The State of American Democracy

Research-based Analysis and Commentary by the Department of Politics at the John-F.-Kennedy Institute

Shutdown Madness & Showdown in D.C.

Die Republikaner haben schon “gewonnen”

von Curd Knüpfer

Es ist ein liebgewonnenes Verhaltensmuster amerikanischer Medien, über Politik wie über ein Pferderennen zu berichten: wie über einen elitären Sport also, in dem es um viel Geld geht.[1] Wer liegt vorne? Wer verliert? Welche Strategie wird verfolgt und wer schickt welchen Gaul ins Rennen? Und immer gibt es die zwei Lager, die Parteien, die wie zwei ebenbürtige, ewig rivalisierende Teams behandelt werden – El Clásico von Washington.

Es ist nicht verwunderlich, dass auch in Zeiten, in denen Washington gelähmt ist und sich dies glasklar auf die politischen Ziele der Republikanischen Partei zurückführen ließe, die Presse sich nicht ganz lossagen kann von diesem Modus Operandi.

In der CNN Sendung Crossfire wird erörtert welche Partei gerade gewinnt.

“Who’s winning?” fragt man sich derzeit beim (vermeintlich) neutralen Kabelfernsehsender CNN. Beim (vermeintlich) linken Sender MSNBC heißt die Frage eher “Who’s losing?” und die Antwort schwankt zwischen: Washington, die Republikaner, Amerika, die Demokratie, das amerikanische Volk, etc. Auf dem (zweifelsohne) rechten Sender Fox News ist man sich derweil absolut sicher, wer gewinnt: Die Grand Old Party!

Wer keinen Zugriff auf den Kabelsender hat, dem sei gesagt: das Internet ermöglicht durchaus einen Besuch im konservativen „Echo Chamber“. Sei es der Drudge Report, RedState.com, Rush Limbaugh, das Wall Street Journal, Glenn Beck’s The Blaze, etc. pp. – hier herrscht eine Parallelwahrnehmung. Republikanische Politiker und konservative talking heads bestätigen sich gegenseitig, wie sehr sie tatsächlich im Recht sind. Gegnerische (= alle anderen) Stimmen werden entweder ausgeblendet oder als Beispiele genutzt, die beweisen, warum die eigene Position die einzigrichtige ist.

Dieses Phänomen der isolierten, selektiven Wahrnehmung drückt sich aus in Aussagen wie der von Michelle Bachmann, die behauptet, seit dem Beginn des shutdowns seien ihre Parteifreunde “about the happiest I have seen members in a long time.” Oder in der Annahme führender Republikaner, dass eine Supermacht es sich erlauben könnte, ihre Schulden nicht zu zahlen

Zu den verbreitetesten Repräsentationen, übrigens auch in der deutschen Presse, gehören derweil die Annahmen, dass… 

1. „Die Republikaner“ (wie John Boehner, John McCain oder Mitt Romney und sein einstiger running mate Paul Ryan, wie Eric Cantor oder der ambitionierte Marco Rubio, aber auch Figuren wie der Vorsitzende des obersten Gerichtshofs, John Roberts) sich schon wieder in den Griff bekommen und letztendlich dann doch noch „das Richtige“ tun werden, denn

2. es sind ein paar „Irre“, die die Partei vorrübergehend gekapert haben.

Mit anderen Worten: hier wird sich punktuell irrational verhalten, und die Partei wird das intern lösen müssen. Hinter Begriffen wie „das Richtige“, „irre“ oder Aussagen mit vergleichbarem Inhalt, steckt die Annahme, dass es einen objektiven, gemeinsamen Kern, bzw. Ausgangspunkt gibt. Eine Mitte, wenn man so will, zu der sich zurückkehren ließe. Eine neutrale Perspektive, abseits der Politik, von der aus klar wäre, wer Recht hat und wer nicht.

Als mittlerweile fast fünfjähriger Dauergast im kollektiven Bewusstsein der konservativen Medien kann ich diese Einschätzung nicht teilen.

Die Perspektive und Wahrnehmung – die Realität – der Republikaner und ihrer Wähler ist in vielen Punkten eine fundamental andere als die des Rests der Welt bzw. des vermeintlichen Zentrums der amerikanischen und internationalen Gemeinschaft. „Wahrheit“ ist bekanntlich ein durchaus dehnbarer Begriff – auf Fox News und Konsorten wird jedoch längst nicht mehr gedehnt. Hier ist ein solides Gerüst alternativer Grundannahmen entstanden.

Und eben hier, in dieser kollektiven Wahrnehmung, zeigt es sich am deutlichsten: Die Republikaner sind ein Team. Ganz egal, was derzeit über die Differenzen zwischen Tea Party und Establishment geschrieben wird, die Republikaner agieren auf der nationalen Bühne als eine geschlossene Front, die durch gemeinsame Ziele zu einem politischen Akteur wird. Spätestens seit den 1970er Jahren hat die amerikanische Rechte die Lektionen der Linken im politischen Klassenkampf gelernt und verinnerlicht: Solidarität für eine gemeinsame Sache; radikale Gegenentwürfe zu bestehenden Narrativen.

Zu einer typischen neokonservativen Leseliste gehören so Werke wie: Rules for Radicals, das ursprünglich linken Organisationen und Akteuren den Zugang zur politischen Bühne ermöglichen sollte, oder Words that Work, vom Politstrategen Frank Luntz, der die Macht des Diskursiven anschaulich und republikanerfreundlich erläutert.

Und wie wird darüber berichtet?

Prominente Vertreter der Medien haben zwar nun dazu aufgerufen, sich im Fall des government shutdown loszusagen von der üblichen horse-race / he-said-she-said Berichterstattung, doch geschieht dies keineswegs flächendeckend. Und wenn es geschieht, beschränkt es sich meist auf eben diese selbstkritischen Aufrufe in den meinungsorientierten editorials führender Zeitungen.

Die öffentliche Meinung scheint zwar darüber informiert zu sein, dass der gegenwärtige Zustand eher die Schuld der Republikaner ist, doch dies mag wenig verwundern, denn die Republikaner haben in der Gesamtbevölkerung derzeit schlichtweg keine Mehrheit. Aus dieser Tatsache schöpfen sie indes sogar Stärke: sie sehen sich als unterdrückte Minderheit, die mutig im Auftrag ihrergleichen kämpft.

So offenbart sich eine gewisse Parallele zur früheren amerikanischen Linken und der europäischen Sozialdemokratie – Man gewinnt zwar nicht unbedingt die Mitte und stellt demnach nicht oft das Staatsoberhaupt, Einfluss genießt man aber dennoch. (Hier enden alle Parallelen dann auch direkt wieder.)

Es ist außerdem den elitären Grundpfeilern der amerikanischen Verfassung sowie der politischen Tradition der USA zu verdanken, dass man keine Mehrheiten braucht, um zu regieren (siehe: George W. Bush). Durch das sogenannte gerrymandering, die Änderung von Wahlkreisgrenzen, sitzen Kongressabgeordnete mittlerweile so fest im Sattel, dass sie sich nur vor Herausforderern aus den eigenen Reihen zu fürchten haben. “(…) There’s not a liberal America and a conservative America; there’s the United States of America”, meinte ein junger Senator aus Illinois einst zu wissen – man wäre heute geneigt ihn darauf hinzuweisen, dass es aber sehr wohl „konservative“ und „liberale“ Wahlbezirke gibt.

Was aber sind die Ziele der Republikaner? Die alltäglichen Grabenkämpfe lassen einzelne strategische Ziele variieren. Und in der Regel ist es im Interesse eines jeden Politikers, wiedergewählt zu werden. Aber abseits dieser Tagesetappen winkt sehr wohl eine Utopie, ein Hegelsches Ideal: Der Staat ohne Staat. Mal spricht man hier von Neoliberalismus, mal von amerikanischem Südstaaten-Republikanismus, mal von Wirtschaftslehre á la Friedman oder Hayek, mal von Jüngern der russisch-amerikanischen Schriftstellerin Ayn Rand. So groß die Unterschiede zwischen diesen Begründungen, so „tief“ die derzeitigen „Gräben“ innerhalb der GOP.[2]

In der chronisch zentristischen New York Times findet sich heute ein weiteres editorial gegen die Taktiken der Republikaner im Kongress und somit ein weiterer impliziter Appell gegen die neutrale Beobachterrolle der amerikanischen Massenmedien. Gleich nebenan tobt jedoch in selbigem Medium eine Debatte darüber, welche Teile des Staates nach dem shutdown am besten gleich geschlossen blieben, beziehungsweise auf welche Arbeitskräfte man getrost verzichten könnte. Hier wird teilweise über die Schicksale anderer Menschen und deren Familien mit einer Arroganz und Selbstverständlichkeit geurteilt, wie man sie für gewöhnlich nur aus der Berichterstattung über amerikanische Außenpolitik kennt. Die rechten Falken wird es freuen.


[1] Der Medienkritiker Jay Rosen bezeichnet dieses Phänomen kritisch als ein Element von press think, bestimmter journalistischer Verhaltensmuster, die schwer zu überkommen sind. In ähnlichen, kritischen Kontexten wird von false-balance, -objectivity oder -equivalency gesprochen. 

[2] Eben dieses Argument wurde hier in der vergangenen Woche auch von Christian Lammert vertreten. Er schreibt: „Rund 80 Republikanische Abgeordnete im House fordern schon seit längerem, was jetzt genau passiert ist: die Schließung der Regierung oder die Erpressung der Administration: Haushalt gegen Rücknahme Obamacare. Und dieses politische Verhalten lässt sich absolut rational erklären!“

Der Beitrag wurde am Mittwoch, den 9. Oktober 2013 um 22:05 Uhr von Curd Knüpfer veröffentlicht und wurde unter Congress Watch, The State of the Media abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

Eine Reaktion zu “Shutdown Madness & Showdown in D.C.”

  1. Stefan Wehmeier

    Von der Allgemeinen Theorie der Beschäftigung der Politik zur Vollbeschäftigung

    1. Schummeln gilt nicht, das heißt: Geldvermögen und Schulden sowie „Giralgeld“ sind kein Geld (Zentralbankgeld = Bargeld plus Zentralbankguthaben der Geschäftsbanken), sondern Ansprüche bzw. Forderungen auf Geld mit zudem unterschiedlicher Fristigkeit. Wer nicht einmal das differenzieren kann, versteht gar nichts; und wer dann noch von einer „Geldschöpfung der Geschäftsbanken“ phantasiert, die heute in Verdummungsanstalten gelehrt wird, damit etwas im Grunde so Einfaches wie das Geld NICHT verstanden wird, versteht weniger als nichts. Dass kurz vor dem Ende des zivilisatorischen Mittelalters die Geldmenge überproportional ausgeweitet wird, um eine schleichende Inflation bei sinkender Umlauffrequenz zu erhalten und damit die Liquiditätsfalle hinauszuzögern, ist immer noch kein Grund, von etwas zu phantasieren, was es nicht gibt.

    2. Der Kreditzins, den Unternehmer für Investitionskredite an die Geschäftsbanken zahlen, besteht aus der Bankmarge und dem Guthabenzins, den die Geschäftsbanken an die Sparer zahlen. Die Bankmarge minus Risikoprämie (Kreditausfall-Versicherung) minus Personal- und Sachkosten ist der Gewinn der Geschäftsbanken vor Steuern, und der Guthabenzins der Sparer ist die Liquiditätsverzichtsprämie (Urzins) plus Knappheitsaufschlag plus Inflationsaufschlag. Der Realzins (Sparer-Gewinn) ist der Guthabenzins minus Inflation.

    3. Der Knappheitsaufschlag kann sowohl positiv (Belohnung für Konsumverzicht, nach einer umfassenden Sachkapitalzerstörung) als auch negativ (Bestrafung für Investitionsverzicht, kurz vor dem nächsten Krieg, der aufgrund atomarer Abschreckung bisher ausfallen musste) in Erscheinung treten.

    Alles klar so weit? Dann die große Preisfrage: Was ist der Urzins, woraus entsteht er, und wozu brauchen wir den überhaupt? Sie haben die Wahl zwischen der Beschäftigung der politischen Seifenoper (Nebenwirkungen: Massenarmut, Umweltzerstörung, Terrorismus und Krieg sowie alle anderen Zivilisationsprobleme, die sich überhaupt thematisieren lassen)…

    Die Fruktifikationstheorie (A. R. J. Turgot), die Abstinenztheorie (N. W. Senior), die Agiotheorie (E. v. Böhm-Bawerk), die Ausbeutungstheorie (K. Marx), die Liquiditätstheorie (J. M. Keynes), die dynamische Zinstheorie (J. A. Schumpeter), die Grenzproduktivitätstheorie (J. B. Clark), die Loanable-Fund-Theorie (B. G. Ohlin), die Eigentumstheorie (G. Heinsohn / O. Steiger)…

    …und dauerhafter Vollbeschäftigung (allgemeiner Wohlstand auf höchstem technologischem Niveau, eine saubere Umwelt und der Weltfrieden sind selbstverständlich, sodass die politische Seifenoper überflüssig wird und der „liebe Staat“ abgebaut werden kann):

    Die Urzinstheorie (S. Gesell)

    Es sagt sich der Untertan: „Dass die hohe Politik überflüssig wird, ließe sich vielleicht verschmerzen; dass ich aber auf meine geliebte Religion verzichten soll, wenn sich niemand mehr an der „Frucht vom Baum der Erkenntnis“ bedient, geht nun wirklich zu weit!“

    Was bleibt bei so viel Dummheit noch übrig?

    https://opium-des-volkes.blogspot.de/2013/10/cancel-program-genesis.html