….und niemand weiß so Recht, wie das Wahlergebnis einzuordnen ist. Eins ist auf alle Fälle klar: Obama hat gewonnen und das deutlich, 332 zu 206 Wahlmänner und -frauen, eine vernichtende Niederlage für Mitt Romney und die Republikaner. War das absehbar? Eigentlich schon, zumindest, wenn man nicht auf die großen Umfrageinstitute schaute oder dem Mediendiskurs folgte, der natürlich ein horse-race wollte, damit machen Medien Einschaltquote und das bringt Geld! Im Fokus der Berichterstattung stand immer das popular vote, das allerdings bei der Art und Weise, wie in den USA der Präsident gewählt wird, keinerlei Aussagekraft hat. Aber es passt viel besser in den aktuellen Spaltungs- und Polarisierungsdiskurs in den USA. Die Wahlkampfteams beider Seiten wussten aber, das es vielmehr auf die sogenannten swingstates oder battlegroundstates ankommt, in denen es wirklich knapp ausgeht und die sich von Wahl zu Wahl immer mal wieder für einen anderen Kandidaten entscheiden.
Der Wahlkampf fand fast ausschließlich in diesen Staaten statt und insbesondere die Wähler in Ohio und Florida sahen sich mit einem Wahlkampf konfrontiert, der sowohl was die eingesetzten finanziellen Ressourcen, aber auch in der Heftigkeit der Auseinandersetzung keinen Vergleich mit vorherigen Wahlen scheuen musste. Insgesamt sind in dieser Wahl nach ersten Schätzungen 6 Milliarden US Dollar ausgegeben worden; mit welcher Folge: die Machtverhältnisse sind die gleichen: Obama bleibt im Weißen Haus, die Republikaner kontrollieren das Repräsentantenhaus und die Demokraten haben ihre Mehrheit im Senat halten und leicht ausbauen können. Hat sich der massive Einsatz der finanziellen Ressourcen also gelohnt? Sicherlich nicht für die konservativen Super Pacs und die Sheldon Adelsons, die mit ihren Millionen in fast allen Wahlen verloren haben, der return of investment lässt sich kaum messen, so niedrig ist er. Vielleicht haben sich die Unsummen von Geld aber für den Präsidenten positiv ausgewirkt; zumindest, wenn man das Geld als Konjunkturspritze sieht, die die Wirtschaft stimuliert hat; hier sollte man mal ein bisschen weiter nachrechnen!
Aber zurück zum Wahlkampf selber. Hut ab vor dem Obama-Team. Trotz desaströser wirtschaftlicher Kontextbedingungen und einer für US-amerikanische Verhältnisse exorbitante Arbeitslosenraten, die – so das gängige Narrativ – dem Amtsinhaber eine Wiederwahl extrem schwierig machen, haben sie diese Wahl klar gewonnen. Stellt sich die Frage nach dem Warum? Die Finger zeigen dann zumeist gleich auf den Gegenkandidaten: Mitt Romney, der flip flopper, der im Wahlkampf kaum ein Fettnäpfchen ausgelassen hat. Gut, er hat das erste Duell mit Obama für sich entschieden, aber das ist nichts Neues: fast alle Amtsinhaber haben das erste Duell verloren. Das liegt einfach an den Erwartungshaltungen der Zuschauer. Der Herausforderer ist oftmals noch wenig bekannt und betritt in diesem Duell das erste Mal die große nationale Bühne. Mitt Romney konnte hier gar nicht schlechter dastehen, als es die Zuschauer erwartet hatten – gut, Obama hat es ihm auch nicht schwer gemacht.
Bleibt also die Frage nach dem Warum? Und hier sollten wir vielleicht wieder auf die Experten schauen, die kurz nach der Wahl 2008 prognostiziert hatten, dass die Demokraten die kommenden Wahlen ohne große Probleme gewinnen werden, die aber nach den Zwischenwahlen 2010 zumindest aus dem öffentlichen Diskurs wieder verschwunden waren. Die gesellschaftliche und demographische Entwicklung in den USA spricht für die Demokraten! So die gängige These kurz nach Obamas Wahlsieg 2008. Ich würde diese These allerdings anders formulieren: die Entwicklung spricht zumindest momentan gegen die Republikanische Partei. Konnten die Republikaner bei den Zwischenwahlen 2010, gedrängt durch eine extrem radikalisierte recht Basis noch erfolgreich mobilisieren, so zeigt sich jetzt, dass das Wählerreservoir am rechten Rand nicht mehr ausreicht, um Wahlen zu gewinnen. Wer im Umfeld der Tea-Party Bewegung auf Stimmenfang geht, der verliert Stimmen nicht nur in der politischen Mitte, sondern insbesondere bei Latinos und Frauen. Selbst die ansonsten eher konservativen cubans in Florida haben diesmal Demokratisch gewählt und das gender gap war in diesem Jahr so groß wie nie zuvor! Bewegt sich die Republikanische Partei nicht, dann spricht die demographische Entwicklung in den USA wirklich für die Demokraten.
Das führt zur nächsten Frage, über die momentan in den Medien heftig spekuliert wird: was für ein Präsident wird Obama in seiner zweiten Amtszeit sein? Und auch hier muss gleich gesagt werden: das ist nicht die richtige Fragestellung? Sie unterstellt dem Präsidenten Macht und Handlungsressourcen, die er nicht hat! Der Präsident agiert in einem politischen Kontext, das Macht zu begrenzen versucht, so jedenfalls die Vorstellung der founding fathers, die ein politisches System etablierten, das durch checks and balances charakterisiert ist, die die Macht des Präsidenten massiv einschränken. Das heißt auf der anderen Seite natürlich nicht, dass Präsidenten keinen Einfluss ausüben können. Er kann versuchen Themen auf die politische Tagesordnung zu setzen (agenda setting), die Öffentlichkeit für sich gewinnen (going public) oder aber die unterschiedlichen Fraktionen im Kongress für ein bestimmtes Reformziel gewinnen (power to persuade). Aber er ist dabei immer abhängig von politischen Machtverhältnissen und spezifischen Interessenskonstellationen, die von Politikbereich zu Politikbereich unterschiedlich sein können. Das hat sich auch in seiner ersten Amtszeit ganz klar gezeigt: in den ersten beiden Jahren seiner Präsidentschaft kann Obama als einer der erfolgreichsten Präsidenten in der Geschichte bezeichnet werden, zumindest wenn man auf die legislative Bilanz schaut. Die Gesundheitsreform, eins der größten Konjunkturprogramme der US-Geschichte, die Rettung des Bankensektors und der Automobilindustrie, eine strengere Regulierung der Wall Street, das sind nur einige der großen Gesetzesreformen, die in den beiden ersten Jahren durch den Kongress gegangen sind. Keine Kunst, mögen Kritiker sagen, schließlich regierte er in den ersten beiden Jahren unter den Bedingungen von unified government, als mit einer klaren Mehrheit der Demokraten im Kongress. Richtig, aber hat diese Möglichkeit genutzt und zusammen mit den Demokraten in den beiden Kammern des Kongresses diese Politik erfolgreich durchgesetzt. Die politikwissenschaftliche Forschung hat gezeigt: unified government macht es dem Präsidenten leichter, es ist aber keine Garantie für einen erfolgreichen legislativen Präsidenten. Was hat ihm hier geholfen: die parteipolitische Polarisierung, die dann nach den Zwischenwahlen und den Gewinnen der Republikaner zum gridlock geführt haben. Die Republikaner haben gleich nach den Wahlen 2010 angekündigt, dass sie eine Blockadepolitik betreiben werden, ihr primäres und auch öffentlich so formuliertes Ziel: making Obama a one-term president! Die Handlungsmöglichkeiten eines Präsidenten sind unter solchen Bedingungen natürlich extrem eingeschränkt und die Folge dieser Konfrontationshaltung: der 112te Kongress war einer der unproduktivsten in der Geschichte der USA! Who is to blame? Guess who!
Nun hat sich an den grundsätzlichen Machtverhältnissen in Washington D.C. nach der Wahl 2012 kaum was verändert! Sehen wir also bis zu den kommenden Zwischenwahlen 2014 more of the same? Meine Prognose: Nein! Zwei Argumente will ich hierfür stark machen, die beide zusammengehören: der kurzfristige politische Handlungsdruck und die demographische Entwicklung. Ersteres zwingt beide politischen Lager zur Kooperation. Gelingt bis zum Jahresende keine Einigung in der Frage, wie das Defizit in den USA reduziert werden soll und ob die Steuersenkungen der Bush-Administration verlängert werden sollen oder nicht, dann fallen die USA über das viel zitierte fiscal cliff! Automatische Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen, die – so die Prognosen der Wirtschaftsfachleute – den Wirtschaftsaufschwung in den USA abwürgen würden. Das können sich beide politischen Lager nicht erlauben. Erste vorsichtige kooperative Signale werden ja bereist von beiden Seiten ausgesandt! Der zweite Grund: die Republikanische Partei muss sich bewegen, will sie nicht den Anschluss an eine sich verändernde US-amerikanische Gesellschaft verlieren. Sie muss sich den Minderheiten öffnen, hier insbesondere gegenüber dem latino vote und auch versuchen, das gender gap zu schließen. Mit den radikalen Positionen der Tea Party wird dies nicht gelingen. Natürlich ist dies eine Gradwanderung, weil mit der Öffnung in Richtung einer modernen Gesellschaftspolitik ein Teil der rechten Basis auf dem Strecke bleiben wird. Aber die Polarisierung innerhalb der amerikanischen Gesellschaft ist nicht so strukturiert, das eine fiskal-konservative Position, verbunden mit einer modernen Immigrationspolitik und einer weniger radikal und weltfremden Einstellungen zu Fragen der Abtreibung nicht mehrheitsfähig sein kann. Eine solche Neuorientierung und -ausrichtung der Republikanischen würde Präsident Obama Möglichkeiten zu einer überparteilichen Koalitionsbildung in spezifischen Fragestellungen bieten, die notwendig und unumgänglich sind: hierzu gehören an erster Stelle Fragen der Einwanderungs-, Umwelt.- und Gleichstellungspolitik. Obama hat in seiner ersten beiden Amtsjahren gezeigt, dass er solche Möglichkeiten erkennt und auch nutzen kann.
CL
Am 26. November 2012 um 11:05 Uhr
Einige Anmerkungen zur ausführlichen Analyse von Christian Lammert:
1) BO und die Dems waren in den ersten beiden Jahren nicht so erfolgreich, wie angedeutet. Die Gesundheitsreform widerspricht jahrzehntelanger Demokratischer Politik, sie ist ein GOP-Projekt („individual“ statt „employer mandate“). So weit her ist es weder mit Stimulus packet, noch mit der Finanzmarktreform – an der Wall Street herrscht weitgehend business as usual und die Wirtschaftslage ist weiterhin schlecht, insbesondere für Latinos und Schwarze. Bleibt der Auto Bailout, dessen politischer Wert für BO deutlich ist, industriepolitisch kann man kritische Fragen stellen. Vor allem aber mussten die Arbeitnehmer weiter Federn lassen, die Gewerkschaften wurden zu entsolidarisierender Politik gezwungen. Und das ist das größte Versäumnis der Dems: Nichts wurde getan, um die Kräfteverhältnisse zwischen Arbeit und Kapital wenigstens etwas zugunsten der Gewerkschaften und Arbeitnehmer zu verschieben.
2) Zum Ausblick: Scheinbar offensichtliche Sachzwänge/Problemlagen haben noch selten automatisch zu Kompromissen geführt – ganz zu schweigen von guter Politik. Und es ist auch nicht ausgemacht, dass die GOP die scheinbar offensichtliche demographische Lektion so schnell lernt. Gerade im Repräsentantenhaus und in den Einzelstaaten können sich die Konservativen ihrer Machtbasen sicher sein, sie werden für ihre Überzeugungen weiter eintreten.
Am 26. November 2012 um 20:03 Uhr
Erfolgreiche Politik lässt sich nicht ausschliesslich nach normativen Kriterien beurteilen, sonst würden wir einfach von guter Politik sprechen. Letzteres ist allerdings normativ und darüber lässt sich trefflich streiten – oder auch nicht. Erfolg lässt sich aber auch anhand anderer Kriterien ‚messen‘ und beurteilen, insbesonder der legislative Erfolg von Präsidenten. Schwierig wird es allerdings, wenn man externe inhaltliche Kriterien anlegt und dem Präsidenten so eine Handlungsrationalität zuschreibt, die vielleicht gar nicht da ist. Die Hoffnung der Progressiven auf einen radikalen Politikwechsel unter Obama sagt dabei mehr über die Progressiven aus als über Obama. Will man Erkenntnisse über die normative Dimension einer guten oder schlechten Politik hinaus gewinnen, braucht man andere Indikatoren! Und die werden zum Glück auch diskutiert. Ein Blick auf gute oder schlechte Politik ist wichtig, greift aber zu kurz, um die Handlunsgressourcen eines Präsidenten genauer zu erfassen.