2012
Call for Papers
Titel: KATASTROPHEN – Ausnahme! Zustand?
Kein Ereignis hat die japanische Öffentlichkeit und mit ihm die Japanologie im Jahr 2011 mehr bewegt als das dreifache Unglück von Tōhoku durch Erdbeben, Tsunami und den Reaktorunfall in Fukushima. Schon bald wurde von der „japanischen Katastrophe“ gesprochen, deren Auswirkungen bis weit in die Zukunft die japanische Gesellschaft und ihre Wahrnehmung verändern würden. Das Bedürfnis nach der Auf- und Verarbeitung einer Katastrophe ist daher ebenso selbstverständlich wie problematisch. Ab wann kann man von einer Katastrophe sprechen? Welchen Einfluss übt sie auf die Menschen aus und welche Konsequenzen ergeben sich aus ihr? Besonders Japan scheint durch seine Geschichte Natur- und menschengemachter Katastrophen eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Katastrophe zu fordern. Wir möchten dies daher zum Ausgang nehmen, um das Thema Katastrophe in einem weiteren Kontext zu betrachten.
Das Thema bietet zahlreiche Möglichkeiten der Untersuchung: Sei es aus kulturwissenschaftlicher Sicht in Bezug auf die Thematisierung von Katastrophen in der Literatur, in politikwissenschaftlicher Analyse des Handelns einer Regierung, in Betrachtung der wirtschaftlichen Implikationen oder durch andere, interdisziplinäre Positionen. Dieses breite Themenfeld bietet eine Grundlage für eine kommunikative Reflexion innerhalb eines Symposiums, das der Frage nachgehen soll, welches Bewusstsein sich anhand diesbezüglicher japanischer Phänomene abzeichnet und wie dem Thema aus seinem geschichtlichen Verständnis heraus auch in Zukunft begegnet werden kann.
Die Studentenschaft der Japanologie der Freien Universität Berlin ruft daher Studierende jeder Disziplin und aller Semester zum 2. Studentischen Symposium der Japanologie auf. Wir möchten das Thema vor einem multidisziplinären Hintergrund beleuchten, um es auf vielfältige und ergiebige Weise zu erfassen und verschiedenen Perspektiven aufzuzeigen. Wir würden uns freuen, auch mit KommilitonInnen aus den Japanologien anderer Universitäten in Austausch treten zu können. Das Symposium soll eine Möglichkeit bieten, außerhalb der üblichen Regularien sich und sein Thema oder Forschungsvorhaben in einem japanologischen Kontext erproben zu können.
Interessierte Studierende werden gebeten, bis zum 29.02.2012 ein Abstract (maximal 500 Wörter) sowie eine Kurzbiographie (letzte/geplante Abschlußarbeit, Themenschwerpunkte) an symposium.berlin@gmail.com zu schicken. Die Vortragszeit sollte nicht mehr als 20 Minuten betragen. Für jeden Vortrag sind zunächst 10 Minuten Diskussionszeit vorgesehen.
Melissa Ann Kaul: Katastrophen in den Filmen von Hayao Miyazaki
Julia Leser und Maria Trunk: Radioactivists – Protest in Japan vor und nach Fukushima
Andreas Krautwurst: Das Standortauswahlverfahren für Kernkraftwerke in Japan und dessen ethische und rechtliche Dimensionen in der „Post-Fukushima“ Ära
Lotte Nawothnig: Treugelübde für die Atomlobby oder energiepolitische Kursänderung? – Handlungszwänge einer Katastrophen geplagten japanischen Regierung
Robert Kade: Am Anfang der Erinnerungen – Hiroshima und Fukushima als Beispiele japanischer Gedächtnisorte
Dorothea Mladenova und Justine Walter: „Katastrophe“, „Disaster“, „Saigai“ – Zur Semantik des Extremen
Jens Oliver John: sekinin & site fights
Yui Deschler: Vergangenheit und Heute — Tsunamierzählung, „Feuer der Reisfelder“ (Inamura no hi)
Sandra Beyer: Das Geschlecht der Katastrophe: Japanerinnen und die Probleme ihrer Darstellung als Opfer
Daniela Simon: Das Kaiserhaus in Zeiten der Krise
Melissa Ann Kaul: Katastrophen in den Filmen von Hayao Miyazaki
Es gibt in Japan wohl kaum ein Kind, das nicht mindestens einen Film des Trickfilmstudios Ghibli und seinem Schöpfer Hayao Miyazaki kennt. Von „Totoro“ bis „Ponyo“ sind meistens mehrere dieser Figuren in den japanischen Haushalten zu finden – sei das auf Lunch boxen, Haushaltstüchern, Bettdecken, in Form von Stofftieren, Haushaltsgeräten, etc. – und zeigen somit deutlich ihren Einfluss auf die japanische Populärkultur. Anders jedoch als im Westen, wo die Kinder mehrheitlich mit Disney-Filmen aufwachsen, gibt es in den Filmen von Herrn Miyazaki keine klassische Trennung zwischen Gut und Böse und dazu noch eine starke Akzentuierung auf Katastrophen, mehrheitlich von menschengeschaffenen Naturkatastrophen. Miyazaki selber sagt im Artikel „Disney belügt Kinder“ des Spiegels (25 Ausgabe des Jahres 2003) folgendes:
Die Amerikaner wollen Hits landen und damit viel Geld verdienen. Ich dagegen will vor allem ein Kunstwerk schaffen. Und deshalb täusche ich Kinder nicht über das Leiden in der Welt: Krieg, wirtschaftliche Krisen, Zerstörung der Umwelt. Wenn wir der Realität nicht ins Auge sehen, können wir Kindern keine Geschichten erzählen.1
Nicht weil der Mensch grundsätzlich böse ist, geschehen Katastrophen. Aber durch seinen rücksichtslosen Umgang mit der Umwelt und den Ressourcen und seiner Gier nach Profit werden der Welt Stimuli geboten, solche Ereignisse auszulösen. So zumindest die Botschaft des Studio Ghibli. „Besonders Japan scheint durch seine Geschichte
Natur- und menschengemachter Katastrophen eine wissenschaftliche
Auseinandersetzung mit der Katastrophe zu fordern“ steht in der Ausschreibung dieses Projektes. Ich frage mich, ob das Studio Ghibli mit seinen Filmen nicht vielleicht schon einen gewissen Beitrag zur Sensibilisierung dieses Themas in der japanischen Gesellschaft leistet. Ich möchte in meiner Arbeit nun also der provisorischen Fragestellung nachgehen, wie das Thema Naturkatastrophen in den Filmen von Hayao Miyazaki behandelt und dargestellt wird und was die möglichen Botschaften an die Japanische Gesellschaft sein könnten. Dazu gehe ich nach der hermeneutischen Methode nach Ute Bechdolf vor: In einem ersten Schritt visualisiere ich eine vorher festgelegte Auswahl von Ghibli-Filmen, welche das Thema behandeln, und halte meine ersten Eindrücke fest. In einem zweiten Schritt versuche ich Fragestellungen zu formulieren, die sich auf die Hauptfragestellung beziehen, welche aber auch im kulturwissenschaftlichen Kontext Sinn machen und die gleichzeitig mein eigenes Interesse widerspiegeln. Im dritten Schritt suche ich nach Sekundärliteratur, mit welcher ich meine Fragestellung beantworten kann . Mit diesem Wissen visualisiere ich die Filme nochmals und achte besonders auf die vier Hauptebenen (narrative, darstellerische, visuelle und auditive Ebene) und darauf, wie die Katastrophen dargestellt werden. In einem weiteren Schritt versuche ich, meine Ergebnisse in einen erfassbaren Kontext zu bringen. Nach erfolgter Kontextualisierung wage ich mich an eine Interpretation meiner Ergebnisse in Bezug auf die Fragestellungen und erläutere diese in einem abschliessenden Teil der Arbeit.
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Julia Leser und Maria Trunk: Radioactivists – Protest in Japan vor und nach Fukushima
Im Herbst 2011 erreichte die Occupy-Bewegung Tokyo. Ihr Aufruf zur weltweiten Besetzung von Orten, welche Symbol stehen für die globale Finanzgier der Banken, fiel in Japan auf fruchtbaren Boden – denn aufgrund der Dreifachkatastrophe am 11. März des selbigen Jahres schließen sich japanische Bürger erstmals seit Jahrzehnten wieder landesweiten Massenprotesten und vielfältigen Protestaktionen an. Vordergründig verschob sich durch Fukushima zunächst nur das bis dahin vorherrschende Ja zur Atomkraft mit einem immensen Ruck hin zu Skepsis oder gar Ablehnung zu ihrer sog. „friedlichen Nutzung“. Doch allmählich hinterfragen manche Bürger Japans auch den Zustand ihrer Gesellschaft. Die Reflexion von Themen wie Sicherheit, Umwelt, Nachhaltigkeit und Zivilgesellschaft findet unter neuen Gesichtspunkten statt.
Obwohl diese Entwicklung angesichts des zuvor als marginal geltenden Einflusses zivilgesellschaftlicher Akteure und emanzipatorischer Denkweisen in einem Land, das seit Jahrzehnten vor allem Symbol stand für unreflektierten Exzess-Konsum, durchaus überraschend ist: Die neu entstandene Dynamik im politischen Raum ist jedoch nicht einfach aus dem Nichts bzw. aus dem bloßen Erleben einer großen Katastrophe entstanden. Jenseits massenmedialer Aufmerksamkeit und konkret messbarer Ergebnisse hat sich in Japan seit dem Platzen der Bubble Ende der 1980er Jahre und den darauffolgenden tiefgreifenden gesellschaftlichen Transformationsprozessen von Arbeits- und Lebensrealitäten ein qualitativer Wandel hinsichtlich sozialer Bewegungen sowie eine Stärkung und Ausweitung zivilgesellschaftlicher Strukturen und Institutionen vollzogen. Deren Existenz wird nun durch die Katastrophe sichtbar. Somit wird die Notwendigkeit offensichtlich, Japans soziale Bewegungen neu zu betrachten und zu bewerten. Kunst, Theorie, Lebens- und Arbeitsweisen verweben sich mit aktivistischer Praxis zu einem gegen-hegemonialen Projekt, das versucht, Widerstand denk- und lebbar zu machen sowie eine Verschiebung der Grenzen des Sagbaren im gesamtgesellschaftlichen Diskurs zu erwirken. Gegenkulturelle Praktiken des offenen Straßenprotestes wie Sound-Demos und Clown-Armee, aber auch Raum für Kritik fernab der Straße, dissidente Lebens- und Konsumformen wie Guerilla-Gardening, Culture Jamming, Critical Crafting, Food-Kooperativen oder etwa Kommunikationsguerilla spielen für den Ausdruck des von vielen japanischen Bürgern tief empfundenen Unbehagens eine wichtige Rolle und sind gleichzeitig eine gelebte Antwort auf bestehende gesellschaftliche Missstände. Intellektuelle wie Karatani Kōjin, Ukai Satoshi, Oguma Eiji oder Mōri Yoshitaka, aktivistische Grenzgänger wie Sabu Kosho, Matsumoto Hajime oder Amamiya Karin sind gemeinsam mit kritischen Schriftstellern, Künstlern, und Bürgerrechtlern und ihren Gruppen näher an die Mitte der Gesellschaft gerückt. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein und haben doch eines gemein: Sie sind nicht nur Atom-Gegner, sondern Teil einer global agierenden widerständigen Menge.
In diesem Beitrag sollen ihre kritischen Stimmen zu Wort kommen und aus hegemonietheoretischer Perspektive nach Ernesto Laclau und Chantal Mouffe betrachtet werden. Dazu fließen sowohl die Ergebnisse theoretischer Auseinandersetzung mit der eben beschriebenen Entwicklung, als auch der praktischen Beobachtung durch den Dreh des Dokumentarfilms ‘Radioactivists – Protest in Japan seit Fukushima’ ein.
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Andreas Krautwurst: Das Standortauswahlverfahren für Kernkraftwerke in Japan und dessen ethische und rechtliche Dimensionen in der „Post-Fukushima“ Ära
Das Erdbeben vom 11. März 2011 im Nordosten Japans und die damit verbundene Serie an Tsunami löste eine Schnellabschaltung in den Reaktoren Higashidori, Fukushima II, Onagawa und Tokai aus (Nuklearforum Schweiz 2011: 2). Drei Reaktoren des Kernkraftwerks Fukushima I wurden stark beschädigt und eine Kernschmelze trat nach der Überschwemmung ein (KIT 2011: Nr.009, S. 11). Die öffentliche Akzeptanz und Unterstützung der Kernenergie, als einer der wichtigsten Energiequellen Japans, sank zunehmend. Dies hatte unumkehrbare Konsequenzen für die Fähigkeit der japanischen Regierung gegen Ressentiments aus der Bevölkerung gegenüber dem Bau und Platzierung von Kernkraftwerken zu reagieren und erschwerte die Werbung für diese Technologie.
Im Kontext dieser „nuklearen Allergie― oder diesem „Not In My Backyard― Syndroms (Feldhoff 2011: 13) soll analysiert werden, welche Unternehmungen die Regierung von
Japan in Zukunft unternehmen wird und bereits unternommen hat, um die Akzeptanz von Kernenergie zu steigern oder zu halten. Einhergehend mit der Frage nach den Kompensationssystemen der Regierung für diese Technologie verbleibt auch die Frage für die gesetzlichen Grundlagen für den Bau und die Auswahl des Standortes von Kernkraftwerken. Die ergänzte Fassung des Vortrages von Takahashi Shigeru (2005) und der Gastvortrag von Towa Niimura („Atomaufsicht in Japan- Aus Anlass des Unfalls in Fukushima―) am Westend Campus der Goethe Universität Frankfurt sind hier fundamental für die Beschreibung nach der Standortfrage von KKWs in Japan am Beispiel von den Reaktoren in Fukushima.
Im Vortrag sollen auch die ethischen Dimensionen des Standortauswahlverfahrens von KKWs seitens der Regierung skizziert werden. Um dies zu erreichen greife ich auf Theorien der Technikgeschichte und philosophischen Ansätzen von „Verantwortbarkeit― und „Verantwortlichkeit― zurück.
Betrachtet man den Begriff des „konsequenziellen Technikdeterminismus―, der darauf abzielt, dass „[…] Technik Folgen hat oder –anders gesprochen- Wirkungen zeitigt― (König 2009: 73) und den unerwarteten Folgen besondere Bedeutung beimisst, wie beispielsweise der Havarie des Kernkraftwerks Fukushima I, so führt der Begriff unmittelbar zu der ethischen Frage nach „Verantwortlichkeit― und „Verantwortbarkeit―. Gerade nach der Katastrophe von „Fukushima― gewinnen diese an Bedeutung und Lenk (1992) beschreibt sie treffend als:
„Die Handlungsmacht scheint mehr gewachsen als die Übersicht und die Voraussicht: ein Dilemma der Verantwortbarkeit und der Verantwortlichkeit im systemtechnologischen Zeitalter, das von solchen Wirkungsvernetzungen und dynamischen Veränderungen geprägt ist, denen das wissenschaftliche Wissen nicht in allen Verästelungen so schnell folgen kann.― (Lenk 1992: 10).
Ablauf des Vortrages:
1. Darstellung und Beschreibung der Kompensationssysteme von der japanischen Regierung, die flexibel und adaptiv auf Unsicherheiten in der Bevölkerung gegenüber Kernenergie reagieren
2. Rechtliche Grundlagen für den Bau und Auswahl des Standortes von KKWs
3. Skizzierung der ethischen Dimensionen der Kernenergietechnologie (Arbeitsbegriffe: konsequenzieller Technikdeterminismus, Verantwortlichkeit / Verantwortbarkeit)
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Lotte Nawothnig: Treugelübde für die Atomlobby oder energiepolitische Kursänderung? – Handlungszwänge einer Katastrophen geplagten japanischen Regierung
Mit viel Sorge und zum Teil Unverständnis verfolgte die deutsche Öffentlichkeit und Medienwelt die verhängnisvolle Dreifachkatastrophe des japanischen Archipels am 11. März 2011. Was darauf für die deutsche Energiepolitik folgte, versetzte wiederum die japanische Öffentlichkeit, einschließlich ihrer Regierungsvertreter in äußerstes Staunen.
Ungeachtet der Tatsache, dass der Radius der verbreiteten Strahlung – gemessen an der Tschernobyl-Katastrophe (1986) – verhältnismäßig klein und somit die Auswirkungen des Reaktorunfalls maßgeblich auf Japan beschränkt waren, reagierten nicht japanische, sondern deutsche politische Entscheidungsträger mit einer grundlegenden Revision der Energiepolitik. Dass ausgerechnet Japan, das als einziges Land die tödliche Wirkung der Kernenergie erfuhr, den weltweit größten Produzenten von Nuklearenergie hervorbrachte, fußt maßgeblich auf eine breit angelegte Werbekampagne der U.S.-Amerikaner. Verstärkt durch das Streben nach einem schnellen Wirtschaftsaufschwung bei deutlicher Reduzierung der Abhängigkeit von Energieimporten unterstützte die japanische Regierung die Erzeugung und Weiterentwicklung der Kernenergie durch ein massives Subventionsprogramm. Die daraus hervorgegangene starke Atomlobby wurde in Folge der Ölkrisen und dem steigendem Bewusstsein für Klimaschutz weiter beflügelt. Als Resultat jener energiepolitischen Entscheidungen sieht sich die derzeitige japanische Regierung in eine Pfadabhängigkeit hineingedrängt, die kaum Handlungsspielräume für die lauter werdenden Forderungen nach einem Ausstieg aus der Atomenergie bietet. Tatsächlich sind von den 54 japanischen Atomkraftwerken derzeit aber nicht mehr als 3 in Betrieb. Dies wirft die Frage auf, ob sich nicht auch in Japan eine Energiewende abzeichnet.
Ausgehend von dem politikwissenschaftlichen Ansatz des POLICY LEARNING behauptet der Beitrag, dass sich durch die Aneinanderreihung von Katastrophen in Folge des Erdbebens die ein WINDOWS OF OPPORTUNITY für eine deutliche energiepolitische Wende öffnet. Zugleich wird betont, dass die Frage nach einem politischen Lernprozess noch nicht abschließend beantwortet werden kann. Deshalb konzentrieren sich die durch empirische Daten unterlegten Ausführungen auf die Darstellung historisch bedingter Handlungszwänge politischer Entscheidungsträger in Japan. In Anlehnung an die Prämissen des theoretischen Analyserahmens werden zunächst die japanischen POLICY CORE BELIEFS aufgezeigt, welche sich in den energiepolitischen Entscheidungen der Nachkriegszeit niederschlagen. Anschließend wird erörtert, warum das ungleiche Kräfteverhältnis bestehender ADVOCACY COALITIONS bisher verhinderte, dass Befürworter einer Energiewende zugunsten Erneuerbarer Energien an signifikanter Triebkraft gewinnen. Hierbei geben vergleichende Einblicke in die Entwicklung der deutschen Energiepolitik Aufschluss darüber, welche zentralen Weichenstellungen den Weg für die vermeintlich plötzliche Energiewende Deutschlands geebnet haben.
In der Einschätzung, dass eine erfolgreiche Umsetzung der energiepolitischen Ziele in Deutschland weltweit Vorbildfunktion haben wird, zeichnet der Vortrag ein durchaus optimistisches Bild für eine künftige Energiewende in Japan. Allein die 51 abgeschalteten Kraftwerke geben Mut zur Hoffnung. Allerdings sind 25 Jahre nach der geographisch relativ nahe gelegenen Tschernobyl-Katastrophe verstrichen, bis in Deutschland der Ausstieg aus der Kernenergie herbeigeführt wurde. Sollten wir also damit rechnen, dass sich japanische Entscheidungsträger frühestens 2036 auf den Verzicht der Kernenergie verständigen können?
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Robert Kade: Am Anfang der Erinnerungen – Hiroshima und Fukushima als Beispiele japanischer Gedächtnisorte
Katastrophen, wie die Atombombenabwürfe von 1945 und das Tohoku-Erdbeben von 2011 waren für Japan prägende Ereignisse, die auch jeweils das Bild Japans in den westlichen Kulturen wesentlich bestimmt haben. Es wäre allerdings falsch, Japan zu einer ereignisentwickelten „Katastrophenkultur“ zu reduzieren.
Zunächst müssen die verschiedenen, direkten und indirekten Ursachen differenziert werden, bevor die Folgen betrachtet werden können. Beide Bereiche können dabei natürlich oder menschlich bedingt sein. Richtig ist, dass Orte wie Hiroshimaund Fukushima zu Symbolen der mit ihnen verbundenen Ereignisse, und somit bis zu einem gewissen Grad für die Identität Japans bedeutende Orte geworden sind.
Einen wesentlichen Stellenwert nimmt die Erinnerung in Bezug auf diese Ereignisse ein. Sie kann Angst, oder auch Ablehnung hervorrufen, schließlich sogar zur Bewältigung einer solchen Katastrophe beitragen. Hiroshima bietet die Möglichkeit, dass die Entwicklung der letzten 66 Jahre mit all ihren Veränderungen einer wissenschaftlichen Untersuchung zugänglich ist. Die unterschiedlichen Formen der Wahrnehmung und Verarbeitung, bis hin zur Erinnerungskontrolle, können als Manifestationen des dynamischen Gedächtnisses sichtbar gemacht werden. Fukushima dagegen steht erst am Beginn einer Entwicklungsreihe, deren Folgen für die japanische Gesellschaft noch nicht absehbar, wie auch die Rezeption in der westlichen Welt noch nicht abgeschlossen ist. Es bietet sich an, diese beiden in ihrem Kern streng voneinander verschiedene Ereignisse unter einem gemeinsamen Blickwinkel zu betrachten.
Das Ziel meines Vortrages ist der Versuch, das Konzept der „lieux des mémoires“ von Pierre Nora auf Japan zu übertragen und für den besonderen Fall von Katastrophen/Zerstörungsorten zu untersuchen. Dabei soll es zu gleichen Teilen um die Wahrnehmung und Beurteilung der Katastrophen durch die Betroffenen selbst (somit die direkte Identifikation der Kultur mit dem Ereignis) wie auch um die Wirkung auf die zunächst unbeteiligten „Betrachter“ anderer Kulturen gehen. Ich frage nach den materiellen, funktionalen und symbolischen Anteilen, die aus einer Katastrophe einen Gedächtnisort schaffen können und versuche eine Antwort darauf zu finden, ob nun das Ereignis für sich, oder die visuellen Ergebnisse am Ende diesen bilden. Berücksichtigung finden dabei das kulturelle, kollektive und institutionelle Gedächtnismodell, wie sie unter anderem von Jan und Aleida Assmann enwickelt worden sind.
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Dorothea Mladenova und Justine Walter: „Katastrophe“, „Disaster“, „Saigai“ – Zur Semantik des Extremen
Ob bei Erdbeben und Überschwemmungen oder bei schlechten Prüfungsergebnissen und verlorenen Fußballspielen: von Katastrophen sprechen wir nicht nur in Extremsituationen, sondern auch in ganz alltäglichen Kontexten. Vor allem im Rahmen einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit Katastrophen ist es notwendig, zunächst eine klare Definition des Begriffs zu erarbeiten sowie eine Abgrenzung von verwandten Termini vorzunehmen, um dadurch zwischen individuellen, kurzfristigen Unglücksfällen und kollektiven, langfristig wirksamen Extremereignissen differenzieren zu können. Der erste Teil des Vortrags wird sich deshalb der allgemeinen Terminologie von Katastrophen widmen. Wo fängt eine Katastrophe an und wo endet sie? Gibt es wirklich einen Unterschied zwischen natürlichen und menschengemachten Katastrophen?
Der zweite Teil dreht sich um die Frage, welche Implikationen hinter den unterschiedlichen Bezeichnungen der Katstrophe am 11. März 2011 stehen könnten. Dabei werden die japanischen Termini kontrastiv den deutschen und englischen Begriffen gegenübergestellt und semantisch betrachtet.
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Jens Oliver John: sekinin & site fights
1 Kontext
Nuklear-GAU im Atomkraftwerk Fukushima, betrieben von der TEPCO.
2 Fragestellung
Werden die Konsequenzen öffentlicher Schuldzuweisung demokratisch eingeforderter
Gerechtigkeit gerecht?
3 Text
Ich untersuche, ob und inwiefern durch öffentliche Schuldzuweisung und Schuldannahme provozierte personelle Konsequenzen wie der durch Regierungsstellen forcierte Rücktritt der TEPCO-Direktoren1 zum einen tatsächlich individuelle Betroffenheit entsteht und zum anderen die durch solche Maßnahmen geänderten Umstände neue Möglichkeiten zur Bewältigung der Fukushima-Katastrophe eröffnen.
Der erstgenannte Aspekt betrifft die Abhängigkeit der gesellschaftlichen Elite von den auf demokratischer Grundlage politik- und auf quantitativer Grundlage gesellschaftsbildenden unteren Schichten: Bedeuten personelle Konsequenzen nur die „Versetzung“ an weniger präsente Positionen? Wie verhält sich eine solche „Säuberung“ zu Ulrich Becks Konzept des Risikokalküls2, wenn doch zum einen das wirtschaftspolitische Motiv hinter der Nutzung von Nukleartechnologie allgemein bekannt und zum anderen das nukleare Risiko gesellschaftlich akzeptiert wurde und wird?
Daraus ergibt sich die Frage, inwiefern durch solche Maßnahmen überhaupt Diskurs, Neubewertung und Bekanntmachung von Risiken und andere Anstrengungen zur Katastrophenbewältigung abseits ihrer Präsenz in Medien und gesellschaftlichem Gedächtnis gefördert werden.
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Yui Deschler: Vergangenheit und Heute — Tsunamierzählung, „Feuer der Reisfelder“ (Inamura no hi)
Im April 2011 erschien eine alte Tsunamierzählung in einem Schulbuch für die fünfte Klasse wieder. Deren Titel heißt 稲むらの火 (Inamura no hi) „Feuer der Reisfelder“/ engl.: „the burning of the rice fields“. Auf der Erzählung, „a living God“ von Lafcadio Hearn basierend, wurde sie 1934 geschrieben und von 1937 bis 1947 in Schulbüchern herausgegeben.
Hier stellt sich die Frage, warum sie für 64 Jahre aus diesen verstoßen wurde, und was sich in Japan durch das Erdbeben geistlich verändert.
Im zweiten studentischen Symposium möchte ich diesen Fragen nachgehen und die japanischen und ausländischen Ansichten der Katastrophe und den Nationalcharakter aus kulturwissenschaftlicher Sicht betrachten und analysieren.
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Sandra Beyer: Das Geschlecht der Katastrophe: Japanerinnen und die Probleme ihrer Darstellung als Opfer
Das Bild der Asahi Shimbun ging um die Welt: eine junge Frau sitzt auf den Trümmern und blickt in die Ferne. Sie hat die nackten Beine an den Körper gezogen, sitzt gekrümmt und weint. Sie ist das Symbol der Verletzlichkeit geworden. Katastrophen passieren immer den Schwächsten der Gesellschaft: den Kindern, Alten und Frauen. Ihre traurigen Gesichter prägen unser Bild vom Geschlecht und dem Alter einer Katastrophe.
Kursorisch soll der Vortrag der Frage nachgehen, ob die Darstellung der Katastrophe vom 11.3.2011 in ausgewählten japanischen Medien geschlechtlich geprägt war. Er soll der Frage nachgehen, ob in der Berichterstattung besondere Opfer konstruiert wurden. Sind die handelnden Personen der Regierung Kahn, von Tôkyô Denryoku und der lokalen Gruppen mittelalte aktive Männer, die über das Schicksal anderer bestimmen? Gab es Initiativen von Frauen, ihre eigenen Bedürfnisse in der Katastrophe zu formulieren? Hat die Katastrophe ein Geschlecht, wenn die Frauen mit den Kindern ihre Häuser verlassen mussten und konnten, während die Stärke der Männer für den Wiederaufbau gebraucht wurden? Wer war der typische Bewohner eines Flüchtlingslagers und was waren seine Bedürfnisse? Die Berichterstattung über radioaktives Wasser oder in der Muttermilch betrifft auch in erster Linie diejenigen, die sich um die Familien kümmern und damit die Frauen.
Die UNO-Resolution 1325 schreibt vor, dass Frauen in Krisengebieten in den Wiederaufbau aktiv beteiligt werden. Denken wir die Forderungen von CEDAW (Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination Against Women, 18. Dezember 1979) konsequent zu Ende, könnten Frauen die verantwortlichen Männer sogar verklagen. Mir soll es in einigen Gedanken darum gehen, die Geschlechtlichkeit dieser Katastrophe in ihrer Darstellung und Behandlung nachzuvollziehen und diese zur Diskussion zu stellen.
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Markus Rüsch: „Der Chōmei von Heute“ : das nachhaltig Flüchtige – Das Inu Hōjōki als Beispiel der Verarbeitung von Katastrophenschilderungen und deren Konsequenzen
Betrachtet man Japans besondere Lage in Bezug auf das Katastrophenspektrum, welches in regelmäßigen Abständen auf das Land Einfluß nimmt, so wundert es nicht, daß diese Zentrum und Ausgangspunkt vieler schriftlicher Reflexionen wurden. Ein vergleichsweise frühes Zeugnis solcher Texte stellt das Zuihitsu Hōjōki von Kamo no Chōmei (12./13. Jahrhundert) dar. Der Autor schildert hier verschiedene Konsequenzen, die er persönlich aus den katastrophalen Erlebnissen jener Zeit gezogen hat. Der Appell zur Änderung des eigenen Lebens ist hierbei schwer zu übersehen. Neben der Wahl zum Eremitenleben nimmt zur Umsetzung dieses Lebensentwurfs der Buddhismus eine wesentliche Rolle ein. Man kann daher den Buddhismus auch als eine Antwort auf die Katastrophen ansehen – ein wesentlicher Begriff hierbei ist mujō (無常). Im ersten Schritt des Vortrags sollen daher dieser und andere wesentliche Begrifflichkeiten in Bezug gesetzt werden zu konkreten buddhistischen Texten (die Frage nach der Positionierung des Hōjōki sei an dieser Stelle zurückgestellt). Diese Reflexionen sollen allerdings vielmehr den Ausgangspunkt darstellen für die eigentliche Untersuchung innerhalb des Vortrags – der Ausdruck „Ausgangspunkt“ weist auch bereits auf den allein möglichen Umfang dieser Überlegungen.
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde das Kanazōshi Inu Hōjōki verlegt, welches sowohl in Bezug auf den Inhalt als auch etwa auf die Syntax stark an das Hōjōki angelehnt ist. Die Gegenüberstellung dieser beiden Werke soll das Kernstück des Vortrags bilden. Das Hōjōki selbst läßt sich grob in eine erste Hälfte gliedern, in welcher die verschiedenen Katastrophen beschrieben werden, die die damalige Hauptstadt betrafen, und einen zweiten Teil, in welchem die Lebensführung von Kamo no Chōmei beschrieben wird – im Grunde handelt es sich also um ein Ursache-Wirkungs-Schema. Hier soll nun betrachtet werden, wie diese Schilderungen des „Originals“ innerhalb der früh-edozeitlichen Adaption umgesetzt werden. Besonderes Gewicht soll hierbei auf die Adaption des buddhistischen Vokabulars und die Rolle des Buddhismus gelegt werden. Darüber hinaus soll allerdings auch, in Hinblick auf die Art und Weise des Umgangs mit diesem aus heutiger Sicht sensiblen Stoff, gefragt werden, inwieweit man in dieser Zeit von einem „Katastrophenbewußtsein“ sprechen konnte – hier nicht im Sinne der Vorstellung eines katastrophalen Alltags oder Weltendes, sondern einem Bewußtsein um die Ernsthaftigkeit der damaligen Geschehnisse. Schließlich soll versucht werden, – wohl allein in einer Andeutung – Vergleiche mit heutigen Umgängen in Bezug auf Katastrophen zu ziehen. Ein wesentlicher Begriff ist hierbei der der „Nähe“, welcher einer Kritik innerhalb der heutigen Zeit bedarf.
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Daniela Simon: Das Kaiserhaus in Zeiten der Krise
28.04.2012, ostasiatisches Seminar der FU-Berlin
10:00: Eröffnung und Grußwort von Prof. Blechinger-Talcott und den Veranstaltern
10:15-11:45: Reaktionen auf die Katastrophe vom März 2011 in Wirtschaft und Politik
10:15: Andreas Krautwurst (Frankfurt): Das Standortauswahlverfahren für Kernkraftwerke in Japan und dessen ethische und rechtliche Dimensionen in der „Post-Fukushima“ Ära
10:45: Lotte Nawothnig (Trier): Treugelübde für die Atomlobby oder energiepolitische Kursänderung? – Handlungszwänge einer Katastrophen geplagten japanischen Regierung
11:15: Jens Oliver John (Berlin): Sekinin & Site fights
11:45 – 12:00: Pause
12:00-13:30: Reaktionen auf die Katastrophe vom März 2011 in soziokultureller Perspektive
12:00: Julia Leser und Maria Trunk (Leipzig): Radioactivists – Protest in Japan vor und nach Fukushima
12:30: Dorothea Mladenova und Justine Walter (Leipzig): „Katastrophe“, „Disaster“, „Saigai“ – Zur Semantik des Extremen
13:00: Sandra Beyer (Berlin): Das Geschlecht der Katastrophe: Japanerinnen und die Probleme ihrer Darstellung als Opfer
13:30-14:30: Mittagspause
14:30 – 16:00: Umgang mit Katastrophen – denken, erinnern, repräsentieren
14:30: Robert Kade (Berlin): Am Anfang der Erinnerungen – Hiroshima und Fukushima als Beispiele japanischer Gedächtnisorte
15:00: Daniela Simon (Berlin): Das Kaiserhaus in Zeiten der Krise
15:30: Markus Rüsch (Berlin): „Der Chōmei von Heute“ : das nachhaltig Flüchtige – Das Inu Hōjōki als Beispiel der Verarbeitung von Katastrophenschilderungen und deren Konsequenzen
16:00 – 16:15: Pause
16:15-17:15: Umgang mit Katastrophen – Literatur und Film
16:15: Melissa Ann Kaul (Zürich): Katastrophen in den Filmen von Hayao Miyazaki
16:45: Yui Deschler (Berlin): Vergangenheit und Heute — Die Tsunamierzählung, „Feuer der Reisfelder“ (Inamura no hi)
17:15 – 17:45: Abschlußdiskussion