The State of American Democracy

Research-based Analysis and Commentary by the Department of Politics at the John-F.-Kennedy Institute

Der Supreme Court legt die GOP an den Tropf der Macht

Thomas Greven, August 2013

Binnen Wochen, nachdem der Supreme Court der von ihrer Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen 2012 geschockten Republikanischen Partei einen Rettungsring zuwarf, in Form eines umstrittenen Urteils zum Voting Rights Act von 1965, begannen die Republikaner im alten Süden der USA mit neuen Manövern, um die zukünftige Wahlbeteiligung von Minderheiten zu begrenzen. Schon seit vielen Jahren stellt sich die GOP, die Grand Old Party, einst u.a. gegründet, um der Sklaverei ein Ende zu bereiten, in die schändliche Tradition der Jim Crow-Gesetze, mit denen die Demokratische Partei nach dem Ende der „Reconstruction“ für fast einhundert Jahre sicherstellte, dass die schwarzen Amerikaner ihr nach dem Bürgerkrieg erworbenes Wahlrecht kaum oder gar nicht nutzen konnten. Doch mit dem Urteil zum Ende des Bundesvorbehalts für Wahlrechtsänderungen in fünfzehn Staaten bzw. Teilen von Staaten, darunter neun Staaten des alten Südens, eröffnen sich für die Republikaner weitere Möglichkeiten der Unterdrückung von Minderheitenwählern, die auch bereits genutzt wurden (Kromm 2013, Nichols 2013).[1] Sechs Staaten des alten Südens haben seit dem Urteil Gesetze verabschiedet oder umgesetzt, die die Wahlbeteiligung von Minderheiten erschweren. North Carolina, ein Staat, den Obama 2008 noch gewinnen konnte, hat am 25. Juli 2013 Florida als Staat mit den schärfsten Gesetzen zur Wählerunterdrückung abgelöst  (Berman 2013).[2] Gegen den extrem konservativen Trend in North Carolina regt sich allerdings inzwischen erheblicher Widerstand, die sogenannten Moral Mondays, die von einer Koalition unter der Führung des N.A.A.C.P.  organisiert werden (Severson 2013). Auch in anderen Staaten gibt es Widerstand gegen die neuen Gesetze und Verordnungen z.B. zu Voter IDs, auch von gewählten Politikern, so z.B. in Arkansas (Facing South 2013).

Der Voting Rights Act war erst 2006 mit großen, überparteilichen Mehrheiten vom Kongress für 25 Jahre verlängert worden (98-0 im Senat und 390-33 im House), so dass das Urteil für viele Beobachter überraschend war, zumal es zahlreiche Beispiele für gegen Minderheiten gerichtete Wahlrechtsänderungen in Staaten gab, die vom Bundesvorbehalt nicht betroffen waren. Dies ließ klar erkennen, dass die GOP, die auch bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus die Mehrheit der Stimmen im Land verfehlte, in den Einzelstaaten zu dieser Methode bereit war (Wright 2013). Nur noch dreizehn Staaten werden nicht von einer Partei alleine regiert, dadurch ist die Polarisierung zwischen „Demokratischen“ und „Republikanischen“ Staaten weiter gestiegen.[3] Neben anderen negativen Konsequenzen weist Robert Reich (2013) auf diejenigen für Minderheiten hin: „For more than a century ‚states rights’ has been a euphemism for the efforts of some whites to repress or deny the votes of black Americans. Now that minorities are gaining substantial political strength nationally, devolution of government to the states could play into the hands of modern-day white supremacists”.

Aber der Supreme Court urteilte trotz aller Evidenz und aller Proteste mit einer Mehrheit von 5 zu 4, dass genug Zeit seit dem Voting Rights Act vergangen sei, um die betroffenen Staaten unabhängig über ihr Wahlrecht entscheiden zu lassen – der Kongress könne aber bei Bedarf einschreiten. Da Letzteres angesichts der Republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus und der Blockademöglichkeit im Senat unwahrscheinlich ist, deutet vieles darauf hin, dass den konservativen Richtern die strategische Bedeutung des Urteils klar war. Der Supreme Court, der trotz des positiven Urteils zu Obamacare und zu gleichgeschlechtlichen Ehe wohl als konservativ bezeichnet werden muss (Love 2013), legte die Republikanische Partei in ihrer Kernregion an den Tropf der Macht – das Herz der GOP-Fraktion im Repräsentantenhaus ist die alte Confederacy (98 Sitze und damit 42% ihrer 234), dasselbe gilt für das Electoral College (Kondik 2013). 

Der Supreme Court scheint auch entschlossen, die amerikanischen Gewerkschaften weiter zu schwächen (in Streitfällen zum National Labor Relations Board und zur Organisierungspraxis der sogenannten „neutrality deals“); dies würde in der Folge auch die Situation der Demokraten bei der weißen Arbeitnehmerschaft weiter verschlechtern. Zudem steht im Herbst möglicherweise ein weiteres Urteil zur Wahlkampffinanzierung an, mit dem die Rolle des Geldes weiter erhöht werden könnte. Shaun McCutcheon, ein Republikaner aus Alabama, will mehr Kandidaten direkt Geld spenden (jeweils genau 1.776 Dollar!), als insgesamt zulässig ist. Sein Argument ist äußerst originell: Das Citizens United-Urteil, in dem 2010 entschieden wurde, dass es für „unabhängige Wahlkampfausgaben“ keine Grenzen geben dürfe, habe die alten Regeln für direkte Spenden faktisch irrelevant gemacht  (Toobin 2013).

Die Republikanische Partei verfügt noch über eine weitere Stütze. Die Mehrheit der GOP im Repräsentantenhaus beruht, jedenfalls in manchen Staaten, auf Redistricting zugunsten sicherer Republikanischer Sitze und der Minimierung sicherer Demokratischer Sitze durch Republikanisch dominierte Einzelstaatsparlamente („Gerrymandering“). Da die GOP als Wahlsieger aus den Zwischenwahlen 2010 hervorging, die im Jahr der Volkszählung stattfand, auf die wiederum die Neuverteilung der Sitze im House und der neue Zuschnitt der Wahlkreise erfolgt, wird sie von dieser Situation noch bei einigen weiteren Wahlen profitieren. Doch die Frage ist, ob dies für die GOP ausreicht, um bei Wahlen im Bund wieder konkurrenzfähig zu werden. Angesichts der demographischen Trends in den USA, durch die auch im Süden die weiße Kernwählerschaft der Republikaner mittel- bis langfristig zu einer Minderheit werden wird, jedenfalls gegenüber der Summe der (anderen) Minderheiten, muss die GOP strategische Überlegungen anstellen. Das Partei-Establishment scheint dazu bereit zu sein, ihm gegenüber stehen jedoch wenig bewegliche „movement conservatives“, z.B. die Anhänger der Tea Party (Greven i.V.).

Literatur

Abramowitz, Alan, 2013: Voting in a Time of Polarization: Why Obama Won and What it Means, in: Larry J. Sabato (Hrsg.), Barack Obama and the New America. The 2012 Election and the Changing Face of Politics, Lanham: Rowman & Littlefield, S.45-58.

Berman, Ari, 2013: North Carolina Passes the Country’s Worst Voter Suppression Law, The Nation, Online Edition, 26. Juli.

Bogado, Aura, 2013: What the Supreme Court Didn’t Strike Down Yesterday, The Nation.com Blog, 18. Juni.

Facing South, 2013: Southern Elected Officials Take Stands Against Voter ID, 31. Juli. [https://www.southernstudies.org/2013/07/southern-elected-officials-take-stands-against-vot.html]

Greven, Thomas, in Vorbereitung: Zwischen Plutokratie und Rassismus: Der sehr amerikanische Populismus der Tea Party-Bewegung, in: Christoph Bieber & Klaus Kamps (Hrsg.), Die US‐Präsidentschaftswahl 2012. Analysen der Politik- und Kommunikationswissenschaft.

Kondik, Kyle, 2013: Republicans Hold the Line: 2012’s National House Contest, in: Larry J. Sabato (Hrsg.), Barack Obama and the New America. The 2012 Election and the Changing Face of Politics, Lanham: Rowman & Littlefield, S 143-151.

Kromm, Chris, 2013: The Voting Rights Act and the Future of Southern Politics, Institute for Southern Studies, 27. Juni. [https://www.southernstudies.org/2013/06/the-voting-rights-act-and-the-future-of-southern-p.html]

Love, David A., 2013: Supreme Court Throws Voting Rights Act Under the Bus, Black Commentator (Online), 27. Juni.

Nichols, John, 2013: SCOTUS Voting Rights Act Decision Means We Need ‚Right to Vote‘ Amendment, The Nation (Online Edition), 25. Juni.

Reich, Robert, 2013: The Quiet Closing of Washington, 8. Juni. [https://robertreich.org/post/52488978442]

Severson, Kim, 2013: Protests in North Carolina Challenge Conservative Shift in State Politics, New York Times (Online Edition), 11. Juni.

Toobin, Jeffrey, 2013: Another Citizens United—but Worse, in: The New Yorker (Online Edition), 30. Juli.

Wright, Gavin, 2013: Voting Rights Act Brought Major Economic Benefits, Bloomberg (Online), 26. Juni.

 


[1] Das Urteil gibt der Bewegung für einen Verfassungszusatz zum Wahlrecht neuen Wind. Die Reformorganisation FairVote schreibt treffend: “Because there is no right to vote in the U.S. Constitution, individual states set their own electoral policies and procedures. This leads to confusing and sometimes contradictory policies regarding ballot design, polling hours, voting equipment, voter registration requirements, and ex-felon voting rights. As a result, our electoral system is divided into 50 states, more than 3,000 counties and approximately 13,000 voting districts, all separate and unequal” (Nichols 2013, vgl. auch Wright 2013).

[2] Das Gesetz, das nach nur drei Tagen Debatte verabschiedet wurde verlangt u.a. „strict voter ID“, obwohl es seit einem Jahrzehnt keine Betrugsfälle mehr gab, und kürzt die „early voting period“ um eine Woche, obwohl – oder vielmehr weil – 56% der Bürger von ihr Gebrauch machen, darunter ein großer Anteil Minderheiten-Wähler. Die „same-day voter registration“ in dieser Phase, die diese Wähler ebenfalls nutzen, wurde gestrichen (Berman 2013). Selbstverständlich gibt es Möglichkeiten, diese Gesetze anzufechten. Der Supreme Court hat kürzlich z.B. die Gesetzgebung in Arizona, die für die Stimmabgabe die Vorlage des Nachweises der Staatsbürgerschaft verlangte, für verfassungswidrig erklärt (Bogado 2013).

[3] Auch bundesweit ist die ideologische Polarisierung zwischen den Parteien und ihren Wählern ebenso deutlich wie die “racial divide” (Abramowitz 2013: 51).

Der Beitrag wurde am Freitag, den 9. August 2013 um 11:00 Uhr von Thomas Greven veröffentlicht und wurde unter The State of American Democracy: Innenpolitik abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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