Heute gelang uns ein Zeitsprung in die Gegenwart: Die jungen Kunst- und Kulturzentren Artplay (https://www.artplay.ru/) und Vin Zavod (https://www.winzavod.ru/, https://www.facebook.com/Center.WINZAVOD) erkundeten wir zusammen mit Prof. Dr. Vitalij Kurennoj (https://www.hse.ru/en/org/persons/506669), Leiter der Abteilung Kultur an der Higher School of Economics (https://www.hse.ru/en/), und Prof. Dr. Ruslan Chestanov, Direktor des Instituts für soziokulturelle Programme der Stadt Moskau und zwei ihrer Mitarbeiter.
Wir trafen die Stadtsoziologen am Kurskij Vokzal und schlenderten von dort aus gemeinsam zu den Kunstzentren. Von alternativer Kunstszene kann jedoch keine Rede sein. Östlich des Gartenrings ist in den letzten Jahren in einem alten Industriegebiet ein neues Projekt entstanden, das mittlerweile völlig kommerzialisiert ist. Die parkenden Autos auf dem Gelände ließen schon erahnen: Hier trifft sich die Elite. Zu Lounge Musik, in einem frisch renovierten Café mit Duftlampen auf den Toiletten sprachen wir mit den vier Akademikern über die aktuelle Entwicklung der Moskauer Kulturszene. Und da stießen wir schon auf das erste Problem. Sie sind Wissenschaftler, keine Künstler. Sie kommen aus einer Institution und sehen Kunst als eine Institution. Was sie schildern, ist uns nicht unbekannt, denn in Moskau ist es wie in allen anderen Großstädten: Junge Kreative entdecken ein verlassenes Fabrikgelände und nutzen es als Treffpunkt, es entstehen Ateliers und Ausstellungsräume. Und schon wittert ein Investor Geld und spielt den Mäzen. In Berlin nennen wir das Gentrifizierung, in Moskau wird es als Transformation bezeichnet. Scheinbar muss man sich zwischen zwei Optionen entscheiden: Entweder man folgt dem Diktat der Resowjetisierung oder man befolgt die Wünsche der Oligarchen, die in die Gelände investieren. Beides ist mit Konservatismus und Bürokratie verbunden. Die Kunst tritt in den Hintergrund, die Läden sind austauschbar, genau wie die Kunden. Man kann auf den ersten Blick nicht sagen, ob man sich gerade in Moskau, Berlin, London oder Stockholm befindet.
Nichtsdestotrotz ist das Kunstzentrum Vin Zavod das erste seiner Art in Russland. Zuvor konnte man nur in kleinen Galerien die zeitgenössische Kunst Russlands verfolgen. Durch die Erweiterung der Zentren gibt man einem breiteren Publikum die Möglichkeit einen Eindruck über die aktuelle Kunst- und Kulturszene zu bekommen. Und wenn man nach dem Rundgang auf dem Gelände Lust bekommen hat selbst den Pinsel in die Hand zu nehmen, kann man sich in dem dort befindlichen, riesigen Künstlerbedarfladen mit den nötigen Utensilien ausstatten oder gleich einen der angebotenen Workshops besuchen.
Einer der Mitarbeiter Kurennojs stellt uns im Anschluss Vika Shumskaya und Vlad Yurashko vor, ein sympathisches Künstlerpaar aus der Ukraine, das zur Zeit in der Galerie pop off art (https://www.popoffart.com/) zeigt, wie sich der Krieg in der Ostukraine auf ihr Leben und somit auch auf ihr künstlerisches Schaffen auswirkt. Gemeinsam mit dem Galeristen Sergey Popov konzipieren die beiden Künstler den Ausstellungsraum als Bunker, in dem sie düstere Gemälde und video art präsentieren. Bevor sich unsere Wege trennen, erhaschen wir noch einen Blick in die Atelierräume. In Berlin sind ihre Arbeiten regelmäßig in der Galerie Kuckei + Kuckei (https://www.kuckei-kuckei.de/index.html) zu sehen.