– Kommentar zur südkoreanischen Präsidentenwahl 2012
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Hannes B. Mosler
Institut für Koreastudien
Freie Universität Berlin
Zusammenfassung:
- Die Kandidatin der regierenden rechtskonservativen Neue Welt Partei, Park Geun-hye, hat sich mit 51,6% gegen den Kandidaten der oppositionellen liberalen Demokratischen Vereinigten Partei, Moon Jae-in (48,0%) bei der seit zehn Jahren höchsten Wahlbeteiligung von 75,8% durchgesetzt.
- Mit Park Geun-hye wurde das erste Mal eine Frau ins höchste Amt Südkoreas gewählt; zum ersten Mal seit der formalen Demokratisierung hat ein Kandidat bei Präsidentenwahlen mit mehr als der Hälfte der abgegebenen Stimmen gewonnen; zum ersten Mal wurde der Nachkomme eines vormaligen Präsidenten ins Amt gewählt.
- Die Wahlniederlage Herrn Moons trotz der Kandidaturvereinigung mit dem populären Professor und Unternehmer Ahn Cheol-soo, des Rücktritts der Kandidatin der links-progressiven Vereinten Progressiven Partei, Lee Cheong-hee, und der allgemeinen oppositionellen Einheitsfront-Strategie ist in erster Linie im schwachen Wahlkampf der Opposition und in zweiter Linie im intelligenten Wahlkampf der Regierungspartei zu suchen.
- Die bereits überwunden geglaubten Muster im Wahlverhalten der Südkoreaner bestätigten ihre Vitalität bei diesen Wahlen einmal mehr: der Antagonismus zwischen Wählern verschiedener Regionen, Lebensräume (Stadt/Land), Generationen, Bildungsstand, Berufsgruppe, Einkommen usw. zeigte als Grundbedingung ihre Wirksamkeit.
I. Überblick
18. Präsidentenwahlen
Die Kandidatin der rechtskonservativen regierenden Neue Welt Partei (NWP), Park Geun-hye, wurde bei den Wahlen am 19. Dezember zur Präsidentin für die nächsten fünf Jahre gewählt. Sie wird am am 25. Februar des kommenden Jahres offziell ins Amt eingeführt. Bis dahin wird sie sich mit ihrem Übergangskomittee auf die Regierungsübernahme vorbereiten. 51,6% der Wahlgänger hatten sich für Park entschieden, während rund eine Million weniger (48%) für ihren Kontrahenten der liberalen Demokratischen Vereinten Partei (DVP), Moon Jae-in, gestimmt hatten. Der Unterschied in der Zustimmung ist weitaus kleiner als vor fünf Jahren, aber deutlich größer als vor zehn Jahren. Mit anderen Worten, der Wahlausgang ist ein klares Ergebnis, das für eine eindeutige Zustimmung für Park Geun-hye und ihre NWP spricht. Es ist das erste Mal nach der formalen Demokratisierung 1987, dass ein Kandidat bei einer Präsidentenwahl über 50% der abgegebenen Stimmen erhalten hat. Die Wahlbeteiligung lag mit 75,8% ebenfalls höher als bei den vergangenen zwei Präsidentenwahlen.
Erst im April hatten 42,8% der Wahlgänger der regierenden NWP erneut die Mehrheit im Parlament gesichtert. Derzeit hält die Parlamentsfraktion der NWP 154 der 300 Sitze der Nationalversammlung, verfügt also neben der Exekutiven auch in der Legislativen über eine überwiegende Mehrheit an Sitzen und Legitimation durch das Volk.
Mit der Wahl von Frau Park ist nicht nur das erste Mal eine Frau im höchsten Amt der Republik Korea (hiernach: Südkorea), sondern auch zum ersten Mal der Nachkomme eines vormaligen Staatspräsidenten. Park Geun-hye ist die Tochter des umstrittenen Militärdiktators Park Chung-hee (1917-1979), der in Südkorea zwischen 1961 und 1979 geherrscht hat. Sie reiht sich damit in die Liste der aktuellen Staatsführer ostasiatischer Länder wie China, Nordkorea und Japan ein, die alle Nachkommen von politischen Führungspersönlichkeiten sind. Kim Jeong-un wurde im April 2012 zum Führer der Partei der Arbeit zum Ersten Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungskomitees der Demokratischen Volksrepublik Koreas (hiernach: Nordkorea), also zum Staatsoberhaupt des Landes gewählt. Er ist bekanntermaßen der Sohn seines Vorgängers Kim Jeong-il (1941-2011) und der Enkel von Kim Il-sung (1912-1994). Sein Großvater ist berühmt für seinen Widerstandskampf in der Mandschurei gegen die japanische Kolonialherrschaft seit Mitte der 1930er Jahre, aber auch dafür, dass er den in Nordkorea sogenannten Volksbefreiungskrieg, also den Koreakrieg (1950-53) angefangen hatte. Der im November 2012 zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas und zum Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission gewählte Xi Jinping ist der Sohn von Xi Zhongxun (1913-2002), der dem Staatsrat der Republik Chinas angehörte und der ersten Führungsgeneration Chinas zugerechnet wird. Shinzō Abe, der am 26. Dezember 2012 erneut zum Premierminister Japans wurde, ist der Enkel von Nobusuke Kishi. Kishi hatte während der japanischen Kolonialzeit Mitte der 1930er Jahre als hochrangiger Staatsdiener in Mandschuko gedient, wurde später als Kriegsverbrecher der Klasse A eingestuft und in Haft genommen. Er konnte jedoch Ende der 1950er Jahre sogar Vorsitzender der neu gegründeten Demokratischen Liberalen Partei und schließlich auch Premierminister Japans werden (1957-1960).
Regionale Nachwahlen
Neben den Präsidentenwahlen wurden bei den Nach- und Wiederholungswahlen außerdem 26 Ämter in den Regionen neu besetzt. In der Provinz Süd-Gyŏngsang wurde ein neuer Governeur gesucht, da der Vorgänger, Kim Du-gwan (DVP), zurückgetreten war, um an innerparteilichen Vorwahlen für die Präsidentschaftskandidatur teilnehmen zu können. Er scheiterte mit 14,3% der abgegebenen Stimmen nach Sohn Hak-kyu (22,2%) und Moon Jae-in (56,5%). Außerdem musste das Amt des Bildungssuperintendenten Seouls neu besetzt werden, da der amtierende progressive Kwak No-hyun (parteilos) wegen eines Vergehens gegen das Wahlgesetz verurteilt worden war. Des Weiteren wurden drei neue Bezirksleiter, zwei neue Bezirksabgeordnete und 19 Kommunalparlamentarier gesucht. Die NWP konnte sich von ehemals neun Ämtern auf 13 verbessern. Darunter war auch das governeursamt der Provinz Süd-Gyŏngsangs, das vom altgedienten Hong Jun-pyo übernommen wurde. Die DVP hingegen musste auch hier eine Niederlage einstecken und verschlechterte sich von ehemals zehn Ämtern auf sieben. Das wichtige Amt des Bildungssuperintendenten in Seoul wurde vom konservativen Moon Yong-lin übernommen. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Opposition bei diesen Nach- und Wiederholungswahlen auf regionaler und kommunaler Ebene ebenfalls eine herbe Niederlage einstecken musste.
Durch die gleichzeitige Durchführung der regionalen Nach- und Wiederholgungswahlen mit den Präsidentenwahlen, waren diese entsprechend vom allgemeinen Trend beeinflusst. Was waren die Hauptfaktoren, die für das Oppositionslager schließlich so negativ wirkende Tendenz gesorgt haben? Dazu muss man zum Einen die für Südkoreas Wählerschaft typischen Muster bzw. Bedingungen verstehen und zum Anderen den historischen Kontext sowie die Hauptakteure und ihr Handeln analysieren.
II. Hintergrund: spezifische Bedingungen und Muster
Regionalismus
Der Regionalisms hat sich bei diesen Wahlen wieder einmal deutlich niedergeschlagen. Ein offensichtlich negativer Aspekt des Regionalismus ist die deutliche Tendenz, dass nicht auf Basis geteilter Werte und in Hinsicht auf zugestimmten Inhalte, sondern lediglich entlang von geographischen bzw, administrativen Linien und nach Geburtsorten von Persönlichkeiten gewählt wird. Dem Ende der 1980er Jahre deutlich herorgetretenen Regionalismus wurde nach in den vergangenen 25 Jahren eine immer weniger wichtige Rolle zugeschrieben. Das Verhalten der Wähler bei Parlamentswahlen und Präsidentenwahlen in diesem Jahr zeichnet jedoch ein deutlich anderes Bild. Ein Aspekt, der die negativen Auswirkungen des Regionalismus noch weiter verschärft, ist neben der wirtschaftlichen die demographische Ungleichheit zwischen den konkurrierenden Regionen. Die Yŏngnam-Region (Daegu, Nord-Gyŏngsang, Pusan und Süd-Gyŏngsang) haben mit aktuell 9,8 Millionen Wahlberechtigten fast doppelt soviel wie die (5,3 Millionen) der Honam-Region (Kwangju, Nord- und Süd-Chŏlla). Hinzu kommen die rund 5 Millionen Wahlberechtigten der potentiell konservativen Regionen Chungcheong (Süd-, Nord- Ch’ungch‘ŏng, Daejŏn und Sejong) sowie die 1,2 Millionen Wahlberechtigten der Provinz Kangwon, die die längste Grenze zu Nordkorea hat und entsprechend durch konservative Sicherheitspolitik zu beeindrucken ist. Auf Grund dieser ungleichen Ausgangslage war der Wahlausgang im Hauptstadteinzugsgebiet bisher immer entscheidend für den Wahlsieg des liberaldemokratischen Lagers. Zusammen mit der sie umgebenden Provinz Kyŏnggi und der benachbarten Hafenstadt Inch`ŏn zählte das Sŏuler Einzugsgebiet insgesamt rund 20 Millionen Wahlberechtigte. Traditionell sind die urbanen Wähler Südkoreas eher fortschrittlich-liberalen Kandidaten zugetan, während die Landbevölkerung rechtskonservative Politik unterstützt. Bei diesen Wahlen jedoch konnte Herr Moon lediglich in Seoul die Mehrheit der Wähler für sich gewinnen, während er sowohl in Inch`ŏn als auch in Kyŏnggi hinter seiner Konkurrentin zurückblieb. Selbst der Sieg in Seoul gelang nur sehr knapp. Frau Park gewann relativ deutlich in Bezirken südöstlich des Flusses, die sogenannte Kangnam-Region der Stadt, in der hauptsächlich Besserverdiener leben. Der Abstand zwischen den Unterstützerwerten hat sich jedoch verkleinert. Während nun Moon bei den Besserverdienern zugelegt hat, konnte Park die weniger gut Betuchten mit ihrer ˈPolitik für die einfachen Menschenˈ und ihrem ˈWiederaufbau der Mittelschichtˈ punkten.
Die Charakteristika der Ergebnisse in den regionalen Hochburgen der verschiedenen Lager gleichen denen der Präsidentenwahl vor 20 Jahren, als Kim Dae-jung knapp (8,1%) gegen Kim Young-sam verlor. So wie Kim Dae-jung 1992 gewann auch Moon 2012 die Mehrheit der Stimmen nur in der Region Honam und in der Hauptstadt Seoul und musste sich seiner Kontrahentin Park Geun-hye knapp (3,4%) geschlagen geben. Moon erhielt in Honam, der Hochburg der Demokratischen Vereinigten Partei, mit durchschnittlich 89,2% nur ein bisschen weniger Zustimmung als damals Kim Dae-jung`s (92,4%), der aus dieser Region stammt. Park Geun-hye hingegen war die erste Präsidentschaftskandidatin seit Roh Tae-woo (1987), die in der Region Honam über die 10%-Grenze gekommen ist (10,3%). Dies war zwar nicht ausschlaggebend für ihren Wahlsieg, aber dennoch ein Zeichen. Hauptsächlich ist dieser Wandel jedoch auf die zahlreichen Überläufer aus dem Oppositionslager zurückzuführen. Am wirksamsten in dieser Hinsicht sind wohl die Parteiwechsel von Politikern gewesen wie Han Kwang-ok, Han Hwa-gap oder Kim Kyoung-jae, die allesamt seit Dekaden zu den engsten Vertrauten Kim Dae-jungs gehört hatten.
Einkommen und Berufsgruppe
Im Allgemeinen zeigte sich bei der Wahl, dass Wähler je niedriger ihr Einkommen oder Bildungsstand ist, umso eher Frau Park wählten. Wähler mit einem monatlichen Einkommen von umgerechnet unter 1400 Euro haben deutlich mehr (56,1%) Park gewählt. In allen anderen Einkommensgruppen zwischen 1500 und mehr als 3500 Euro Monatsgehalt gab jeweils die Mehrheit an, Moon gewählt zu haben. Dieses Muster setzt sich entsprechend bei der Unterteilung nach Bildungsstand fort. Umso gebildeter die Wähler sind, desto eher haben sie sich für Herrn Moon entschieden. Je niedriger der Bildungsgrad, desto mehr wählten sie Frau Park. Bei den Berufsgruppen dominiert die Unterstützung für Park entsprechend bei Arbeitslosen (60,4%) Hausfrauen und –männern (55,6%), Landwirten, Fischern und Förstern (55,2%), jedoch auch bei Selbständigen (50,2%). Angestellte (53,5%), Arbeiter (48,1%) und Studenten (60,4%) wählten dagegen in der Mehrzahl Moon.
Generation und Alter
Neben dem Bildungsgrad, der wahrscheinlich zu einem nicht unbedeutenden Teil auch auf Beruf und Einkommen entspricht, sind außerdem Altersunterschiede als wesentlicher Faktor festzustellen. Es zeigt sich die deutliche Tendenz, dass umso älter die Wähler sind, desto mehr haben sie für Frau Park gestimmt, während die Jüngeren eher Moon bevorzugen. Dies war Frau Park umso zuträglicher, als dass die alternde Gesellschaft Südkoreas in den vergangenen zehn Jahren den Anteil der älteren Wahlberechtigten hat stark ansteigen lassen. Außerdem war die Wahlbeteiligung der Älteren Menschen immer schon höher als die der Jüngeren, wie sich auch bei diesen Wahlen erneut unter Beweis gestellt hat.
III. Vordergrund: Stärken und Schwächen der Kandidaten
Park Geun-hye
Park Geun-hye hat unter wahlkampfstrategischen Gesichtspunkten alles richtig gemacht. Zunächst hatte sie nicht nur die Partei, sondern auch das konservative Lager hinter sich gebracht. Es gab zwar immer wieder parteiinterne Auseinandersetzungen über ihren autoritären und kommunikationsarmen Führungsstil sowie über inhaltliche Positionen, aber spätestens seit dem überraschend deutlichen Sieg bei den Parlamentswahlen noch im April dieses Jahres hatte sich Frau Park in der regierenden NWP unverzichtbar gemacht. Dem geht natürlich eine lange Entwicklung voraus, die mindestens bis ins Jahr 2002 zurückverfolgt werden kann. Damals wollte sie sich nach den verlorenen parteiinternen Vorwahlen zur Präsidentschaftskandidatur gegen Lee Hoi-chang nicht so schnell geschlagen geben und gründete kurz darauf mit der Allianz für Zukunft (AFZ) eine eigene Partei. Doch nur kurze Zeit später kam sie zurück, um nach einer skandalösen Schwarzgeldaffäre der Großen Nationalpartei (GNP; Vorgängerpartei der NWP) 2004 die Partei als Vorsitzende wieder auf Kurs zu bringen. 2007 schließlich trat sie erneut zur parteiinternen Vorauswahl für die Präsidentschaftskandidatur an, musste sich jedoch knapp Lee Myung-bak geschlagen geben. Dieses Mal war sie eine faire Verliererin, blieb in der Partei und baute ihre Machtposition weiter aus. Sie verhielt sich weitgehend ruhig, um die Partei nicht durch interne Konflikte zu schwächen. Gleichzeitig jedoch meldete sie sich zu bestimmten Streitfragen mit abweichender Meinung zu Wort, um sich vom amtierenden Präsidenten und Parteigenossen Lee Myung-bak deutlich zu distanzieren. Dieses geschickte Taktieren und ihr Händchen bei Wahlen haben ihr soviel Rückhalt in der Partei eingebracht, dass sie bei den diesmaligen parteiinternen Wahlen keinen ernstzunehmenden Konkurrenten hatte.
Nach der weltweiten Wirtschaftskrise 2008 und auch in Südkorea immer drängender werdenden sozialen Problemen waren die Hauptthemen der regionalen Wahlen 2010 Arbeitslosigkeit, Wohlfahrt und der Hauptstadtumzug. Bei den wichtigen Wahlen zum Bürgermeisteramt von Seoul erhitzte sich die Debatte zwischen Regierungs- und Oppositionslager vor allem an der Frage der kostenlosen Schulspeisung. Zwar wurde der amtierende Bürgermeister der Regierungspartei wiedergewählt, trat jedoch kurze Zeit später zurück, da ein Referendum, das er initiiert haben wollte, nicht zu Stande kam. Es ging darum, die Bürger Seouls zu fragen, ob sie der oppositionellen Mehrheit des Seouler Stadtparlaments zustimmten, die eine Ausweitung der kostenlosen Schulspeisung auf alle Seouler Grundschulen und Mittelschulen durchsetzen wollte, oder dem restriktiven Gegenvorschlag der Regierung. Spätestens seit diesen regionalen Wahlen hat sich auch die Regierungspartei Themen zu eigen gemacht, die bis dahin eher dem liberaldemokratischen Lager vorbehalten waren. In Vorbereitung auf das Superwahljahr 2012 hat Park Geun-hye dieser Tendenz einen weiteren deutlichen Linksruck verpasst in ihrer Funktion als Übergangsvorsitzende (Dezember 2011 – Mai 2012). In ihrem Präsidentschaftswahlkampf standen Demokratisierung der Wirtschaft, Wohlfahrtsstaatlichkeit und Arbeitsplatzbeschaffung ganz oben auf der Liste der Wahlversprechen. Dadurch, dass sich die NWP unter Fehderführung Parks diese Themen zu eigen gemacht hatte, nahm sie der Opposition viel Wind aus den Segeln. Noch vor zwei Jahren bei den regionalen Wahlen konnte sich die Opposition relativ klar von der Regierung abgrenzen mit sozialen Themen und auch bei den Nachwahlen mit dem Sieg des parteilosen, aber oppositionsnahen Park Won-soon glänzen. Endlich konnte auch die breite Bevölkerung für Politik interessiert werden, weil es um ihre Kinder in den Schulen ging, die etwas zu essen bekommen sollten; ähnlich war zuvor die Auseinandersetzung um die Regierungspolitik zu Lebensmittelsicherheit hart umkämpft. Bei diesen Präsidentschaftswahlen jedoch musste man schon genau hinhören und die Programme genau studieren, wollte man wesentliche Unterschiede entdecken zwischen den Versprechen der Kandidaten. Ein nicht unwesentlicher Faktor, der zu dieser Schwierigkeit beitrug, ist die von der Regierung stark kontrollierte Medienlandschaft und ein traditionell konservativ dominierter Zeitungsmarkt.
Wegweisende Gloriole des Vaters und effektive Lippenbekenntnisse zur Vergangenheit
In der Bevölkerung hatte Frau Park bereits seit Jahren eine solide Zustimmung von 30 bis 40%. Ihre Familiengeschichte ist ihr größtes politisches Kapital. Viele sehen in ihr entweder ihren Vater, den autoritären Präsidenten Park Chung-hee, oder ihre Mutter, die fürsorgliche First Lady, oder beide. Beide sind bei Attentaten umgekommen und Frau Park selbst ist vor sechs Jahren einem Angriff ausgesetzt worden, bei dem ihr mit einem Teppichmesser eine elf Zentimeter lange Wunde an der rechten Gesichtshälfte zugefügt wurde. Diesem dramatischen Vorfall aus dem Jahr 2006 war das erste Werbevideo für ihren Wahlkampf im vergangenen Dezember gewidmet. Viele, insbesondere ältere Menschen verspüren eine positive Nostalgie, wenn sie an die Zeit der Entwicklungsdiktatur unter Vater Park (1961-1979) denken, da sich in diesem Zeitraum das Land schnell entwickelt hat und viele Menschen zu Wohlstand kamen. Außerdem sind ein großer Anteil der über 60-Jährigen die meisten der Menschen, die heute über 60 Jahre alt sind, direkt oder indirekt immer noch stark geprägt vom Koreakrieg, und nicht zuletzt von der anti-kommunistischen und autoritären Bildung der vergangenen Dekaden. Für sie erscheint Park Geun-hye als fähige Politikerin, die das Land gut führen und die Wirtschaft ankurbeln wird – wie ihr Vater.
Viele Südkoreaner denken jedoch anders. Sie sehen in Park Geun-hye die Tochter des kaltblütigen Militärdiktators Park Chung-hee, der sich 1961 an die Macht geputscht hat, um das Land für 18 Jahre mit eiserner Hand zu beherrschen, und es so weit trieb, dass nur ein brutaler Mord durch seinen Geheimdienstchefs ihn aufhalten konnte, und ein Machtvakuum hinterließ, das sofort von einem weiteren Militärdiktator gefüllt werden konnte. Jedoch richtet sich die Kritik nicht an Frau Park als Tochter persönlich, sondern als Tochter und an die gestandene Politikern, die das Handeln ihres Vaters, des Militärdiktators rechtfertigt. Nach langem Zögern ließ sich Frau Park schließlich doch noch von Parteigenossen überreden, öffentlich Stellung zu beziehen zu den zahllosen Vorwürfen gegen das Vorgehen ihren Vater. Am Anfang ihrer live übertragenen Pressekonferenz gestand sie ein, es für sie als Tochter nicht leicht sei, etwas Kritisches über den Vater zu sagen. Sie blieb vage, was die eigentlichen früheren Verbrechen anging und sie schwieg zu der im Raum stehenden Frage, wie sie als potentielle Präsidenten darüber urteilen würde. Es reichte trotzdem, dem Angriff der Opposition die Spitze zu nehmen. Sie hatte sich damit zu den Vorwürfen geäußert, hatte sich irgendwie von den Missetaten distanziert, so wie sie sich von Lee Myung-baks Regierungspolitik immer wieder vage distanzierte, und war für die allgemeine Mehrheit annehmbar, was diesen Punkt anbetrifft. Die Regierungspartei konnte sich deshalb noch besser auf ihren Angriff auf Herrn Moon und seine Verbindung zur Regierung unter Präsident Roh Moo-hyun konzentrieren, die nach ihrer Meinung eine gescheiterte Regierung war.
Moon Jae-in
Die entscheidenden Schwächen des Wahlkampfes des liberaldemokratischen Lagers waren die unbedingten Strategien der oppositionellen Einheitsfront, die Kandidaturvereinigung von Ahn Cheol-soo und Moon Jae-in und des Negativwahlkampfes. Denn hierüber vernachlässigte das Oppositionslager die Profilierung durch programmatische Inhalte, die Überzeugung der Wähler durch Führungsqualitäten und stieß gemäßigt Konservative vor den Kopf.
Nachdem die damalige Regierungs- und heutige Oppositionspartei bei den Präsidentenwahlen 2007 und den Parlamentswahlen 2008 so kläglich gegen die GNP (heute: NWP) verloren hatte, begann man bei den regionalen Wahlen 2010 mit der Strategie einer oppositionellen Einheitsfront. Man sah im Oppositionslager kein anderes Mittel gegen die übermächtige GNP, als sich gegen den gemeinsamen ˈFeindˈ zusammenzutun, auch wenn man eigentlich teils gewichtige Meinungsunterschiede hatte. Deshalb hielt man auch bei den beiden großen Wahlen 2012 daran fest. Doch die Rechnung ging nicht auf und im Prinzip wiederholten sich die Fehlschläge von 2007 und 2008. Zu sehr hatte man auf die Wirkung gehofft, die sich durch eine solche quantitative Taktik ergeben sollte; man wollte die Regierungspartei zahlenmäßig herausfordern, was von vornherein ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen war. Der Effekt wurde weiter davon untergraben, dass sich die Kritik an der NWP fast ausschließlich auf den Umgang mit der Vergangenheit, insbesondere der mit dem Militärdiktator Park Chung-hee als Vater Frau Parks beschränkte. Die Schwäche dieses Negativwahlkampfes lag darin, dass die Stammwählerschaft der NWP, die wegen ihrer Rigidität auch Beton-Wählerschaft genannt wird, diese vermeintliche Schwäche als Stärke ansah und gemäßigt Konservative oder Mitte-Rechts-Wähler es entweder als nicht ausschlaggebend ansahen oder mit den Erklärungen Parks in dieser Hinsicht befriedet waren. Das Oppositionslager jedoch hatte all seine Kraft darauf verwendet. Außerdem kam dies Bumerang zurück. Denn die NWP schoss sich im Gegenzug auf Moon als Teil der ˈgescheitertenˈ Roh-Regierung ein. Das Park Chung-hee-Frame kam postwendend als Roh Moo-hyun-Frame zurück und war auch noch wirksamer, da innerhalb des Oppositionslagers viele den Roh-Getreuen (sog. ˈRohbbaˈ) äußerst kritisch gegenüberstehen.
Den Rohbba bzw. ihrem Machtstreben wird vor allem der Vorwurf gemacht, im Prozess der Verhandlungen um die Kandidaturvereinigung mit dem parteilosen Ahn Cheol-soo zu forsch vorgegangen zu sein. Professor und Unternehmer Ahn Cheol-soo wurde spätestens seit den Nachwahlen zum Seouler Bürgermeister als Präsidentschaftskandidat gehandelt und erhielt in den Umfragen zeitweise sogar mehr Zuspruch als Park Geun-hye, während prospektive Kandidaten der DVP sowie anderer Parteien sehr geringe Unterstützung erhielten. Die Popularität Ahns geht hauptsächlich darauf zurück, dass er einen koreanischen Anti-Politiker verkörpert. Er schien den Menschen weder einem regionalen noch einem politisch-ideologischen Lager klar zuordbar zu sein, er hat sowohl als Akademiker als auch als Unternehmer Karriere gemacht, gibt sich in seiner Lebensphilosophie und in der Praxis philantrophisch und ist so gut wie frei von Vorwürfen der Korruption und anderer unlauterer Gebaren. Viele der Parteiverdrossenen, insbesondere die jüngeren Menschen, die in Ahn ein Vorbild sehen können, unterstützten ihn deshalb. Nicht zuletzt hat er Themen wie Jugendarbeitslosigkeit, Reduzierung der Studiengebühren, Demokratisierung der Wirtschaft, Bildungsreform etc. salonfähig für die etablierte Politik gemacht. Er sprach Probleme so an, wie sonst kaum ein Politiker. In diesem Zusammenhang wird vom Ahn Cheol-soo-Phänomen gesprochen. Damit ist gemeint, dass sich in der Sympathie für und Unterstützung für Ahn Cheol-soo nicht nur die allgemeine Parteienverdrossenheit ausdrückt, sondern auch deutlich aufzeigt, welche Schwächen die etablierten Parteien haben und welche Themen sich die Menschen angesprochen haben wollen. Herr Ahn fungierte wie eine Art Medium, durch das der Wille der Bürger sich ausdrückte.
Ahn-Joker verspielt: schlechte Rechnung, schlechte Manieren, schlechter Zeitpunkt
Diese Sympathie wollte sich das oppositionelle Lager zu Nutze machen. Doch war dies von Anfang an eine falsche Rechnung, auch wenn die Umfragewerte etwas anderes suggerierten. Die potentiellen Unterstützer Ahns waren zu einem großen Teil gemäßigt konservativ oder sogar rechtskonservativ, oder aber kritisch gegenüber den etablierten Parteien, und wären bei einer Vereinigung der Kandidatur abgesprungen und/oder hätten die Kandidatin der NWP gewählt. Zweitens lag das Programm Ahns zum großen Teil näher an dem der NWP als dem der DVP, was die Kandidaturvereinigung als solche stark in Frage stellte. Drittens waren die Verhandlungen der beiden Lager von den Methoden und Nebenwirkungen der alten Politilk geprägt, sodass potentielle Wähler eher verprellt und der NWP eine Steilvorlage geliefert wurde – wovon diese auch reichlich Gebrauch machte. Viertens kam der Rücktritt Ahns und damit die Vereinigung der Kandidatur viel zu spät. Hinzu kommt, fünftens, dass neben dem Verhandlungsprozess das Verhalten Ahns nach seinem Rücktritt ebenfalls sehr kontraproduktiv war. Zunächst war lediglich von Rücktritt die Rede, die Vereinigung der Kandidatur musste man sich implizit davon ableiten. Bevor Ahn sich schließlich aktiv öffentlich zu Moon als gemeinsamem Kandidaten bekannte, stand eher im Mittelpunkt, dass ihm noch eine Kandidatur in fünf Jahren offen stand. Außerdem flog Ahn noch am Tag der Wahl in die USA, um sich für eine Weile zurückzuziehen. Eine überzeugende Unterstützung eines gemeinsamen Kandidaten sieht anders aus. Zusammen mit den grundlegend falschen Annahmen nahm diese passive Haltung Ahns den erhofften Synergieeffekten die letzte Dynamik.
IV. Fazit und Ausblick
Das Ergebnis dieser Präsidentenwahlen kann man wie folgt zusammenfassen: Frau Park hat die Wahlen gewonnen, nicht ‚obwohl‘ sie die Tochter des Militärdiktators Park Chung-hee ist, sondern ‚weil‘; weil so der demographisch ungleich verankerte Regionalismus und andere Wahlmuster reaktiviert wurden; und weil das Oppositionslager einen schwachen und die Regierungspartei einen professionellen Wahlkampf geführt hat.
Was aber hat dieses Ergebnis für eine Bedeutung? Vergleicht man die Wahlprogramme scheint es nicht so, dass sich mit der Wahl Parks eine entscheidend anders geartete Politik einstellen wird im Vergleich zu einer Präsidentschaft Moons. Die Themenkataloge sind nahezu identisch. Schaut man jedoch genauer hin, wird deutlich, dass sich die Themen zwar nominal sehr ähneln, jedoch teilweise auf sehr verschiedenen Weltsichten bzw. Problematisierungen basieren. Entsprechend anders gestalten sich deshalb auch die Mittel und Methoden, die zur Umsetzung vorgesehen werden. Dies wurde bereits bei der Debatte um die kostenlose Schulspeisung im Wahlkampf 2010 deutlich, als der Linksruck der NWP seinen Anfang nahm. Während die NWP für kostenloses Essen für alle Grund- und Mittelschüler plädierten, wollte die NWP nur das Essen der Kinder von entsprechend einkommensschwachen Familien („Bedürftigen“) finanzieren. Ähnlich verhält es sich mit den Studiengebühren, die beide Lager halbieren wollen. Doch Herr Moon plante die Studiengebühren als solche zu senken, während Frau Park daran denkt, Stipendien für solche Studierende zu organisieren, die nur die Hälfte zahlen können. Derselben Logik folgend möchte die DVP einen universalen Wohlfahrtsstaat umsetzen, während die NWP sich für eine selektive Wohlfahrt starkmacht. Der Politikbereich Wirtschaft wird von beiden Lagern mit Themen ausgeleuchtet wie Demokratisierung der Wirtschaft, kreatives Wachstum und Förderung von kleineren und mittleren Unternehmen. In der geplanten Umsetzung nehmen die identisch erscheinenden Punkte jedoch in diesem Bereich deutlich verschiedene Formen an. Gerade das heiße Thema Wirtschaftsdemokratisierung ist dafür repräsentativ. Hier stellen sich die Unterschiede nicht nur deshalb ein, weil die beiden Lager von durchaus unterscheidbaren Ideen und Vorstellungen geleitet werden, sondern auch weil entsprechend andere Interessen im Vordergrund stehen. Denn während die NWP traditionell den Großkonzernen bzw. dem Großkapital nahesteht, kommt die DVP – zumindest traditionell – aus der Ecke der einfachen Bürger bzw. Arbeiter und Angestellten. Das hat die DVP nicht davon abgehalten, neoliberale Politik zu machen, als sie an der Macht war, aber insbesondere der Umgang mit den chaebŏl unterscheidet sich dennoch. Noch etwas deutlicher ist der Unterschied bei der zu erwartenden Nordkoreapolitik. Schlechter als die Lee Myung-bak-Regierung kann und will Frau Park es wahrscheinlich nicht machen. Außerdem hat sie selbst bereits 2002 Kim Jong Il persönlich in Pyŏngyang getroffen. Allein jedoch die Tatsache, dass man vom Großteil ihrer allgemeinen Ahängerschaft, aber insbesondere von ihren einflussreichen Freunden annehmen kann, dass sie Nordkorea im Prinzip feindlich gegenüberstehen, macht eine rationale Politik schwierig. Nun ist Politik mit Nordkorea immer ein schwieriges Unterfangen und wäre auch für Herrn Moon eine Herausforderung geworden, aber zumindest steht die DVP in einer historischen Tradition der Annäherung und hätte auf eine entsprechende Vorarbeit sowie Expertise zurückgreifen können. Im Großen und Ganzen jedoch ist zu erwarten, dass Frau Park es besser machen wird als Herr Lee – was zugegebener Maßen nicht weiter schwierig ist.
Symbolisch jedoch ist die Wahl der Tochter des Militärdiktators ein großer Rückschritt in der Politik und Gesellschaft Südkoreas. Hier liegt die größte Gefahr für die weitere Entwicklung des Landes. Denn wenn sie die Geschichtsklitterung, die sie selbst, aber auch in den letzten fünf Jahren unter der Lee Myung-bak-Regierung verfolgt worden ist, weiterführt, wird die Basis für gesellschaftliche Integration und Konsens weiter erodieren. Das würde einer friedliche Annäherung der beiden Koreas wie einer nachhaltige Entwicklung der Politik, Gesellschaft und Wirtschaft Südkoreas den Boden entziehen. Es wird sich zeigen, ob sich die Befürchtungen bewahrheiten, wie man sie von dern bisherigen Erfahrungungen mit Park Geun-hye Führungsstil und dem derzeitigen Kenntnisstand über ihre Ansichten, Umgang mit der Vergangenheit und Fähigkeiten ableiten kann. Eine erste Ahnung davon, wie Frau Park ihr Amt in den kommenden fünf Jahren ausfüllen wird, wird an den Ergebnissen des Übergangskomitees abzulesen sein, das von Anfang Januar bis zur offiziellen Amtseinführung am 25. Februar 2013 die Amtszeit vorbereitend planen wird. Mindestes bis dahin muss man davon ausgehen, dass sie es ernst meint mit ihren Versprechen, eine „Präsidentin der einfachen Leute“ zu werden, die sich in erster Linie um die „Integration der Nation“ und die Ankurbelung der Wirtschaft kümmern und ein „Land, in dem Träume wahr werden“ schaffen will.