Demokratischer Rechtsstaat hin oder her: KBS erhält neuen Regierungschef!

Der 59-jährige Kim In Gyu ist zum neuen Chefintendanten des halbstaatlichen Fernsehsenders KBS gewählt worden. Noch vor zwei Jahren war er während des Präsidentschaftswahlkampfs hauptverantwortlich für die Medienwirksamkeit Lee Myung Baks, der schließlich 2008 zum Staatsoberhaupt eingeschworen wurde. Oppositionsparteien und Bürgerinitiativen sowie die Gewerkschaft des Senders kritisieren die Entscheidung scharf. Sie sehen darin einen weiteren Schritt der Regierung, die Medien unter ihre volle Kontrolle zu bringen.

Der 59-jährige Kim In Gyu ist zum neuen Chefintendanten des halbstaatlichen Fernsehsenders KBS gewählt worden. Noch vor zwei Jahren war er während des Präsidentschaftswahlkampfs hauptverantwortlich für die Medienwirksamkeit Lee Myung Baks, der schließlich 2008 zum Staatsoberhaupt eingeschworen wurde. Oppositionsparteien und Bürgerinitiativen sowie die Gewerkschaft des Senders kritisieren die Entscheidung scharf. Sie sehen darin einen weiteren Schritt der Regierung, die Medien unter ihre volle Kontrolle zu bringen.

Kreuzzugartige Medienreform unter Präsident Lee

Bereits während des Präsidentschaftswahlkampfes Ende 2007 betonte das Camp um Lee Myung Bak, man werde die Medienlandschaft umkrempeln und flächendeckende Privatisierungen bei Sendern vornehmen. Die Rechtskonservativen, die schließlich an die Macht kamen und ihr Versprechen wahr machen zu scheinen, rechtfertigten ihren Kreuzzug damit, dass die Medien „links“ und ihnen gegenüber feindlich gesonnen seien. Dies sahen sie ein weiteres Mal bestätigt, als sich nur wenige Monate nach der Amtseinführung Lees im Frühling vergangenen Jahres der Skandal um die Rindfleisch-Frageentfachte. Die rechtskonservative Regierung sah darin eine Verschwörung vor allen Dingen des Politmagazins „PD Notebook“ des Fernsehsenders MBC.

In der Folge wurde nicht nur MBC unter Druck gesetzt, sondern auch der Chefintendant des Nachrichtensenders YTN sowie der von KBS abgesetzt, um mit regierungsnahen Personal ausgetauscht zu werden. Während man bei YTN äußerst fragliche Methoden bei der Durchsetzung der Personalie bezüglich der Aktionärsversammlung praktizierte, wurden bei KBS Grundprinzipien des Entscheidungsprozesses für Personalfragen umgangen, um den Wunschkandidaten (Lee Byung Sun) auf den Thron zu setzen. Seit damals werden diese Vorgänge von Opposition und der Öffentlichkeit als Versuche der Regierung kritisiert, die Medien in ihre Gewalt zu bringen.

Doch bisher konnte sich die Regierung dahinter verstecken, dass der Personalreformprozess nach dem Gesetz abgelaufen und damit rechtens sei. Jüngste Gerichtsentscheidungen sprechen jedoch eine andere Sprache. Dass nun mit Kim In Gyu ein weiteres Mal ein eindeutig regierungstreuer Mann an die Spitze von KBS gesetzt wurde, gibt dem Widerstand gegen die Einbahn-Politik der Regierung Rückenwind.

Gericht: Absetzung von Chefintendant Jeong „nicht rechtens“!

Vorbote des Bumerangs gegen die Medienpolitik der Regierung war die Entscheidung des Seouler Verwaltungsgerichts am 12. November. Das Gericht hatte in der Angelegenheit einer Nachrichtensprecherin des Senders MBC (Park Hye Jin) für den Sender und gegen die Korea Communications Comission (EKCC) entschieden. Das EKCC hatte eine Klage eingereicht, in der es Sanktionen forderte, weil die Nachrichtensprecherin im Dezember letzten Jahres am Schluss der Nachrichtensendung kommentiert hatte, dass sie sich als Mitglied der Gewerkschaft am Streik beteiligen müsse, weshalb sie die Nachrichten vorerst nicht moderieren könne, und im Übrigen den Inhalten und dem Prozedere der Fernsehgesetz-Reform nicht zustimmen könne. Der Sender hatte gegen diese Sanktionsklage des EKCC gewehrt und hat schließlich Recht bekommen. Zuvor war der Kollege von Park, Shin Gyeong Min, als Nachrichtensprecher abgesetzt worden. Zwar wurde die Personalie mit regulärem Personalwechsel begründet. Doch Shin war noch mehr als seine Kollegin bekannt dafür, am Ende der Hauptnachrichten kritische Kommentare zu machen, die sich bei den Zuschauern großer Beliebtheit erfreuten – weniger jedoch bei der Regierung.

Eine weitaus gewichtigere Entscheidung machte ein anderes Verwaltungsgericht der Hauptstadt am selben Tag. Dieses Gericht entschied, dass die Entlassung des ehemaligen KBS-Chefintendanten, Jeong Yeon Ju, nicht rechtens gewesen sei. Sein Entlassung wurde damit als „nichtig“ erklärt. Doch da seine reguläre Amtszeit bis zum 23. November gedauert hätte, gab es keine Möglichkeit, seinen unrechtmäßig verlorenen Arbeitsplatz wieder einzunehmen. Die Bedeutung dieser Entscheidung ist jedoch von weitaus größerer Signifikanz als nur ein Arbeitsplatz. Die vorzeitige Entlassung Jeongs als Chefintendant von KBS im Sommer 2008 war ein entscheidender Meilenstein in der umstrittenen Medienpersonalpolitik der neuen Regierung.

KBS´ Personalkomission regierungsfreundlich ausgehebelt

Der Chefintendant wurde von rechtsradikalen Gruppierungen angeklagt, als Chef von KBS gemisswirtschaftet zu haben, woraufhin die Staatsanwaltschaft begann, Ermittlungen anzustellen. Dies wurde schließlich zur rechtlichen Grundlage der Entlassung Jeons. Doch damit man sichergehen konnte, dass ein Regierungstreuer den Posten übernimmt, musste die Personalkomission des Senders umgestellt werden, sodass die rechtskonservative Hannaradang (Grand National Party – GNP) die Mehrheit der Komissionsmitglieder stellte. Dazu war unter anderem nötig, Professor Sin Tae Seob als Mitglied abzusetzen.

Es folgte ein bizarrer Verlauf der Dinge. Zuerst wurde Professor Sin an seiner Universität entlassen, weil ihm vorgeworfen war, ohne Erlaubnis als Komissionsmitglied bei KBS fungiert zu haben. Es wird vermutet, dass das Bildungsministerium Druck auf die Universitätsleitung ausgeübt hatte. Nur einige Wochen später nahm dies der EKCC zum Anlass, ihn als Komissionsmitglied zu entlassen, weil er ja nun keiner Universität mehr angehörte. Stattdessen rückte Professor Kang Seong Cheol nach.

Somit war die Komission in der Mehrzahl mit regierungstreuen Mitgliedern besetzt. Das EKCC war schon davor auf diese Politikpraxis vorbereitet worden, indem der Lee-Treue Choi Si Jung zum neuen Vorsitzenden der Organisation ernannt wurde. Bereits damals entrüstete man sich in Opposition und der Öffentlichkeit darüber, wie einem so eindeutig Regierungsnahen ein eigentlich neutral zu haltendes Amt verliehen wurde

Das Gericht gab Professor Sin knapp ein halbes Jahr später, im Januar 2009, Recht, dass seine Entlassung von der Universität Unrecht gewesen sei. Um Juni dieses Jahres entschied das Gericht, dass die Entlassung Sins durch Choi Si Jung vom EKCC ebenfalls illegal gewesen sei. Doch da man bei KBS längst vollendete Tatsachen geschafft hatte, war dieser gerichtliche Sieg nur von symbolischem Wert. Dahingegen wird die jüngste Entscheidung des Obersten Gerichtshofes für Professor Sin konkret bedeuten, wieder an der Universität lehren zu können. Der Oberste Gerichtshof hatte am 17. November der Klage Professor Sins stattgegeben, dass seine Universität ihn zu Unrecht entlassen hatte. Man hatte ihm damals angeboten, ihn nicht zu entlassen, wenn er sein Amt im Verwaltungsrat von KBS aufgeben würde.

Gericht: ‚Gewerkschafter kämpften für Meinungsfreiheit und neutrale Berichterstattung‘

Auch der 13. November hatte weiteres Licht ins juristische Dunkel der Medienpolitik gebracht. Ein Seouler Verwaltungsgericht entschied erneut gegen das EKCC, das der Politsendung „Nach den Nachrichten“ (MBC) vorgeworfen hatte, unausgeglichen über den Verlauf der Mediengesetz-Debatte berichtet zu haben. Das Gremium unter Leitung von Choi Shi Jung forderte, dass der Sender eine Entschuldigung ausstrahle. Das Gericht jedoch erklärte den entsprechenden Paragrafen im Fernsehsendergesetz, auf den sich das EKCC dabei stützte, als verfassungswidrig. Entscheidend dabei war, dass dadurch die Meinungsfreiheit der Medien verletzt würde, so das Gericht.

Schließlich hat auch das Seouler Zentralgericht am 13. November eine weitere denkwürdige Entscheidung im Fall der entlassenen YTN-Gewerkschaftsmitglieder veröffentlicht. Mehreren Gewerkschaftsmitgliedern des Nachrichtensenders war vorgeworfen worden, die Arbeit ihres Unternehmens zu behindern, als sie sich im Sommer des vergangenen Jahres aktiv an Boykott-Aktionen gegen den neuen Chefintendanten Gu Bon Hong beteiligten. In der Folge wurden rund 20 Mitarbeiter, darunter auch der Gewerkschaftsführer No Jong Myeon, fristlos entlassen.

Nun jedoch entschied das Gericht, dass die Entlassungen als Bestrafung der Angestellten nicht rechtmäßig gewesen sei. Für das Gericht schien es als erwiesen, dass sich die kritischen Angestellten mit ihren Protestaktionen gegen eine mögliche Vereinnahmung des Senders für die Interessen der Regierung eingesetzt haben. Sie hatten gegen Gu heftigen Widerstand geleistet, weil er Präsident Lee sehr nahe steht. Damit hätten sie, so das Gericht, versucht, die in der Verfassung festgeschriebene Meinungsfreiheit der Medien und neutrale Berichterstattung zu bewahren.

Noch lange kein Gras über der Sache?

Alle diese jüngsten Gerichtsentscheidungen machen sehr deutlich, dass die Methoden, mit denen die Medienlandschaft nach der Machtübernahme durch die Lee-Regierung umgekrempelt worden war, juristisch sehr fraglich sind – und noch lange kein Gras über die Sache gewachsen ist. Selbst die Entscheidung des Verfassungsgerichtsbezüglich des Gesetzesverabschiedungsprozess der sogenannten Mediengesetze im vergangenen Oktober beinhaltete trotz ihrer Widersprüchlichkeit die deutliche Aussage, dass die Regierungspartei ihren Willen illegal durchgesetzt hatte. Das Regierungslager jedoch nutzte die schwammig formulierte Entscheidung des Verfassungsgerichts wieder einmal dazu, die Sachlage entsprechend ihren Interessen zu interpretieren.

Die jüngste Personalentscheidung beim Sender KBS vom 19. November scheint nach einer ähnlichen Strategie erfolgt zu sein. Mit der Mehrheit in der Personalkomission des Senders hat man auch hier (wie im Parlament) Deutungs- und Entscheidungmehrheit. Bereits Lee Byung Sun war ein Mann aus Präsident Lees Reihen, aber wahrscheinlich nur eine Übergangslösung. Eigentlich hatte der nun frisch gebackene Chef-Intendant, Kim In Gyu, bereits gleich nach der Regierungsübernahme vor, zum Chef des Senders zu werden. Schließlich war er bereits im Präsidentschaftswahlkampf Lees Medienchefideologie gewesen.

Bislang musste er jedoch mit dem Chefsessel der Korea Digital Media Association (KODIMA) Vorlieb nehmen. Wahrscheinlich hatte sich das Regierungslager im vergangenen Jahr, als der Gegenwind gegen die Regierung in Form der Kerzendemonstrationen sehr stark war, nicht getraut so weit zu gehen. Kim, seit Jahren bereits Vorstandmitglied von KBS, musste damals öffentlich erklären, er würde nicht für den Posten kandidieren, um der Kritik gegen die Regierungspolitik ein wenig Wind aus den Segeln zu nehmen. Jetzt, nur ein Jahr nachdem er der Presse gesagt hatte er „will nicht mehr über KBS sprechen“, ist er plötzlich dessen Chef ernannt worden.

Es ist bemerkenswert, wenn in einem zumindest formal demokratischen Rechtsstaat reihenweise Gesetze, bis hin zur Verfassung, übertreten werden können, um die Interessen eines bestimmten politischen Lagers durchzusetzen. Andererseits zeigen die vielen nachträglichen Gerichtsentscheidungen, dass man rein juristisch selbst in Südkorea mit einer solchen Politik nicht mehr durchkommt. Die – illegal umgesetzten – Tatsachen jedoch sind bereits vollendet.

Gewaltige Spaltungen über politische Konflikte

Das südkoreanische Verfassungsgericht kam am 29. Oktober zu einem strittigen Urteil über die Frage, ob die Verabschiedung der sogenannten Mediengesetze durch das Parlament rechtens sei. Am 22. Juli dieses Jahres hatte die regierende rechtskonservative Partei Hannaradang (Grand National Party – GNP) unter großem Protest der Öffentlichkeit und der Oppositionsparteien ein Gesetzespaket in der Nationalversammlung durchgebracht, das unter anderem großen Unternehmen und Zeitungshäusern den Einstieg in den Fernsehmarkt ermöglicht.
Die Gegner der Gesetze befürchten hauptsächlich, dass mit dem neuen Gesetz einschlägigen Großkonzernen, den jaebeol, und großen rechtskonservativen Zeitungshäusern, wie Chosun Ilbo, Joongang Ilbo oder Donga Ilbo, die mittels finanzieller Mittel bzw. hohen Auflagen bereits die öffentliche Meinungsbildung stark beeinflussen, noch größere Einflussnahme ermöglicht würde. Das, so das Argument, würde den ohnehin schon verzerrten Medienmarkt vollends entdemokratisieren.

Kommentar zur umstrittenen Mediengesetz-Entscheidung des südkoreanischen Verfassungsgerichts

Das südkoreanische Verfassungsgericht kam am 29. Oktober zu einem strittigen Urteil über die Frage, ob die Verabschiedung der sogenannten Mediengesetze durch das Parlament rechtens sei. Am 22. Juli dieses Jahres hatte die regierende rechtskonservative Partei Hannaradang (Grand National Party – GNP) unter großem Protest der Öffentlichkeit und der Oppositionsparteien ein Gesetzespaket in der Nationalversammlung durchgebracht, das unter anderem großen Unternehmen und Zeitungshäusern den Einstieg in den Fernsehmarkt ermöglicht.
Die Gegner der Gesetze befürchten hauptsächlich, dass mit dem neuen Gesetz einschlägigen Großkonzernen, den jaebeol, und großen rechtskonservativen Zeitungshäusern, wie Chosun Ilbo, Joongang Ilbo oder Donga Ilbo, die mittels finanzieller Mittel bzw. hohen Auflagen bereits die öffentliche Meinungsbildung stark beeinflussen, noch größere Einflussnahme ermöglicht würde. Das, so das Argument, würde den ohnehin schon verzerrten Medienmarkt vollends entdemokratisieren.

Verfassungsklage gegen Regierungspartei

Während der Abstimmung im Plenarsaal im Sommer war es nicht nur zu Handgreiflichkeiten zwischen den Abgeordneten gekommen, sondern auch zu Unregelmäßigkeiten beim Abstimmen. Sowohl Abgeordnete der Hannaradang als auch Oppositionspolitiker wurden von CCTV-Kameras dabei gefilmt, wie sie die elektronischen Wahlknöpfe anderer Abgeordneter drückten, um das Ergebnis entsprechend zu beeinflussen. Gleich am Folgetag reichte die größte Oppositionspartei Minjudang (Democratic Party – DP) eine Verfassungsbeschwerde beim höchsten Gericht ein. Hauptargument war, dass man beim Prozedere der Abstimmung über die Gesetze gegen das Parlamentsgesetz verstoßen habe.

Das Verfassungsgericht kam nach mehreren Monaten der Prüfung am 29. Oktober schließlich zu dem Ergebnis, dass der Abstimmungsprozess tatsächlich nicht rechtens gewesen sei.

Abstimmung über Gesetze “illegal”

Die Auswertung des Videomaterials ergab, dass bei mindestens acht Abgeordneten der Abstimmknopf von einem Kollegen „missbraucht“ worden war. Des Weiteren entschied das Verfassungsgericht, dass auch die wiederholte Abstimmung gegen das geltende Gesetz verstoßen hatte.

Nach dem Parlamentsgesetz Südkoreas darf über denselben Vorschlag nur einmal pro Tag abgestimmt werden. Der Vizepräsident des Parlaments jedoch hatte zum erneuten Abstimmen gerufen, nachdem beim ersten Gang nicht hinreichend Abgeordnete anwesend waren.

Schließlich hatte das höchste Gericht außerdem am Abstimmungsprozess bemängelt, dass vor der Abstimmung zum Zeitungsgesetz, das Teil des Pakets war, die eigentlich vorgeschriebene Frage- und Diskussionsrunde ausgespart worden war.

Unrecht, aber gültig?

Umso überraschender wurde die Entscheidung des Verfassungsgerichts aufgenommen, dass durch diesen damit eindeutig illegalen Prozess verabschiedete Gesetz trotzdem gültig sein solle!

Viele sehen darin eine politische Entscheidung des Verfassungsgerichts zu Gunsten der Regierungspartei, die schon vor den Präsidentschaftswahlen 2007 und Parlamentswahlen 2008 im Sinne ihres Hauptklientels angekündigt hatte, den Medienmarkt liberalisieren zu wollen. Kritiker befürchten, dass nach der vierten Gewalt, den Medien, nun auch die dritte Gewalt, die Judikative, zum Strohmann der Regierung mutieren würde.

Das Verfassungsgericht hingegen behauptet, diese widersprüchliche Entscheidung gerade deshalb getroffen zu haben, um die Gewaltenteilung zu stärken! Denn wenn das Verfassungsgericht, so die Logik, jedes Mal, wenn es prozedurale Probleme im Parlament gibt, darüber entscheiden würde, eine Gewaltenteilung zwischen Judikative und Legislative nicht mehr gegeben wäre. Man wolle lediglich die Autonomie der Legislative nicht beeinträchtigen und die Abgeordneten dazu anhalten, die Sache selbst zu klären.

Wiederholung der Geschichte?

Schon einmal vor 13 Jahren hatte das Verfassungsgericht nach dieser Logik entschieden. Damals hatte die Vorgängerpartei der Hannaradang, die Sinhangukdang (New Korea Party – NKP), ein neues Arbeitsgesetz im Parlament durchgepeitscht. Auch damals hatte die Oppositionspartei, die Vorgängerpartei der heutigen Oppositionpartei Minjudang, Klage beim Verfassungsgericht eingelegt – mit demselben Ergebnis.

Die Argumentation des Verfassungsgerichts scheint mehr als merkwürdig, folgt aber einer sehr einfachen Logik. Das einseitige Durchsetzen eines Gesetzes bedeute zwar die Verletzung der Rechte der Abgeordneten der Oppositionsparteien, aber da die Mehrheit der Anwesenden dafür gestimmt habe, kann man in Hinblick auf die Verfassung nicht davon sprechen, dass das Majoritätsprinzip verletzt worden sei.

Und solange nicht gegen Prinzipien der Verfassung verstoßen wurde und wenn das Gesetz bereits verabschiedet ist, auch wenn im Verabschiedungsprozess das Parlamentsgesetz dabei verletzt wurde, habe das Verfassungsgericht nicht die Befugnis, diese Entscheidung für ungültig zu erklären.

“Gewählt, aber nicht Präsident!”

In Zeitungen und im Internet herrschte daraufhin große Aufruhr. Nur 24 Stunden nach dem Urteil zählte die sonst spärlich besuchte Kommentarseite des Verfassungsgerichts nicht weniger als 1 500 neue Einträge – die große Überzahl davon kritisch.

Überwiegend geht es um die Widersprüchlichkeit der Entscheidung. Das sei so, “als wenn man entscheidet, es wäre Abseits, aber das Tor trotzdem gelten lässt.” Oder “als wenn man die Medaille behalten darf, obgleich festgestellt wurde, dass man gedopt war.” Ein Netizen mit der ID “An Jun Geun”, womit offensichtlich auf den gleichnamigen Freiheitskämpfer angespielt wird, schrieb in seinem Eintrag, “Ist dann also auch die [von Japan zwecks Kolonialisierung erzwungene] Vereinigung Koreas und Japans [Anfang des 20. Jahrhunderts] zwar verfassungswidrig, aber im Resultat gültig?”

Unterdessen wurde vor dem Blauen Haus, dem Sitz des Präsidenten, ein junger Mann fotografiert, der dort eine Ein-Personen-Demonstration abhielt. Auf seinem Schild stand: “Sie sind zwar gewählt, aber nicht Präsident!”

Reaktionen bei Regierung und Opposition konträr

Während die großen Zeitungshäuser, die sich von der Verabschiedung des Gesetzespakets Vorteile erhoffen, die Entscheidung in ihren Editorials und Kolumnen begrüßen, kritisieren progressive Zeitungen das Urteil umso schärfer. Die Regierungspartei spricht davon, dass man die Entscheidung des Verfassungsgerichts anerkennen und aufhören solle, durch weitere Kritik an den Gesetzen zu politisieren. Die Oppositionsparteien sind sich einig, dass die Entscheidung eine politische im Sinne der Regierung gewesen sei.

Wer hat Recht? Im äußersten Zweifelsfall entscheidet gerade darüber die letzte Instanz des Staates – das Verfassungsgericht.

Nach offizieller Bekundung erfüllt das südkoreanische Verfassungsgericht die Rolle, „die gesellschaftliche Ordnung friedlich aufrecht zu erhalten, indem es die Verfassung konkret in die Realität umsetzt, den Missbrauch von öffentlicher Gewalt Einhalt gebietet, die Grundrechte der Bürger, die durch die öffentliche Gewalt verletzt worden sind, wiederherstellt und außerdem extremen Auseinandersetzungen zwischen politischen Kräften vorbeugt.“

Beim deutschen Bundesverfassungsgericht ist neben solchen grundlegenden Aufgabendefinition zusätzlich angefügt: „Das Gericht ist aber kein politisches Organ. Sein Maßstab ist allein das Grundgesetz. Fragen der politischen Zweckmäßigkeit dürfen für das Gericht keine Rolle spielen. Es bestimmt nur den verfassungsrechtlichen Rahmen des politischen Entscheidungsspielraums. Die Begrenzung staatlicher Macht ist ein Kennzeichen des Rechtsstaats.“ Man kann davon ausgehen, dass dies auch für das südkoreanische Verfassungsgericht gilt.

Fazit

Letztlich hat das Verfassungsgericht sich selbst keinen Gefallen mit der Entscheidung getan. Da hiermit das Misstrauen, dass es politische Entscheidungen fälle, weiter gewachsen ist, hat sich das Gericht damit immens geschadet. In demokratischen Rechtsstaaten ist das Verfassungsgericht die höchste Instanz. Wenn sich jedoch dieses höchste Gericht in der Ausübung dieser so fundamental wichtigen Rolle selbst so eindeutig widerspricht, erschüttert dies seine Integrität erheblich. Denn das Verfassungsgericht ist in der Verantwortung, schwerwiegende Entscheidungen zu treffen, und zwar (zumindest juristisch) widerspruchslos.

Auch für keine der beiden Seiten des Konflikts ist die widersprüchliche Entscheidung hilfreich. Die Regierung(spartei) sieht sich neben der Kritik, die Medien zu manipulieren zu wollen, mit dem Vorwurf konfrontiert, die vierte Instanz zu ihren Gunsten manipuliert zu haben. Die Oppositionsparteien haben offensichtlich allen Grund, die Entscheidung in Zweifel zu ziehen. Nur die potentiellen Interessensgruppen, Zeitungshäuser und (andere) Investoren, haben nun faktisch freie Hand und freuen sich als Dritte.

Trotzdem muss man die Begründung des Verfassungsgerichts, dass man die Parteien damit auffordern wolle, die Verantwortung selbst zu übernehmen und eine Lösung zu finden, ernstnehmen. Während es nicht von der Hand zu weisen ist, dass das Verfassungsgericht, insbesondere in Zeiten der Diktatur, Entscheidungen politisch gefällt hat, und selbst von vielen Staatsrechtlern wegen zweifelhalfter Entscheidungen immer wieder scharf kritisiert wird, ist es mindestens ebenso offensichtlich, dass in Südkorea eine regelrechte Verfassungsklagen-Inflation herrscht.

Insbesondere Parteien in der Opposition neigen dazu, bei Streitfragen unterhalb der Verfassungsgrenze die Latte zu hoch zu legen, um ihren Forderungen den nötigen dramatischen Nachdruck zu verleihen. Gleiches gilt für die sehr extrem physisch ausgelebte Protestkultur innerhalb der Nationalversammlung, die dem bereits sehr angeschlagenen Ansehen des Parlaments – national wie international – wenig zuträglich ist.

Zusammenfassend kann man folglich festhalten, wenn die Parteien im Parlament ihre Arbeit vernünftig machen würden, müssten sie nicht das Verfassungsgericht anrufen, und hätten sich auf demokratisch und juristisch einwandfreiem Weg auf einen Kompromiss geeinigt. Und wenn das Verfassungsgericht durch überzeugende, widerspruchsfreie Entscheidungen die nötige Autorität genießen würde, hätte man sich im Parlament erst gar nicht zu so einer Eskalation des Konflikts hinreißen lassen, weil man sich bewusst gewesen wäre, dass man in der letzten Instanz damit nicht durchkommen würde – einmal ganz abgesehen von den zu erwartenden kritischen Reaktionen der Öffentlichkeit und/oder Wählerschaft.

Die Opposition fordert auch nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts eine Revision der Mediengesetze – wie auch die große Mehrheit der Bevölkerung. Die Regierung ist bisher stur geblieben. Auch in anderen großen Streitfragen stehen sich die Kräfte derzeit wieder einmal an verhärteten Fronten gegenüber.

Hätte das Verfassungsgericht konsequent entschieden, wären die Parlamentsparteien zu einem erneuten Kompromiss quasi gezwungen – so liegt es nun allein in den Händen der rechtskonservativen Regierung mit ihrem großunternehmerfreundlichen Präsidenten an der Spitze, auf die Forderungen der Opposition zu reagieren.

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* Dieser Kommentar erschien auch auf der Internetseite des Instituts für Koreastudien an der Freien Universität Berlin (IKS).