The State of American Democracy

Research-based Analysis and Commentary by the Department of Politics at the John-F.-Kennedy Institute

10 Jahre nach Beginn der Operation Iraqi Freedom: Eine Presseschau zu den Lehren des Krieges

von Curd Knüpfer
19. März 2003: Die Streitkräfte der USA leiten mit einer „Shock and Awe“ Taktik die Invasion ein. Die ersten Bomben fallen auf Bagdad. Im Rahmen von Operation Iraqi Freedom (aka Iraqi Liberation) berühren einen Tag später die Stiefel von US Marines irakischen Boden. 10 Jahre sind seitdem vergangen. Viele Kollegen im akademischen Betrieb sowie in Presse und Politik nahmen dies in der vergangen Woche zum Anlass, die Ereignisse von damals noch einmal Revue passieren zu lassen, um Bilanz zu ziehen. Im Folgenden sollen einige der auffälligsten und interessantesten Beiträge exemplarisch vorgestellt werden. Dabei sollen wiederkehrende Argumentationsmuster und Erkenntnisse innerhalb der Presse, der Politik und dem akademischen Betrieb zusammengefasst und kritisch analysiert werden. 

Argumentationsmuster 1: „Eine Welt ohne Saddam…“

Zugegebenermaßen, das Lager der Befürworter ist inzwischen klein geworden. Zwar gibt es natürlich noch die Donald Rumsfelds und Dick Cheneys, die auch jetzt noch auf ihre einstigen Standpunkten beharren, doch dürfte diese Haltung mehr politischer Natur sein als Ausdruck wahrer Überzeugung.

Wie ihre gelegentlichen Zwischenrufe dennoch auch heute noch richtig anmerken, wurde damals ein despotisches Regime gestürzt. Und sicherlich könnte man (wenn man es denn wollte) eine Verbindung vom Ende der Baath Partei im Irak hin zum arabischen Frühling ziehen, wie es beispielsweise der britische Populärhistoriker und Obama-Kritiker Niall Ferguson gelegentlich tut.[1]

Wer sich auf derlei Argumente einlässt und ihnen die enormen Kosten an Material, Imageschaden, vor allem anderen aber an Menschenleben und tragischen Schicksalen entgegenhält, muss sich wohl oder übel einer Art Kosten-Nutzen Rechnung bedienen.

Das soll natürlich nicht bedeuten, dass man sich nicht mit den Kosten und Folgen des Krieges auseinandersetzen sollte. Auf der Seite des Costs of War Project finden sich, übersichtlich zusammengetragen, eindrückliche Forschungsergebnisse, Statistiken und Zahlen zu den Folgen des Krieges. Nur handelt es sich bei diesen Folgen nun mal in der Regel um Fakten, während der „Nutzen“ reine Ansichtssache ist.

Es ist der Dynamik politisierter Themen geschuldet, dass man, wenn die Frage gestellt wird, ob es das alles wert war, letztendlich in eine Grundsatzdebatte verfallen wird, in der die Lager und Argumente festgefahren sind. Wer heute noch den Krieg verteidigt, wird diese Meinung womöglich niemals ändern.

Argumentationsmuster 2: „Der Krieg war ein Fehler“

Diese Erkenntnis scheint mittlerweile überwältigender Konsens zu sein. Einige lesenswerte Highlights hierzu finden sich in der New Republic, in der einstige Befürworter sowie Gegner des Krieges Bilanz ziehen.

In einer sehr lesenswerten Reihe in der New York Times schreiben (größtenteils desillusionierte) Veteranen über ihre Erfahrungen im Krieg.

Selbst im neokonservativen Lager gibt man sich dieser Tage kleinlaut. Der Weekly Standard, der wöchentliche Standartenträger für neokonservative Ambitionen, veröffentlicht zum Thema Irak in den vergangenen Tagen … nichts.

Im Washington Examiner wird der Krieg gar als Wegbereiter für die verhasste Gesundheitsreform der Obama Regierung gescholten. Vernichtender könnte das Urteil aus dieser Ecke wohl kaum ausfallen.

Im European gibt derweil der angesehene Harvard Professor Stephen Walt seine Analyse ab. Der Realismus-orientierte Walt bezeichnet den Krieg darin mehrfach als „foolish“. Eine Wortwahl, die der von Barack Obama ähnelt, als der damalige Senator einst sein Nein zum Krieg begründete („a dumb war“).

Laut dem aktuellsten CNN/OCR Poll sehen das auch 59% der Amerikaner so, die auf die Frage „Would you say that the initial decision to send U.S. troops to Iraq in 2003 was a smart thing to do or a dumb thing to do?“ mit „dumb“ antworteten.

In Hinblick auf das vorangegangene Argumentationsmuster scheint diese Entwicklung zunächst begrüßenswert. Ein solcher Grundkonsens ermöglicht –zumindest theoretisch– den direkten Einstieg in konstruktivere Debatten um die Ursachen, Folgen und Lehren, die aus dem Krieg zu ziehen sind, statt mit den eingangs erwähnten Polemikern in immer gleiche Streitgespräche und Grundsatzdebatten zu verfallen. Im Fall des Vietnamkrieges etwa hat es bekanntermaßen bis zu einer vergleichbaren gesellschaftlichen Übereinkunft weitaus länger gedauert.

Indes bedeutet dies natürlich keineswegs, dass sich alle einig wären: Der Irakkrieg war ein Fehler. Aber einer der im besten Fall die Ziele der US-Regierung verfehlt hat und im schlimmsten Fall einen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt. Auf dieser ungemein breiten Skala lässt sich noch ausgiebig debattieren.

Ferner bleibt anzumerken, dass ein Fehler etwas anderes als ein politischer Skandal oder gar ein Verbrechen ist. Fehler macht man, um aus ihnen zu lernen. Warum sie passierten und was man daraus lernt, kann die unterschiedlichsten Antworten hervorrufen. Skandale haben (in der Regel) Konsequenzen. Verbrechen werden geahndet. „Foolishness“ – Dummheit – dagegen ist nicht strafbar.

Argumentationsmuster 2.2: „Mea Culpa“

Diese Haltung ist das öffentliche Eingeständnis einstiger Befürworter des Krieges, die nun ihre damalige Haltung bereuen, erklären oder entschuldigt wissen wollen. Prominente Beispiele sind die New York Times, samt ihrem damaligen Chefredakteurs Bill Keller oder auch David Ignatius von der Washington Post. Beide schreiben heute: „mea culpa“; man sei damals zu unkritisch gewesen. Geblendet vom Horror des 11. Septembers habe man sich allzu leicht hinters Licht führen lassen.

Einerseits steht es einem jeden gut zu Gesicht, Fehler einzugestehen und die eigene Rolle zu hinterfragen. Andererseits könnte man denken, dass dies das Mindeste ist, was von seriösen Journalisten zu erwarten wäre. Wie Ignatius und Keller, die beide noch Leitartikel für ihre Zeitungen verfassen, scheint auch anderen prominenten Befürwortern des Krieges in den Medien weder ihre einstige Fehleinschätzung, noch ihr späterer Sinneswandel ernsthaft geschadet zu haben. Die Webseite MediaMatters.org hat einige Beispiele zusammengetragen und zeigt, in welchen Positionen die jeweiligen Personen sich heute befinden [SPOILER: die meisten sind noch immer genau dort, wo sie sich damals befanden].

Ebenso lohnt sich ein Besuch auf der Homepage von Bill Moyers, einem der wenigen amerikanischen Journalisten, die sich bereits vor Beginn der Invasion deutlich gegen den Krieg aussprachen. Hier findet sich eine anschauliche Zusammenfassung und Gegenüberstellung einstiger und heutiger Stimmen zum Krieg. [Unbedingt empfehlenswert ist dabei die Verlinkung zu einer Reportage von Moyers aus dem Jahr 2007, in der die Rolle der Medien vor Beginn des Krieges genauer untersucht wird.]

War der Vorlauf zum Irakkrieg also sozusagen das „Oops-Moment“ der amerikanischen Presse? Handelt es sich dabei um einen einmaligen, historisch bedingten Fehler, der sich auf den Zeitabschnitt kurz vor und nach der Invasion beschränken ließe? Oder wäre es nun die Aufgabe der Presse, die Lügner und Kriegstreiber, die sie damals vermeintlich hinters Licht führen konnten, dafür stärker zu belangen?  Den ganzen Beitrag lesen »

Totgesagte leben länger – Sieben Thesen zur Zukunft der GOP

Es sieht nicht gut aus für die Republikanische Partei, meinen viele Beobachter. Tea Party-Kandidaten und andere Radikale treiben die GOP zu weit nach rechts; die demographische Entwicklung begünstigt schon kurz- und mittelfristig die Demokraten; Umfragen sehen die Republikaner als „out of touch“ (Pew Research Center report), eine neue Zustimmung für eine aktive Regierung und zunehmende Skepsis gegenüber der Geschäftswelt; das Repräsentantenhaus konnte nur aufgrund von Gerrymandering gehalten werden – die Republikaner scheinen derzeit keine realistische Machtperspektive zu haben, da hilft auch kein „Conservative Victory Project“ (vgl. Curd Knüpfers Beitrag vom 12.2.13). Auch ihre Regierungsfähigkeit wird zunehmend in Zweifel gezogen, angesichts der inneren Widersprüche und Spannungen und der fortgesetzten Blockadepolitik im Kongress.

Und doch: Die Schwäche der Republikaner bedeutet keinesfalls Bahn frei für Obamas „pragmatische“ Politik und schon gar nicht für eine progressive, „sozialdemokratische“ Agenda. In sieben Thesen möchte ich eine alternative Perspektive aufzeigen, welche erkennen lässt, dass mit der GOP weiter zu rechnen ist.

  1. Die GOP hat den aktuellen Haushaltsstreit klar gewonnen. In den Worten von Senator Bernard Sanders (I-Vermont): “While the Democrats may be winning the political battle, Republicans are winning the ideological war. The goal of the right wing is to essentially undo the Roosevelt era, the New Deal, substantially cut back on government, and in a sense, they are achieving that.” Der American Taxpayer Relief Act, der die Haushaltskrise („fiscal cliff“) Ende 2012 noch einmal vertagte, ließ 82% der (zeitlich befristeten) Bush-Steuersenkungen bestehen; statt der von Speaker Boehner schon zugestandenen 800 Milliarden Dollar an zusätzlichen Steuereinnahmen (über 10 Jahre) erreichten die Unterhändler des Weißen Hauses nur 620 Milliarden.[1] Schlimmer noch, in den Sequester-Verhandlungen fehlte Obama folglich die Option „Steuersenkungen“ (bzw. tatsächlich die Wiedereinsetzung der Bush-Steuersätze für die Mittelklasse) als Verhandlungsmasse. Boehner stellte sich auf den Standpunkt, dass Obama ja seine Steuererhöhung schon bekommen hätte (“He’s gotten his tax hikes“); jetzt müsse es um Ausgabenkürzungen gehen. Tatsächlich war der Taxpayer Relief Act keine Steuererhöhung, sondern hat lediglich 18% der Bush-Steuersenkungen auslaufen lassen, diejenigen für die „Reichen“ und „Superreichen“. Vielleicht schafft es Obama, den Republikanern die politische Schuld für die wirtschaftlichen Folgen der Haushaltskürzungen zu geben (auch wenn Bob Woodward schreibt, dass die Idee aus dem Weißen Haus kam, und viele Beobachter glauben, dass die Folgen zwar insgesamt drastisch, aber zeitlich gestreckt und diffus sein werden – womit ihr „Wert“ als politische Munition gemindert wäre). Der zuletzt stark gefährdete Speaker Boehner hat gepunktet und die Republikanische Fraktion mit dem einzigen derzeit möglichen Thema geeint: der Verkleinerung der Bundesregierung. Und weil ein großer Teil der Kürzungen den Verteidigungshaushalt betreffen, ziehen einige Demokraten sogar mit.
  2. Diese Demokraten beglückwünschen sich dafür, dass die großen wohlfahrtsstaatlichen Entitlement-Programme (Social Security und Medicare) bisher weitgehend von den Kürzungen ausgenommen wurden und stattdessen „discretionary spending“ heruntergefahren wird. Doch wenn (angeblich) die Schwächsten auch von diesen Kürzungen ausgenommen wurden, sie haben im Einzelnen und insgesamt negative Konsequenzen vor allem für Wählergruppen und Interessen der Demokraten.  Und bei den großen Entitlements muss die GOP nur warten: Solange ihre langfristige Finanzierung über Einnahmeverbesserungen nicht gesichert ist (was möglich wäre, denn die USA haben kein demographisches Problem europäischen Ausmaßes) bleibt die von der GOP gewünschte Privatisierung eine Option.
  3. Nach mehr als vier Jahren Obama sind die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse unverändert zugunsten des Kapitals. Auch die amerikanische Solidargemeinschaft ist nicht gestärkt worden; die Gesundheitsreform bewegt sich im privatwirtschaftlichen Paradigma. Insbesondere bleiben die Gewerkschaften weiter schwach bzw. sind sogar noch weiter geschwächt worden, auch weil die Obama-Demokraten nicht gewillt waren, politisches Kapital zu ihren Gunsten zu investieren. Bei einem Organisationsgrad von 11,3% im Jahr 2012 (Tendenz fallend) und einzelstaatlicher Gesetzgebung zu ihren Lasten (Right-to-Work genannt, faktisch die Schwächung der Organisationsbedingungen, zuletzt auch in ihrer Hochburg Michigan) können die Gewerkschaften immer weniger ihren (in den USA ohnehin niedrigen) Beitrag zu niedrigerer Ungleichheit und höherer Produktivität leisten. Die Republikanische Blockadepolitik bei Ernennungen durch den Präsidenten, die auch die Administration selbst und die Gerichte massiv schwächt, hat die Arbeitsbehörden (NLRB) zwischenzeitlich quasi handlungsunfähig gemacht (die Boards brauchen eine Mindestbesetzung). Inzwischen ist auch die Politik Obamas, mit “recess appointments” Lücken zu stopfen, gerichtlich aufgehoben worden – und falls die Regierung die Berufung verliert, droht eine arbeitsrechtliche Katastrophe.  Den ganzen Beitrag lesen »

Neuerwerbungen der Institutsbibliothek

Die Neuerwerbungen der Institutsbibliothek im Themenfeld Politik für die vergangenen 4 Wochen:
Alford, Mimi, 1943- Once upon a secret  2013 J.F. Kennedy-Institut
Astor, Aaron, 1973 Rebels on the border  2012 J.F. Kennedy-Institut
Brautbar, Shirli From fashion to politics  2012 J.F. Kennedy-Institut
Buzan, Barry, 1946- The United States and the great powers  2004 J.F. Kennedy-Institut
Freeman, Joshua Benjamin American empire  2012 J.F. Kennedy-Institut
Fujino, Diane C. Samurai among panthers  2012 J.F. Kennedy-Institut
Gallagher, Gary W., 1950- [Hrsg.] A political nation  2012 J.F. Kennedy-Institut
Gullan, Harold I. Toomey’s triumph  2012 J.F. Kennedy-Institut
Hackworth, Jason R. Faith based  2012 J.F. Kennedy-Institut
Jewett, Andrew, 1970- Science, democracy, and the American university  2012 J.F. Kennedy-Institut
Johnson, David E., 1961- John Randolph of Roanoke  2012 J.F. Kennedy-Institut
Kord, Susanne Contemporary Hollywood masculinities  2011 J.F. Kennedy-Institut
Kurtz, Stanley Radical in chief  2010 J.F. Kennedy-Institut
Laursen, Eric The people’s pension  2012 J.F. Kennedy-Institut
Luff, Jennifer Commonsense anticommunism  2012 J.F. Kennedy-Institut
Medvetz, Thomas Think tanks in America  2012 J.F. Kennedy-Institut
Mercille, Julien Cruel harvest  2013 J.F. Kennedy-Institut
Morgan, Iwan W., 1949- [Hrsg.] From sit-ins to SNCC  2012 J.F. Kennedy-Institut
Musgrove, George Derek, 1975- Rumor, repression, and racial politics  2012 J.F. Kennedy-Institut
Nester, William R., 1956- The Hamiltonian vision, 1789 – 1800  2012 J.F. Kennedy-Institut
Niose, David Nonbeliever nation  2012 J.F. Kennedy-Institut
Nivola, Pietro S. [Hrsg.] What so proudly we hailed  2012 J.F. Kennedy-Institut
Palmer, Barbara, 1967- Women and congressional elections  2012 J.F. Kennedy-Institut
Russo, Jean Burrell Planting an empire  2012 J.F. Kennedy-Institut
Simpson, Pamela H., 1946-2011 Corn palaces and butter queens  2012 J.F. Kennedy-Institut
Stonecash, Jeffrey M., 1946- Understanding American political parties  2013 J.F. Kennedy-Institut
Tsesis, Alexander, 1967- For liberty and equality  2012 J.F. Kennedy-Institut
Waggoner, Erin B., 1983- [Hrsg.] Sexual rhetoric in the works of Joss Whedon  2010 J.F. Kennedy-Institut
White, Derrick E. The challenge of blackness  2011 J.F. Kennedy-Institut
Wilensky, Harold L., 1923- American political economy in global perspective  2012 J.F. Kennedy-Institut
Wittes, Benjamin [Hrsg.] Campaign 2012  2012 J.F. Kennedy-Institut
York, Chris [Hrsg.] Comic books and the Cold War  2012 J.F. Kennedy-Institut
Zah, Peterson We will secure our future  2012 J.F. Kennedy-Institut

Quo vadis G.O.P.?

Warum Republikaner trotz „Victory Project“ peinlich bleiben und wie ein demokratischer Nixon am Ende davon profitieren könnte

von Curd Knüpfer

Es tut sich was im konservativen Lager. Während die einen, wie etwa der Mehrheitsführer des Repräsentantenhaus Eric Cantor oder auch der einstige Vize-Präsidentschaftskandidat Paul Ryan öffentlich vorschlagen, dass man an der republikanischen Rhetorik schrauben solle, um der Partei ein freundlicheres Gesicht zu verschaffen, planen auch hinter den Kulissen die Wahlkampfstrategen bereits für 2014 (mid-term elections) und 2016 (Präsidentschaftswahl).

Und auch hier geht es um die Frage: wie soll man sich dem amerikanischen Volk präsentieren?

Das Markenzeichen “severly conservative”, mit dem Mitt Romney es in der Hitze des Vorwahlkampfs noch probierte, scheint seit der Kongresswahl 2010 an Glanz verloren zu haben. Dies mag ebenso am politischen Inhalt wie am demographischen Wandel liegen.

Zum anderen lässt sich kaum bestreiten, dass der Tea Party Trend eine ganze Reihe von Kandidaten ins Rampenlicht gezerrt hat, die sich bei genauerer Betrachtung, freundlich ausgedrückt, als nicht wählbar erwiesen. Weniger freundlich ausgedrückt: selbst für hartgesottene Beobachter der US Politik, die traditionell reich an politischer Theatralik, bzw. Komödie ist, eröffnete die vergangene Wahlkampfsaison ein regelrechtes Fegefeuer der Peinlichkeiten. Man denke an die unrühmlichen Auftritte von republikanischen Selbstdarstellern wie Donald Trump und Herman Cain. Oder die spektakulären Niederlagen von Kandidaten wie Cristine „I’m not a witch!“ O’Donnell, oder Todd „legitimate rape“ Akin. In diese Liste reihen sich auch andere ebenso radikale wie unerfahrene Wahlkämpfer wie Richard Murdock oder Sharron Angle ein. Was der republikanischen Partei dabei besonders schadete: diese Tea Party Favoriten traten gegen angeschlagene demokratische Kandidaten an – und verloren dennoch.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass Karl Rove, der einst als Hirn hinter den Wahlkampfsiegen von George Bush gefeiert wurde und jüngst mit seinem Super PAC American Crossroads sämtliche finanziellen Freiheiten des post-Citizens United Wahlkampfsystems auskosten konnte, sich nun Gedanken macht wie sich derartige Niederlagen zukünftig vermeiden ließen. Sein Vorschlag gleicht einer Diagnose: erfahrene Republikanische Kandidaten seien im Vorwahlkampf zunehmend bedroht von „far-right conservatives“ und Tea Party Enthusiasten. Gerade durch die „Primaries“, wurde eine Reihe prominenter republikanischer Politiker durch unerfahrene Nobodys frühzeitig aus den Rennen gekegelt. Durch sein neues „Conservative Victory Project“, sollen daher Kandidaten unterstützt werden, die eine realistische Chance haben, sich gegen Demokraten durchzusetzen.

Ein plausibler Vorschlag – allerdings nur auf den ersten Blick. Denn es scheint als habe der Chefstratege Rove bei seinen Planungen ein paar Faktoren übersehen.

Hier exemplarisch, drei Herausforderungen mit denen sich das Conservative Victory Project auseinandersetzen muss:

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Obama Reloaded?

Obamas zweite Amtszeit hat bereits begonnen und am kommenden Dienstag, den 15. Februar 2013 wird der Präsident in seiner ‚State of the Union Adress‘ vor beiden Kammern des Kongresses die Leitlinien seiner Politik für die zweite Amtszeit präsentieren. Die Erwartungen an seine Politik sind nicht dermaßen überladen wie noch vor 4 Jahren, doch die Hoffnungen, bzw. Befürchtungen – abhängig von der jeweiligen politischen Positionierung – nun den Obama zu bekommen, den man sich vor 4 Jahren erwartet hat, sind wieder groß. Weniger messianisch und visionär zeigte sich Obama in seinen ersten Amtshandlungen, aber die Probleme, vor denen die USA stehen sind nicht kleiner geworden und in Verbindung mit den schwierigen politischen Kontextbedingungen stehen Obama zwei schwierige Jahre bevor, in denen er die Einwanderungsgesetze reformieren und auch eine Verschärfung der Waffengesetze durch den Kongress bringen will. In den Zustimmungsraten konnte Obama in der letzten Zeit wieder zulegen, aber insgesamt scheint das Zutrauen in die Handlungsfähigkeit der politischen Entscheidungsträger in den USA gering: Blockade in Washington, Polarisierung im Kongress, eine scheinbar gespaltene Gesellschaft, unfähig zum Dialog und eine Medienlandschaft, die diese Spaltung überzeichnet, verschärft, um so die eigenen Marktanteile zu sichern. Mit den Schlagworten ‚Hope‘ und ‚Change‘ ist Obama ins Weiße Haus eingetreten, wollte sich für eine Versöhnung einsetzten und schien gescheitert. Der Wahlkampf 2012 erschien dann auch als ein unrühmlicher Höhepunkt dieses Scheiterns. Unsummen von Geld gingen in einen weitgehend inhaltslosen Wahlkampf, beide politischen Lager konzentrierten sich auf die Verunglimpfung des jeweiligen politischen Gegners, die USA erschienen als Zerrbild eines funktionierenden demokratischen Systems, die Rating Agenturen senkten die Bonitätsbewertungen von AAA auf AA+, weniger aufgrund der ökonomischen Situation, sondern weil das Vertrauen in die Problemlösungskapazität des politischen Systems fehlte.
Doch irgendwie kam dann doch alles etwas anders. Obama gewann die Wahlen recht deutlich, zum zweiten Mal wählten die Bürger einen schwarzen Mann ins Weiße Haus, der Einfluss des Geldes auf den Wahlausgang ist weit geringer als befürchtet und mit einem Male deutet sich nach der Wahl auch die Möglichkeit zu politischen Kompromissen zwischen den Parteien an. Politiker beider Seiten redeten wieder miteinander, setzten sich in Kommissionen zusammen, um Antworten auf die zentralen Probleme der US-amerikanischen Gesellschaft zu finden. Sind die USA also mit einem Male wieder vernünftig geworden, besinnen sich auf die alten Tugenden, die Amerika stark gemacht haben. Schon vor langer Zeit hatte Johann Wolfgang Goethe gesagt: „Amerika, du hast es besser / als unser Kontinent, der alte / Hast keine verfallenen Schlösser / und keine Basalte / Dich stört nicht im inneren / zu lebendiger Zeit / unnützes Erinnern / und vergeblicher Streit“
Aber auch hier kann man mit weit weniger Pathos eine andere Erklärung anführen: Die Republikanische Partei hat realisiert, dass Sie mit dem Aufstand der weißen alten Männer in Form der Tea Party den ‚Untergang‘ des ‚alten‘ weißen Amerikas nicht mehr verhindern kann. Will man weiterhin die politische und gesellschaftliche Entwicklung der USA mitbestimmen, dann muss man die neuen gesellschaftlichen Realitäten anerkennen. Insbesondere ‚Hispanics‘, aber auch und andere ethnische Gruppen bestimmen zunehmend das Bild der US-amerikanischen Gesellschaft und fordern ihren Anteil an sozialen, ökonomischen und politischen Ressourcen des Landes. Öffnen sich die Republikaner nicht gegenüber diesen neuen Gruppen, dann dürften sie die kommenden Jahrzehnte das Weiße Haus nicht wieder besetzen können. Ihnen fehlt eine modernen Gesellschaftspolitik, die auf Integration, Teilhaben und Anerkennung aller Bürger abzielt, eine ganz wichtige Gruppe hier: die Frauen. Mit restriktiven Positionen in der Abtreibungspolitik, die den Frauen das Recht auf Selbstbestimmung nimmt und in einer Schwangerschaft in Folge einer Vergewaltigung Gottes Wille zu erkennen glaubt, wie dies der Republikanische Senatskandidat Murdock aus Indiana suggerierte, kann man unter Frauen keine Stimmen mehr gewinnen. Die US-Gesellschaft hat sich in großen Teilen modernisiert und inzwischen scheint diese Einsicht auch bei den Republikanern angekommen zu sein, die Fundamentalopposition der Tea-Party Aktivisten scheint zu bröckeln, die Republikaner, die in den letzten Jahren die politische Mitte nach weit rechts außen verlassen haben, suchen einen Weg zurück ins Weiße Haus und das geht eben nur über die politische Mitte.
Was lässt sich momentan mit Blick auf die kommenden Jahre und die zweiten Amtszeit Obamas festhalten? Die ersten Initiativen Obamas und auch seine Amtsantrittsrede scheinen darauf hinzudeuten, dass die USA jetzt mehr von dem Obama bekommen, den sie sich bereits 2008 erhofft oder befürchtet hatten, abhängig von der ideologischen Positionierung. Er tritt aktiver, selbstbewusster und weit progressiver auf als er es noch in seinen ersten vier Amtsjahren getan hat. Vielleicht sehen wir den Wandel von einem reaktiven zu einem aktiven Präsidenten? Die Republikaner auf der anderen Seite müssen ihre Fundamentalopposition aufgeben, wollen sie nicht den Anschluss an eine sich modernisierende US-Gesellschaft verlieren. Beides zusammen bietet Raum für dringend notwendige Reformen.
Aus dem Blick darf dabei aber nicht geraten, was wir in vielen Einzelstaaten beobachten können, die mehrheitlich von Republikanern regiert werden. Hier sehen wir momentan den wirklichen Widerstand gegen das moderne Amerika. Abtreibungskliniken werden geschlossen, man versucht das Wahlsystem in einzelnen Bundesstaaten so zu ändern, das Republikanische Kandidaten systematisch bevorzugt werden, in Texas formiert sich eine, wenn auch momentan noch kleine und kuriose Unabhängigkeitsbewegung und die Gouverneurin von Arizona hatte noch vor der Wahl die Etablierung einer Miliz angekündigt, um sich gegen den Strom illegaler Einwanderer aus Mexiko zu wehren. Zugleich rüstete die Bevölkerung auf: mit dem Einsetzen der Debatte über eine Verschärfung des Waffenrechts decken sich die Amerikaner mit Waffen jeglichen Kalibers ein. Der US Historiker Richard Hofstadter hatte wohl doch recht, als er vom paranoiden Charakter der US- Gesellschaft sprach, fragt sich, ob sie Selbstheilungskräfte der USA stärke sind und Bill Clinton ja vielleicht Recht hatte, als er in den 1990er Jahren sagte, das da nichts Falsches an den USA sei, das nicht durch das Richtige in den USA geheilt werden kann. Manchmal ist es eben nur schwer zwischen falsch und richtig zu unterscheiden.

Mali ist nicht Afghanistan – Warum die USA Frankreich und Mali stärker unterstützen sollten

von Thomas Greven, Februar 2013

Die militärische Intervention Frankreichs am 11.1.2013 war für Mali Rettung in letzter Not. Auch wenn es unklar bleibt, ob die islamistischen Rebellen in die Hauptstadt Bamako vorstoßen wollten, allein die Eroberung des wichtigen Regionalflughafens von Sévaré an der Demarkationslinie hätte die Fähigkeit der malischen Armee, gegen die überlegenen Rebellen Widerstand zu leisten, erheblich vermindert. Die malische Bevölkerung und politische Klasse haben die Intervention dann auch überwiegend frenetisch begrüßt. Im Westen, auch in den USA und der Bundesrepublik, gibt es dennoch erhebliche Bedenken,  gegen ein Engagement. Zwar wird ein „afrikanisches Afghanistan“ befürchtet, also ein Rückzugsraum für gewaltbereite islamistische Terroristen, aber es wird eben auch das andere „afrikanische Afghanistan“ befürchtet, eines in dem man über Jahre oder Jahrzehnte mit hohen finanziellen und menschlichen Kosten feststeckt, mit wenig Aussicht auf ein erfolgreiches Ende. In diesem Beitrag versuche ich, die Hintergründe der Krise im Norden Malis zu skizzieren, um die relevanten Unterschiede der malischen Situation im Vergleich zur Situation in Afghanistan deutlich zu machen. Die beiden wichtigsten Punkte sind: 1) Die islamistische Agenda hat in Mali fast keinen Rückhalt in der Bevölkerung, auch im Norden und unter den Tuareg nicht. 2) Mali ist dennoch alleine nicht in der Lage, seine Grenzen zu schützen und braucht dauerhafte Hilfe. Dies muss nicht in neokolonialer Abhängigkeit enden – auch wenn die wirtschaftlichen Interessen des Westens in der Region nicht zu verneinen sind – sondern kann als Hilfe unter befreundeten Nationen gelingen.

Die Hintergründe der Krise

Die Rebellion im Norden Malis, einer unzugänglichen und armen Wüsten- bzw. Sahelregion von der Größe Frankreichs, deren tausende Kilometer lange Grenze zu Mauretanien im Westen, Algerien im Norden, Niger im Osten und Burkina Faso im Süden weitgehend durchlässig ist, hatte ihren Anlass in der unkontrollierten Einreise schwer bewaffneter ehemaliger Gaddafi-Kämpfer nach deren Niederlage in Libyen Ende 2011. Frankreichkritische Stimmen in Mali vermuteten, dass ihr Abzug mit dem Ziel verhandelt worden war, dass die von den Tuareg-Kämpfern gegründete MNLA (Mouvement National de Libération de l‘Azawad) die Präsenz von islamistischen Terroristen im Norden Malis bekämpfen sollten. Im Austausch würde Paris das Bestreben nach Autonomie von „Azawad“, von der MNLA definiert als das Gebiet der drei nördlichen Verwaltungsregionen Malis, Timbuktu, Gao und Kidal, unterstützen (de Sardan 2012). Der Militärputsch in der Hauptstadt Bamako am 22. März 2012 begünstigte schnelle militärische Erfolge der Rebellen, in deren Verlauf es zu Plünderungen und Vergewaltigungen kam, weswegen die MNLA für die meisten Malier schlicht eine Banditengruppe ist. Die MNLA ging im Zuge der Rebellion ein Bündnis mit der islamistischen Tuareg-Gruppe Ansar Dine (Verteidiger des Glaubens) ein, welche ihrerseits mit AQMI (Alqeida au Mahgreb Islamique) verbündet ist, der Terrorgruppe, um deren Bekämpfung es Frankreich ging.

Ursprünglich handelte es sich bei AQMI um eine Salafistengruppe aus Algerien, welche den nur unzureichend staatlich kontrollierten Norden Malis als Rückzugsraum benutzte, und dann in der dortigen arabischen Minderheit auch familiäre Bande knüpfte. AQMI, seit 2007 Ableger von Al Qaida, betreibt seit Jahren die Entführung westlicher Staatsbürger, zunächst begrenzt auf die Nachbarländer Malis. Zudem bestehen Verbindungen zum organisierten Drogenschmuggel.

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Lesetipp: Obama Interview

In einem lesenswerten Interview mit dem Magazin New Republic spricht der frisch eingeschworene Präsident über seine Ziele für die kommenden vier Jahre und die Schwierigkeiten seiner ersten Amtszeit.

Dabei geht es um Themen, die vom College Football über das Waffenrecht bis hin zum Umgang mit dem Assad Regime in Syrien reichen. Unter den, zumindest aus meiner Sicht, beachtenswertesten Passagen befinden sich auch Anmerkungen zur Oppositionspartei der Republikaner und der Medienlandschaft in den USA. Neben der Inaugural Address scheint dieses Interview bislang wohl die tiefsten Einblicke in die Absichten der zweiten Obama Amtszeit zu liefern. Wie weit Rhetorik und Realität diesmal auseinanderklaffen können, wird sich derweil erst in den kommenden vier Jahren zeigen.

Zum Interview geht es hier.