„Do not come, Do not come“ – mit diesen Worten setzte die US-Vizepräsidentin Kamala Harris in Guatemala auf ihrer ersten Auslandsreise ein klares Zeichen an die Menschen in Zentralamerika. Bereits im März dieses Jahres stellte US-Präsident Joe Biden in einem ABC-Interview klar: „I can say quite clearly: Don’t come“. Zwei eindeutige Botschaften für all diejenigen auf dem Weg in die USA. Im Wahlkampf war die Hoffnung noch groß. Biden versprach weitreichende Reformen und drängte darauf, die Migrationspolitik seines Vorgängers rückgängig zu machen. Doch der Druck steigt. Allein im Juni wurde an der südlichen Grenze der USA über 178.000 Menschen ohne gültige Papiere die Einreise verwehrt[1]. Viele davon sind unbegleitete Minderjährige.
Was der US-Präsident bisher (nicht) getan hat, was es mit dem “Titel 42“ auf sich hat und warum Guatemala so entscheidend ist
Kamala Harris besuchte nicht ohne Grund als erstes die Republik Guatemala. Ihre Grenze ist die letzte zwischen Mexiko und den USA und damit wichtige Station für Migrantinnen und Migranten aus ganz Süd- und Zentralamerika. Dies erkannte die US-Regierung unter Trump und drängte 2019 Guatemala zu einem Migrationsabkommen, dass sie aus US-Sicht als „sicheren Drittstaat“ erklärte. Migrant:innen mussten so auf dem Weg in die USA in Guatemala Asyl beantragen und vorerst im Land bleiben. Zu Beginn seiner Amtszeit rückte schließlich Präsident Biden von der umstrittenen Asylregelung mit Guatemala ab. Asylsuchende können somit nicht mehr unmittelbar nach Guatemala abgeschoben werden, wenn sie auf dem Weg in die USA das zentralamerikanische Land betreten haben. Aber auch mehr und mehr Guatemaltekinnen und Guatemalteken verlassen ihr Land in Richtung USA, um Armut und Korruption zu entfliehen.
Parallel zu Harris Aufenthalt in Guatemala fiel ein Urteil des Obersten Gerichtshofs, dass Eingewanderte mit TPS-Status, die illegal eingereist sind und die bislang aus humanitären Gründen in den Vereinigten Staaten leben konnten, nicht berechtigt sind, einen Antrag auf dauerhaften Wohnsitz in den USA zu stellen[2]. Der TPS-Status wird Menschen gewährt, die aus Ländern kommen, die von Krieg oder Katastrophen heimgesucht wurden. Er schützt sie vor Abschiebung und erlaubt ihnen, legal zu arbeiten. Es gibt aktuell ca. 400.000 Menschen aus 12 Ländern mit TPS-Status, darunter Haiti, Honduras, Nicaragua, und Venezuela[3]. Zwar gibt es bereits Gesetzesvorhaben, die es Menschen mit TPS-Status ermöglichen würden eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, doch hält die Biden-Administration den Standpunkt, dass es illegal ins Land Gekommenen nicht erlaubt ist eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen.
Auch bei der Aufnahme von Geflüchteten war zunächst keine Kehrtwende zu erkennen. Zunächst sollte an der „Obergrenze“ für Geflüchtete von maximal 15.000 pro Haushaltsjahr (1.Oktober bis 30. September) festgehalten werden. Nach deutlicher Kritik wurde diese Begrenzung dann im Mai auf 62.500 angehoben und soll im nächsten Haushaltsjahr bei 125.000 liegen[4]. Als diese „Obergrenze“ als Resettlement-Kontingent in den frühen 1980er Jahren geschaffen wurde, lag die Zahl noch bei 200.000.
„Titel 42“
Die Covid-19-Pandemie hat die ohnehin schon schwierige wirtschaftliche Lage in den Ländern Guatemala, Honduras und El Salvador noch verschlimmert. So stiegen auch die vom Heimatschutzministerium genannten Encounters an der Südgrenze 2021 deutlich an. Über 41 Prozent kamen aus den drei zentralamerikanischen Ländern und stellen neben Mexiko (41,73 %) die größte Gruppe dar1. Durch den noch bestehenden „Titel 42“, können unter Verweis auf die Gefahren der Pandemie alle von der Grenzpolizei entdeckten Volljährigen umgehend nach Mexiko abgeschoben werden. Dies betrifft auch diejenigen, die sich bereits in den USA befinden und um Schutz bitten wollen. Die Policy bezieht sich eigentlich auf eine Bestimmung des US-Gesundheitsgesetzes, das der Regierung die Möglichkeit gibt Menschen, die in das Land einreisen, unter Quarantäne zu stellen, sofern dies notwendig ist. Die Trump-Administration missbrauchte diese Gesetzesgrundlage und erließ eine Anordnung, dass Asylbewerber, die an der Grenze zwischen den USA und Mexiko ankommen, schnell ausgewiesen werden können ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, Asyl zu beantragen. Eine klare Verletzung des Asylrechts. Laut Regierungskreisen sollte diese Policy Ende Juli 2021 fallen. Angesichts der Ausbreitung der Delta-Variante und steigender Fallzahlen entlang der südlichen US-Grenze scheint man jedoch am „Titel 42“ festzuhalten. Beamte der Biden-Administration sprachen davon, dass die Abschiebung von Familien im Schnellverfahren wieder eingeführt werde, während sie gleichzeitig stillschweigend zugaben, dass die Politik des „Titel 42“ weiterhin angewandt werden wird[5]. Die abschreckende Wirkung, worauf die Trump-Regierung durch „Titel 42“ hoffte, blieb aus. Und auch die jetzige Regierung wirkt eindeutig überfordert und planlos wie mit dem Asylsystem weiter verfahren werden soll.
Bidens Kurs hinsichtlich „illegaler“ Migration und sein außenpolitisches Handeln durch seine Vertreterin Kamala Harris muss auch im Kontext US-amerikanischer Innenpolitik betrachtet werden. Die Demokraten stehen stark unter Druck. Im Herbst 2022 stehen sie vor der Herausforderung bei den Zwischenwahlen ihre hauchdünne Mehrheit im Kongress zu verteidigen. Gerade das Thema Migration politisiert in den USA und lässt sich leicht instrumentalisieren. Der menschenverachtende Kurs seitens der Republikaner bleibt unverändert. Der texanische Gouverneur Greg Abbott hält trotz Stilllegung des Baus durch Biden an der Grenzmauer zu Mexiko fest und sammelt Spenden für den Weiterbau. Die Hälfte der texanischen Wahlberechtigten unterstützen das Vorhaben[6]. Keine guten Aussichten für einen langfristigen Wandel in der Migrationspolitik.
Einfluss der US-Regierung auf Push-Faktoren
Neben der Grenzpolitik setzt die US-Regierung verstärkt auf Hilfeleistungen für Zentralamerika. Im April hatte Harris in einem Gespräch mit dem guatemaltekischen Präsidenten Alejandro Giammattei die Zahlung zusätzlicher Hilfsgelder von 310 Millionen Dollar an Guatemala, Honduras und El Salvador angekündigt[7]. Das Ziel die Lebensverhältnisse in den Herkunftsländern zu verbessern, ist mitnichten falsch, doch keineswegs eine neue Strategie. Bereits Vize-Präsident Biden leitete einen enormen Versuch, Menschen von der Einreise in die USA abzuhalten, indem er hunderte von Millionen Dollar für Zentralamerika bereitstellte. Allein nach Guatemala flossen in den letzten 10 Jahren mehr als 1,6 Milliarden US-Dollar[8]. Gleichzeitig stiegen die Armutsraten, die Unterernährung wurde zu einer nationalen Krise und die Korruption bleibt ungezügelt. Wie ist das trotz umfassender finanzieller Unterstützung möglich? Expert:innen gehen davon aus, dass von 2016 bis 2020 rund 80 % der Entwicklungsprojekte in Zentralamerika an amerikanische Auftragnehmer:innen vergeben wurden. Dies ermöglicht zwar eine bessere Überwachung der Gelder, doch landen zu wenig Gelder direkt bei den Gemeinden, für die sie bestimmt sind. So wünschen sich beispielsweise Bauern in San Antonio Huista, die ihr Geld mit dem Verkauf grüner, unverarbeiteter Kaffeebohnen an einige wenige große guatemaltekische Unternehmen verdienen, ihren eigenen Kaffee zu rösten und an amerikanische Unternehmen für bessere Rendite zu verkaufen8.
„Anstatt meinen Bruder, meinen Vater, meinen Sohn zu schicken, schicke ich lieber meinen Kaffee, und sie werden mich in Dollar bezahlen.“ 8
– Esteban Lara, Leiter einer lokalen Kaffeekooperative
Dies ließe sich auch auf den Orangen- und Kardamomanbau ausweiten. Was benötigt wird sind Investitionen in ein wirtschaftliches Gerüst, das den unternehmerischen Bauern zugutekommt. Konkret hieße dies, Zugang zu Nutzungsflächen und Wasser, Ausbau der Infrastruktur, Kredite und der entscheidende direkte Verkauf an die Verbraucher:innen[9]. Weniger braucht es Seminare über Themen, die Landbevölkerungen längst verinnerlicht haben, wie sie zum Beispiel durch die US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit U.S.A.I.D. angeboten werden. Wichtig wäre es, sich von der Zusammenarbeit immer gleicher Unternehmer:innen zu lösen und direkt mit der lokalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten.
Migration im Wandel
Lange Zeit war die Migration in die USA stark geprägt von meist alleinstehenden Mexikaner:innen mit der Hoffnung auf bessere Löhne. Ab 2014 bemerkten die US-Behörden dann eine große Veränderung. Vermehrt erreichten Migrant:innen aus dem nördlichen Dreieck (Guatemala, Honduras, El Salvador) die USA. Länder, die unter starker Bandenkriminalität, Korruption und Hunger leiden. Es geht für viele Menschen schlichtweg um das Überleben. Während weiterhin zwischen Geflüchteten und Migrant:innen unterschieden wird, wird nun oftmals von Überlebensmigrant:innen gesprochen, so wie Alexander Betts, Experte für Migration an der Universität Oxford. Diese konstruierte Unterscheidung bedeutet im Klartext: Anerkannte Geflüchtete, die ihr Heimatland verlassen mussten, können legal nicht abgeschoben werden. Aus Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention geht hervor, dass eine Person als „Flüchtling“ gilt, „wenn sie sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt oder in dem sie ihren ständigen Wohnsitz hat, und die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung hat und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht vor Verfolgung nicht dorthin zurückkehren kann“. Auf die wenigsten Menschen aus dem nördlichen Dreieck auf dem Weg in die USA trifft diese Definition zu. Auch von den Millionen von Menschen, die der politischen und humanitären Krise in Venezuela entfliehen, können sich nur die wenigsten auf die Genfer Flüchtlingskonvention berufen. Effektiv wäre eine flexiblere Gestaltung der Einreise. So ergab eine Umfrage aus dem Jahr 2018, dass nur ein Viertel der Befragten Guatemaltekinnen und Guatemalteken an einem dauerhaften Aufenthalt in den Vereinigten Staaten interessiert ist. Diese Entscheidung änderte sich nicht grundlegend, sobald sie in den Vereinigten Staaten lebten. Auch planen nur wenige guatemaltekischen Migrant:innen, die derzeit von ihren Kindern getrennt sind, diese nachzuholen[10].
Bei der Betrachtung von Zahlen und Fakten gerät schnell in Vergessenheit, dass es immer um einzelne Schicksale geht und jede Migrantin, jeder Migrant seine eigene persönliche Geschichte mitbringt. Ob nun der „Titel 42“ bestehen bleibt oder nicht, oder ob das Kontingent für Geflüchtete erhöht wird, sind lediglich punktuelle Veränderungen. Was es braucht ist ein Umdenken hinsichtlich der Migration und Nationalstaatlichkeit im Allgemeinen. Der Grundsatz muss lauten: Kein Mensch ist illegal.
[1] https://www.cbp.gov/newsroom/stats/southwest-land-border-encounters-by-component
[2] https://www.voanews.com/usa/supreme-court-migrants-temporarily-us-ineligible-permanent-residency
[3] https://apnews.com/article/us-supreme-court-middle-east-courts-supreme-courts-immigration-d177dae90bcc6d30dcc4e88bd0ae3a6d
[4] https://www.nytimes.com/2021/05/03/us/politics/biden-refugee-limit.html
[5] https://www.washingtonpost.com/immigration/title-42-biden-border-covid/2021/07/28/aeeca526-efa7-11eb-ab6f-b41a066381df_story.html
[6] https://edition.cnn.com/2021/06/28/politics/greg-abbott-texas-border-wall-trump-crowdfunding/index.html
[7] https://www.reuters.com/world/americas/us-announces-310-mln-humanitarian-food-aid-guatemala-honduras-el-salvador-2021-04-27/
[8] https://www.nytimes.com/2021/06/06/world/americas/central-america-migration-kamala-harris.html?searchResultPosition=4
[9] https://www.nytimes.com/2021/06/07/opinion/kamala-harris-guatemala.html?searchResultPosition=2
[10] https://publications.iadb.org/publications/english/document/In-the-Footprints-of-Migrants-Perspectives-and-Experiences-of-Migrants-from-El-Salvador-Guatemala-and-Honduras-in-the-United-States.pdf