19. Juli 2013 von Christian Lammert
Inzwischen hat das Republikanisch dominierte US Repräsentantenhaus 40-mal über eine Rücknahme von Obamacare abgestimmt und die jüngste Verschiebung der Versicherungspflicht für Unternehmer um ein Jahr hat den Opponenten der Reform neuen Zündstoff für ihre Debatten geliefert. Auch bei den anstehenden Zwischenwahlen 2014 wird dieses Thema wieder ganz oben auf der Wahlagenda stehen. 2014 wird ein entscheidendes Jahr im Implementationsprozess der Reform sein, aber für die politische Auseinandersetzung wird entscheidend sein, was bis dahin schon umgesetzt ist und wie dies von der Bevölkerung aufgenommen wird. Wie ist also der Stand der Umsetzung von Obamacare, drei Jahre nach der Unterzeichnung des Gesetzes? Im Bereich der privaten Krankenversicherungen und den neu zu schaffenden Versicherungsmärkten in den Einzelstaaten (exchanges), ist belang folgendes umgesetzt worden:
1. Kinder können bis zum 26. Lebensjahr bei ihren Eltern mitversichert sein, auch wenn sie nicht mehr bei ihren Eltern leben oder nicht mehr studieren. Über 2 Millionen junge Erwachsene haben so zusätzlich einen Versicherungsschutz im Krankheitsfall bekommen.
2. Zahlreiche Staaten implementieren gerade die neu geschaffenen Versicherungsmärkte (exchanges), auf denen Bürger mit einem Einkommen von bis zu 400 Prozent der Armutsgrenze eine Krankenversicherung erwerben können, sofern ihr Arbeitgeber kein Versicherungsprogramm anbietet. 17 Bundestaaten implementieren solche zusätzlichen Versicherungsmärkte, 7 weitere in Kooperation mit der Bundesregierung. In den restlichen 26 Bundesstaatensetzt die Bundesregierung die ‚exchanges‘ ein, hier gelten die gleichen Regularien wie in den einzelstaatlichen Märkten.
3. Seit dem 23. September 2010 dürfen Kinder aufgrund von Vorerkrankungen (pre-existing conditions) nicht mehr vom privaten Versicherungsschutz ausgeschlossen werden. Für erwachsenen wird die Neuerung erst im Jahr 2014 Wirklichkeit.
4. Neue Regeln verpflichten private Krankenversicherungen mindesten 80 Prozent der Versicherungsprämien für medizinische Behandlungen auszugeben. Dadurch sollen die hohen Verwaltungskosten und Gewinnmargen gesenkt werden. Wer sich an diese neuen Vorgaben nicht hält, muss den Versicherten einen Teil der Versicherungsprämien zurück erstatten.
5. Alle Versicherungspläne müssen standardisiert und leicht verständlich über Kosten und Leistungen informieren, um so einen bessere Vergleichbarkeit verschiedener Policen zu gewähren.
Auch bei Medicaid, dem Gesundheitsprogramm für Bedürftige, haben sich einige Neuerungen ergeben. Inzwischen haben mehr als die Hälfte der Gouverneure in den Bundesstaaten der Ausweitung des Medicaid Programms zugestimmt. Weitere sieben Bundesstaaten haben das Programm bereits ausgeweitet, auch wenn der Bund erst ab dem 1. Januar 2014 die zusätzlichen Kosten übernehmen wird. Fast alle Bundesstaaten haben inzwischen damit begonnen, den Einschreibungsprozess für Medicaid zu modernisieren und zu vereinheitlichen. 37 Bundesstaaten ein elektronisches Einschreibeverfahren eingeführt. Zehn Bundesstaaten haben i sogenannte ‚health homes‘ etabliert, Einrichtungen in denen chronisch oder Geisteskranke umfassend versorgt werden können. Zudem nutzen viele Staaten die neuen finanziellen Möglichkeiten zum Ausbau von Pflegeheimen oder Pflegediensten zu Hause.
Anbieter medizinischer Primärversorgungen erhalten durch die Gesundheitsreform durch die Medicaid und Medicare Programme mehr Geld. Die so entstehenden Mehrkosten im öffentlichen Gesundheitsbereich in den Einzelstaaten werden vom Bund voll übernommen. Zusätzliche Investitionen werden durch Obamacare für den Ausbau sogenannter Gesundheitszentren (health centers) bereitgestellt. Dafür wurde für die kommende fünf Jahre ein Treuhandfonds in Höhe von 11 Milliarden US Dollar eingerichtet. Mit Hilfe dieser zusätzlichen Mittel sollen in den Gesundheitszenten zusätzlich 1,5 Millionen Bürger medizinisch versorgt werden. Zusätzlich werden mit der Gesundheitsreform Mittel in Höhe von 1,5 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt, um neue medizinische Einrichtungen in den ‚National Health Service Corps‘ (NHSC) zu integrieren, in erster Linie in Regionen, die bislang medizinisch unterversorgt waren. Zusätzlich wurde auch der Bereich der Präventionsmedizin ausgebaut. Private Versicherungen und auch Medicare müssen zahlreiche Präventionsleistungen ohne eine Kostenbeteiligung der Versicherten übernehmen.
In Medicare (Krankenversicherung für Senioren) werden die Versicherten finanziell zusätzlich bei der Bezahlung verschreibungspflichtiger Medikamente unterstützt. Zudem werden auch hier neue Organisationsformen und Zahlensysteme getestet, um die Effizienz des Versicherungsprogramms zu verbessern und so auch die allgemeinen Kosten zu senken.
Insgesamt sind so zentrale Elemente der Gesundheitsreform bereits umgesetzt und beginnen zu wirken. Das hat inzwischen auch Auswirkungen auf die öffentliche Meinung. In jüngsten Umfragen der Kaiser family Foundation (https://kff.org/health-reform/poll-finding/kaiser-health-tracking-poll-june-2013/) sprechen sich nur noch 33 Prozent der Befragten gegen die Reform aus, weil mit ihr zu weitereichenden Veränderungen stattgefunden hätten. 35 Prozent sprachen sich für die Reformen aus und 8 Prozent der Befragten gingen die Reformen noch nicht weit genug! Fast ein Viertel der Befragten gaben keine Antwort auf die Frage.
Unter diesen Bedingungen wird es immer schwerer für die Republikanische Partei, eine Rücknahme der Gesundheitsreform durchzusetzen. Dafür müssten bei den kommenden Kongresswahlen 2014 eine Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses erzielen und zwei Jahre später auch die Präsidentschaftswahlen gewinnen. Und selbst unter diesen politischen Bedingungen wird es nicht leicht, die wichtigen Interessengruppen wie die Pharmaindustrie, die Ärzte und die Unternehmen von der Notwendigkeit einer Rücknahme der Reform zu überzeugen. Inzwischen haben sich dann alle an das neue System gewöhnt und die Republikaner müssen gegen die immanenten Beharrungstendenzen im politischen Entscheidungsprozess der USA ankämpfen. Denn so schwierig es auch war, eine Reform im Gesundheitssektor durchzusetzen, so schwierig würde auch eine Rücknahme werden. Zudem zeigen die jüngsten Daten, dass die Kostensteigerungen im Gesundheitssektoren in den letzten Jahren deutlich geringer ausgefallen sind: in den Jahren 2009 bis 2011 stiegen die Kosten jährlich um 3,9 Prozent, der niedrigste Wert seit den 1960er Jahren. Auch wenn diese Kostenentwicklung in erster Linie auf die wirtschaftliche Erholung in den USA zurückgeführt werden muss, sie nimmt den Reformdruck aus dem System, der in Obamas ersten beiden Amtsjahren noch so gut für die Reform genutzt werden konnte! Weiter Versuche der Republikaner im Repräsentantenhaus eine Rücknahme von Obamacare zu erreichen, dürften also nicht mehr als Symbolpolitik sein und sicherlich mit dazu beitragen, dass die Zustimmungswerte zur Arbeit des Kongresses noch niedriger ist als gegenüber Nord Korea.