Von Johannes Dudziak
Ob sich Barack Obama nach Sommerurlaub sehnt? Man könnte es ihm nicht verdenken. Mit einem Datenskandal, einem stets aufmüpfigen Kongress und ein paar Entscheidungen des obersten Gerichtshofes hatte Barack Obama im letzten Monat wieder allerhand zu tun. Dabei sollte der Präsident langsam anfangen, über sein Vermächtnis nachzudenken. Drei Sommer noch, dann wird ein neuer Präsident gewählt.
Vielleicht kam ihm dafür sein Staatsbesuch in Berlin gerade Recht. Direkt nach dem G8-Gipfel in Nordirland und einer eisigen Pressekonferenz mit dem russischen Präsidenten Vladimir Putin flog Obama für zwei Tage nach Berlin, was hierzulande ein Mediengewitter auslöste. Was wird er sagen? Wird’s ein Besuch wie der von Präsident John F. Kennedy im Sommer 1963, mit denkwürdigen Zitaten und großen Gesten?
Heiß war’s, denkwürdig weniger. Das schien allerdings die Vertreter der Hauptstadtpresse nicht zu stören. Während der Spiegel eine Charmeoffensive Obamas ausmachte, war es schwieriger, in Amerika Interesse an Obamas Staatsbesuch zu finden. Große Artikel im Wall Street Journal oder der New York Times fanden nicht statt. Vielleicht im Magazin Foreign Policy? Fehlanzeige. Obama in Berlin blieb eine Randnotiz.
Die Krise der EU, globale Erwärmung und globale Abrüstung sind wohl der amerikanischen Medienelite nicht so wichtig wie die Lage im Nahen Osten, der Einsatz von Drohnen oder das Verhältnis zu China.
Vielleicht war die Berlinreise aus Sicht des Präsidenten vergleichsweise irrelevant: Mehr könnten ihn zwei Urteile des Obersten Gerichtshofes oder der Entwurf für ein neues Einwanderungsgesetz beschäftigen. Diese Themen dürften für das Vermächtnis von Obamas Präsidentschaft von größerer Bedeutung sein.
Doch es stellt sich die Frage, wie viel Einflussder Präsident tatsächlich hat, auf das Bild, das er in der Geschichte hinterlassen wird.Viele Faktoren, die über politischen Erfolg oder Niederlage entscheiden, hat der Chef der Exekutive im amerikanischen Staat gar nicht in der Hand. Zum Beispiel spielen die Medien eine wichtige Rolle, welche Politikinhalte in der Öffentlichkeit thematisiert werden und wie diese thematisiert werden.
Um Fragen nach medialer Thematisierung genauer auf den Grund zu gehen, bedarf es umfangreicher Inhalts- oder Diskursanalyse. Allerdings sticht auf den ersten und zweiten Blick bereits hervor, wie ähnliche politische Phänomene sehr unterschiedlich stark diskutiert werden.
Nehmen wir zwei Urteile des Obersten Gerichtshofes aus der letzten Juniwoche, die weitreichende Konsequenzen haben könnten: Die Aushebelung des Defense of Marriage Act und die Entkräftung von Absatz 4 des Voting Rights Act von 1965. Mit der ersten Entscheidung ebneten die Verfassungsrichter den Weg für die Homo-Ehe. Mit dem zweiten Urteil blockierten sie Überwachung durch das Justizministerium in Washington von bestimmten US-Staaten, die durch Diskriminierung von Minderheiten bei Wahlen aufgefallen sind.
Auf Twitter ist das unterschiedlich starke öffentliche Interesse an den beiden weitreichenden Entscheidungen deutlich nachzuvollziehen: Der populärste Hashtag zum Voting Rights Act, #voting rights, schoss vom 24. Juni zum 25 Juni auf knapp 67 Tausend Tweets hoch von knapp zwei Tausend. Einen Tag später ging der Hashtag #doma (kurz für Defense of Marriage Act) von über fünf Tausend auf über 140 Tausend Tweets hoch.
Nehmen wir also an, dass in der Öffentlichkeit die Tolerierung der Homo-Ehe höhere Wellen schlug als die Einschränkung des Voting Rights Act, der Minderheiten in bestimmten Staaten das Wählen erschweren wird. Warum ist das so?
Eine denkbare Antwort wäre, dass die meisten zwitschernden Großstadtjournalisten häufig Freunde oder Bekannte haben dürften, die homosexuell sind, jedoch deutlich weniger Menschen aus Alabama, Georgia oder Mississippi kennen, die ethnischen Minderheiten angehören. Das hat verheerende Folgen für Minderheiten in bestimmten Regionen der Vereinigten Staaten. Wenn bestimmte ethnische Gruppen bei wichtigen Wahlen diskriminiert werden, müssen die Medien das skandalisieren. Denn Wahlen bieten für die meisten Bürger die einzige Möglichkeit in einer repräsentativen Demokratie mitzubestimmen.
Diese Beobachtung spiegelt sich in veränderter Form in Larry Bartels Forschung wider: Untere und mittlere Einkommensschichten, zu denen ethnischen Minderheiten mehrheitlich in Amerika gehören, haben kaum Einfluss auf den politischen Entscheidungsprozess.
Unglücklicherweise, für Barack Obama, hängt das Vermächtnis seiner Präsidentschaft vielleicht noch stärker von dem feindlichen Kongress und dem konservativ besetzten Obersten Gerichtshof ab: Ein neues Einwanderungsgesetz, beispielsweise, oder ein neuer Voting Rights Act müssten vom Kongress verabschiedet werden. Ein abdankender konservativer Richter des Obersten Gerichtshofes käme dem Präsidenten ebenfalls gelegen, um die amerikanische Politik nachhaltig zu beeinflussen. Leider kann der Präsident diese Faktoren nicht kontrollieren. Vielleicht kann er sich im Sommerurlaub gerade besser entspannen, mit dem Wissen, sein Vermächtnis hängt stark von recht willkürlichen Umständen ab.