The State of American Democracy

Research-based Analysis and Commentary by the Department of Politics at the John-F.-Kennedy Institute

Totgesagte leben länger – Sieben Thesen zur Zukunft der GOP

Es sieht nicht gut aus für die Republikanische Partei, meinen viele Beobachter. Tea Party-Kandidaten und andere Radikale treiben die GOP zu weit nach rechts; die demographische Entwicklung begünstigt schon kurz- und mittelfristig die Demokraten; Umfragen sehen die Republikaner als „out of touch“ (Pew Research Center report), eine neue Zustimmung für eine aktive Regierung und zunehmende Skepsis gegenüber der Geschäftswelt; das Repräsentantenhaus konnte nur aufgrund von Gerrymandering gehalten werden – die Republikaner scheinen derzeit keine realistische Machtperspektive zu haben, da hilft auch kein „Conservative Victory Project“ (vgl. Curd Knüpfers Beitrag vom 12.2.13). Auch ihre Regierungsfähigkeit wird zunehmend in Zweifel gezogen, angesichts der inneren Widersprüche und Spannungen und der fortgesetzten Blockadepolitik im Kongress.

Und doch: Die Schwäche der Republikaner bedeutet keinesfalls Bahn frei für Obamas „pragmatische“ Politik und schon gar nicht für eine progressive, „sozialdemokratische“ Agenda. In sieben Thesen möchte ich eine alternative Perspektive aufzeigen, welche erkennen lässt, dass mit der GOP weiter zu rechnen ist.

  1. Die GOP hat den aktuellen Haushaltsstreit klar gewonnen. In den Worten von Senator Bernard Sanders (I-Vermont): “While the Democrats may be winning the political battle, Republicans are winning the ideological war. The goal of the right wing is to essentially undo the Roosevelt era, the New Deal, substantially cut back on government, and in a sense, they are achieving that.” Der American Taxpayer Relief Act, der die Haushaltskrise („fiscal cliff“) Ende 2012 noch einmal vertagte, ließ 82% der (zeitlich befristeten) Bush-Steuersenkungen bestehen; statt der von Speaker Boehner schon zugestandenen 800 Milliarden Dollar an zusätzlichen Steuereinnahmen (über 10 Jahre) erreichten die Unterhändler des Weißen Hauses nur 620 Milliarden.[1] Schlimmer noch, in den Sequester-Verhandlungen fehlte Obama folglich die Option „Steuersenkungen“ (bzw. tatsächlich die Wiedereinsetzung der Bush-Steuersätze für die Mittelklasse) als Verhandlungsmasse. Boehner stellte sich auf den Standpunkt, dass Obama ja seine Steuererhöhung schon bekommen hätte (“He’s gotten his tax hikes“); jetzt müsse es um Ausgabenkürzungen gehen. Tatsächlich war der Taxpayer Relief Act keine Steuererhöhung, sondern hat lediglich 18% der Bush-Steuersenkungen auslaufen lassen, diejenigen für die „Reichen“ und „Superreichen“. Vielleicht schafft es Obama, den Republikanern die politische Schuld für die wirtschaftlichen Folgen der Haushaltskürzungen zu geben (auch wenn Bob Woodward schreibt, dass die Idee aus dem Weißen Haus kam, und viele Beobachter glauben, dass die Folgen zwar insgesamt drastisch, aber zeitlich gestreckt und diffus sein werden – womit ihr „Wert“ als politische Munition gemindert wäre). Der zuletzt stark gefährdete Speaker Boehner hat gepunktet und die Republikanische Fraktion mit dem einzigen derzeit möglichen Thema geeint: der Verkleinerung der Bundesregierung. Und weil ein großer Teil der Kürzungen den Verteidigungshaushalt betreffen, ziehen einige Demokraten sogar mit.
  2. Diese Demokraten beglückwünschen sich dafür, dass die großen wohlfahrtsstaatlichen Entitlement-Programme (Social Security und Medicare) bisher weitgehend von den Kürzungen ausgenommen wurden und stattdessen „discretionary spending“ heruntergefahren wird. Doch wenn (angeblich) die Schwächsten auch von diesen Kürzungen ausgenommen wurden, sie haben im Einzelnen und insgesamt negative Konsequenzen vor allem für Wählergruppen und Interessen der Demokraten.  Und bei den großen Entitlements muss die GOP nur warten: Solange ihre langfristige Finanzierung über Einnahmeverbesserungen nicht gesichert ist (was möglich wäre, denn die USA haben kein demographisches Problem europäischen Ausmaßes) bleibt die von der GOP gewünschte Privatisierung eine Option.
  3. Nach mehr als vier Jahren Obama sind die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse unverändert zugunsten des Kapitals. Auch die amerikanische Solidargemeinschaft ist nicht gestärkt worden; die Gesundheitsreform bewegt sich im privatwirtschaftlichen Paradigma. Insbesondere bleiben die Gewerkschaften weiter schwach bzw. sind sogar noch weiter geschwächt worden, auch weil die Obama-Demokraten nicht gewillt waren, politisches Kapital zu ihren Gunsten zu investieren. Bei einem Organisationsgrad von 11,3% im Jahr 2012 (Tendenz fallend) und einzelstaatlicher Gesetzgebung zu ihren Lasten (Right-to-Work genannt, faktisch die Schwächung der Organisationsbedingungen, zuletzt auch in ihrer Hochburg Michigan) können die Gewerkschaften immer weniger ihren (in den USA ohnehin niedrigen) Beitrag zu niedrigerer Ungleichheit und höherer Produktivität leisten. Die Republikanische Blockadepolitik bei Ernennungen durch den Präsidenten, die auch die Administration selbst und die Gerichte massiv schwächt, hat die Arbeitsbehörden (NLRB) zwischenzeitlich quasi handlungsunfähig gemacht (die Boards brauchen eine Mindestbesetzung). Inzwischen ist auch die Politik Obamas, mit “recess appointments” Lücken zu stopfen, gerichtlich aufgehoben worden – und falls die Regierung die Berufung verliert, droht eine arbeitsrechtliche Katastrophe. 
  4. Ungeachtet aller demographischen Trends zugunsten der Demokraten werden die Republikaner eine Machtbasis im alten Süden der USA und in bevölkerungsarmen, ländlich geprägten Staaten und Regionen behalten. Und moderate Republikaner haben auch darüber hinaus Erfolg: 2010 haben die Republikaner nicht nur das Repräsentantenhaus zurückerobert, sondern auch Mehrheiten in 54 Einzelstaatsparlamenten gewonnen (Abgeordnetenhäuser und Senate), so viele wie seit 1952 nicht mehr, und wichtige Gouverneursposten übernommen (u.a. Wisconsin, Michigan, Pennsylvania, Ohio und Florida).
  5. Die Republikanische Machtbasis ist auch dank des fortgesetzten Rassismus, Nativismus, Sexismus und Anti-Intellektualismus (z.B. Klimapolitik) in der amerikanischen Bevölkerung, vor allem der des Südens und des ländlichen Raums, ungefährdet. Ungeachtet dessen, dass Obama einen höheren Anteil des weißen Wählerstimmen gewinnen konnte als Demokratische Kandidaten seit 1976, haben sich rassistische Vorurteile (bzw. deren „salience“, also ihre Wichtigkeit) seit seiner Wahl 2008 wieder verstärkt,  insbesondere im Süden, im ländlichen Raum und bei Bürgern ohne Collegeabschluss. Maßnahmen zur Unterdrückung von Minderheitenwählern könnten weiter zunehmen, wenn die derzeit laufenden Klagen gegen den Voting Rights Act beim Supreme Court Erfolg haben.
  6. Außerhalb der Machtbasis, also im Nordosten, an den Küsten, in den Städten und auch bei Minderheiten hilft der GOP die derzeit festzustellende Bewegung in gesellschaftspolitischen Fragen, insbesondere bei jüngeren Republikanern, denn durch diese relative Liberalisierung wird die Kern-Botschaft von „small government“ klarer und attraktiver, jedenfalls solange extremistische Botschaften anderswo nicht überhand nehmen. Die Popularität von Steuersenkungen (und Deregulierung) ist in den USA bisher ungebrochen und wird von den Demokraten auch nicht ernsthaft in Frage gestellt.
  7. Eine Minderheit innerhalb der Republikanischen Partei bewegt sich sogar in eine Richtung, die man „small but helpful government“ nennen könnte. Statt sich auf niedrigere Steuersätze zu kaprizieren, könnten solche Steuerreformen ins Auge gefasst werden, die die Stagnation der Mittelschichten abschwächen, z.B. durch Steuervorteile für Familien mit Kindern. Statt stur die Reduzierung des Haushaltsdefizits und des Bundeshaushalts zu verfolgen, könnten Einnahmen z.B. aus der Schließung von Steuerschlupflöchern z.B. zur Verbesserung der sozialen Mobilität unterer Einkommensschichten und der gesellschaftlichen Infrastruktur genutzt werden – historisch war es durchaus so, dass die GOP die Bedeutung staatlicher Maßnahmen für den wirtschaftlichen Erfolg der USA erkannt und gefördert hat. Selbst die steuerliche Bevorzugung von Kapitaleinkommen – eine Politik, die auch und gerade durch die Demokraten befördert wurde – ist für einige dieser Reformer kein Tabu, sie wollen eine „Rückkehr zur Meritokratie“ und so fadenscheinig diese Forderung auch sein mag, sie eröffnet durchaus Perspektiven für die GOP.[2]

Schon am 27. März gibt es den nächsten Showdown. Die Schuldengrenze muss erneut erhöht werden (bekanntlich ein recht lächerlicher Vorgang, der Kongress stimmt darüber ab, ob die von ihm bereits genehmigten Ausgaben finanziert werden dürfen). Obama hofft, dass er den Republikanern die Schuld für die Haushaltskürzungen des Sequesters und deren negativen Folgen geben kann – mit Organizing for Action hat er dafür ein neues, unbegrenzt von Unternehmen finanzierbares Vehikel – und sie ihn deshalb nicht zu weiteren Haushaltskürzungen zwingen können. Sicher ist das nicht. Während in Europa heute Politik oft genug in der Kunst des Externalisierens der Verantwortung besteht, meist an „Brüssel“ oder die Verfassungsgerichte, stellt sich die „blame avoidance“ in den USA so dar, dass man sich in die Gefangenschaft vergangener schlechter Kompromisse begibt, die Resultat von beidseitiger Erschöpfung waren. „Kicking the bucket down the road“ bleibt Prinzip der amerikanischen Politik, auch weil mit der GOP weiter zu rechnen ist, genauso wie mit der Mut- und Visionslosigkeit der Demokraten.


[1] Statt eines Verhältnisses von einem Dollar Mehreinnahmen für jede zwei bis drei Dollar Kürzungen, wie von Obama, der Bowles-Simpson-Kommission und anderen gefordert, haben die aktuellen Vereinbarungen ein Verhältnis von eins zu vier.

[2] Sheila C. Bair, “Bull by the Horns: Fighting to Save Main Street From Wall Street and Wall Street From Itself.” author. Michael Gerson und Peter Wehner, article in Commentary titled “How to Save the Republican Party,”.

Der Beitrag wurde am Donnerstag, den 7. März 2013 um 13:19 Uhr von Thomas Greven veröffentlicht und wurde unter The State of American Democracy: Innenpolitik abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

Eine Reaktion zu “Totgesagte leben länger – Sieben Thesen zur Zukunft der GOP”

  1. Curd Knüpfer

    Heute ist ein interessanter Beitrag zu Karl Rove und den diversen Unterorganisationen der GOP von Thomas Edsall auf den NYT Blogs erschienen: https://opinionator.blogs.nytimes.com/2013/05/08/in-data-we-trust/