22. Oktober 2007 von Thomas Greven
Es lohnt sich, den amerikanischen Vorwahlkampf zu verfolgen, nicht nur, weil der zukünftige Präsident des immer noch mächtigsten Landes der Welt aus ihm hervorgehen wird. Neue Trends in der professionalisierten Wahlkampfgestaltung werden hier zuerst ausprobiert, z.B. immer neue Wege, möglichst viele Daten über die Wähler herauszubekommen und zu dokumentieren, um sie immer gezielter ansprechen zu können – ein Blick in eine mögliche Zukunft ist also zu haben. Leider ist diese Zukunft aus demokratischer Sicht in vielerlei Hinsicht wenig erfreulich: Immer mehr Zeit wird auf das „Fundraising“ verwendet, das Sammeln von Spenden, und immer größere Rücksichten werden dafür genommen. Und so dienen die Vorwahlen kaum noch dazu, grundsätzliche Diskussionen über die Zukunft des Landes zu führen. Während die Republikaner sich trotz der allgemeinen Unzufriedenheit über den Irak-Krieg immer noch auf Konstanten ihrer Agenda einigen können – auch wenn die unbedingte Politik niedriger Steuern zukünftig wohl zugunsten ausgeglichener Haushalte etwas zurückgenommen wird – gelingt es den Demokraten, seit langem in viele Gruppierungen zersplittert, nicht, eine eigenständige Vision jenseits der Abschwächung Republikanischer Politik zu entwickeln. Dabei wäre eine grundsätzliche Diskussion z.B. über die angemessene Rolle des Staates in der Wirtschaft, spannend genug, um die Spekulationen einer erneuten Kandidatur des frischgebackenen Nobelpreisträgers Al Gore oder die sensationshungrige Berichterstattung über immer neue, auch persönliche Angriffe auf die Gegner im ewigen politischen „Pferderennen“ vergessen zu machen.
Die amerikanische Demokratie – eine Wahlmonarchie?
Bush … Clinton … Bush … Clinton – was würden wohl zukünftige Historiker zu dieser nach dynastischen Konflikten in einer Monarchie klingenden Reihenfolge im höchsten politischen Amt der USA sagen? Ein Erfolg der früheren First Lady Hillary Clinton ist nach den jetzigen Umfragewerten wahrscheinlich; zu schlecht ist mit dem Ansehen des amtierenden Präsidenten auch das seiner Republikanischen Partei, als das sich einer der Bewerber um die Republikanische Kandidatur allzu große Hoffnungen auf die Präsidentschaft machen könnte. Und dennoch: Nicht nur kann sich bis November 2008 die Stimmung im Land ändern – auch „Hillary“ muss zunächst den innerparteilichen Wettstreit – die sogenannten Vorwahlen oder „primaries“ – für sich entscheiden. Nach welchen Regeln, formalen wie informellen, funktioniert dieser Vor-Wahlkampf und welche Erfolgsaussichten haben die Kandidaten in den beiden großen Parteien?
Die Einführung von Vorwahlen in der amerikanischen Politik war Teil der „progressiven“ Reformbewegung um die Wende zum 20sten Jahrhundert, welche u.a. eine größere Professionalisierung und Demokratisierung der Politik anstrebte. Ämter sollten nicht länger Gegenstand von Patronage sein und die Parteibasis sollte nicht länger von in „verrauchten Hinterzimmern“ ausgekungelten Entscheidungen ausgeschlossen werden.
Die Einzelstaaten der USA und die Parteien selbst regeln die Ausgestaltung der Vorwahlen – die US-Verfassung sagt nichts zu ihnen, sie erwähnt nicht einmal Parteien. Bei Präsidentschaftswahlen gibt es verschiedene Typen von Vorwahlen, denen gemeinsam ist, dass Delegierte zu nationalen Nominierungsparteitagen gewählt werden: Caucus, geschlossene Vorwahl, halbgeschlossene Vorwahl, offene Vorwahl. Beide Parteien schicken aber auch sogenannte „superdelegates“ zu ihren Parteitagen, gewöhnlich Amtsträger und Angehörige des Parteiestablishments. In einigen Staaten werden keine Vorwahlen durchgeführt, sondern nur nicht bindende „Schönheitswettbewerbe“; in diesem Fall verbleibt die Kandidatenkür beim Establishment der Partei.
Selten ist das sogenannte „Caucus“-System, das vor allem bekannt ist, weil es in Iowa praktiziert wird, neben New Hampshire einer der beiden Staaten, die traditionell zuerst die Vorwahlen durchführen. Bei einem Caucus treffen sich auf lokaler Ebene zu einer vereinbarten Zeit an einem von 1.784 Orten die Unterstützer der verschiedenen Kandidaten und entscheiden durch geheime Wahl (bei den Republikanern) bzw. in einem komplizierten, offenen Prozess, welche Kandidaten auf der nächsthöheren Caucus-Ebene wie stark vertreten sein sollen. Erst nach insgesamt vier Stufen stehen die Delegierten aus Iowa für den nationalen Parteitag der Demokraten fest.
Die meisten Staaten nutzen „geschlossene Vorwahlen“, bei denen nur diejenigen teilnehmen können, die als Mitglieder der jeweiligen Partei amtlich registriert sind. Eine Mitgliedschaft im deutschen Sinn, mit Parteibuch und Ortsverein, kennen die Amerikaner kaum. Sie sind Mitglied, wenn sie sich mit der Partei identifizieren, an den Vorwahlen teilnehmen, und vor allem: spenden. Halbgeschlossene Vorwahlen erlauben auch den Nicht-Registrierten (den sogenannten „Unabhängigen“) die Teilnahme an einer der Vorwahlen. Offene Vorwahlen erlauben jedem Wähler die Teilnahme – sie müssen sich aber für eine entscheiden. Ein als Demokrat registrierter Wähler kann in diesem Fall also bei der Republikanischen Vorwahl seines Heimatstaates abstimmen, nicht aber gleichzeitig bei der Demokratischen.
Was ist ein „Super-Duper-Dienstag“?
Bekanntlich bestehen die USA aus fünfzig sehr unterschiedlichen Einzelstaaten – wie schaffen es die bevölkerungsarmen Staaten Iowa und New Hampshire, bei den Vorwahlen überhaupt eine Rolle zu spielen, wenn doch die Kandidaten in Kalifornien, New York oder Texas so viel mehr Delegierte sammeln können, die dann im Regelfall im Block für den jeweiligen Gewinner abstimmen müssen? Nun, neben den formalen Regeln werden die Vorwahlen in den USA auch durch informelle Traditionen geprägt. New Hampshire hat per Gesetz festgelegt, dass die erste Vorwahl im Land stets dort durchgeführt werden muss. Iowa ist traditionell zweiter. Ihre Relevanz erhalten diese Staaten also durch den Schwung, den sich die Kandidaten von einem Sieg dort erhoffen – es wird vermutlich weltweit um keine Wähler mehr geworben als um die Bürgerinnen und Bürger dieser beiden Staaten. Nun könnte man annehmen, dass diese Aufmerksamkeit durch herum streifende Politiker Übersättigungseffekte zeitigt, wie man sie im späteren Hauptwahlkampf in den sogenannten „battleground states“, also den vermutlich wahlentscheidenden Staaten, findet. Aber als Michigan in diesem Jahr versuchte, seine Bedeutung im Vorwahlkampf zu erhöhen und das Datum auf den 15. Januar vorzog – dieses „frontloading“ wird seit Jahren praktiziert und hat den Prozess immer weiter vorverlegt – ging das nach hinten los: Um die Wähler in New Hampshire und Iowa nicht zu verprellen, einigten sich die Kandidaten darauf, in Michigan keinen Wahlkampf zu machen.
Auch die bevölkerungsreichen Staaten müssten sich um ihre Bedeutung sorgen, denn ihre Vorwahlen können zu spät terminiert sein – wenn die Entscheidung schon gefallen ist, wird sich niemand mehr für sie interessieren. Daher gibt es neben dem „frontloading“ noch einen weiteren Weg, seinen Wert für den Kandidatenauswahlprozess zu steigern: Zuerst haben die Staaten des Südens ihre Vorwahlen auf einen Tag gelegt („Super-Dienstag“), am 5. Februar 2008 wird es nun einen Regionen übergreifenden „Super-Duper-Dienstag“ geben, an denen es dann nicht mehr um „Schwung“ für die Kandidaten zu Beginn des Wahlkampfs geht, sondern wahrscheinlich schon um alles oder nichts.
Establishment und Herausforderer
Gewöhnlich gibt es mindestens in einer der beiden Parteien einen klaren Favoriten. Entweder tritt der amtierende Präsident ein zweites (und gemäß Verfassung letztes) Mal an oder der Vizepräsident will sein Nachfolger werden. Manchmal reicht ein guter Name für den Favoritenstatus, der im Fall von Hillary Clinton wohl umso glänzender klingt, desto länger die Präsidentschaft Clinton zurück liegt und die Präsidentschaft Bush andauert. Ein Sieg in der Vorwahl ist aber weder durch Amt noch Bekanntheitsgrad garantiert und kein Favorit nimmt die Herausforderung der Vorwahl auf die leichte Schulter. Denn die Wahlbeteiligung liegt noch einmal deutlicher niedriger als die ohnehin schon niedrige Wahlbeteiligung in der Hauptwahl, nämlich bei ungefähr 20%. Und es beteiligen sich vor allem die Aktivisten in den Parteien und die ticken durchaus anders als die Durchschnittswähler: Bei den Demokraten sind sie weiter links, bei den Republikanern weiter rechts einzuordnen.
Daher können den vom Parteiestablishment und von den großen Spendern bevorzugten Kandidaten durchaus Außenseiter gefährlich werden, denen es gelingt, große Teile der Basis für sich zu begeistern. Bei den Demokraten ist dies Barack Obama, ein junger afroamerikanischer Senator aus Illinois, der sich frühzeitig – als es noch nicht opportun war – und deutlich gegen den Krieg im Irak ausgesprochen hat und daher viele junge Wähler begeistert. Er sammelt viel Geld durch Kleinspenden ein – mehr als Hillary Clinton, die aber ebenfalls bereits 80 Millionen US Dollar eingeworben hat – und nutzt stärker als diese die Möglichkeiten der „netroots“, also der Mobilisierung von Wählern durch das Internet. Als Amtsträger fällt es Obama nun aber weniger leicht, klar Position zu beziehen – z.B. zur Frage der Rassendiskriminierung im Falle der sogenannten „Jena 6“, sechs afroamerikanischen Studenten, die nach einer Prügelei wegen Mordversuch angeklagt wurden – und die Begeisterung nimmt entsprechend ab. Um die Position als Kandidat derjenigen, die vor allem „nicht Hillary“ wählen wollen, kämpft er vor allem mit dem ehemaligen Senator und Vizepräsidentschaftskandidaten John Edwards, dessen wirtschafts- und sozialpolitische Positionen vor allem bei denjenigen Gewerkschaften Unterstützung finden, welche das Clinton‘sche Bekenntnis zum Freihandel nicht teilen.
Bei den Republikanern fehlt der ideale Kandidat, der ein George W. Bush durchaus war. Niemand im Bewerberfeld vermag die beiden zentralen Flügel der Partei überzeugend zu vereinen. Bush konnte die für die beteiligungsintensiven Wahlkampfelemente, den „ground war“, wichtige sozialkonservative, christliche Basis mit seinen Positionen wie seinem Auftritt genauso begeistern wie die Großspender aus der Wirtschaft, die die teure Fernsehwerbung des „air war“ finanzieren. Rudy Guiliani, ehemaliger Bürgermeister von New York und für viele ein Held des 11. September, ist zum dritten Mal verheiratet und hat liberale Positionen zur gleichgeschlechtlichen Ehe und zur Abtreibung, das macht ihn der wertkonservativen Basis suspekt. Mitt Romney, ehemaliger Gouverneur von Massachusetts, ist Mormone und für manche schon damit gleichermaßen problematisch. John McCain, Senator aus Arizona und gegen Bush noch der Außenseiter, beharrt gegen alle Umfragen auf seiner Unterstützung für den Irak-Krieg. Der Schauspieler und ehemalige Senator Fred Thompson, der am ehesten der neue Ronald Reagan sein könnte, den sich die Republikaner wünschen, bleibt bisher blass. Sie alle haben viele Millionen US-Dollar an Spenden eingeworben, wobei der Abstand zu den beim Sammeln erfolgreicheren Demokraten so groß ist wie nie zuvor, doch rechte Begeisterung will nicht aufkommen.
Der Faktor „Wählbarkeit“
Kann die Welt sich angesichts dieser Gemengelage bereits auf eine Präsidentin Hillary einstellen? Nein, denn Überraschungen gibt es immer wieder. Weder Großspender noch große Massen begeisterter Anhänger garantieren Vorwahlsiege. Denn erreicht werden müssen die Wählerinnen und Wähler vor Ort – durchreisende Aktivisten können diese sogar eher irritieren. John Kerry, abgeschlagen in den Umfragen, gewann in 2004 den Iowa Caucus, weil er ein Netzwerk lokaler Unterstützer hatte: Die Feuerwehrgewerkschafter, die in allen Kommunen präsent und angesehen waren. Sein Sieg sorgte für den nötigen Schwung – den er dann allerdings im Hauptwahlkampf gegen Bush vermissen ließ.
Das letzte Pfund, mit dem sowohl Clintons innerparteiliche Konkurrenz als auch ihre möglichen Republikanischen Gegner, noch wuchern können, ist die Frage ihrer „Wählbarkeit“, ein immer wiederkehrender Topos amerikanischer Vorwahlen. Als der aussichtsreiche Außenseiterkandidat Howard Dean, ehemaliger Gouverneur von Vermont und ein Pionier der internetgestützten Mobilisierung einer jugendlichen und aktiven Basis, nach einer Rede im Vorwahlkampf gegen Senator John Kerry einen wilden Schrei ausstieß, der die Menge begeisterte, ahnte er nicht, dass er damit nach Meinung vieler „Pundits“ – Meinungsmacher in alten und neuen Medien – nicht länger wählbar war. Seine Seriosität war erschüttert und er erholte sich davon nicht mehr. Hillary Clinton ist selbstverständlich viel zu vorsichtig, um so einen Fehler zu machen. Tatsächlich fällt es bei vielen Fragen eher schwer, überhaupt ihre Positionen klar auszumachen, und sie verhält sich stets kontrolliert staatsmännisch. Aber ihren Ballast ist sie dadurch nicht losgeworden: Als First Lady wollte sie eine aktive Rolle spiele und leitete eine Kommission zur Reform des amerikanischen Gesundheitssystems. Trotz großer genereller Zustimmung in der Frage, ob dieses System, das teurer ist als jedes andere und dennoch fast 50 Millionen Menschen nicht versichert und viele Millionen mehr unterversichert lässt, reformiert werden muss, scheiterte die Reform. Ob Hillary daran Anteil hatte, ist nicht so klar wie die Tatsache, dass sie durch ihr selbstbewusstes Auftreten diejenigen nachhaltig gegen sich aufgebracht hat, die in ihr und ihrem Mann ohnehin die Personifizierung der „Gegenkultur“ der 1960er Jahre sehen wollten. Schließlich hatte sich die sozialkonservative Basis der Republikaner, die auch im Lager der Demokraten erfolgreich mobilisieren konnte, genau gegen diese gesellschaftlichen Strömungen formiert: Gegen das Recht auf Abtreibung, gegen zu viel Liberalität, für „traditionelle“ Familienwerte – d.h. gegen eine zu starke Rolle der Frauen, und nicht zuletzt gegen die scheinbare Bevorzugung von Minderheiten, insbesondere der Schwarzen, durch den Wohlfahrtsstaat.