Noch vor wenigen Jahren befürchteten manche Beobachter, dass das politische System der USA in eine Situation permanenter Politikblockade geraten war: Einerseits durch das in der Verfassung angelegte, elaborierte System der Gewaltenteilung und –verschränkung (‚checks and balances’), das durch die Fragmentierung staatlicher Macht konstitutiv für die amerikanische Demokratie ist, aber mit seiner Verhinderung einer „Tyrannei der Mehrheit“ (James Madison) eben auch der Bewahrung des Status quo dient. Andererseits durch lange Perioden von ‚divided government’ in der amerikanischer Politik, also der geteilten Kontrolle von Präsidentenamt und Legislative durch die beiden großen Parteien, Republikaner und Demokraten.
Die einzelnen Maßnahmen im „Krieg gegen den Terrorismus“ sollen hier nicht detailliert wiedergegeben werden, es reicht, festzuhalten, dass erstens der Kongress sowohl per Gesetz (vor allem mit dem USA PATRIOT Act) als auch stillschweigend der Exekutive einen erheblichen Machtzuwachs und vergrößerten Entscheidungsspielraum hat zukommen lassen, und dass zweitens der Präsident aktiv größere Kompetenzen und Befugnisse für sich und seine Behörden einfordert und sich dabei hoher öffentlicher Zustimmung gewiss sein kann (der so genannte „Rally-Effekt“; s.u.). Krisen sind immer die Stunde der Exekutive und nicht zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte sehen Bürgerrechtsorganisationen verfassungsmäßige Rechte in Gefahr. Doch ist durch die im „Krieg gegen den Terrorismus“ mögliche permanente Mobilisierung der Bevölkerung das System der ‚checks and balances’ auf lange Sicht ausgehebelt?
Greven, Thomas (2003): Pendelschwünge der Macht im politischen System. Die Zukunft von ‘checks and balances’ ist nach dem 11. September 2001 offen
Erschienen in: Das Parlament, Vol. 53, No. 5 (January 27), p. 3.