von Curd Knüpfer
19. März 2003: Die Streitkräfte der USA leiten mit einer „Shock and Awe“ Taktik die Invasion ein. Die ersten Bomben fallen auf Bagdad. Im Rahmen von Operation Iraqi Freedom (aka Iraqi Liberation) berühren einen Tag später die Stiefel von US Marines irakischen Boden. 10 Jahre sind seitdem vergangen. Viele Kollegen im akademischen Betrieb sowie in Presse und Politik nahmen dies in der vergangen Woche zum Anlass, die Ereignisse von damals noch einmal Revue passieren zu lassen, um Bilanz zu ziehen. Im Folgenden sollen einige der auffälligsten und interessantesten Beiträge exemplarisch vorgestellt werden. Dabei sollen wiederkehrende Argumentationsmuster und Erkenntnisse innerhalb der Presse, der Politik und dem akademischen Betrieb zusammengefasst und kritisch analysiert werden.
Argumentationsmuster 1: „Eine Welt ohne Saddam…“
Zugegebenermaßen, das Lager der Befürworter ist inzwischen klein geworden. Zwar gibt es natürlich noch die Donald Rumsfelds und Dick Cheneys, die auch jetzt noch auf ihre einstigen Standpunkten beharren, doch dürfte diese Haltung mehr politischer Natur sein als Ausdruck wahrer Überzeugung.
Wie ihre gelegentlichen Zwischenrufe dennoch auch heute noch richtig anmerken, wurde damals ein despotisches Regime gestürzt. Und sicherlich könnte man (wenn man es denn wollte) eine Verbindung vom Ende der Baath Partei im Irak hin zum arabischen Frühling ziehen, wie es beispielsweise der britische Populärhistoriker und Obama-Kritiker Niall Ferguson gelegentlich tut.[1]
Wer sich auf derlei Argumente einlässt und ihnen die enormen Kosten an Material, Imageschaden, vor allem anderen aber an Menschenleben und tragischen Schicksalen entgegenhält, muss sich wohl oder übel einer Art Kosten-Nutzen Rechnung bedienen.
Das soll natürlich nicht bedeuten, dass man sich nicht mit den Kosten und Folgen des Krieges auseinandersetzen sollte. Auf der Seite des Costs of War Project finden sich, übersichtlich zusammengetragen, eindrückliche Forschungsergebnisse, Statistiken und Zahlen zu den Folgen des Krieges. Nur handelt es sich bei diesen Folgen nun mal in der Regel um Fakten, während der „Nutzen“ reine Ansichtssache ist.
Es ist der Dynamik politisierter Themen geschuldet, dass man, wenn die Frage gestellt wird, ob es das alles wert war, letztendlich in eine Grundsatzdebatte verfallen wird, in der die Lager und Argumente festgefahren sind. Wer heute noch den Krieg verteidigt, wird diese Meinung womöglich niemals ändern.
Argumentationsmuster 2: „Der Krieg war ein Fehler“
Diese Erkenntnis scheint mittlerweile überwältigender Konsens zu sein. Einige lesenswerte Highlights hierzu finden sich in der New Republic, in der einstige Befürworter sowie Gegner des Krieges Bilanz ziehen.
In einer sehr lesenswerten Reihe in der New York Times schreiben (größtenteils desillusionierte) Veteranen über ihre Erfahrungen im Krieg.
Selbst im neokonservativen Lager gibt man sich dieser Tage kleinlaut. Der Weekly Standard, der wöchentliche Standartenträger für neokonservative Ambitionen, veröffentlicht zum Thema Irak in den vergangenen Tagen … nichts.
Im Washington Examiner wird der Krieg gar als Wegbereiter für die verhasste Gesundheitsreform der Obama Regierung gescholten. Vernichtender könnte das Urteil aus dieser Ecke wohl kaum ausfallen.
Im European gibt derweil der angesehene Harvard Professor Stephen Walt seine Analyse ab. Der Realismus-orientierte Walt bezeichnet den Krieg darin mehrfach als „foolish“. Eine Wortwahl, die der von Barack Obama ähnelt, als der damalige Senator einst sein Nein zum Krieg begründete („a dumb war“).
Laut dem aktuellsten CNN/OCR Poll sehen das auch 59% der Amerikaner so, die auf die Frage „Would you say that the initial decision to send U.S. troops to Iraq in 2003 was a smart thing to do or a dumb thing to do?“ mit „dumb“ antworteten.
In Hinblick auf das vorangegangene Argumentationsmuster scheint diese Entwicklung zunächst begrüßenswert. Ein solcher Grundkonsens ermöglicht –zumindest theoretisch– den direkten Einstieg in konstruktivere Debatten um die Ursachen, Folgen und Lehren, die aus dem Krieg zu ziehen sind, statt mit den eingangs erwähnten Polemikern in immer gleiche Streitgespräche und Grundsatzdebatten zu verfallen. Im Fall des Vietnamkrieges etwa hat es bekanntermaßen bis zu einer vergleichbaren gesellschaftlichen Übereinkunft weitaus länger gedauert.
Indes bedeutet dies natürlich keineswegs, dass sich alle einig wären: Der Irakkrieg war ein Fehler. Aber einer der im besten Fall die Ziele der US-Regierung verfehlt hat und im schlimmsten Fall einen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt. Auf dieser ungemein breiten Skala lässt sich noch ausgiebig debattieren.
Ferner bleibt anzumerken, dass ein Fehler etwas anderes als ein politischer Skandal oder gar ein Verbrechen ist. Fehler macht man, um aus ihnen zu lernen. Warum sie passierten und was man daraus lernt, kann die unterschiedlichsten Antworten hervorrufen. Skandale haben (in der Regel) Konsequenzen. Verbrechen werden geahndet. „Foolishness“ – Dummheit – dagegen ist nicht strafbar.
Argumentationsmuster 2.2: „Mea Culpa“
Diese Haltung ist das öffentliche Eingeständnis einstiger Befürworter des Krieges, die nun ihre damalige Haltung bereuen, erklären oder entschuldigt wissen wollen. Prominente Beispiele sind die New York Times, samt ihrem damaligen Chefredakteurs Bill Keller oder auch David Ignatius von der Washington Post. Beide schreiben heute: „mea culpa“; man sei damals zu unkritisch gewesen. Geblendet vom Horror des 11. Septembers habe man sich allzu leicht hinters Licht führen lassen.
Einerseits steht es einem jeden gut zu Gesicht, Fehler einzugestehen und die eigene Rolle zu hinterfragen. Andererseits könnte man denken, dass dies das Mindeste ist, was von seriösen Journalisten zu erwarten wäre. Wie Ignatius und Keller, die beide noch Leitartikel für ihre Zeitungen verfassen, scheint auch anderen prominenten Befürwortern des Krieges in den Medien weder ihre einstige Fehleinschätzung, noch ihr späterer Sinneswandel ernsthaft geschadet zu haben. Die Webseite MediaMatters.org hat einige Beispiele zusammengetragen und zeigt, in welchen Positionen die jeweiligen Personen sich heute befinden [SPOILER: die meisten sind noch immer genau dort, wo sie sich damals befanden].
Ebenso lohnt sich ein Besuch auf der Homepage von Bill Moyers, einem der wenigen amerikanischen Journalisten, die sich bereits vor Beginn der Invasion deutlich gegen den Krieg aussprachen. Hier findet sich eine anschauliche Zusammenfassung und Gegenüberstellung einstiger und heutiger Stimmen zum Krieg. [Unbedingt empfehlenswert ist dabei die Verlinkung zu einer Reportage von Moyers aus dem Jahr 2007, in der die Rolle der Medien vor Beginn des Krieges genauer untersucht wird.]
War der Vorlauf zum Irakkrieg also sozusagen das „Oops-Moment“ der amerikanischen Presse? Handelt es sich dabei um einen einmaligen, historisch bedingten Fehler, der sich auf den Zeitabschnitt kurz vor und nach der Invasion beschränken ließe? Oder wäre es nun die Aufgabe der Presse, die Lügner und Kriegstreiber, die sie damals vermeintlich hinters Licht führen konnten, dafür stärker zu belangen?
Für einige Kommentatoren, wie der Anthropologin Sarah Kendzior, ist eben dies die Lektion aus dem „Fehler“ Irakkrieg, in dem die Realität neu definiert wurde und Fakten keine Rolle mehr spielten: „The worst thing about the Iraq war was not that people got away with lying. It was that they did not – and it did not matter.”
Argumentationsmuster 2.3: „[…] ist nicht Irak!“
Eine alte militärische Binsenweisheit besagt im Wesentlichen, dass kein Krieg dem nächsten gleicht, da man die Lektionen des vorangegangenen anwenden wird. Es stimmt natürlich, dass jeder neue Konflikt in vielerlei Hinsicht einzigartig sein wird. Nur scheint diese Lektion eigentlich allzu offensichtlich, als dass sie fortlaufend wiederholt werden müsste. Es ist daher bemerkenswert, wie schnell viele der Rückblicke, die in den vergangenen Tagen veröffentlicht wurden (im deutschen wie im englischen Sprachraum), auf diese Lektion pochen: „Irak war ein Fehler, ABER…“
Eine rhetorische Strategie, die auszusagen scheint, dass man nun zwar den Irakkrieg verurteilt, dass dies einen jedoch nicht zum naiven Pazifisten wandelt. Somit hält man sich die Möglichkeit offen, auch in künftigen Konflikten die militärische Option befürworten zu können. Krieg muss, nach dieser Vorstellung und frei nach Clausewitz, stets eine Option im Handlungsspielraum der Politik bleiben.
So ist aus vielen derartigen Kommentaren ebenfalls die Sorge herauszulesen, dass eine Neuauflage des „Vietnam-Syndroms“, ein Irak/Afghanistan-Syndrom, den Vereinigten Staaten eine neo-isolationistische Phase bescheren könnte. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kann man etwa lesen:
“Weil der Ertrag im Vergleich zu den Kosten so viel geringer ausgefallen ist als erhofft und vorhergesagt, werden die Vereinigten Staaten künftig eine größere Zurückhaltung üben. Die Rolle, die sie im Libyen-Krieg spielten, und das Zögern im Syrien-Konflikt zeigen das schon. „Nur“ um der Demokratie willen wird Amerika vermutlich nicht noch einmal in einen Krieg im ohnehin aufgewühlten Arabien ziehen. Diesen Idealismus – oder neokonservativen Furor – wird es so bald nicht wieder aufbringen. Fragt sich nur, ob die Weltmacht da nicht von einem Extrem ins andere fällt.”
Da die Frage ja nun im Raume steht, ob die USA in ein Extrem des Isolationismus oder einer zaghaften Außenpolitik verfällt, mag hierauf eine Antwort gegeben werden: nein, das tut sie nicht.
Es ließe sich der Haushalt des Verteidigungsministeriums erwähnen, der allen Sparforderungen und Kürzungen zum Trotz enorm bleibt. Man könnte auf die aggressive Dronenpolitik der Obama Regierung verweisen. Man könnte anmerken, wie marginalisiert isolationistische Ansichten von Links wie von Rechts, sowohl im Kongress, als auch im Präsidentschaftswahlkampf sind. Man kann erklären, dass mit Chuck Hagel nun zwar kein Neocon à la Bush II das Pentagon leiten soll, sehr wohl aber ein Republikaner der alten Realistenschule à la Bush I, und dass diese zwar für einen besonneneren Umgang mit der militärischen Macht der USA stehen; man ihnen Pazifismus oder anti-imperialistische Tendenzen deswegen allerdings noch lange nicht vorwerfen könnte. Kurzum: wer von den Vereinigten Staaten Isolationismus erwartet oder befürchtet, hat nicht richtig aufgepasst.[2]
Derartige Einschätzungen, die sich um die Zukunft militärische Mittel als legitimes Instrumentarium der Politik sorgen, beschränken sich allerdings nicht nur auf die USA. Wie man als deutscher SPIEGEL-Leser dieser Tage über sich erfahren kann, ist man möglicherweise gar von einem „Trauma“ befallen, dass einen den Krieg auf ewig unappetitlich gemacht haben könnte (Nr. 23/ 25.3.13; S. 20-26). Nach diesem Narrativ ist man als deutscher Kriegsgegner nicht etwa rationaler Akteur, sondern ein allzu zaghaftes Opfer der eigenen Sozialisation. Im SPIEGEL fallen gewichtige Worte wie „Bündnistreue“ und „internationale Verantwortung“, während Gegnern militärischer Einsätze mal Populismus, mal Opportunismus, mal eine Gleichgültigkeit gegenüber der Bundeswehr und deutschen Soldaten oder anderer Zivilbevölkerungen unterstellt wird.
Fazit des Verfassers: Was lässt sich lernen?
Irak ist nicht Syrien, Syrien nicht Libyen und Iran nicht Irak. Das stimmt natürlich. Wer das betonen will, soll dies ruhig tun und bestenfalls gleich eine Reihe relevanter Unterschiede aufzeigen und erklären. Als argumentativer Ausgangspunkt kann dies durchaus zu interessanten und wichtigen Erkenntnissen führen.[3] Genauso stimmt es im Übrigen, dass weder Hussein, noch Gaddafi, weder Kim Jong Il noch Un, weder Assad noch Ahmadinedschad Neuauflagen von Hitler sind, und dass diplomatische Beziehungen nicht automatisch Appeasement à la Chamberlain darstellen.
Kein Krieg gleicht dem nächsten. Es soll an dieser Stelle dennoch eine weitere Schlussfolgerung angeboten werden, die sich aus dem Irakkrieg ziehen lässt. Denn allgemeine Lektionen sollten sich trotz aller Unterschiede lernen lassen, aus Kriegen, die vermeidbar waren, für Kriege, die vermeidbar sind:
Militärische Interventionen – Kriege – sind schnell begonnen, haben jedoch unvorhersehbare und oftmals unerwünschte Konsequenzen.
Aus dieser unverfänglichen Einschätzung ließe sich sodann die Schlussfolgerung ziehen, dass militärischen Interventionen mit grundsätzlicher Skepsis zu begegnen ist. Es lassen sich hier kategorische Unterschiede feststellen. Daher ist das gesamte Spektrum nicht-militärischer Handlungsspielräume auf einer vollkommen anderen Skala zu platzieren als die Möglichkeiten, die militärische Intervention bieten. Die geflügelten Worte preußischer Generäle, müssen keinesfalls von einem Jahrhundert ins nächste geschleppt werden.
Ist es also wirklich sinnvoll, sich gemeinsam mit dem SPIEGEL zu sorgen, wann Deutschland denn endlich wieder Krieg führen kann wie eine ‚normale’ Nation? Oder sich vor einem imaginierten Infekt, einem pazifistischen „Syndrom“ zu fürchten, das die USA befallen könnte?
Oder ist es nicht vielleicht doch sinnvoller, eine wachsame Öffentlichkeit zu pflegen, die in der Form von Journalisten, Akademikern, Politikern und Akteuren der Zivilgesellschaft grundsätzlich skeptisch bleibt, wenn Krieg notwendig erscheint? Pazifismus ist in diesem Sinne nichts, wofür man sich schämen sollte – im Gegenteil.
[1] Ferguson schreibt: “Believing it was his role to repudiate neoconservatism, Obama completely missed the revolutionary wave of Middle Eastern democracy—precisely the wave the neocons had hoped to trigger with the overthrow of Saddam Hussein in Iraq.”
[2] Auch aus anderen Gründen ist das Wort „Extrem“ hier problematisch. So hat beispielsweise der Präzedenzfall Irak, das Spektrum der amerikanischen Außenpolitik erweitert, statt, wie hier impliziert, sich eines vorher theoretisch existierendes „Extrems“ bedient. Journalistische Reduktion hin oder her, wer nun Obama im Vergleich zu Bush als „weniger extrem“ beschreiben will, kann dies sicherlich tun, ihn als „das andere Extrem“ auf einer imaginierten Skala außenpolitischer Standpunkte zu platzieren, wird weder Bush noch Obama noch den außenpolitischen Traditionen der Vereinigten Staaten gerecht.
[3] Thomas Grevens Erklärungen zu Mali und wichtigen Unterschieden zu Afghanistan sind ein relevantes und gelungenes Beispiel hierfür.
Am 6. Mai 2013 um 08:08 Uhr
Beachtenswert: Bill Kellers Kommentar zu Syrien in der heutigen NY Times, in dem er sowohl das „Mea culpa“, als auch das „Syrien ist nicht Irak“ Argumentationsmusters bemüht.
https://www.nytimes.com/2013/05/06/opinion/keller-syria-is-not-iraq.html?pagewanted=all&_r=0