinenser ist. Er sagte mir, dass ihm das Wahlrecht in Syrien vorenthalten wird.

Im weiteren Verlauf unseres Gesprächs erzählte er mir unaufgefordert von seiner Fluchterfahrung und seinen ersten Tagen in Deutschland. Ich war sehr schockiert hören zu müssen, dass die Unterkunft, in der er zu Beginn untergebracht wurde, von Anwohnern des mecklenburgischen Dorfes angezündet wurde. Ich hatte das Gefühl, dass er ein dringendes Bedürfnis danach hatte, seine traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten und sich darüber mit einer Person auszutauschen, die nicht auch traumatisiert war. Zu dem Zeitpunkt unseres ersten Treffens war in einer Turnhalle mit Hunderten anderen Geflüchteten untergebracht, die kurz zuvor ins Land gekommen sind. Bei vielen Syrer*innen habe ich im Laufe unserer Treffen immer wieder festgestellt, dass sie sich danach sehnten, Kontakt zu Deutschen zu haben, die sie nicht auf ihre Flucht reduzieren, sondern sie mit in ihre Freundeskreise integrieren und mit ihnen alltägliche Dinge unternehmen. Es gab immer wieder Personen, die das Bedürfnis danach hatten, über ihre Fluchterfahrung und ihre traumatischen Erlebnisse in Syrien zu sprechen. Doch der Mehrheit der Personen, die ich kennen gelernt habe, hat man nicht angemerkt, dass sie aus einem Kriegsgebiet geflohen sind und womöglich schreckliches mit angesehen haben.

Das Tandem-Treffen fand bis Juni 2016 regelmäßig jeden Mittwoch statt. Es gab einen Kern an Personen, die jede Woche kamen und andere, die unregelmäßig oder nur ein Mal kamen. Ihre Deutsch-Niveaus waren sehr unterschiedlich, da einige von ihnen bereits seit mehreren Jahren in Deutschland lebten. Alle jedoch besuchten einen Deutsch-Kurs und benötigten daher von uns Hilfe bei ihren Hausaufgaben. Ich stellte auch fest, dass zu einem späteren Zeitpunkt viele von ihnen nicht wegen des Spachaustauschs kamen, sondern lediglich um uns, ihre Freunde, wieder zu sehen. Sie sprachen bereits gut Deutsch und sahen das wöchentliche Treffen als eine Art Verabredung mit Freunden an. Tatsächlich sahen wir uns außerhalb des Tandem-Treffens immer öfter und gingen zusammen auf Konzerte syrischer Musiker oder zu Museums-Führungen, die wir auf arabischer Sprache organisieren konnten. Wenn Hilfe bei einem Termin beim Jobcenter benötigt wurde oder ein Brief der GEZ ausgefüllt werden musste, trafen sich einige der deutschen Student*innen in ihrer Freizeit mit den Syrer*innen. Bis zum heutigen Tag besteht ein sehr enges Verhältnis zwischen den Teilnehmern des Tandem-Treffens. Sie sind mittlerweile ein fester Bestandteil meines Freundeskreises und ich bin sehr froh, dass ich diese Personen kennen gelernt habe. Es ist eine Bereicherung für beide Seiten des Austausches, da wir alle voneinander lernen können. Bei unseren Treffen ging es nicht nur um den Spracherwerb, sondern auch darum, den geflüchteten Personen ihre Würde zurück zu geben und ihnen zu zeigen, dass sie aufgrund ihrer Flucht nicht weniger Wert sind als wir. Sie sind kultivierte und respektvolle Menschen, die es verdienen, in unserer Gesellschaft aufgenommen zu werden. Mit Hilfe unseres Tandems haben wir es schaffen können, den Syrer*innen einen leichten Einstieg in die deutsche Sprache zu ermöglichen und darüberhinaus sie in unseren Kreisen willkommen zu heißen.

Andererseits haben wir die Möglichkeit gehabt, interessante und sympatische Menschen kennen zu lernen, die sich nach Zugehörigkeit und Akzeptanz sehnen. Es war eine sehr tolle Erfahrung und ich freue mich schon auf die kommenden Jahre, die ich mit neuen Freunden verbringen darf.

*https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Broschueren/bundesamt-in-zahlen-2015-asyl.pdf?__blob=publicationFile14034868_1275875065758223_8391021189995705661_n


13920984_1269521436393586_1749231610603788934_n

13627215_1238528752826188_4577356411384274835_n

Unser erstes Treffen, Dezember 2015.

Unsere Facebook-Gruppe

Eine weitere Gruppe, in der wir interessante Artikel oder Veranstaltungen teilen

 

Tags: , , ,

Der Beitrag wurde am Samstag, den 8. Oktober 2016 um 05:18 Uhr von Leila Masri veröffentlicht und wurde unter Migration nach Europa abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf Ihrer Seite einrichten.

Schreibe einen Kommentar

Captcha
Refresh
Hilfe
Hinweis / Hint
Das Captcha kann Kleinbuchstaben, Ziffern und die Sonderzeichzeichen »?!#%&« enthalten.
The captcha could contain lower case, numeric characters and special characters as »!#%&«.