Migration und Flucht

Ein Blog des Lateinamerika-Intituts der Freien Universität Berlin

Die gefährliche Flucht durch den Darién-Gap: Herausforderungen, Risiken und die Notwendigkeit sicherer Routen

Seit Anbeginn der Zeit ist die Menschheit in Bewegung. Auf der Suche nach neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten und Horizonten gibt es sowohl Menschen, die aufgrund von Verfolgung, Gewalt oder Katastrophen fliehen müssen, als auch solche, die freiwillig migrieren, um bessere Lebensbedingungen zu finden. Beide Phänomene, Flucht und Migration, haben weitreichende Auswirkungen – sei es politisch, wirtschaftlich, sozial, humanitär oder im Bereich der Menschenrechte.

Die Darién-Route: Eine gefährliche Fluchtroute

Ein Beispiel für eine Flucht- und Migrationsroute ist die im „Darién-Gap“, die von Kolumbien nach Panama führt, welche die einzige Landverbindung zwischen Süd-und Nordamerika darstellt. Die Überquerung dauert etwa eine Woche zu Fuß und führt durch ein unwegsames Gelände, in dem es weder Straßen noch Nahrungsmittel oder Schutzhütten gibt. Migranten sind dabei nicht nur den natürlichen Gefahren des Dschungels, sondern auch Kriminellen und wilden Tieren ausgesetzt. Laut den Vereinten Nationen entwickelt sich der Darién-Dschungel zunehmend zu einer zentralen Flüchtlingsroute in Richtung USA. Viele Menschen entschließen sich, diese gefährliche Route zu nehmen, weil sie in ihren Herkunftsländern unter staatlicher Willkür, Bandengewalt, Drogenkriminalität, Wirtschaftskrisen und klimatische Ereignisse leiden. Diese Migration findet vor dem Hintergrund verschärfter Einreisebeschränkungen in den Zielländern statt, was die Situation zusätzlich erschwert. Laut den Vereinten Nationen und der IOM gehören zu den Haupt-Herkunftsländern der Migranten Venezuela, von dem 55% der Migranten stammen, Haiti mit 14% und Ecuador (14%). Zudem gibt es auch Migranten aus Kolumbien, Kuba, Peru, China, Afghanistan und Nepal (2022). Die Route birgt zahlreiche Risiken, darunter Menschenrechtsverletzungen, sexuelle Gewalt, Morde und Menschenhandel, zusätzlich zu den natürlichen Gefahren des Dschungels. Außerdem sind dort noch immer Landminen vorhanden, die aus früher bewaffneten Konflikten im Darién-Dschungel stammen. Trotz all dieser Gefahren treibt die Hoffnung auf ein besseres Leben immer mehr Migranten dazu, dieser gefährliche Weg auf sich zu nehmen.[1]/[2]

Abbildung 1: Migrationsroute im Darién- Dschungel

Notwendigkeit sicherer Fluchtrouten

In diesem Zusammengang warnte die IOM, dass eine Behinderung der regulären Migration nur dazu führt, dass Menschen gefährlichere Wege einschlagen und die Taschen der Schleuser füllen. Ebenso betonte das UNHCR, dass restriktive Maßnahmen, die Asylhindernisse schaffen und Menschen an Orte zurückschicken, an denen ihr Leben in Gefahr ist, dem internationalen Flüchtlingsrecht zuwiderlaufen und nicht die richtige Antwort darstellen. Angesichts dieser Warnungen wird deutlich, dass sichere und regulierte Fluchtrouten unverzichtbar sind, um das Leben und die Würde von Migranten zu bewahren, die sich täglich auf die Suche nach einer besseren Zukunft begeben.[3]

Solche sicheren Routen würden nicht nur Schutz für Migranten bieten, sondern auch dazu beitragen, kriminelle Netzwerke zu bekämpfen, die von ihrer Notlage profitieren. Dies wird oft von Menschenrechtsorganisationen gefordert.[4] Es herrscht inzwischen breiter Konsens unter internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, sowie 

der Internationalen Organisation für Migration (IOM),[5] dass solche Maßnahmen dazu beitragen können, das Ausmaß gemischter und irregulärer Migration zu verringern und die Wirtschaft in den Zielländern zu stärken. Doch an was scheitert eine solche sichere Fluchtroute in Darién?[6]

Zwischen Gesetz und Realität: Die humanitäre Herausforderung im Darién-Gap

Die COVID-19-Pandemie hat die Migrationssituation im Darién-Gap dramatisch verschärft, als Kolumbien und Panama von einem massiven Anstieg der Migrantenströme überrascht wurden. Zwischen 2020 und 2021 stieg die Zahl der Migranten, die die gefährliche Route durch den Darién-Dschungel wählten, stark an, und im Jahr 2022 nahm diese Zahl weiter zu. Dieser plötzliche Anstieg überforderte beide Länder erheblich, da sie nur unzureichend auf die neuen Herausforderungen vorbereitet waren.

In beiden Ländern verpflichten internationale und nationale Gesetze die Staaten dazu, die Rechte von Migranten zu wahren. Dazu gehört der Zugang zu Asylverfahren, die Gewährleistung von Sicherheit sowie die Bereitstellung von Grundbedürfnissen wie Nahrung, Wasser und medizinischer Versorgung. Doch in der Praxis zeigte sich schnell, dass die staatlichen Strukturen diesen Aufgaben nicht gewachsen waren. Die ersten Hilfsmaßnahmen kamen überwiegend von lokalen Gemeinden und Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die jedoch weder die nötigen Ressourcen noch die logistische Vorbereitung hatten, um dem massiven Zustrom gerecht zu werden.

In Kolumbien mussten beispielsweise Kommunen wie Juradó[7] improvisieren. Mangels geeigneter Unterkünfte wurden Migranten über Nacht in öffentlichen Gebäuden untergebracht, indem Matratzen in den Lobbys ausgelegt wurden. In einigen Fällen versuchten lokale Behörden, ihrer Verantwortung auszuweichen, was zu tragischen Vorfällen führte. So kenterte im Dezember 2021 ein Boot an der Pazifikküste, bei dem zehn Migranten ertranken. Die Leichen blieben über eine Woche am Strand liegen, während sich zwei lokale Verwaltungen darüber stritten, wer für die Bergung zuständig sei.

Auch zivilgesellschaftliche Organisationen, die humanitäre Hilfe leisten, zeigten sich besorgt über die begrenzte Zeit, die ihnen zur Verfügung steht, um sich um die Migranten zu kümmern. Diese erschwert die Erkennung und Behandlung von Fällen sexueller Gewalt, die Bearbeitung von Asylanträgen und die Bewertung des Schutzbedarfs. Internationale NGOs berichteten zudem von Schwierigkeiten, die notwendigen Genehmigungen der panamaischen Regierung zu erhalten, um in den entscheidenden Gebieten des Darién-Gaps tätig zu werden. Dies verzögerte die Lieferung lebenswichtiger Hilfsgüter und erschwerte die Koordination der humanitären Hilfe.

Für Kolumbien stellen sich die Herausforderungen jedoch nicht nur im Darién-Gap, sondern beginnen bereits an den anderen Landesgrenzen. Als Transitland und Knotenpunkt zwischen Mittel- und Südamerika ist Kolumbien ein bedeutender Durchgangsort für die Migration sowohl in nördlicher als auch in südlicher Richtung. Viele Migranten, die durch Kolumbien reisen, haben das Ziel, in die Vereinigten Staaten zu gelangen, in der Hoffnung, dort bessere Lebensbedingungen zu finden. Auf ihrem Weg durchqueren sie Länder wie Ecuador und Venezuela, oft ohne gültige Papiere. An diesen Grenzen hat Kolumbien ein gut etabliertes Migrationskontrollsystem aufgebaut, das den Transit überwacht, die Legalität der mitgeführten Dokumente überprüft und illegale Migranten gegebenenfalls abschiebt. Angesichts der gewaltigen Herausforderungen, die die Massenmigration mit sich brachte, verschärften sich jedoch die diplomatischen Spannungen zwischen Kolumbien und Panama. Panamaische Behörden warfen Kolumbien vor, an den Grenzen zu Venezuela, Ecuador und Peru nicht genügend Kontrollen durchzuführen, was es Panama erschwerte, genaue Informationen über die Anzahl der Migranten zu erhalten, die beabsichtigen, den Darién-Gap zu durchqueren. 

Im Darién-Gap gestaltet sich die Situation chaotisch. Die kolumbianische Seite der Grenze ist von erheblichen Sicherheitsproblemen geprägt, darunter das Vorhandensein illegaler bewaffneter Gruppen, Drogen- und Menschenhandel. Da Kolumbien hier keine Grenz- und Zollkontrollen durchführt, liegt die gesamte Verantwortung für die Sicherung dieser Grenze bei Panama. Dies stellt für Panama ein erhebliches Sicherheitsproblem dar, da es mit den Konsequenzen dieser unkontrollierten Grenze allein gelassen wird.

Panama verfolgt daher eine vorsichtigere Strategie im Umgang mit der Sicherheitslage im Darién-Gap. Ein zentrales Element dieser Strategie ist die konsequente Ablehnung des Baus der Panamericana[8] durch den Darién. Obwohl die Straße wirtschaftliche Vorteile bringen könnte, würde ihre Errichtung gleichzeitig erhebliche Sicherheitsprobleme verursachen, da sie den Migrantenstrom nach Panama erleichtern würde.  Zudem hätte der Bau der Straße gravierende Umweltauswirkungen. Der Darién-Dschungel, ein wichtiger Teil der „grünen Lunge“ des Kontinents, würde durch die Zerstörung dieser natürlichen Ressourcen erheblich geschwächt, was negative Folgen für die Luftqualität und die Klimaregulierung hätte.

Um diesen Herausforderungen der irregulären Migration zu begegnen, haben Panama und Kolumbien in der Vergangenheit verschiedene Abkommen zur Grenzsicherung und zur Bekämpfung des illegalen Handels geschlossen. Im Jahr 2016 trafen sich beide Länder im Rahmen der Binationalen Grenzkommission (COMBIFRON), um gemeinsame Maßnahmen gegen kolumbianische Guerillagruppen und den illegalen Handel zu verstärken. Wirtschaftliche und energiepolitische Themen wurden ebenfalls regelmäßig erörtert, insbesondere im Rahmen des Abkommens über eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit im Jahr 2013. Im Frühjahr 2021 unterzeichneten beide Länder ein Abkommen über die Zusammenarbeit bei irregulären Migrationsströmen, das den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit der Migrationsbehörden vorsieht, um die Grenzsicherheit zu verbessern.

Trotz dieser Bemühungen bleiben die Herausforderungen in der transnationalen Zusammenarbeit beträchtlich. Panama wirft Kolumbien vor, sich zunehmend von diesen sicherheitsrelevanten Themen abzuwenden, was die Probleme für Panama verschärft. Insbesondere das Fehlen kolumbianischer Grenzkontrollen im Darién-Gap zwingt Panama dazu, allein mit den Sicherheitsrisiken und den humanitären Herausforderungen umzugehen, die durch den unkontrollierten Migrantenstrom entstehen.[9][10]

„Die Situation „hat sich trotz der Verhandlungen mit Kolumbien nicht verbessert, sondern verschlechtert (…)“ Es wurde keine Einigung erzielt, es wurden keine Informationen ausgetauscht und es wurden keine Schritte unternommen, die Panama bei der Bewältigung des irregulären Zustroms, der in den letzten Tagen erheblich zugenommen hat, helfen konnte“[11] (Samira Gozaine ,2023)

Hindernisse für sichere Fluchtrouten

In diesem Artikel wird die schwierige staatliche Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Ländern beleuchtet. Die Schaffung einer sicheren Fluchtroute im Darién-Gap gestaltet sich aus mehreren Gründen als herausfordernd:

Zunächst ist das Gebiet unzugänglich: Der Darién-Dschungel ist ein dicht bewaldetes und sumpfiges Terrain, in dem es kaum Straßen gibt. Die wenigen vorhandenen Wege sind gefährlich und schwer passierbar, was logistische Herausforderungen bei der Schaffung und Erhaltung sicherer Routen mit sich bringt. Zudem ist die Region von Drogenkartellen, Schmugglern und bewaffneten Gruppen kontrolliert, die die Situation weiter komplizieren. Weder Panama noch Kolumbien haben derzeit eine effektive Kontrolle über das Gebiet, was zu einem Mangel an staatlicher Präsenz und damit zu Unsicherheit und fehlender Infrastruktur führt. Panama, das kein Militär hat, hat Kolumbien um Hilfe gebeten, da es über eine gut ausgerüstete Armee verfügt. Doch Kolumbien argumentiert, dass es nicht möglich sei, den Darién Gap militärisch zu sichern. Das Territorium sei extrem schwierig, dicht bewaldet und voller Hügel, was eine militärische Sicherung nahezu unmöglich mache.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist der ökologische Wert des Darién-Dschungels, der als eine der letzten großen zusammenhängenden Regenwaldregionen der Welt gilt. Große Eingriffe, wie der Bau sicherer Routen, könnten erhebliche Umweltschäden verursachen und das empfindliche Ökosystem gefährden. Deshalb lehnen viele Umweltschützer und indigene Gemeinschaften größere Infrastruktureingriffe ab.

Schließlich erfordert die Schaffung sicherer Routen erhebliche finanzielle Ressourcen und eine enge Zusammenarbeit zwischen Panama und Kolumbien. Panama betont, dass es die Migration kontrolliert, geordnet und sicher gestalten möchte, und verhandelt mit Kolumbien über die Möglichkeit, parallele Routen, etwa über den Seeweg, zu etablieren. Doch dafür müssten alle Beteiligten zusammenarbeiten. Bisher sind diese Verhandlungen jedoch ergebnislos geblieben, was die Umsetzung solcher Projekte zusätzlich erschwert.[12]


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Der Beitrag wurde am Freitag, den 20. September 2024 um 01:21 Uhr von Tanya Raquel Brückner Paul veröffentlicht und wurde unter 2024, Allgemein, Beiträge, Migration nach und in den Amerikas abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf Ihrer Seite einrichten.

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