Projekte gegen Gentrifizierung – aussichtslose Bemühungen oder einflussreiche Bewegungen?

Im Juni 2015 bekam der Obst- und Gemüseladen „Bizim Bakkal“ in der Wrangelstraße 77 vom Vermieter die Kündigung. Der Grund: das Haus soll Luxus-saniert werden, um die Wohnungen anschließend an eine neue, einkommensstärkere Zielgruppe zu verkaufen. „Bizim Bakkal“ ist der letzte familiengeführte Obst- und Gemüseladen in der Wrangelstraße und wird seit 28 Jahren im Kreuzberger Wrangelkiez geführt.

Der Laden trägt einen wesentlichen Teil zum Wir-Gefühl im Kiez bei – er ist Teil des Kiezes. https://www.bizim-kiez.de/blog/2015/06/04/bizim-bakkal-wir-sind-gemueseladen/

Abbildung 1

Dies war das ausschlaggebende Ereignis, welches zur Gründung der Initiative „Bizim Kiez“ (türkisch: bizim= unser) geführt hat. Dank der Proteste konnte „Bizim Bakkal“ weiter bestehen bleiben. Mittlerweile kann „Bizim Kiez“ durchaus als sehr erfolgreiche stadtentwicklungspolitische Basisinitiative bezeichnet werden. Kilian Wegener, Parteimitglied der SDP, tat dies auch im Interview. Die Initiative setzt sich unter anderem für den Erhalt kleiner Läden und sozialer Einrichtungen ein von denen nicht nur die Existenz vieler Familien abhängt. Sie machen auch den Kiez aus und bieten für alle Orte der Begegnung. https://www.bizim-kiez.de/
https://www.flickr.com/photos/133984053@N06/18521591250

 

Es geht um alles bei Bantelmann

Ein Beispiel für den erfolgreichen Protest gegen die Verdrängung von Kleinstgewerbern stellt der „Fall Bantelmann“ dar. Anfang Oktober 2016 erhält Alexandra Lack, die Besitzerin des Ladens „Bantelmann Betriebe Berlin“ völlig überraschend die fristgerechte Kündigung zum 30. März 2017. Der kultige Haushaltswarenladen ist seit 36 Jahren Teil des Wrangelkiezes. Damals wurde der Laden von „Onkel Bantelmann“, wie ihn die kleine Alexandra nannte, geführt. Sie wuchs im gleichen Haus auf und war oft im Laden. 2012 übernimmt sie zusammen mit ihrem Mann das Geschäft. Für die fünfköpfige Familie würde die Räumung des Ladens der Existenzverlust bedeuten, sie würden sofort in Hartz IV abrutschen. Das interessiert die Chefs der Immobilienfirma S Immo, denen das Haus gehört, allerdings wenig. Also hat die Initiative „Bizim Kiez“ die Nachbarschaft über mehrere Wochen jeden Samstag zum Protest gegen die Kündigung auf die Straße gebracht. Schlussendlich zog die Immobilienfirma aufgrund des wachsenden Widerstands der Nachbarschaft durch „Bizim Kiez“ die Kündigung zurück. Stattdessen bot sie einen Mietvertrag mit einer Laufzeit von drei Jahren an und Alexandra Lack akzeptierte im Gegenzug, zukünftig auf einen Teil der zweigeteilten Gewerbefläche zu verzichten.

Abbildung 2

Trotz des Erfolgs und der großen Freude darüber, dürfen die neuen Bedingungen nicht außer Acht gelassen werden: „die Miete steigt faktisch um 74% und eine längerfristige Perspektive konnte nicht durchgesetzt werden“. https://www.bizim-kiez.de/blog/2017/03/11/bantelmann-gerettet/

 

Rummelsburger Bucht retten

Von solchen Erfolgserlebnissen kann die Initiative „Rummelsburger Bucht retten!“ nur träumen. Hierbei geht es um die Bebauung einer der letzten großen Brachen der Berliner Innenstadt. Der Bebauungsplan des Bezirks sieht Büroflächen, frei finanzierte Wohnungen sowie 110 mietpreisgebundene Wohnungen und eine Unterwasserlandschaft namens „Coral World“ vor. Gerade letztgenanntes trifft auf starken Widerstand. Die Bürgerinitiative fordert mehr bezahlbaren Wohnraum, Kulturangebote, den Neubau einer Grundschule und viele Grünflächen anstelle von Gewerbeflächen, Luxuswohnungen und der Touristenattraktion „Coral World“, welches ein Projekt eines israelischen Investors ist.Dafür legte die Initiative einen alternativen Bebauungsplan vor und sammelte über 20.000 Unterschriften gegen die Bebauungspläne des Bezirks. Erfolglos: jüngst wurde der umstrittene Bauplan in einer Sondersitzung beschlossen und der Alternativplan somit abgelehnt. Gescheitert ist der Alternativplan an der politischen Hürde, so erklärt Michael Grunst, der Bezirksbürgermeister von Berlin-Lichtenberg, dass der Bezirk wenig Handlungsspielraum hätte, weil das Land selbst mit dem Verkauf der Grundstücke viel Schaden verursacht habe. Mit den Grundstücksverkäufen an private Investoren hat die SPD/CDU Koalition bereits 2016 begonnen. Diese wurden noch bis in den Sommer 2017 mit der Zustimmung von den Grünen und den Linken und unter der politischen Obhut durch den linken Bürgermeister von Lichtenberg fortgesetzt. Heute ist der SPD bewusst, dass dies ein Fehler war, denn auf die Frage, was das Kontraproduktivste ist, was die Regierung machen könnte, antwortet Kilian Wegner im Interview: „Das Kontraproduktivste ist […] der Verkauf von öffentlich kontrolliertem Wohnraum, der Verkauf von öffentlichen Flächen […].“ Jetzt stellt sich uns die Frage, was die Politik denn aktuell gegen die Gentrifizierung macht? https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2019/03/berlin-lichtenberg-rummelsburger-bucht-buergerinitiative-nutzung.htmlhttps://www.tagesspiegel.de/berlin/sondersitzung-zur-rummelsburger-bucht-lichtenberg-beschliesst-umstrittenen-bebauungsplan/24269594.html

 

Politische Maßnahmen gegen Gentrifizierung auf Landesebene

Ein Projekt der Koalition, welches Kilian Wegner zusammen mit der SPD-Bundestagsabgeordneten Eva Högl und dem stellvertretenden SPD-Landesvorsitzenden Julian Zado im Januar vorgeschlagen hat, ist der Berliner Mietendeckel. „Da geht es darum, dass man sagt, die Mietenentwicklung in Berlin ist auch gegenüber dem Bundestrend so exzessiv abgekoppelt und so überhitzt, dass wir für fünf Jahre eine landesrechtliche Regelung machen müssen, um die Mieten zu begrenzen, und zwar ohne Schlupflöcher. Und das können wir auch, aufgrund der öffentlich-rechtlichen Kompetenz des Landes für das Recht des Wohnungswesens und das soll in diesem Jahr noch in das Abgeordnetenhaus eingebracht werden. Da laufen im Moment die Verhandlungen in der Koalition. Die Wirkung bleibt dann natürlich abzuwarten, aber da bin ich optimistisch, dass das heftigen Einschlag bringen wird.“ erläutert Kilian Wegner das Konzept des Mietendeckels. Es sollen also für mindestens fünf Jahre Mieterhöhungen in Berlin verboten werden.

 

FDP kritisiert Mietendeckel

Natürlich gibt es auch viele Kritiker, die den Mietendeckel nicht als positiv erachten. Der Landesvorsitzende der jungen liberalen Berlin, David Jahn, sieht eine Lösung der Problematik nicht unbedingt im Mietendeckel, sondern betont viel mehr: „Eine Wohnungsbaupolitik und Wohnungsmarktpolitik, die zu stark in den Markt eingreift und nicht dafür sorgt, dass mehr Wohnungen in Berlin gebaut werden“ hat eine kontraproduktive Auswirkung auf die Gentrifizierung. So plädiert er vielmehr für eine Aufhebung der baulichen Beschränkungen, bspw. „Würde allein ein Dachgeschossausbau in Berlin über 50.000 Wohnungen bringen, wird aber vom Senat verhindert.“
Diese aggressive Bebauungspolitik, sollte auch nicht von Widerstand, etwa durch Projekte der Bevölkerung, aufgehalten werden, so David Jahn. Vielmehr ist die FDP der Meinung, dass „Wohnraumknappheit nachhaltig nur über Baumaßnahmen zu überwinden ist. Eine generelle Verdichtung des Wohnraums, die Nutzung von Brachflächen eingeschlossen, wird hierfür unumgänglich sein.“

 

Elisabeth-Aue

Gerade wenn es um den Neubau geht, gehen die Meinungen der Parteien stark auseinander, was deutlich an dem Beispiel Elisabeth-Aue erkennbar ist. Hierbei handelt es sich um ein weites Feld im Herzen Pankows. Wie auch viele andere Grünflächen in der Umgebung sollte es zur Komplettbebauung freigegeben werden, die eine Entstehung von 5000 Wohnungen mit sich gebracht hätte. Dies beschloss ein Bebauungsprojekt der CDU und SPD in der letzten Legislaturperiode. Doch schnell kommt es zu regem Widerstand in der Bevölkerung, eine Initiative bildet sich, die vor allem die Komplettbebauung verhindern möchte. Der Fall wird zum Politikum und von der nächsten Rot-rot-grünen Regierung verworfen, was noch immer von der FDP und CDU stark kritisiert wird. Sie sehen in genau diesen Großprojekten die Möglichkeit neuen Wohnraum zu schaffen und so die Gentrifizierung aufzuhalten. https://www.morgenpost.de/bezirke/pankow/article216801459/Wie-viel-Grossstadt-vertraegt-die-Elisabeth-Aue.html

 

Dankbarkeit bei Input seitens der Bürgerinnen und Bürger

Grundsätzlich haben wir den Eindruck, dass die Verhinderung von Neubau durch Bürgerinitiativen schon sehr gut klappt, allerdings ist das auch sehr abhängig von den regierenden Parteien und eine stetige Verhinderung von Neubau trägt letztendlich auch nicht zur Minderung der Gentrifizierung bei. Viel wichtiger ist es, dass die Bürgerinnen und Bürger die Bebauungspläne mitgestalten können und Kompromisse gefunden werden, denn die Schwarz-Weiß-Malerei (entweder komplett bebauen oder gar nicht) wird nicht zu einer besseren Wohnsituation in Berlin führen. Deswegen ist es sehr wichtig, dass Input von Seiten der Bürgerinnen und Bürger einfließt, gerade bei der Stadtentwicklung sind die meisten Politiker auch sehr dankbar dafür. Denn wer weiß besser, was gerade im Kiez abgeht und welche Probleme es gibt, als die Menschen, die dort leben?!

 

Abbildung 1: https://www.flickr.com/photos/133984053@N06/18521591250

Abbildung2: https://www.flickr.com/photos/jmenj/9323595772/in/photostream/ 

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