Mediale Glaubensbekenntnisse. Nutzung und Bedeutung von Medien in der diasporischen Glaubensgemeinschaft der Mouriden in Deutschland
Saboura Beutel und Marianna Wegner
Das Forschungsprojekt
Gegenstand unserer Forschung ist die aktive Mediennutzung (Internetplattformen, soziale Netzwerke und neue Technologien) innerhalb der diasporischen Glaubensgemeinschaft der Mouriden in Deutschland. Dabei gehen wir davon aus, dass Bild und Ton im religiösen Alltag der Mouriden – geprägt durch die spirituelle Kraft der Photographie Ahmadou Bambas sowie der Praxis des Zikhr – eine besondere Rolle einnehmen. Ferner stellen wir die These auf, dass neue Technologien (Smartphones, Apps etc.) sowie das Internet genutzt werden, religiöse Praktiken – losgelöst von Raum- und Zeitbegrenzungen – nicht nur in der lokalen Glaubensgemeinschaft sondern darüber hinaus im Austausch mit einer global versreuten Glaubensgemeinschaft auszuleben.
Diese Forschung ist ein Teilprojekt des MA Seminar Minoritäten und Medien von PD Dr. Tilo Grätz, welches im Sommersemester 2014 an der Freien Universität zu Berlin stattfand.
Ahmadou Bamba – der Begründer Der Mouriden
Cheikh Ahmadou Bamba Mbacke ist eine zentrale Figur in der Geschichte des Islam im kolonialen und postkolonialen Senegal. Seine Photographie wurde schon zu Beginn des 20. Jh. zu einem wichtigen Bestandteil des Glaubensbekenntnisses der Mouriden, und ist es bis heute geblieben. Ahmadou Bamba wuchs in einer muslimischen Familie in Mbacke, im Innenland des Senegal auf. Schon als kleines Kind beschäftigte er sich intensiv mit dem Islam und den Lehren des Korans. In Überlieferungen wird auf die bereits in der Kinheit sichtbare heilige Aura Bambas hingewiesen. Bereits als Jugendlicher übernahm er die Leitung der Koranschule seines Vaters und gründete schließlich 1883 die einflussreiche Sufi-Tariqa der Mouriden. Dabei rief er seine Schüler zum großen, also zum inneren Jihad, auf. Durch seine rasch wachsenede Anhängerschaft fühlten sich die Franzosen von Bamba bedroht und schickten ihn 1895 für 7 Jahre ins Exil nach Gabon und anschließend 4 Jahre nach Mauretanien. Gegensätzlich zu ihren Zielen stieg jedoch sein Einfluss durch das Exil – nicht zuletzt durch zahlreiche Wunderüberlieferungen aus dieser Zeit. Nach seiner Rückkehr 1912 in den Senegal lebte er bis zu seinem Tod unter französischem Arrest.
Hier entstand auch 1913 diese Aufnahme von Cheikh Ahmadou Bamba Mbacke. Es ist die einzige Photographie, die von Ahmadou Bamba existiert. Ihr Negativ ist nicht auffindbar. Eine Überlieferung besagt, sie sei vom Kolonialbeamten Jean Baptiste Thereniant gemacht worden. Möglicherweise mit dem Ziel Bambas Anhängerschaft zu beruhigen, und zu beweisen, dass er noch lebe. Unter den Mouriden ist jedoch die Version verbreitet, Bamba habe den Franzosen das Bild geschenkt. In dieser Version wird der Fokus auf Bambas Widerstand gegen den französischen Kolonialismus gelegt, indem die Photographie als ein selbst bestimmter Akt Ahmadou Bambas gesehen wird und nicht als koloniales Instrumentarium. Bis heute wird sie mannigfaltig reproduziert und in Collagen und Videos transformiert. Die Photographie selbst ist zu einem wichtigen Glaubenssymbol geworden, das die Fähigkeit besitzt die barke, den Segen und göttliche Kraft, weiterzugeben. Darüber hinaus beinhaltet die Photographie heilige Zeichen und Botschaften, die sie von Raum und Zeit losgelöst, bis heute zu einem wichtigen Teil des Glaubensbekenntnisses der Mouriden macht. Die Reproduktion und Transformation der Photographie gilt – ähnlich wie die Rezitation der Khassidas und die Praxis des Zikhr – als Glaubensakt und dient der spirituellen Stärkung auf dem individuellen Glaubensweg.
Mouridismus
Die Mouriden bilden die größte und einflussreichste Glaubensgemeinschaft des Senegals. Die Sufi-Tariqa wurde 1883 von Ahmadou Bamba Mbacke gegründet. Der Mouridismus ist eng mit der Persönlichkeit und den Lehren des Begründers – unter den Gläubigen auch Serigne Touba (der heilige von Touba) oder Khadim Rassoul (Der engste Vertraute des Propheten) genannt – verbunden. Die Bezeichnung Mourid leitet sich vom arabischen Wort Murîdul-l-lâh – Der Aspirant, der nach Gott strebt – ab. Die drei Säulen des Muridismus sind tawhîd (Glaube) , fiq (Gesetz) und taçawwuf (Sufismus). Zentrale Werte der Mouriden bilden Arbeit und Gebet. Die Anhängerschaft der Mouriden wuchs nach der Gründung der Tariqa schnell an, und hat bis heute nicht an Bedeutung verloren. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Ahmadou Bambas Lehren nicht nur einen religiösen und spirituellen Weg in der islamischen Tradition offenbaren, sondern die Bevölkerung auch im Widerstand gegegen Kolonialismus, Sklavenhandel und französische Fremdbestimmung bestärkten und bestärken.
„Ich habe keine neue Gemeinschaft (TARÎQA) gegründet, Ich habe den Weg, den Muhammad (a.s.s) und seine Gefährten akkurat gefolgt hatten, in einem verdorrten Zustand gefunden. Ich renovierte diesen Weg und gab Ihm seinen originellen Glanz wieder. Jeder Aspirant der wahrhaftig nur nach Gott strebt, kann kommen und mir auf diesem Weg folgen : es ist der Weg des Treueeids.“ So Cheikh Ahmadou Bamba. (Quelle: www.touba-germany.de)
Wesentlicher Bestandteil des religiösen Lebens der Mouriden sind die enge Verbindung der Talibés (Schüler) mit ihrem Cheikh (sprituelle Bezugsperson), das gemeinschaftliche rezitieren der Khassidas (von Ahmadou Bamba verfasste Texte, welche die Gläubigen auf ihrem spirituellen Weg unterstützen und einen rechtmäßigen Glaubensweg aufzeigen sollen), der Zikhr (intensives Gebetsritual das sowohl expressive Gottesanrufungen, Gebetsgesänge und Tanz beinhaltet), das Physische Arbeiten für die Gemeinschaft, sowie der enge Kontakt nach Touba, der sich in der jährlichen Pilgerfahrt, dem Grand-Magal manifesteirt. Das Glaubenszentrum – die heilige Stadt Touba – wurde von Bamba gegründet und von seinen Söhnen aufgebaut. Die Moschee gilt als Mekka Westafrikas. Dort leben bis heute auch der Khalif General, die Cheikhs und Marabouts der Mbacké Familie sowie viele Talibés.
Die Tradition der visuellen Heiligenehrung Ahmadou Bambas manifestiert sich in Gemälden, in Wandmalereien im Straßenbild der Großstädte, in der Kleidung und im Schmuck der Gläubigen sowie in Collagen. Doch auch mediale Netzwerke (Facebook, Youtube, Internetseiten und Blogs) sowie neue Technologien (z.B.Smartphones, Apps) spielen hierbei zunehmend eine wichtige Rolle. Sie bieten die Möglichkeit einer transregionalen Vernetzung sowie der Realisierung (inter)medialer Glaubenspraktiken. Im Glauben der Mouriden herrscht ein spezifisches spirituelles Verständnis von Bild und Ton. Die gemeinschaftliche Rezitation religiöser Texte sowie die Reproduktion und Betrachtung der Photographie Ahmadou Bambas gelten als Wege zu göttlichem Segen und Erlösung. Das Internet ermöglicht in seiner Vielfältigkeit nicht nur den Austausch und die intermediale Kombination beider Glaubenspraktiken, sondern erlaubt zumdem spirituelle Verbindungen zur transnationalen Glaubensgemeinschaft aufzubauen. Die intermediale Kombination der im Glauben verankerten Medienpraktiken sowie ihre Vervielfältigung im Internet über Youtube und Facebook. ermöglicht den im geografisch entfernten Europa oder den USA lebenden Talibés die Erfahrung der barke sowie den essentiellen Kontakt und Austausch mit ihren Cheikhs. Die lokale Glaubensgemeinschaft wird so durch eine virtuelle Glaubensgemeinschaft ergänzt und verhindert eine durch Migration verursachte mögliche Isolation. Dies haben wir vor allem an der Verbreitung und Nutzung von Bildern, Tonaufnahmen und Videos untersucht. Der Fokus lag hierbei zum Einen auf der Verwendung der Photographien Ahmadou Bambas, seines engsten Vertrauten Ibrahima Falls sowie ihrer spirituellen Nachfahren (Söhne). Zum Anderen haben wir uns mit der Verbreitung der Khassidas (als Tonaufnahme oder als Videos, die mit Bildern und Collagen untermalt sind), Waxtaans und Pilgervideos auseinandergesetzt. Bild und Sprache dienen hier nicht nur der kollektiven Erinnerung über die geografischen Grenzen des Senegals hinaus, sondern vor allem der Offenbarung des sakralen Wissens durch die Kombination von Sprache, Bild und Ton.
Die diasporische Glaubensgemeinschaft der Mouriden in Deutschland
Migration spielt für die Mouriden des Senegals schon seit Mitte des 19. Jh. eine große Rolle. Durch die französische Kolonialisierung und dem damit einhergehenden wirtschaftlichen Handel entwickelte sich eine immer stärker werdende Migration in die benachbarten Länder; ab den 80er Jahren expandierten senegalesische Arbeitsmigranten dann auch bis nach Europa und von hier weiter bis in die USA. Aus historischen und politischen Gründen finden sich die meisten Anhänger der tariqa in Frankreich, danach Spanien und Italien, und zuletzt in Deutschland. Mittlerweile beträgt die Anzahl der in Deutschland lebenden Muriden weit über 3000 Menschen. Vor allem in Frankreich und den USA sind die Mouriden in Netzwerken und kleineren Gemeinden, den sogenannten Dahiras organisiert, die eine gemeinschaftliche Glaubenspraxis und Solidarität ermöglichen. In Deutschland beklagen viele Mouriden den Mangel an solchen festen Netzwerken. In unseren Gesprächen mit Mouriden in Berlin wurde immer wieder deutlich, dass Rassismus und Intoleranz der Allgemeingesellschaft, die aktive Glaubenspraxis des Zikhrs und des öffentlichen Gebets unmöglich machen. Im Vergleich zu Frankreich oder den USA, wo es starke Vernetzungen der Dahiras und somit ein ausgeweitetes Netzwerk gibt, gestaltet sich die gemeinschaftliche Glaubenspraxis in Deutschland etwas schwieriger. In Berlin gibt es zwar auch eine eigenständige Gruppe, nämlich die „Dahira Boulokhoul MARAM Touba-Berlin“ auf deren Facebook-Seite sporadisch Bilder und Veranstaltungen hochgeladen werden. Einige unserer Gesprächspartner besuchen gelegentlich Treffen der Berliner Dahira, bevorzugen jedoch das individuelle Gebet – oftmals gestützt über das Hören von Khassidas über das Internet oder Apps, aufgrund der Einschränkungen und Behinderung ihrer Glaubenspraxis durch den stark ausgeprägten Alltagsrassismus in der hiesigen Gesellschaft. Gemeinschaftliche Gebete und Meditationen, gestalten sich aufgrund fehlender gemeinschaftlicher Solidarität und Einmischung der Umgebung in öffentlichen wie auch privaten Räumen schwierig. Umso mehr ist die Nutzung von Medien ein Grundpfeiler, um die spirituelle Beziehung zu Ahmadou Bamba, mit dessen Exilerfahrungen die Diaspora sich gut identifizieren kann, für sich und die weiteren Generationen zu erhalten.
Zur Stärkung der Glaubensgemeinschaft in Deutschland wurde aus der Dahira Vollersode bei Bremen der Verband der religiösen und kulturellen Dahira-Vereine in Deutschland e.V. gegründet, der sich als Kommunikations- und Netzwerkplattform sieht. Hier hat sich auch lokal ein stabiles Netzwerk etabliert, was sich in der Leitung des einzigen Keur Serigne Touba (Haus des Serigne Toubas) als dauerhaftem
physischen Gemeinschaftsort des Glaubens manifestiert. Die Homepage des Dachverbands ist der einzige deutschsprachige Internetauftritt für und über Mouriden. Anders als die Facebookseiten und Blogs, die auf Französisch oder Wolof geführt und kommentiert werden, richtet sich der Internetauftritt des Dachverbandes über die Glaubensgemeinschaft hinaus auch an Interessierte und deutsche Konvertit_innen. Der Internetauftritt bietet nicht nur Hintergrundinfromationen zum Mouridismus und wichtigen Persönlichkeiten der Gemeinschaft sondern ermöglicht auch das Herunterladen und Lesen von Khassidas sowie den Zugang zu spezifischen Apps fürs Smartphone. Die Dahira Vollersode ist auch in Facebook vertreten und steht im Austausch mit anderen deutschen Dahiras. So sind die Aktivitäten in Vollersode auch in Berlin bekannt. Das Angebot kann von den Berliner Mouriden jedoch aufgrund mangelnder ökonomischer oder zeitlicher Ressourcen nur begrenzt genutzt werden.
Zur Bedeutung der Mediennutzung
Zeitgenössische Medien spielen in all ihren Ausprägungen – analog, digital, visuell, auditiv sowie in ihrer Kombination – eine fundamentale Rolle in der Glaubenspraxis der Mouriden in der Diaspora in Deutschland. Die Annahme, dass sich durch die Mediennutzung eine virtuelle Glaubensgemeinschaft als Ergänzung oder sogar als Ersatz zur lokalen Gemeinde herausbildet, hat sich im deutschen Kontext bestätigt. Als wesentlicher Grund hierfür haben sich Alltagsrassismus sowie Intoleranz der Merhheitsgesellschaft gegenüber den mouridischen Glaubenspraxen herausgestellt. Medien spielen demnach auf verschiedenen Ebenen eine große Rolle.
1) In der religiösen Praxis und im Glaubensbekenntnis.
2) Im Kontakt zum Glaubenszentrum Touba, sowie zu anderen Gläubigen in der Deutschen und auch globalen Diaspora.
3) Im Falle des Verbands der religiösen und kulturellen Dahira-Vereine in Deutschland e.V. zur Aufklärung und zum Austausch über den Glauben sowie zur Öffnung der Gemeinschaft und ihrer Werte hin zur Mehrheitsgesellschaft.
Die im Forschungsverlauf beobachtete und bestätigte besondere Beziehung zu Bild und Ton innerhalb der Glaubenspraxis bringt uns dazu das von David Morgan (1999) aufgestellte Konzept der visuel piety im Kontext der Mouriden auf das einer audio-visual piety auszuweiten. Das komplexe Zusammenspiel der sakralen Reproduktion der Photographie Ahmadou Bambas in Verbindung mit der Sufipraxis des Zikhr und der Rezitation offenbart sich in der mannigfaltigen intermedialen Reproduktion und Nutzung innerhalb der neuen Techniken und des Web 2.0.
© September 2014, Saboura Beutel und Marianna Wegner – Dieuredieuf Serigne Touba Khadim Rassoul