The State of American Democracy

Research-based Analysis and Commentary by the Department of Politics at the John-F.-Kennedy Institute

Margit Mayer: Metropolitan Research in Transatlantic Perspective

Already in the early 1990s, the historian Robert Fishman (on the history of urban form) wrote about how the contemporary city has radically broken with traditional urban spatial structures. It “lacks what gave shape and meaning to every urban form of the past: a dominant single core and definable boundaries”. And it has reached a scale which so far had been unimaginable: while the leading metropolitan centers of the last century, e.g. NY, London, Berlin spanned about a hundred square miles, the contemporary metropolis covers two to three thousand square miles and its boundaries are far from clear. It is this geographic expansion of the city into a “metropolitan form” or “to the metropolitan scale”, i.e. it is the metropolitan agglomeration, which has increasingly defined, in North American urban research since Jane Jacobs, the metropolitan region as the appropriate focus for analyzing urban developments.

Mayer, M., „Metropolitan Research in Transatlantic Perspective,“ CMS Working Paper Series No 002-2006.
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Frank Unger: DEMOKRATEN WISSEN MEHR ALS DAS VOLK – Der neue „überparteiliche Konsens“

Stars and Stripes haben wiederholt darauf hingewiesen, dass die gegenwärtige amerikanische Regierung mittlerweile sehr unbeliebt im Lande ist und besonders ihr Chef, Präsident George W. Bush, von einer sehr großen Zahl Amerikanern gehasst und verachtet wird. Einer der Hauptgründe dafür ist der Krieg im Irak, der sich immer weiter hinzieht, inzwischen schon über 3000 amerikanische Opfer gekostet hat und bei dem vorläufig kein Ende abzusehen ist. Die Demokraten machten große Zugewinne bei den Zwischenwahlen 2006, weil sie vorher den Eindruck vermittelten, sie würden gegen den Krieg sein und entsprechen im Kongress dafür sorgen, dass er so schnell wie möglich beendet werden würde. Aber allen Hoffnungen zum Trotz ist dies mitnichten der Fall gewesen. Im Gegenteil, führende Demokraten haben zum Teil sogar noch eher falkenartige Vorschläge zur Weiterführung gemacht. Linke Kritiker in den USA weisen zunehmend darauf hin, dass wohl noch niemals in der Geschichte der USA die Ansichten und der politische Wille von Volk und Eliten so weit auseinander fielen wie in der Gegenwart.

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Frank Unger: WOODROW WILSON UND DIE OKTOBERREVOLUTION

Vor genau 90 Jahren, am 7. November 1917, begann das kurze 20. Jahrhundert. So jedenfalls sieht es der inzwischen weltberühmte englische Historiker Eric Hobsbawm in seinem allseits gepriesenen Buch „The Age of Extremes“, womit er das 20. Jahrhundert charakterisieren wollte. Für Hobsbawm – und eigentlich für alle halbwegs historisch denkfähigen Menschen – war der Gegensatz zwischen dem von der Oktoberrevolution eingeleiteten und von der Sowjetunion angeführten Sozialismus und dem im Verlauf des Jahrhunderts immer eindeutiger von den USA dominierten Kapitalismus die bestimmende Triebkraft des Jahrhunderts, das in dieser Sichtweise entsprechend schon im Jahr 1991 mit der offiziellen Auflösung der UdSSR sein Ende fand.

Man muss diese Ansicht nicht teilen, um dennoch der Meinung zu sein, dass die Oktoberrevolution eins der wichtigsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts gewesen ist – so wichtig immerhin, dass die deutsche Presse (natürlich mit Ausnahme der „Jungen Welt“ und des „Neuen Deutschland“) für die 90. Wiederkehr des Ereignisses – immerhin ein „runder“ Geburtstag – nicht ein einziges Artikelchen übrig hatte. Dafür wurde ausgiebig an den 50.Jahrestag der Produktionsaufnahme für den Trabanten in der ostdeutschen Industriestadt Zwickau erinnert – als launiger Nostalgiebeitrag mit der stets untergelegten rhetorischen Frage, ob es sich bei diesem Kult-Produkt überhaupt um ein Auto „as we know it“ gehandelt habe.

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Thomas Greven: Nicht am Aschermittwoch, sondern am „Super-Duper-Tuesday“ ist alles vorbei: Der amerikanische Präsidentschafts-Vorwahlkampf

Es lohnt sich, den amerikanischen Vorwahlkampf zu verfolgen, nicht nur, weil der zukünftige Präsident des immer noch mächtigsten Landes der Welt aus ihm hervorgehen wird. Neue Trends in der professionalisierten Wahlkampfgestaltung werden hier zuerst ausprobiert, z.B. immer neue Wege, möglichst viele Daten über die Wähler herauszubekommen und zu dokumentieren, um sie immer gezielter ansprechen zu können – ein Blick in eine mögliche Zukunft ist also zu haben. Leider ist diese Zukunft aus demokratischer Sicht in vielerlei Hinsicht wenig erfreulich: Immer mehr Zeit wird auf das „Fundraising“ verwendet, das Sammeln von Spenden, und immer größere Rücksichten werden dafür genommen. Und so dienen die Vorwahlen kaum noch dazu, grundsätzliche Diskussionen über die Zukunft des Landes zu führen. Während die Republikaner sich trotz der allgemeinen Unzufriedenheit über den Irak-Krieg immer noch auf Konstanten ihrer Agenda einigen können – auch wenn die unbedingte Politik niedriger Steuern zukünftig wohl zugunsten ausgeglichener Haushalte etwas zurückgenommen wird – gelingt es den Demokraten, seit langem in viele Gruppierungen zersplittert, nicht, eine eigenständige Vision jenseits der Abschwächung Republikanischer Politik zu entwickeln. Dabei wäre eine grundsätzliche Diskussion z.B. über die angemessene Rolle des Staates in der Wirtschaft, spannend genug, um die Spekulationen einer erneuten Kandidatur des frischgebackenen Nobelpreisträgers Al Gore oder die sensationshungrige Berichterstattung über immer neue, auch persönliche Angriffe auf die Gegner im ewigen politischen „Pferderennen“ vergessen zu machen.

Die amerikanische Demokratie – eine Wahlmonarchie?

Bush … Clinton … Bush … Clinton – was würden wohl zukünftige Historiker zu dieser nach dynastischen Konflikten in einer Monarchie klingenden Reihenfolge im höchsten politischen Amt der USA sagen? Ein Erfolg der früheren First Lady Hillary Clinton ist nach den jetzigen Umfragewerten wahrscheinlich; zu schlecht ist mit dem Ansehen des amtierenden Präsidenten auch das seiner Republikanischen Partei, als das sich einer der Bewerber um die Republikanische Kandidatur allzu große Hoffnungen auf die Präsidentschaft machen könnte. Und dennoch: Nicht nur kann sich bis November 2008 die Stimmung im Land ändern – auch „Hillary“ muss zunächst den innerparteilichen Wettstreit – die sogenannten Vorwahlen oder „primaries“ – für sich entscheiden. Nach welchen Regeln, formalen wie informellen, funktioniert dieser Vor-Wahlkampf und welche Erfolgsaussichten haben die Kandidaten in den beiden großen Parteien?

Die Einführung von Vorwahlen in der amerikanischen Politik war Teil der „progressiven“ Reformbewegung um die Wende zum 20sten Jahrhundert, welche u.a. eine größere Professionalisierung und Demokratisierung der Politik anstrebte. Ämter sollten nicht länger Gegenstand von Patronage sein und die Parteibasis sollte nicht länger von in „verrauchten Hinterzimmern“ ausgekungelten Entscheidungen ausgeschlossen werden.

Die Einzelstaaten der USA und die Parteien selbst regeln die Ausgestaltung der Vorwahlen – die US-Verfassung sagt nichts zu ihnen, sie erwähnt nicht einmal Parteien. Bei Präsidentschaftswahlen gibt es verschiedene Typen von Vorwahlen, denen gemeinsam ist, dass Delegierte zu nationalen Nominierungsparteitagen gewählt werden: Caucus, geschlossene Vorwahl, halbgeschlossene Vorwahl, offene Vorwahl. Beide Parteien schicken aber auch sogenannte „superdelegates“ zu ihren Parteitagen, gewöhnlich Amtsträger und Angehörige des Parteiestablishments. In einigen Staaten werden keine Vorwahlen durchgeführt, sondern nur nicht bindende „Schönheitswettbewerbe“; in diesem Fall verbleibt die Kandidatenkür beim Establishment der Partei.

Selten ist das sogenannte „Caucus“-System, das vor allem bekannt ist, weil es in Iowa praktiziert wird, neben New Hampshire einer der beiden Staaten, die traditionell zuerst die Vorwahlen durchführen. Bei einem Caucus treffen sich auf lokaler Ebene zu einer vereinbarten Zeit an einem von 1.784 Orten die Unterstützer der verschiedenen Kandidaten und entscheiden durch geheime Wahl (bei den Republikanern) bzw. in einem komplizierten, offenen Prozess, welche Kandidaten auf der nächsthöheren Caucus-Ebene wie stark vertreten sein sollen. Erst nach insgesamt vier Stufen stehen die Delegierten aus Iowa für den nationalen Parteitag der Demokraten fest.

Die meisten Staaten nutzen „geschlossene Vorwahlen“, bei denen nur diejenigen teilnehmen können, die als Mitglieder der jeweiligen Partei amtlich registriert sind. Eine Mitgliedschaft im deutschen Sinn, mit Parteibuch und Ortsverein, kennen die Amerikaner kaum. Sie sind Mitglied, wenn sie sich mit der Partei identifizieren, an den Vorwahlen teilnehmen, und vor allem: spenden. Halbgeschlossene Vorwahlen erlauben auch den Nicht-Registrierten (den sogenannten „Unabhängigen“) die Teilnahme an einer der Vorwahlen. Offene Vorwahlen erlauben jedem Wähler die Teilnahme – sie müssen sich aber für eine entscheiden. Ein als Demokrat registrierter Wähler kann in diesem Fall also bei der Republikanischen Vorwahl seines Heimatstaates abstimmen, nicht aber gleichzeitig bei der Demokratischen.

Was ist ein „Super-Duper-Dienstag“?

Bekanntlich bestehen die USA aus fünfzig sehr unterschiedlichen Einzelstaaten – wie schaffen es die bevölkerungsarmen Staaten Iowa und New Hampshire, bei den Vorwahlen überhaupt eine Rolle zu spielen, wenn doch die Kandidaten in Kalifornien, New York oder Texas so viel mehr Delegierte sammeln können, die dann im Regelfall im Block für den jeweiligen Gewinner abstimmen müssen? Nun, neben den formalen Regeln werden die Vorwahlen in den USA auch durch informelle Traditionen geprägt. New Hampshire hat per Gesetz festgelegt, dass die erste Vorwahl im Land stets dort durchgeführt werden muss. Iowa ist traditionell zweiter. Ihre Relevanz erhalten diese Staaten also durch den Schwung, den sich die Kandidaten von einem Sieg dort erhoffen – es wird vermutlich weltweit um keine Wähler mehr geworben als um die Bürgerinnen und Bürger dieser beiden Staaten. Nun könnte man annehmen, dass diese Aufmerksamkeit durch herum streifende Politiker Übersättigungseffekte zeitigt, wie man sie im späteren Hauptwahlkampf in den sogenannten „battleground states“, also den vermutlich wahlentscheidenden Staaten, findet. Aber als Michigan in diesem Jahr versuchte, seine Bedeutung im Vorwahlkampf zu erhöhen und das Datum auf den 15. Januar vorzog – dieses „frontloading“ wird seit Jahren praktiziert und hat den Prozess immer weiter vorverlegt – ging das nach hinten los: Um die Wähler in New Hampshire und Iowa nicht zu verprellen, einigten sich die Kandidaten darauf, in Michigan keinen Wahlkampf zu machen.

Auch die bevölkerungsreichen Staaten müssten sich um ihre Bedeutung sorgen, denn ihre Vorwahlen können zu spät terminiert sein – wenn die Entscheidung schon gefallen ist, wird sich niemand mehr für sie interessieren. Daher gibt es neben dem „frontloading“ noch einen weiteren Weg, seinen Wert für den Kandidatenauswahlprozess zu steigern: Zuerst haben die Staaten des Südens ihre Vorwahlen auf einen Tag gelegt („Super-Dienstag“), am 5. Februar 2008 wird es nun einen Regionen übergreifenden „Super-Duper-Dienstag“ geben, an denen es dann nicht mehr um „Schwung“ für die Kandidaten zu Beginn des Wahlkampfs geht, sondern wahrscheinlich schon um alles oder nichts.

Establishment und Herausforderer

Gewöhnlich gibt es mindestens in einer der beiden Parteien einen klaren Favoriten. Entweder tritt der amtierende Präsident ein zweites (und gemäß Verfassung letztes) Mal an oder der Vizepräsident will sein Nachfolger werden. Manchmal reicht ein guter Name für den Favoritenstatus, der im Fall von Hillary Clinton wohl umso glänzender klingt, desto länger die Präsidentschaft Clinton zurück liegt und die Präsidentschaft Bush andauert. Ein Sieg in der Vorwahl ist aber weder durch Amt noch Bekanntheitsgrad garantiert und kein Favorit nimmt die Herausforderung der Vorwahl auf die leichte Schulter. Denn die Wahlbeteiligung liegt noch einmal deutlicher niedriger als die ohnehin schon niedrige Wahlbeteiligung in der Hauptwahl, nämlich bei ungefähr 20%. Und es beteiligen sich vor allem die Aktivisten in den Parteien und die ticken durchaus anders als die Durchschnittswähler: Bei den Demokraten sind sie weiter links, bei den Republikanern weiter rechts einzuordnen.

Daher können den vom Parteiestablishment und von den großen Spendern bevorzugten Kandidaten durchaus Außenseiter gefährlich werden, denen es gelingt, große Teile der Basis für sich zu begeistern. Bei den Demokraten ist dies Barack Obama, ein junger afroamerikanischer Senator aus Illinois, der sich frühzeitig – als es noch nicht opportun war – und deutlich gegen den Krieg im Irak ausgesprochen hat und daher viele junge Wähler begeistert. Er sammelt viel Geld durch Kleinspenden ein – mehr als Hillary Clinton, die aber ebenfalls bereits 80 Millionen US Dollar eingeworben hat – und nutzt stärker als diese die Möglichkeiten der „netroots“, also der Mobilisierung von Wählern durch das Internet. Als Amtsträger fällt es Obama nun aber weniger leicht, klar Position zu beziehen – z.B. zur Frage der Rassendiskriminierung im Falle der sogenannten „Jena 6“, sechs afroamerikanischen Studenten, die nach einer Prügelei wegen Mordversuch angeklagt wurden – und die Begeisterung nimmt entsprechend ab. Um die Position als Kandidat derjenigen, die vor allem „nicht Hillary“ wählen wollen, kämpft er vor allem mit dem ehemaligen Senator und Vizepräsidentschaftskandidaten John Edwards, dessen wirtschafts- und sozialpolitische Positionen vor allem bei denjenigen Gewerkschaften Unterstützung finden, welche das Clinton‘sche Bekenntnis zum Freihandel nicht teilen.

Bei den Republikanern fehlt der ideale Kandidat, der ein George W. Bush durchaus war. Niemand im Bewerberfeld vermag die beiden zentralen Flügel der Partei überzeugend zu vereinen. Bush konnte die für die beteiligungsintensiven Wahlkampfelemente, den „ground war“, wichtige sozialkonservative, christliche Basis mit seinen Positionen wie seinem Auftritt genauso begeistern wie die Großspender aus der Wirtschaft, die die teure Fernsehwerbung des „air war“ finanzieren. Rudy Guiliani, ehemaliger Bürgermeister von New York und für viele ein Held des 11. September, ist zum dritten Mal verheiratet und hat liberale Positionen zur gleichgeschlechtlichen Ehe und zur Abtreibung, das macht ihn der wertkonservativen Basis suspekt. Mitt Romney, ehemaliger Gouverneur von Massachusetts, ist Mormone und für manche schon damit gleichermaßen problematisch. John McCain, Senator aus Arizona und gegen Bush noch der Außenseiter, beharrt gegen alle Umfragen auf seiner Unterstützung für den Irak-Krieg. Der Schauspieler und ehemalige Senator Fred Thompson, der am ehesten der neue Ronald Reagan sein könnte, den sich die Republikaner wünschen, bleibt bisher blass. Sie alle haben viele Millionen US-Dollar an Spenden eingeworben, wobei der Abstand zu den beim Sammeln erfolgreicheren Demokraten so groß ist wie nie zuvor, doch rechte Begeisterung will nicht aufkommen.

Der Faktor „Wählbarkeit“

Kann die Welt sich angesichts dieser Gemengelage bereits auf eine Präsidentin Hillary einstellen? Nein, denn Überraschungen gibt es immer wieder. Weder Großspender noch große Massen begeisterter Anhänger garantieren Vorwahlsiege. Denn erreicht werden müssen die Wählerinnen und Wähler vor Ort – durchreisende Aktivisten können diese sogar eher irritieren. John Kerry, abgeschlagen in den Umfragen, gewann in 2004 den Iowa Caucus, weil er ein Netzwerk lokaler Unterstützer hatte: Die Feuerwehrgewerkschafter, die in allen Kommunen präsent und angesehen waren. Sein Sieg sorgte für den nötigen Schwung – den er dann allerdings im Hauptwahlkampf gegen Bush vermissen ließ.

Das letzte Pfund, mit dem sowohl Clintons innerparteiliche Konkurrenz als auch ihre möglichen Republikanischen Gegner, noch wuchern können, ist die Frage ihrer „Wählbarkeit“, ein immer wiederkehrender Topos amerikanischer Vorwahlen. Als der aussichtsreiche Außenseiterkandidat Howard Dean, ehemaliger Gouverneur von Vermont und ein Pionier der internetgestützten Mobilisierung einer jugendlichen und aktiven Basis, nach einer Rede im Vorwahlkampf gegen Senator John Kerry einen wilden Schrei ausstieß, der die Menge begeisterte, ahnte er nicht, dass er damit nach Meinung vieler „Pundits“ – Meinungsmacher in alten und neuen Medien – nicht länger wählbar war. Seine Seriosität war erschüttert und er erholte sich davon nicht mehr. Hillary Clinton ist selbstverständlich viel zu vorsichtig, um so einen Fehler zu machen. Tatsächlich fällt es bei vielen Fragen eher schwer, überhaupt ihre Positionen klar auszumachen, und sie verhält sich stets kontrolliert staatsmännisch. Aber ihren Ballast ist sie dadurch nicht losgeworden: Als First Lady wollte sie eine aktive Rolle spiele und leitete eine Kommission zur Reform des amerikanischen Gesundheitssystems. Trotz großer genereller Zustimmung in der Frage, ob dieses System, das teurer ist als jedes andere und dennoch fast 50 Millionen Menschen nicht versichert und viele Millionen mehr unterversichert lässt, reformiert werden muss, scheiterte die Reform. Ob Hillary daran Anteil hatte, ist nicht so klar wie die Tatsache, dass sie durch ihr selbstbewusstes Auftreten diejenigen nachhaltig gegen sich aufgebracht hat, die in ihr und ihrem Mann ohnehin die Personifizierung der „Gegenkultur“ der 1960er Jahre sehen wollten. Schließlich hatte sich die sozialkonservative Basis der Republikaner, die auch im Lager der Demokraten erfolgreich mobilisieren konnte, genau gegen diese gesellschaftlichen Strömungen formiert: Gegen das Recht auf Abtreibung, gegen zu viel Liberalität, für „traditionelle“ Familienwerte – d.h. gegen eine zu starke Rolle der Frauen, und nicht zuletzt gegen die scheinbare Bevorzugung von Minderheiten, insbesondere der Schwarzen, durch den Wohlfahrtsstaat.

Frank Unger: Noch einmal zur „Israel-Lobby“

Erfahrene Leserinnen und Leser von Stars & Stripes werden sich vielleicht erinnern: Vor achtzehn Monaten begannen wir mit unserer Reihe, und unter den ersten Beiträgen war ein Artikel über die „Israel-Lobby“ in den USA. Anlass war seinerzeit die Veröffentlichung einer längeren Studie von zwei renommierten amerikanischen Politikwissenschaftlern, John Mearsheimer (Chicago) und Stephen Walt (Harvard) über den außerordentlichen (und in ihrer Ansicht nach schädlichen) Einfluss der „Israel-Lobby“ auf die amerikanische Außenpolitik, insbesondere natürlich die im Nahen bzw. wie Briten und Amerikaner sagen: Mittleren Osten. Mearsheimer und Walt hatten seinerzeit mit der Monatszeitschrift „The Atlantic“ vereinbart, eine gekürzte Fassung ihrer zunächst nur im Internet veröffentlichten Studie dort zu veröffentlichen, aber auf starken Druck – offenbar von eben jener „Israel-Lobby“ – zog die Zeitschrift im letzten Moment ihre Zusage zurück. Die beiden Verfasser mussten mit ihrer Wortmeldung ins Exil gehen: am 23. März 2006 erschien in der „London Review of Books“ jener Aufsatz, der in der amerikanischen Zeitschrift nicht erscheinen sollte. Dies war verbreitungstechnisch natürlich gar kein großer Verlust, denn die Sprache blieb ja die gleiche, und die LRB ist in den großen Buchhandels-Ketten der USA beinahe ebenso häufig zu finden wie „The Atlantic“. Im Übrigen wurde durch die genötigte Selbstzensur die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nur gesteigert.

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Frank Unger: Die Regierung George W. Bush im historischen Kontext US-amerikanischer Außenpolitik

Das Deuten der Geschichte in langen Zeiträumen, wie es von den Vertretern der „Weltsystem-Theorie“ gepflegt wird,  ist eine Disziplin für Könner, aber mit Fallstricken. Es ist die besondere Stärke dieses Ansatzes, dass die individuellen historischen Akteure nur als Charaktermasken  „des Systems“ gesehen werden    was dem methodischen Ansatz in Marx‘ „Das Kapital“ entspricht, von dem die meisten Weltsystem-Theoretiker inspiriert sind. Die Vogelschau der „Weltsystem-Theorie“ bietet die  Möglichkeit, zeitgeschichtliche Ereignisse und Entwicklungen der neueren Geschichte in metasprachlicher, von den beschränkten Deutungsmustern der Zeitgenossen  emanzipierter Begrifflichkeit zu analysieren. Denn die handelnden Menschen finden stets Verhältnisse (und eine politische Sprache!) vor, die sie nicht selbst gewählt oder gestaltet haben. Durch die Vogelschau-Analysen  der Weltsystem-Theoretiker gewinnt man  Perspektiven, auf deren Grundlage man die Unübersichtlichkeiten unserer „postnationalen Konstellation“ bis zur Kenntlichkeit verzerrt erkennen  kann. Allerdings bleibt ein solcher Ansatz nur so lange fruchtbar, wie er um seine Grenzen weiß und sich für die Erkenntnis offen hält, dass geschichtsstiftende Politik, zumindest solche mit kurz- bis mittelfristigen Folgen, nach wie vor von handelnden Menschen in realen Machtpositionen und vor einem subjektiv durchaus begrenztem Zeithorizont gemacht wird.

 

Weltsystem-Theoretiker sind der Tagespolitik und damit auch deren Nomenklatur entrückt.  Dies wiederum schließt selbstverständlich nicht aus, dass auch sie bewusst  Partei in den tagespolitische Auseinandersetzungen ihrer Zeit sind – was sie aber nur mit  allen  Historikern oder Sozialwissenschaftlern, die sich öffentlich äußern, teilen.  Die allein relevanten Unterschiede zwischen Sozialwissenschaftlern bestehen im Grad der wissenschaftlichen Überprüfbarkeit und der theoretischen Fruchtbarkeit. Auf diesen Gebieten gehören Weltsystem-Theoretiker auf die vorderen Ränge der Historiker und Sozialwissenschaftler, da sie bei ihren Interpretationen und Langzeit-Deutungen erstens von nachvollziehbaren theoretischen Grundlagen ausgehen und zweitens die Leser stets zu einem Überdenken überkommener Ansichten nötigen. Auch wenn sie mitunter etwas schematisch sind, so sind sie doch stets anregend. Was sie alle miteinander verbindet und – in scheinbarem Kontrast zu ihrer stoisch-geologischen Geschichtsauffassung –  gleichzeitig ihren politischen Charakter bestimmt, ist die konsequente Historisierung der Gegenwart und ihrer dominanten Produktionsweise, des Kapitalismus, der von ihnen als ständig teils sich in Zyklen wiederholende, teils dabei sich qualitativ verändernde Gesellschaftsformation mit einem Beginn, einer Entwicklung und (logischerweise)  auch mit einem ( entweder möglichen oder notwendigen) Ende gedacht wird: eine Provokation für die zeitgenössischen Sozialwissenschaften, die eine formationslogische Relativierung der modernen bürgerlichen Gesellschaft  entweder überhaupt nicht verstehen oder sie als „ideologisch“ empfinden und ablehnen.   

 

Das gilt heute umso mehr, nachdem  ja  – zumindest im westlichen Teil der Welt   der finale Sieg von Freiheit und „Demokratie“ über  den Kommunismus deklariert wurde. Dies geschah (und geschieht) in allen nur erdenklichen Formen, von schlichtem Triumphalismus  bis zu geschichtsphilosophischer Pathetik. So hat z. B. ein – in der Folge immer wieder bewundernd zitierter – amerikanischer Autor schon 1989 schlankweg behauptet, geradewegs ans  „Ende der Geschichte“  gelangt zu sein.  Damit meinte er den absehbaren Untergang der sozialistischen Sowjetunion und des von ihr dominierten sozialistischen Lagers, des großen Gegenspielers der USA und des von ihr dominierten kapitalistischen Weltsystems. Das klang seinerzeit unerhört kühn, war aber im Grunde nur die Rekapitulation einer seit langem geläufigen Vorstellung: Nämlich dass es sich bei der in den meisten Teilen der Welt herrschenden Gesellschaftsformation der bürgerlichen Gesellschaft, die sich nun vor allem dank des Einsatzes der USA auch im Kampf gegen das letzte ernsthafte  Hindernis, den Kommunismus, durchgesetzt habe,  um  die Vollendung der menschlichen Gattungsgeschichte handele. Diese Ansicht ist wahrlich nicht erst im Amerika des späten 20. Jahrhunderts erfunden worden. Es war schließlich schon der praktische Hauptsinn von Marx‘ „Kritik der Politischen Ökonomie“,  den spezifischen historischen Charakter der Wertform und damit der kapitalistischen Produktionsweise einschließlich des mit ihr eng verbundenen Finanz- und Kreditsystems nachzuweisen und gegen die unhistorische bzw. „endzeitliche“  Betrachtungsweise, der  selbst die scharfsinnigsten bürgerlichen Ökonomen (Adam Smith und David Ricardo) anhingen, kritisch einzuwenden. Auch sie konnten sich keine andere Gesellschaftsform als die bürgerliche, auf der Wertform beruhende vorstellen. Aber sie sahen sich auch noch – fern jeder dann später einsetzenden bewussten Apologetik – der unbefangenen Wahrheitssuche verpflichtet, und Marx konnte sich in seiner „Kritik der Politischen Ökonomie“ systematisch auf den Nachweis jener Punkte konzentrieren, wo allein deren (unhistorischer und damit Form-blinder) bürgerlicher Klassenstandpunkt einer vollständigen Erkenntnis ihres Gegenstands – der Anatomie und Physiologie der bürgerlichen Gesellschaft – im Wege stand.

 

Die in die Neue Welt ausgewanderten und sich dann „revolutionär“ abnabelnden  Briten fügten dem säkularen Endzeitbewusstsein, das sie als geistiges Gepäck aus ihrem Mutterland mitgenommen hatten, dann  noch eine religiös-ideologische Dimension hinzu, der in Europa lange nicht genügend Aufmerksamkeit zuteil wurde und mit dem auch die Welt-Systemtheoretiker wenig anzufangen wissen: Nämlich die bis zum heutigen Tag von großen Teilen der amerikanischen Bevölkerung und seiner politisch handelnden Eliten  geteilte Wahnvorstellung, dass „der Herr“ auf Seiten Amerikas stehe und die Expansion der Vereinigten Staaten  – zunächst politisch als Nationalstaat über die südliche Hälfte des ganzen nordamerikanischen Kontinents, dann „systemisch“  über den Rest der Welt, eine Erfüllung  biblischer Prophezeiungen und damit  die Gestaltung der Welt nach dem strukturellen Vorbild Amerikas gewissermaßen ein göttlicher Auftrag sei. Wenn der US-Generalstaatsanwalt  John Ashcroft im Jahre des Herrn 2003 bemerkte, die Vereinigten Staaten „hätten keinen König, dafür aber Jesus“, dann halten die meisten Europäer dies für das  bon mot eines populistischen Politikers. Da sie selber nicht an „Jesus“ glauben, oder höchstens in den verdünnten Formen europäischer Amtskirchenrhetorik, können sie einfach nicht nachvollziehen, dass es sich hier um eine  todernst gemeinte politische Kampfansage handelt.

Der Volltext ist im Erscheinen.

Frank Unger: Gottlosigkeit im christlichen Amerika

Die USA sind bis heute ihrem Selbstverständnis nach eine ›christliche Nation‹ – allen
vornehmlich in Hollywood-Filmen der staunenden Welt präsentierten Erscheinungen
multikultureller Vielfalt und sittlich-moralischen Relativismus zum Trotz. In einem
ehernen Diskurs öffentlicher Rhetorik berufen sich amerikanische Präsidenten
immer wieder auf Gott und beschwören damit den Gründungskonsens des Staates.
Die Volksfrömmigkeit, der sie ihren Tribut leisten, ist legendär und mittlerweile auch
in Europa bekannt, wo man nicht weiß, ob man belustigt oder besorgt sein soll. Sie
ist in den ländlichen und südlichen Gegenden verstärkt ›fundamentalistisch‹ oder
charismatisch, d.h. naiv in ihrer Glaubenshaltung, proselytisch gegenüber anderen
und unduldsam gegenüber ›Sündern‹. Die Glaubensbereitschaft eines großen Teils
der Amerikaner scheint unbegrenzt und – nach den Kriterien eines aufgeklärten
europäischen Protestantismus – von einem geradezu ›kindlichen‹ Literalismus zu
sein.

An der Harvard Medical School wurde jüngst eine über zehn Jahre angelegte
Zweieinhalb-Millionen-Dollar-Studie abgeschlossen, die untersuchen wollte, ob
bzw. in welchem Umfang Gebete Dritter (in diesem Fall ›professioneller‹ Kräfte aus
Klöstern, Stiften und protestantischen Charismatikerkreisen) den Krankheitsverlauf
von Herzpatienten beeinflussen. Die Forscher fanden nach akribischen Langzeit-
Untersuchungen an 1800 By-Pass-Patienten heraus, dass eine Beeinflussung nicht
belegt werden könne (Tagesspiegel, 1.4.2006). Dies als Beispiel aus einem oft
genannten Vorbild für die Reformierung des an Exzellenzmangel krankenden deutschen
Hochschulwesens.

Ebenso eindrucksvoll ist ein Blick auf die populäre Kultur. Die mit großem
Abstand erfolgreichsten Belletristik-Autoren der letzten zehn Jahre sind das Zweier-
Team des Theologen Tim LaHaye und des Schriftstellers Jerry Jenkins. Im Sommer
2004 veröffentlichten sie den 12. und letzten Band einer Reihe von Romanen, die sie
1995 mit dem Titel Left Behind begonnen hatten. Der letzte Band heißt nun Glorious
Appearing, und zwei Millionen Exemplare davon wurden bereits abgesetzt, ehe das
Werk überhaupt in die Buchläden kam. Insgesamt sind aus der Left Behind-Reihe
bislang über 62 Millionen Exemplare verkauft worden. Die auf die wiedergeborenen
Protestanten abzielende Romanserie ist eine in die Gegenwart versetzte Ausmalung
der Prophezeiungen der Johannes-Apokalypse. Sie beginnt mit der von Paulus im
1. Thessalonicherbrief angekündigten »Entrückung« der Gläubigen und Gerechten
durch Jesus Christus und endet in Band 12 damit, dass dieser auf die Erde zurückkehrt
und in der Schlacht bei Armageddon nach der Vernichtung aller Feinde des
christlichen Gottes das Tausendjährige Reich errichtet. Phantasievoll und mit
bisweilen verblüffenden, für aufgeklärte Leser unfreiwillig komischen Einfällen
bemühen sich die Autoren, die biblischen phantastischen Prophezeiungen aus dem
ersten Jahrhundert n. Chr. in die Erfahrungswelt heute lebender Menschen zu übertragen.

Die »Entrückungen« der Gläubigen machen sich z.B. dadurch bemerkbar,
dass einige Passagiere bei einem Transatlantikflug plötzlich auf dem Sitz neben sich
einen zusammengefallenen Haufen Kleider entdecken, obwohl dort in der Minute
zuvor noch ein freundlicher Herr mittleren Alters gedöst hatte. Er war ein Gerechter
und wurde von seinem Herrn abberufen. Auch vor tagespolitischen Einschätzungen
schrecken die Autoren nicht zurück: Zum aktiven Lager Satans während der Periode
der 21 Heimsuchungen gehören neben den arabischen Ländern, den Nordkoreanern
und den Chinesen auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen und der Papst.

Auch die amerikanischen Katholiken gehen nicht leer aus. Mel Gibsons antijudaischer
Monumentalfilm The Passion of the Christ ist oberflächlich gesehen ein
Splatterfilm, in dem aramäisch gesprochen wird, unterschwellig verfolgt er allerdings
die klare Intention, die Hinrichtung des Jesus von Nazareth ausschließlich
als Werk der Juden darzustellen und den christlichen Gott auf so extreme Weise als
leidendes Opfer vorzuführen, dass die Weltöffentlichkeit dadurch in ähnliche politische
Parteinahme für die Christen (und indirekt für die USA in ihrem Kampf um
eine christliche Weltordnung) genötigt wird wie angesichts der Bilder aus Auschwitz
für die Juden: ein kaum verhohlener Versuch, den vermeintlichen Opferbonus der
Juden auf die Christen und ihre führende Nation umzulenken.

Beide Produkte verkünden eine gemeinsame, interkonfessionelle Botschaft: der
christliche Gott ist kein »gütiger Opa […], der einen problemlos in den Himmel lässt«,
wie LaHaye einmal das Gottesbild des Amtskirchen-Protestantismus charakterisiert
hat, sondern ein fordernder und parteiischer Gott, der Ansprüche stellt, der genaue
Kriterien für gut und böse, für richtiges und falsches moralisches Verhalten aufstellt,
der als unser Gott auch in den politischen Auseinandersetzungen auf ›unserer‹ Seite
steht, der nicht unterschiedslos alle liebt, sondern nur diejenigen, die umgekehrt ihn
und ›unser‹ Heimatland lieben; der nicht nur vergibt und Gnade gewährt, sondern
auch fürchterlich böse werden kann und die schlimmsten Strafen verhängt bzw.
Rache nimmt an den Ungläubigen und an seinen Feinden.

Die jüngsten Daten aus einer repräsentativen Umfrage zur Bedeutung der
Offenbarung des Johannes und anderer biblischer Prophezeiungen zum Ende der
Welt ergeben folgendes Bild: 36 % glauben, dass die Offenbarung des Johannes
»exakte Prophezeiungen« enthält; 47 % sind der Meinung, sie sei metaphorisch zu
verstehen; 55 % glauben, dass diejenigen, die festen Glaubens sind, von Gott direkt
in den Himmel »entführt« werden (Entrückung); 74 % glauben an die Existenz
Satans (Mitglieder von Erweckungskirchen zu 93 %); 17 % glauben, dass das Ende
der Welt noch zu ihren Lebzeiten eintreten wird (Newsweek, 24.5.2004, 48).

Diese im Vergleich zu den entwickelten Industriestaaten des Westens autonome Volksfrömmigkeit
zeitigte einen kuriosen Gegeneffekt: Die USA wurden zur einzigen
modernen Industrienation der Welt, in der die bekanntesten Beispiele von Atheismus
Gottlosigkeit im christlichen Amerika und Religionsverachtung nicht mit rebellischen oder herrschaftskritischen Intentionen erbunden waren, sondern im Gegenteil offen im Interesse der herrschenden
Klassen auftraten: als ›aufgeklärte‹ Verhöhnung der unmündigen ›Massen‹ von
Seiten einer intellektuell-urbanen Elite und zur Abwehr von demokratischen, oft
ländlichen ›populistischen‹ Bestrebungen mit dem Ziel, deren mit christlicher Glaubensfestigkeit
begründeten patriotischen Ansprüche auf demokratische Teilhabe zu
beschneiden.

Als Volltext erschienen in: Das Argument 265/2006