[Erscheint demnächst in WeltTrends]
Sabato, Larry J. (Hrsg.): Barack Obama and the New America. The 2012 Election and the Changing Face of Politics. Rowman & Littlefield, Lanham 2013, 241 S.
Bei Büchern, die kurz nach einer Wahl einen „first look“ (S. viii) wagen, ist Skepsis angebracht. Wie solide können Schnellschussanalysen schon sein? Auch der von Larry Sabato, einem Doyen der US-amerikanischen Wahlforschung, herausgegebene Band enthält Verweise auf notwendige weitere Untersuchungen und einige Redundanz, ist aber insgesamt ein Qualitätsnachweis US-amerikanischer Mainstream-Politikwissenschaft: Zwar ist die Reichweite und Tiefe der Fragen begrenzt, doch werden sie von Fakten gestützt beantwortet. Kritisch gewendet könnte man argumentieren, dass das Buch zur amerikanischen Eigenart passt, Wahlen wie sportliche Wettkämpfe zu betrachten (horse race): Es ist die Analyse nach dem Spiel. Im Zentrum stehen folgende Fragen: Warum gewann Präsident Obama trotz der schlechten Wirtschaftslage bzw. warum verlor sein Herausforderer Romney? Welche Rolle spielten demografische Entwicklungen im Vergleich zu anderen Faktoren und wie nachhaltig werden sie zukünftige Mehrheitskonstellationen prägen? Wie dauerhaft ist der Sieg der Demokraten und welche Chancen haben die Republikaner, sich von der Niederlage zu erholen sowie jenseits ihrer Mehrheit im Repräsentantenhaus erfolgreich zu sein.
In der US-amerikanischen Politikwissenschaft gibt es die Realignment-Forschung, die der Frage nachgeht, ob eine Wahl als Richtungswahl bezeichnet werden kann. Eine critical election leitet eine längere Dominanzperiode einer Partei ein und spiegelt eine grundlegende Verschiebung der Wählerpräferenzen. Abgesehen davon, dass dies nur im Rückblick festgestellt werden könnte, geht die Frage für die Wahl 2012 fehl: Wenn überhaupt, dann wäre 2008 eine solche Richtungswahl gewesen. In seinem Einführungsbeitrag bezeichnet Sabato Obamas Wiederwahl dementsprechend als confirmation election, die eine Reihe von Trends bestätigte, z. B. die Stärke der Demokraten in urbanen Räumen, bei jungen Wählern und vor allem bei ethnischen Minderheiten. Gleichzeitig argumentiert er, dass einige „Grundregeln“ US-amerikanischer Wahlen gebrochen wurden, insbesondere der angenommene Zusammenhang zwischen der Höhe der Arbeitslosigkeit und dem Wahlausgang. Und obwohl die Wahlbeteiligung gegenüber 2004 und 2008 gesunken ist, war die Beteiligung der Minderheiten erneut hoch.
Dies ist eine entscheidende Frage, denn ob der sinkende Anteil weißer Wähler der GOP (Grand Old Party, Republikaner) mittelfristig die bundespolitische Machtperspektive verstellt, hängt nicht zuletzt von der Wahlbeteiligung der Minderheiten ab. Es kommt darauf an, wie viel „Obama“ im Sieg der Demokraten steckt bzw. wie viel „Romney“ in der republikanischen Niederlage. Campbell betont den statistischen Vorteil eines first party-term incumbent. Ein Amtsinhaber, der auf einen Präsidenten der anderen Partei folgt, ist bislang in der US-Geschichte fast unschlagbar gewesen. Romney machte nach den quälend langen Vorwahlen zudem den strategischen Fehler, nach rechts zu rücken und mit der Nominierung des Tea-Party-Favoriten Ryan die Wahl nicht zu einem Referendum über Obamas Wirtschaftspolitik zu machen. Owen, Sabato und MacManus betonen die technologische Überlegenheit der Obama-Wahlkämpfer in Sachen voter identification, microtargeting und get out the vote – allerdings gilt dieser Vorsprung nicht für die Demokratische Partei insgesamt.
Obwohl Romney 59 Prozent der Stimmen der Weißen gewann, konnte dies seine Nachteile bei den Minderheiten nicht ausgleichen – was auch daran lag, dass er große Mehrheiten unter den Weißen eben nicht in den Battleground States erzielte, sondern im Süden und in den Appalachen, wo er ohnehin gewonnen hätte. Bei den Wahlen 2012 gewann Obama 24 Staaten mit mehr als fünf Prozent Vorsprung. Alleine diese Staaten mit ihren 272 Wahlmännerstimmen hätten für den Sieg gereicht. Dementsprechend gelassen agierte die Obama-Kampagne, die ihren eigenen Umfrageinformationen vertraute.
Dennoch: Jenseits spezifischer Gründe für den Wahlausgang 2012, die von der demografisch fundierten These einer „Emerging Democratic Majority“ (Judis / Teixeira 2002) abweichen, ist durchaus Skepsis angebracht: Die demokratische Wählerkoalition ist nicht erweitert, sondern lediglich durch eine höhere Wahlbeteiligung von Minderheiten sowie jungen Wählern vergrößert worden. Republikaner haben weiterhin Chancen in traditionell demokratischen Staaten, z. B. im industriellen Mittleren Westen bzw. Nordosten. Außerdem ist die demokratische Koalition von Spannungen durchzogen; es droht eine „revolt from the left“, sollte Obama weitere soziale Kürzungen verhandeln. In den Zwischenwahlen dominieren nach wie vor die weißen Wähler, weil die Beteiligung der Minderheiten sinkt.
In dem Werk finden sich ebenfalls Analysen zum Kongress, wo die GOP dank Gerrymandering und der Konzentration der demokratischen Wähler in urbanen Räumen die Mehrheit im Repräsentantenhaus halten konnte, sie im Senat aber u. a. durch extreme Äußerungen einzelner Kandidaten verspielte. In den Einzelstaaten hält die GOP zudem die Mehrheit der Gouverneursämter und Parlamente. Ferner enthält der Band grundlegende Informationen zur Wahlkampffinanzierung, zum medialen Wahlkampf sowie den Übersättigungseffekten in den Battleground States.
Thomas Greven, Freie Universität Berlin