Rechtskonservative Park Geun-hye wird erste Frau im Amt: Trotz und wegen ihres Umgangs mit der Vergangenheit

– Kommentar zur südkoreanischen Präsidentenwahl 2012

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Hannes B. Mosler

Institut für Koreastudien

Freie Universität Berlin

Zusammenfassung:

 

  • Die Kandidatin der regierenden rechtskonservativen Neue Welt Partei, Park Geun-hye, hat sich mit 51,6% gegen den Kandidaten der oppositionellen liberalen Demokratischen Vereinigten Partei, Moon Jae-in (48,0%) bei der seit zehn Jahren höchsten Wahlbeteiligung von 75,8% durchgesetzt.
  • Mit Park Geun-hye wurde das erste Mal eine Frau ins höchste Amt Südkoreas gewählt; zum ersten Mal seit der formalen Demokratisierung hat ein Kandidat bei Präsidentenwahlen mit mehr als der Hälfte der abgegebenen Stimmen gewonnen; zum ersten Mal wurde der Nachkomme eines vormaligen Präsidenten ins Amt gewählt.
  • Die Wahlniederlage Herrn Moons trotz der Kandidaturvereinigung mit dem populären Professor und Unternehmer Ahn Cheol-soo, des Rücktritts der Kandidatin der links-progressiven Vereinten Progressiven Partei, Lee Cheong-hee, und der allgemeinen oppositionellen Einheitsfront-Strategie ist in erster Linie im schwachen Wahlkampf der Opposition und in zweiter Linie im intelligenten Wahlkampf der Regierungspartei zu suchen.
  • Die bereits überwunden geglaubten Muster im Wahlverhalten der Südkoreaner bestätigten ihre Vitalität bei diesen Wahlen einmal mehr: der Antagonismus zwischen Wählern verschiedener Regionen, Lebensräume (Stadt/Land), Generationen, Bildungsstand, Berufsgruppe, Einkommen usw. zeigte als Grundbedingung ihre Wirksamkeit.

 

I. Überblick

 

18. Präsidentenwahlen

Die Kandidatin der rechtskonservativen regierenden Neue Welt Partei (NWP), Park Geun-hye, wurde bei den Wahlen am 19. Dezember zur Präsidentin für die nächsten fünf Jahre gewählt. Sie wird am am 25. Februar des kommenden Jahres offziell ins Amt eingeführt. Bis dahin wird sie sich mit ihrem Übergangskomittee auf die Regierungsübernahme vorbereiten. 51,6% der Wahlgänger hatten sich für Park entschieden, während rund eine Million weniger (48%) für ihren Kontrahenten der liberalen Demokratischen Vereinten Partei (DVP), Moon Jae-in, gestimmt hatten. Der Unterschied in der Zustimmung ist weitaus kleiner als vor fünf Jahren, aber deutlich größer als vor zehn Jahren. Mit anderen Worten, der Wahlausgang ist ein klares Ergebnis, das für eine eindeutige Zustimmung für Park Geun-hye und ihre NWP spricht. Es ist das erste Mal nach der formalen Demokratisierung 1987, dass ein Kandidat bei einer Präsidentenwahl über 50% der abgegebenen Stimmen erhalten hat. Die Wahlbeteiligung lag mit 75,8% ebenfalls höher als bei den vergangenen zwei Präsidentenwahlen.

Erst im April hatten 42,8% der Wahlgänger der regierenden NWP erneut die Mehrheit im Parlament gesichtert. Derzeit hält die Parlamentsfraktion der NWP 154 der 300 Sitze der Nationalversammlung, verfügt also neben der Exekutiven auch in der Legislativen über eine überwiegende Mehrheit an Sitzen und Legitimation durch das Volk.

Mit der Wahl von Frau Park ist nicht nur das erste Mal eine Frau im höchsten Amt der Republik Korea (hiernach: Südkorea), sondern auch zum ersten Mal der Nachkomme eines vormaligen Staatspräsidenten. Park Geun-hye ist die Tochter des umstrittenen Militärdiktators Park Chung-hee (1917-1979), der in Südkorea zwischen 1961 und 1979 geherrscht hat. Sie reiht sich damit in die Liste der aktuellen Staatsführer ostasiatischer Länder wie China, Nordkorea und Japan ein, die alle Nachkommen von politischen Führungspersönlichkeiten sind. Kim Jeong-un wurde im April 2012 zum Führer der Partei der Arbeit zum Ersten Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungskomitees der Demokratischen Volksrepublik Koreas (hiernach: Nordkorea), also zum Staatsoberhaupt des Landes gewählt. Er ist bekanntermaßen der Sohn seines Vorgängers Kim Jeong-il (1941-2011) und der Enkel von Kim Il-sung (1912-1994). Sein Großvater ist berühmt für seinen Widerstandskampf in der Mandschurei gegen die japanische Kolonialherrschaft seit Mitte der 1930er Jahre, aber auch dafür, dass er den in Nordkorea sogenannten Volksbefreiungskrieg, also den Koreakrieg (1950-53) angefangen hatte. Der im November 2012 zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas und zum Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission gewählte Xi Jinping ist der Sohn von Xi Zhongxun (1913-2002), der dem Staatsrat der Republik Chinas angehörte und der ersten Führungsgeneration Chinas zugerechnet wird. Shinzō Abe, der am 26. Dezember 2012 erneut zum Premierminister Japans wurde, ist der Enkel von Nobusuke Kishi. Kishi hatte während der japanischen Kolonialzeit Mitte der 1930er Jahre als hochrangiger Staatsdiener in Mandschuko gedient, wurde später als Kriegsverbrecher der Klasse A eingestuft und in Haft genommen. Er konnte jedoch Ende der 1950er Jahre sogar Vorsitzender der neu gegründeten Demokratischen Liberalen Partei und schließlich auch Premierminister Japans werden (1957-1960).

 

Regionale Nachwahlen

Neben den Präsidentenwahlen wurden bei den Nach- und Wiederholungswahlen außerdem 26 Ämter in den Regionen neu besetzt. In der Provinz Süd-Gyŏngsang wurde ein neuer Governeur gesucht, da der Vorgänger, Kim Du-gwan (DVP), zurückgetreten war, um an innerparteilichen Vorwahlen für die Präsidentschaftskandidatur teilnehmen zu können. Er scheiterte mit 14,3% der abgegebenen Stimmen nach Sohn Hak-kyu (22,2%) und Moon Jae-in (56,5%). Außerdem musste das Amt des Bildungssuperintendenten Seouls neu besetzt werden, da der amtierende progressive Kwak No-hyun (parteilos) wegen eines Vergehens gegen das Wahlgesetz verurteilt worden war. Des Weiteren wurden drei neue Bezirksleiter, zwei neue Bezirksabgeordnete und 19 Kommunalparlamentarier gesucht. Die NWP konnte sich von ehemals neun Ämtern auf 13 verbessern. Darunter war auch das governeursamt der Provinz Süd-Gyŏngsangs, das vom altgedienten Hong Jun-pyo übernommen wurde. Die DVP hingegen musste auch hier eine Niederlage einstecken und verschlechterte sich von ehemals zehn Ämtern auf sieben. Das wichtige Amt des Bildungssuperintendenten in Seoul wurde vom konservativen Moon Yong-lin übernommen. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Opposition bei diesen Nach- und Wiederholungswahlen auf regionaler und kommunaler Ebene ebenfalls eine herbe Niederlage einstecken musste.

Durch die gleichzeitige Durchführung der regionalen Nach- und Wiederholgungswahlen mit den Präsidentenwahlen, waren diese entsprechend vom allgemeinen Trend beeinflusst. Was waren die Hauptfaktoren, die für das Oppositionslager schließlich so negativ wirkende Tendenz gesorgt haben? Dazu muss man zum Einen die für Südkoreas Wählerschaft typischen Muster bzw. Bedingungen verstehen und zum Anderen den historischen Kontext sowie die Hauptakteure und ihr Handeln analysieren.

 

II. Hintergrund: spezifische Bedingungen und Muster

 

Regionalismus

Der Regionalisms hat sich bei diesen Wahlen wieder einmal deutlich niedergeschlagen. Ein offensichtlich negativer Aspekt des Regionalismus ist die deutliche Tendenz, dass nicht auf Basis geteilter Werte und in Hinsicht auf zugestimmten Inhalte, sondern lediglich entlang von geographischen bzw, administrativen Linien und nach Geburtsorten von Persönlichkeiten gewählt wird. Dem Ende der 1980er Jahre deutlich herorgetretenen Regionalismus wurde nach in den vergangenen 25 Jahren eine immer weniger wichtige Rolle zugeschrieben. Das Verhalten der Wähler bei Parlamentswahlen und Präsidentenwahlen in diesem Jahr zeichnet jedoch ein deutlich anderes Bild. Ein Aspekt, der die negativen Auswirkungen des Regionalismus noch weiter verschärft, ist neben der wirtschaftlichen die demographische Ungleichheit zwischen den konkurrierenden Regionen. Die Yŏngnam-Region (Daegu, Nord-Gyŏngsang, Pusan und Süd-Gyŏngsang) haben mit aktuell 9,8 Millionen Wahlberechtigten fast doppelt soviel wie die (5,3 Millionen) der Honam-Region (Kwangju, Nord- und Süd-Chŏlla). Hinzu kommen die rund 5 Millionen Wahlberechtigten der potentiell konservativen Regionen Chungcheong (Süd-, Nord- Ch’ungch‘ŏng, Daejŏn und Sejong) sowie die 1,2 Millionen Wahlberechtigten der Provinz Kangwon, die die längste Grenze zu Nordkorea hat und entsprechend durch konservative Sicherheitspolitik zu beeindrucken ist. Auf Grund dieser ungleichen Ausgangslage war der Wahlausgang im Hauptstadteinzugsgebiet bisher immer entscheidend für den Wahlsieg des liberaldemokratischen Lagers. Zusammen mit der sie umgebenden Provinz Kyŏnggi und der benachbarten Hafenstadt Inch`ŏn zählte das Sŏuler Einzugsgebiet insgesamt rund 20 Millionen Wahlberechtigte. Traditionell sind die urbanen Wähler Südkoreas eher fortschrittlich-liberalen Kandidaten zugetan, während die Landbevölkerung rechtskonservative Politik unterstützt. Bei diesen Wahlen jedoch konnte Herr Moon lediglich in Seoul die Mehrheit der Wähler für sich gewinnen, während er sowohl in Inch`ŏn als auch in Kyŏnggi hinter seiner Konkurrentin zurückblieb. Selbst der Sieg in Seoul gelang nur sehr knapp. Frau Park gewann relativ deutlich in Bezirken südöstlich des Flusses, die sogenannte Kangnam-Region der Stadt, in der hauptsächlich Besserverdiener leben. Der Abstand zwischen den Unterstützerwerten hat sich jedoch verkleinert. Während nun Moon bei den Besserverdienern zugelegt hat, konnte Park die weniger gut Betuchten mit ihrer ˈPolitik für die einfachen Menschenˈ und ihrem ˈWiederaufbau der Mittelschichtˈ punkten.

Die Charakteristika der Ergebnisse in den regionalen Hochburgen der verschiedenen Lager gleichen denen der Präsidentenwahl vor 20 Jahren, als Kim Dae-jung knapp (8,1%) gegen Kim Young-sam verlor. So wie Kim Dae-jung 1992 gewann auch Moon 2012 die Mehrheit der Stimmen nur in der Region Honam und in der Hauptstadt Seoul und musste sich seiner Kontrahentin Park Geun-hye knapp (3,4%) geschlagen geben. Moon erhielt in Honam, der Hochburg der Demokratischen Vereinigten Partei, mit durchschnittlich 89,2% nur ein bisschen weniger Zustimmung als damals Kim Dae-jung`s (92,4%), der aus dieser Region stammt. Park Geun-hye hingegen war die erste Präsidentschaftskandidatin seit Roh Tae-woo (1987), die in der Region Honam über die 10%-Grenze gekommen ist (10,3%). Dies war zwar nicht ausschlaggebend für ihren Wahlsieg, aber dennoch ein Zeichen. Hauptsächlich ist dieser Wandel jedoch auf die zahlreichen Überläufer aus dem Oppositionslager zurückzuführen. Am wirksamsten in dieser Hinsicht sind wohl die Parteiwechsel von Politikern gewesen wie Han Kwang-ok, Han Hwa-gap oder Kim Kyoung-jae, die allesamt seit Dekaden zu den engsten Vertrauten Kim Dae-jungs gehört hatten.

 

Einkommen und Berufsgruppe

Im Allgemeinen zeigte sich bei der Wahl, dass Wähler je niedriger ihr Einkommen oder Bildungsstand ist, umso eher Frau Park wählten. Wähler mit einem monatlichen Einkommen von umgerechnet unter 1400 Euro haben deutlich mehr (56,1%) Park gewählt. In allen anderen Einkommensgruppen zwischen 1500 und mehr als 3500 Euro Monatsgehalt gab jeweils die Mehrheit an, Moon gewählt zu haben. Dieses Muster setzt sich entsprechend bei der Unterteilung nach Bildungsstand fort. Umso gebildeter die Wähler sind, desto eher haben sie sich für Herrn Moon entschieden. Je niedriger der Bildungsgrad, desto mehr wählten sie Frau Park. Bei den Berufsgruppen dominiert die Unterstützung für Park entsprechend bei Arbeitslosen (60,4%) Hausfrauen und –männern (55,6%), Landwirten, Fischern und Förstern (55,2%), jedoch auch bei Selbständigen (50,2%). Angestellte (53,5%), Arbeiter (48,1%) und Studenten (60,4%) wählten dagegen in der Mehrzahl Moon.

 

Generation und Alter

Neben dem Bildungsgrad, der wahrscheinlich zu einem nicht unbedeutenden Teil auch auf Beruf und Einkommen entspricht, sind außerdem Altersunterschiede als wesentlicher Faktor festzustellen. Es zeigt sich die deutliche Tendenz, dass umso älter die Wähler sind, desto mehr haben sie für Frau Park gestimmt, während die Jüngeren eher Moon bevorzugen. Dies war Frau Park umso zuträglicher, als dass die alternde Gesellschaft Südkoreas in den vergangenen zehn Jahren den Anteil der älteren Wahlberechtigten hat stark ansteigen lassen. Außerdem war die Wahlbeteiligung der Älteren Menschen immer schon höher als die der Jüngeren, wie sich auch bei diesen Wahlen erneut unter Beweis gestellt hat.

 

III. Vordergrund: Stärken und Schwächen der Kandidaten

 

Park Geun-hye

Park Geun-hye hat unter wahlkampfstrategischen Gesichtspunkten alles richtig gemacht. Zunächst hatte sie nicht nur die Partei, sondern auch das konservative Lager hinter sich gebracht. Es gab zwar immer wieder parteiinterne Auseinandersetzungen über ihren autoritären und kommunikationsarmen Führungsstil sowie über inhaltliche Positionen, aber spätestens seit dem überraschend deutlichen Sieg bei den Parlamentswahlen noch im April dieses Jahres hatte sich Frau Park in der regierenden NWP unverzichtbar gemacht. Dem geht natürlich eine lange Entwicklung voraus, die mindestens bis ins Jahr 2002 zurückverfolgt werden kann. Damals wollte sie sich nach den verlorenen parteiinternen Vorwahlen zur Präsidentschaftskandidatur gegen Lee Hoi-chang nicht so schnell geschlagen geben und gründete kurz darauf mit der Allianz für Zukunft (AFZ) eine eigene Partei. Doch nur kurze Zeit später kam sie zurück, um nach einer skandalösen Schwarzgeldaffäre der Großen Nationalpartei (GNP; Vorgängerpartei der NWP) 2004 die Partei als Vorsitzende wieder auf Kurs zu bringen. 2007 schließlich trat sie erneut zur parteiinternen Vorauswahl für die Präsidentschaftskandidatur an, musste sich jedoch knapp Lee Myung-bak geschlagen geben. Dieses Mal war sie eine faire Verliererin, blieb in der Partei und baute ihre Machtposition weiter aus. Sie verhielt sich weitgehend ruhig, um die Partei nicht durch interne Konflikte zu schwächen. Gleichzeitig jedoch meldete sie sich zu bestimmten Streitfragen mit abweichender Meinung zu Wort, um sich vom amtierenden Präsidenten und Parteigenossen Lee Myung-bak deutlich zu distanzieren. Dieses geschickte Taktieren und ihr Händchen bei Wahlen haben ihr soviel Rückhalt in der Partei eingebracht, dass sie bei den diesmaligen parteiinternen Wahlen keinen ernstzunehmenden Konkurrenten hatte.

Nach der weltweiten Wirtschaftskrise 2008 und auch in Südkorea immer drängender werdenden sozialen Problemen waren die Hauptthemen der regionalen Wahlen 2010 Arbeitslosigkeit, Wohlfahrt und der Hauptstadtumzug. Bei den wichtigen Wahlen zum Bürgermeisteramt von Seoul erhitzte sich die Debatte zwischen Regierungs- und Oppositionslager vor allem an der Frage der kostenlosen Schulspeisung. Zwar wurde der amtierende Bürgermeister der Regierungspartei wiedergewählt, trat jedoch kurze Zeit später zurück, da ein Referendum, das er initiiert haben wollte, nicht zu Stande kam. Es ging darum, die Bürger Seouls zu fragen, ob sie der oppositionellen Mehrheit des Seouler Stadtparlaments zustimmten, die eine Ausweitung der kostenlosen Schulspeisung auf alle Seouler Grundschulen und Mittelschulen durchsetzen wollte, oder dem restriktiven Gegenvorschlag der Regierung. Spätestens seit diesen regionalen Wahlen hat sich auch die Regierungspartei Themen zu eigen gemacht, die bis dahin eher dem liberaldemokratischen Lager vorbehalten waren. In Vorbereitung auf das Superwahljahr 2012 hat Park Geun-hye dieser Tendenz einen weiteren deutlichen Linksruck verpasst in ihrer Funktion als Übergangsvorsitzende (Dezember 2011 – Mai 2012). In ihrem Präsidentschaftswahlkampf standen Demokratisierung der Wirtschaft, Wohlfahrtsstaatlichkeit und Arbeitsplatzbeschaffung ganz oben auf der Liste der Wahlversprechen. Dadurch, dass sich die NWP unter Fehderführung Parks diese Themen zu eigen gemacht hatte, nahm sie der Opposition viel Wind aus den Segeln. Noch vor zwei Jahren bei den regionalen Wahlen konnte sich die Opposition relativ klar von der Regierung abgrenzen mit sozialen Themen und auch bei den Nachwahlen mit dem Sieg des parteilosen, aber oppositionsnahen Park Won-soon glänzen. Endlich konnte auch die breite Bevölkerung für Politik interessiert werden, weil es um ihre Kinder in den Schulen ging, die etwas zu essen bekommen sollten; ähnlich war zuvor die Auseinandersetzung um die Regierungspolitik zu Lebensmittelsicherheit hart umkämpft. Bei diesen Präsidentschaftswahlen jedoch musste man schon genau hinhören und die Programme genau studieren, wollte man wesentliche Unterschiede entdecken zwischen den Versprechen der Kandidaten. Ein nicht unwesentlicher Faktor, der zu dieser Schwierigkeit beitrug, ist die von der Regierung stark kontrollierte Medienlandschaft und ein traditionell konservativ dominierter Zeitungsmarkt.

 

Wegweisende Gloriole des Vaters und effektive Lippenbekenntnisse zur Vergangenheit

In der Bevölkerung hatte Frau Park bereits seit Jahren eine solide Zustimmung von 30 bis 40%. Ihre Familiengeschichte ist ihr größtes politisches Kapital. Viele sehen in ihr entweder ihren Vater, den autoritären Präsidenten Park Chung-hee, oder ihre Mutter, die fürsorgliche First Lady, oder beide. Beide sind bei Attentaten umgekommen und Frau Park selbst ist vor sechs Jahren einem Angriff ausgesetzt worden, bei dem ihr mit einem Teppichmesser eine elf Zentimeter lange Wunde an der rechten Gesichtshälfte zugefügt wurde. Diesem dramatischen Vorfall aus dem Jahr 2006 war das erste Werbevideo für ihren Wahlkampf im vergangenen Dezember gewidmet. Viele, insbesondere ältere Menschen verspüren eine positive Nostalgie, wenn sie an die Zeit der Entwicklungsdiktatur unter Vater Park (1961-1979) denken, da sich in diesem Zeitraum das Land schnell entwickelt hat und viele Menschen zu Wohlstand kamen. Außerdem sind ein großer Anteil der über 60-Jährigen die meisten der Menschen, die heute über 60 Jahre alt sind, direkt oder indirekt immer noch stark geprägt vom Koreakrieg, und nicht zuletzt von der anti-kommunistischen und autoritären Bildung der vergangenen Dekaden. Für sie erscheint Park Geun-hye als fähige Politikerin, die das Land gut führen und die Wirtschaft ankurbeln wird – wie ihr Vater.

Viele Südkoreaner denken jedoch anders. Sie sehen in Park Geun-hye die Tochter des kaltblütigen Militärdiktators Park Chung-hee, der sich 1961 an die Macht geputscht hat, um das Land für 18 Jahre mit eiserner Hand zu beherrschen, und es so weit trieb, dass nur ein brutaler Mord durch seinen Geheimdienstchefs ihn aufhalten konnte, und ein Machtvakuum hinterließ, das sofort von einem weiteren Militärdiktator gefüllt werden konnte. Jedoch richtet sich die Kritik nicht an Frau Park als Tochter persönlich, sondern als Tochter und an die gestandene Politikern, die das Handeln ihres Vaters, des Militärdiktators rechtfertigt. Nach langem Zögern ließ sich Frau Park schließlich doch noch von Parteigenossen überreden, öffentlich Stellung zu beziehen zu den zahllosen Vorwürfen gegen das Vorgehen ihren Vater. Am Anfang ihrer live übertragenen Pressekonferenz gestand sie ein, es für sie als Tochter nicht leicht sei, etwas Kritisches über den Vater zu sagen. Sie blieb vage, was die eigentlichen früheren Verbrechen anging und sie schwieg zu der im Raum stehenden Frage, wie sie als potentielle Präsidenten darüber urteilen würde. Es reichte trotzdem, dem Angriff der Opposition die Spitze zu nehmen. Sie hatte sich damit zu den Vorwürfen geäußert, hatte sich irgendwie von den Missetaten distanziert, so wie sie sich von Lee Myung-baks Regierungspolitik immer wieder vage distanzierte, und war für die allgemeine Mehrheit annehmbar, was diesen Punkt anbetrifft. Die Regierungspartei konnte sich deshalb noch besser auf ihren Angriff auf Herrn Moon und seine Verbindung zur Regierung unter Präsident Roh Moo-hyun konzentrieren, die nach ihrer Meinung eine gescheiterte Regierung war.

 

Moon Jae-in

Die entscheidenden Schwächen des Wahlkampfes des liberaldemokratischen Lagers waren die unbedingten Strategien der oppositionellen Einheitsfront, die Kandidaturvereinigung von Ahn Cheol-soo und Moon Jae-in und des Negativwahlkampfes. Denn hierüber vernachlässigte das Oppositionslager die Profilierung durch programmatische Inhalte, die Überzeugung der Wähler durch Führungsqualitäten und stieß gemäßigt Konservative vor den Kopf.

Nachdem die damalige Regierungs- und heutige Oppositionspartei bei den Präsidentenwahlen 2007 und den Parlamentswahlen 2008 so kläglich gegen die GNP (heute: NWP) verloren hatte, begann man bei den regionalen Wahlen 2010 mit der Strategie einer oppositionellen Einheitsfront. Man sah im Oppositionslager kein anderes Mittel gegen die übermächtige GNP, als sich gegen den gemeinsamen ˈFeindˈ zusammenzutun, auch wenn man eigentlich teils gewichtige Meinungsunterschiede hatte. Deshalb hielt man auch bei den beiden großen Wahlen 2012 daran fest. Doch die Rechnung ging nicht auf und im Prinzip wiederholten sich die Fehlschläge von 2007 und 2008. Zu sehr hatte man auf die Wirkung gehofft, die sich durch eine solche quantitative Taktik ergeben sollte; man wollte die Regierungspartei zahlenmäßig herausfordern, was von vornherein ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen war. Der Effekt wurde weiter davon untergraben, dass sich die Kritik an der NWP fast ausschließlich auf den Umgang mit der Vergangenheit, insbesondere der mit dem Militärdiktator Park Chung-hee als Vater Frau Parks beschränkte. Die Schwäche dieses Negativwahlkampfes lag darin, dass die Stammwählerschaft der NWP, die wegen ihrer Rigidität auch Beton-Wählerschaft genannt wird, diese vermeintliche Schwäche als Stärke ansah und gemäßigt Konservative oder Mitte-Rechts-Wähler es entweder als nicht ausschlaggebend ansahen oder mit den Erklärungen Parks in dieser Hinsicht befriedet waren. Das Oppositionslager jedoch hatte all seine Kraft darauf verwendet. Außerdem kam dies Bumerang zurück. Denn die NWP schoss sich im Gegenzug auf Moon als Teil der ˈgescheitertenˈ Roh-Regierung ein. Das Park Chung-hee-Frame kam postwendend als Roh Moo-hyun-Frame zurück und war auch noch wirksamer, da innerhalb des Oppositionslagers viele den Roh-Getreuen (sog. ˈRohbbaˈ) äußerst kritisch gegenüberstehen.

Den Rohbba bzw. ihrem Machtstreben wird vor allem der Vorwurf gemacht, im Prozess der Verhandlungen um die Kandidaturvereinigung mit dem parteilosen Ahn Cheol-soo zu forsch vorgegangen zu sein. Professor und Unternehmer Ahn Cheol-soo wurde spätestens seit den Nachwahlen zum Seouler Bürgermeister als Präsidentschaftskandidat gehandelt und erhielt in den Umfragen zeitweise sogar mehr Zuspruch als Park Geun-hye, während prospektive Kandidaten der DVP sowie anderer Parteien sehr geringe Unterstützung erhielten. Die Popularität Ahns geht hauptsächlich darauf zurück, dass er einen koreanischen Anti-Politiker verkörpert. Er schien den Menschen weder einem regionalen noch einem politisch-ideologischen Lager klar zuordbar zu sein, er hat sowohl als Akademiker als auch als Unternehmer Karriere gemacht, gibt sich in seiner Lebensphilosophie und in der Praxis philantrophisch und ist so gut wie frei von Vorwürfen der Korruption und anderer unlauterer Gebaren. Viele der Parteiverdrossenen,  insbesondere die jüngeren Menschen, die in Ahn ein Vorbild sehen können, unterstützten ihn deshalb. Nicht zuletzt hat er Themen wie Jugendarbeitslosigkeit, Reduzierung der Studiengebühren, Demokratisierung der Wirtschaft, Bildungsreform etc. salonfähig für die etablierte Politik gemacht. Er sprach Probleme so an, wie sonst kaum ein Politiker. In diesem Zusammenhang wird vom Ahn Cheol-soo-Phänomen gesprochen. Damit ist gemeint, dass sich in der Sympathie für und Unterstützung für Ahn Cheol-soo nicht nur die allgemeine Parteienverdrossenheit ausdrückt, sondern auch deutlich aufzeigt, welche Schwächen die etablierten Parteien haben und welche Themen sich die Menschen angesprochen haben wollen. Herr Ahn fungierte wie eine Art Medium, durch das der Wille der Bürger sich ausdrückte.

 

Ahn-Joker verspielt: schlechte Rechnung, schlechte Manieren, schlechter Zeitpunkt

Diese Sympathie wollte sich das oppositionelle Lager zu Nutze machen. Doch war dies von Anfang an eine falsche Rechnung, auch wenn die Umfragewerte etwas anderes suggerierten. Die potentiellen Unterstützer Ahns waren zu einem großen Teil gemäßigt konservativ oder sogar rechtskonservativ, oder aber kritisch gegenüber den etablierten Parteien, und wären bei einer Vereinigung der Kandidatur abgesprungen und/oder hätten die Kandidatin der NWP gewählt. Zweitens lag das Programm Ahns zum großen Teil näher an dem der NWP als dem der DVP, was die Kandidaturvereinigung als solche stark in Frage stellte. Drittens waren die Verhandlungen der beiden Lager von den Methoden und Nebenwirkungen der alten Politilk geprägt, sodass potentielle Wähler eher verprellt und der NWP eine Steilvorlage geliefert wurde – wovon diese auch reichlich Gebrauch machte. Viertens kam der Rücktritt Ahns und damit die Vereinigung der Kandidatur viel zu spät. Hinzu kommt, fünftens, dass neben dem Verhandlungsprozess das Verhalten Ahns nach seinem Rücktritt ebenfalls sehr kontraproduktiv war. Zunächst war lediglich von Rücktritt die Rede, die Vereinigung der Kandidatur musste man sich implizit davon ableiten. Bevor Ahn sich schließlich aktiv öffentlich zu Moon als gemeinsamem Kandidaten bekannte, stand eher im Mittelpunkt, dass ihm noch eine Kandidatur in fünf Jahren offen stand. Außerdem flog Ahn noch am Tag der Wahl in die USA, um sich für eine Weile zurückzuziehen. Eine überzeugende Unterstützung eines gemeinsamen Kandidaten sieht anders aus. Zusammen mit den grundlegend falschen Annahmen nahm diese passive Haltung Ahns den erhofften Synergieeffekten die letzte Dynamik.

 

IV. Fazit und Ausblick

Das Ergebnis dieser Präsidentenwahlen kann man wie folgt zusammenfassen: Frau Park hat die Wahlen gewonnen, nicht ‚obwohl‘ sie die Tochter des Militärdiktators Park Chung-hee ist, sondern ‚weil‘; weil so der demographisch ungleich verankerte Regionalismus und andere Wahlmuster reaktiviert wurden; und weil das Oppositionslager einen schwachen und die Regierungspartei einen professionellen Wahlkampf geführt hat.

Was aber hat dieses Ergebnis für eine Bedeutung? Vergleicht man die Wahlprogramme scheint es nicht so, dass sich mit der Wahl Parks eine entscheidend anders geartete Politik einstellen wird im Vergleich zu einer Präsidentschaft Moons. Die Themenkataloge sind nahezu identisch. Schaut man jedoch genauer hin, wird deutlich, dass sich die Themen zwar nominal sehr ähneln, jedoch teilweise auf sehr verschiedenen Weltsichten bzw. Problematisierungen basieren. Entsprechend anders gestalten sich deshalb auch die Mittel und Methoden, die zur Umsetzung vorgesehen werden. Dies wurde bereits bei der Debatte um die kostenlose Schulspeisung im Wahlkampf 2010 deutlich, als der Linksruck der NWP seinen Anfang nahm. Während die NWP für kostenloses Essen für alle Grund- und Mittelschüler plädierten, wollte die NWP nur das Essen der Kinder von entsprechend einkommensschwachen Familien („Bedürftigen“) finanzieren. Ähnlich verhält es sich mit den Studiengebühren, die beide Lager halbieren wollen. Doch Herr Moon plante die Studiengebühren als solche zu senken, während Frau Park daran denkt, Stipendien für solche Studierende zu organisieren, die nur die Hälfte zahlen können. Derselben Logik folgend möchte die DVP einen universalen Wohlfahrtsstaat umsetzen, während die NWP sich für eine selektive Wohlfahrt starkmacht. Der Politikbereich Wirtschaft wird von beiden Lagern mit Themen ausgeleuchtet wie Demokratisierung der Wirtschaft, kreatives Wachstum und Förderung von kleineren und mittleren Unternehmen. In der geplanten Umsetzung nehmen die identisch erscheinenden Punkte jedoch in diesem Bereich deutlich verschiedene Formen an. Gerade das heiße Thema Wirtschaftsdemokratisierung ist dafür repräsentativ. Hier stellen sich die Unterschiede nicht nur deshalb ein, weil die beiden Lager von durchaus unterscheidbaren Ideen und Vorstellungen geleitet werden, sondern auch weil entsprechend andere Interessen im Vordergrund stehen. Denn während die NWP traditionell den Großkonzernen bzw. dem Großkapital nahesteht, kommt die DVP – zumindest traditionell – aus der Ecke der einfachen Bürger bzw. Arbeiter und Angestellten. Das hat die DVP nicht davon abgehalten, neoliberale Politik zu machen, als sie an der Macht war, aber insbesondere der Umgang mit den chaebŏl unterscheidet sich dennoch. Noch etwas deutlicher ist der Unterschied bei der zu erwartenden Nordkoreapolitik. Schlechter als die Lee Myung-bak-Regierung kann und will Frau Park es wahrscheinlich nicht machen. Außerdem hat sie selbst bereits 2002 Kim Jong Il persönlich in Pyŏngyang getroffen. Allein jedoch die Tatsache, dass man vom Großteil ihrer allgemeinen Ahängerschaft, aber insbesondere von ihren einflussreichen Freunden annehmen kann, dass sie Nordkorea im Prinzip feindlich gegenüberstehen, macht eine rationale Politik schwierig. Nun ist Politik mit Nordkorea immer ein schwieriges Unterfangen und wäre auch für Herrn Moon eine Herausforderung geworden, aber zumindest steht die DVP in einer historischen Tradition der Annäherung und hätte auf eine entsprechende Vorarbeit sowie Expertise zurückgreifen können. Im Großen und Ganzen jedoch ist zu erwarten, dass Frau Park es besser machen wird als Herr Lee – was zugegebener Maßen nicht weiter schwierig ist.

Symbolisch jedoch ist die Wahl der Tochter des Militärdiktators ein großer Rückschritt in der Politik und Gesellschaft Südkoreas. Hier liegt die größte Gefahr für die weitere Entwicklung des Landes. Denn wenn sie die Geschichtsklitterung, die sie selbst, aber auch in den letzten fünf Jahren unter der Lee Myung-bak-Regierung verfolgt worden ist, weiterführt, wird die Basis für gesellschaftliche Integration und Konsens weiter erodieren. Das würde einer friedliche Annäherung der beiden Koreas wie einer nachhaltige Entwicklung der Politik, Gesellschaft und Wirtschaft Südkoreas den Boden entziehen. Es wird sich zeigen, ob sich die Befürchtungen bewahrheiten, wie man sie von dern bisherigen Erfahrungungen mit Park Geun-hye Führungsstil und dem derzeitigen Kenntnisstand über ihre Ansichten, Umgang mit der Vergangenheit und Fähigkeiten ableiten kann. Eine erste Ahnung davon, wie Frau Park ihr Amt in den kommenden fünf Jahren ausfüllen wird, wird an den Ergebnissen des Übergangskomitees abzulesen sein, das von Anfang Januar bis zur offiziellen Amtseinführung am 25. Februar 2013 die Amtszeit vorbereitend planen wird. Mindestes bis dahin muss man davon ausgehen, dass sie es ernst meint mit ihren Versprechen, eine „Präsidentin der einfachen Leute“ zu werden, die sich in erster Linie um die „Integration der Nation“ und die Ankurbelung der Wirtschaft kümmern und ein „Land, in dem Träume wahr werden“ schaffen will.

 

Regierungspartei stellt Diktatorentochter als Präsidenschaftskandidatin auf

28. August 2012

Kommentar zu den Vorwahlen der regierenden Neue Welt Partei am 21. August 2012

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Hannes B. Mosler

Instiut für Koreastudien

Freie Universität Berlin

Zusammenfassung

Die Tochter des ehemaligen Militärdiktators Park Chung-Hee, Park Geun-Hye, wird mit deutlicher Mehrheit zur Präsidentschaftskandidatin der Regierungspartei gewählt und nimmt damit ihren dritten Anlauf zum höchsten politischen Amt Südkoreas.

Parks Wahlprogramm ist eine fast komplette Kehrtwende ihrer bisherigen stark neoliberal geprägten Politikvorstellungen, krankt aber noch an fundamentalen Widersprüchen und unzureichend überzeugender Erklärung.

Parks politisches Familienerbe ist ihr Kapital und Schwachpunkt zugleich: solange sie keine klare, verantwortungsvolle Position zur dunklen Vergangenheit des Landes bezieht, bleibt ihr Sieg ungewiss.

Die heiße Phase des Rennens um die Präsidentschaft beginnt spätestens im Oktober, wenn auch die Oppositionspartei ihren Kandidaten aufgestellt und die Frage der möglichen Kandidaturvereinigung mit dem populären Unternehmer Ahn Cheol-Su geklärt hat.

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Parlamentswahlen in Südkorea: Volksverdrossene Parteien konnten das parteiverdrossene Volk nicht überzeugen

Die Regierungspartei (Saenuridang) konnte die Wahl deutlich für sich gewinnen, weil sie sich gegenüber der Lee Myung-Bak-Regierung erfolgreich als ‚Opposition im Regierungslager‘ darstellen konnten; dies ist hauptsächlich der Parteiführerin Park Geun-Hye zu verdanken.
Die Oppositionspartei (Minju Tonghapdang) blieb sehr weit hinter ihren Möglichkeiten zurück, die Mehrheit im Parlament zu übernehmen, weil sie sich und ihre Ideen nicht deutlich positionieren konnte und in ihrem Negativwahlkampf überheblich erschien.
Die Vereinte Progressive Partei (VPP oder Tonghap Chinbodang) feierte zwar einen quantitativen Sieg von nicht weniger als 13 Sitzen im Parlament, ihre allgemeine Unterstützung im Volk jedoch schrumpfte, wie auch ihre progressive Identität.
Park Geun-Hye hat sich nicht nur innerhalb der Regierungspartei, sondern auch außerhalb dieser als starke Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen im Dezember positioniert. Das Rennen ist jedoch noch vollkommen offen.

Die Wahlbeteiligung war mit 54,3% höher als bei den Wahlen im Jahr 2008 (46,1%), aber im Allgemeinen immer noch niedrig, z.B. niedriger als bei den letzten regionalen Wahlen im Jahr 2010 (54,4%).

Kommentar zu den Parlamentswahlen in Südkorea am 11. April 2012

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Hannes B. Mosler

Instiut für Koreastudien

Freie Universität Berlin

Wahlergebnis

Das Endergebnis spricht eine deutliche Sprache. 127 der zu vergebenden 246 Direktmandate gingen an die konservative Regierungspartei Neue-Welt-Partei (NWP oder Saenuridang), während die lieberale Oppositionspartei Demokratische Vereinte Partei (DVP oder Minju Tonghapdang) nur 106 Sitze erringen konnte. Die progressive Vereinte Progressive Partei (VPP oder Tonghap Chinbotang) erreichte sieben Direktmandate, womit sie die ehemals weitaus stärkere rechtskonservative Partei für Freiheit und Fortschritt (PFF oder Chayuseonjindang) auf den vierten Platz (3 Direktmandate) verwies. Nach geltendem Wahlgesetz werden nur 54 Sitze (18%) des 300-Sitze starken Parlaments über die Zweitstimme an die Parteien vergeben. Außerdem werden die Listenplätze nach einem Modus vergeben, der – anders als zum Beispiel in Deutschland – tendenziell für die bereits großen Parteien vorteilhaft ist. Insgesamt stellt sich das Ergebnis in einer knappen aber klaren Mehrheit der Regierungspartei im Parlament dar.

Rund 40 Millionen Menschen waren am 11. April zum 19. Mal seit der Republikgründung im Jahr 1948 aufgerufen, die Abgeordneten der Nationalversammlung zu wählen. Etwas über die Hälfte der 40 Millionen Wahlberechtigten gingen auch tatsächlich an die Urnen (ca. 21,8 Mio.). Mit einer Wahlbeteiligung von 53,4% konnte man sich um 7,5%-Punkte im Vergleich zu den Wahlen 2008 (46,1%) verbessern.

Verfolgt man die Tendenz der Wahlbeteiligung in den vergangenen Jahren (Präsidentschafts-, Nationalversammlungs-, regionale etc. Wahlen) jedoch insgesamt, blieb die Wahlbeteiligung damit weiterhin niedrig.

Insbesondere das Oppositionslager und seine Unterstützer hatten sich bemüht, so viele Wähler zu mobilisieren wie möglich, da sie davon ausgingen, dass ihre Chancen bei einer höheren Wahlbeteiligung besser stünden. Tatsächlich gingen zumindest im ländlichen Bereich mehr Wähler in der Altergruppe 50 bis 70 an die Wahlurnen als ihre jüngeren Mitbürger. Die die iederlage der Opposition ist jedoch sicherlich nur zu einem sehr geringen Teil auf eine allgemein niedrige Wahlbeteiligung zurück zu führen. Ein wichtiger Hinweis auf die Hintergründe ist die Wahlbeteiligung der verschiedenen Alterskohorten. Vor allem in der Hauptstadt, in der rund ein Viertel der Bevölkerung lebt, mehr jüngere Wähler zu Wahl gegangen; in den Provinzen, vor allem im traditionell konservativen Südosten, der gleichzeitig auch die meisten Wahlbezirke hat, waren es die Älteren, die sich reger an der Wahl beteiligten. In der tendenziell konservativen Region Yŏngnam (= Nord- und Süd-Gyŏngsan sowie die Städte Pusan, Taegu und Ulsan) und leben ca. 5,6 Millionen Menschen auf rund 30.000 km², während es in der traditionell oppositionellen Region Honam (= Nord- und Süd-Jeolla und Kwangju) ungefähr 2,5 Millionen Menschen auf 20.000 km² sind. Bedenkt man, dass im Durschnitt 200.000 Wähler in einem Wahlbezirk leben, gibt es im konservativen Südosten doppelt so viele Wahlbezirke. Tatsächlich sind es insgesamt 67 Wahlbezirke in der Region Yŏngnam, während es nur 30 in der Region Honam sind.

Einschätzung

Die regierende NWP konnte die Wahl deutlich für sich gewinnen, weil sie sich gegenüber der Lee Myung-Bak-Regierung erfolgreich als Opposition im Regierungslager darstelle. Dies ist hauptsächlich der Parteiführerin Park Geun-Hye zu verdanken, die sich dadurch in eine bevorzugte Ausgangslage für die Präsidentschaftswahlen in acht Monaten gebracht hat. Im Vergleich zu den Parlamentswahlen vor vier Jahren hat die NWP zwar knapp 8% an Zustimmung eingebüßt. Sie belegt nunmehr 152 anstatt von 162 Sitze der Nationalversammlung. Aber dass sie nach rund vier Jahren desaströser Regierungspolitik dennoch die absolute Mehrheit im Parlament erreichen konnte ist ein deutliches Zeichen. Das heißt jedoch im Umkehrschluss nicht, dass damit auch schon die Präsidentschaftswahlen gewonnen wären, denn im Vergleich der Zustimmungswerte durch die Zweitstimme zeigen sich nur geringe Unterschiede, wenn nicht sogar ein kleiner Vorsprung des liberal-progressiven Lagers.
Die oppositionelle DVP blieb sehr weit hinter ihren Möglichkeiten zurück, die Mehrheit im Parlament zu übernehmen, weil sie sich und ihre Ideen nicht deutlich positionieren konnte. Sie konnte sich im Rückblick um etwas mehr als 11% – von 80 auf 127 Sitze -verbessern, wäre jedoch selbst mit der Hilfe von kleineren Koalitionspartnern in der Minderheit. Die Ausgangslage der DVP bei diesen Wahlen war weitaus besser als vor vier Jahren, da Skandale des Regierungslagers wie Pilze aus dem Boden sprossen. Doch hauptsächlich Fehler in der Parteiführung haben dazu geführt, dass man den „gedeckten Tisch umwarf“ und schließlich mir leeren Händen und leerem Magen dastand.
Für die VPP scheinen die 13 Sitze im Parlament zunächst ein großer Sieg, wenn man bedenkt, dass sie bei ihrem ersten Parlamentseinzug 2004 insgesamt 10 Sitze erhielt. (Vor vier Jahren waren es 7 Sitze.) Doch diese quantitative Verbesserung steht im Unverhältnis zu den Einbußen an Qualität. Denn die VPP ist längst nicht mehr so progressiv, wie ihr Name Glauben machen will, und ihre allgemeine Unterstützung im Volk ist in der Zwischenzeit sogar von 13,1% auf 10,3% zusammengeschrumpft. Die PNP (Progressive Neue Partei oder Chinbosin‘gdang), die sich von der VPP abgespalten hatte, ist gar völlig in der Versenkung verschwunden; das gilt jedoch auch für andere Kleinparteien, auch des rechtskonservativen Lagers.
Die geringe Wahlbeteiligung trotz zahlreicher Skandale, der schlechten Situation des Landes und der Bemühungen des gesamten Oppositionslagers und der jungen Menschen auch im Internet ist erschütternd. Die Wahlbeteiligung ist mit 54,3% zwar etwas höher als bei den letzten Wahlen 2008, aber im Allgemeinen immer noch niedrig; z.B. niedriger als bei den letzten regionalen Wahlen im Jahr 2010 (54,4%). Dahinter steht das traditionelle Misstrauen gegenüber den Parteien, dessen Berechtigung von diesen im Vorfeld dieser Wahlen wieder einmal bestätigt wurde: Erstens hat keine der Parteien wichtige Fragen seriös in den Wahlkampf eingeführt. Zweitens kam es im (Vor-) Wahlkampf zu noch mehr Gesetztesverstößen als bisher. Drittens wurden Kandidaten in den Parteien hauptsächlich nach Faktionsinteressen aufgestellt. Viertens gab es immer wieder Kandidaten, die in Korruptions-, Sex- und andere Skandale verwickelt waren.

Hintergründe

Der relativ deutliche Sieg der Regierungspartei hat viele überrascht. Nach fast fünf Jahren unter der Regierung Lee Myung-Baks war das Regierungslager selbst einer der größten Skeptiker in Hinsicht auf das Wahlergebnis. Die eindeutige Mehrzahl der sogenannten Wahlexperten setzte mindestens auf einen knappen Sieg der Oppositionspartei Demokratische Vereinte Partei (DVP oder Minju Tonghapdang). Die überwiegende Einschätzung war, dass die DVP zusammen mit der Vereinten Progressiven Partei (VPP oder Tonghap Chinbodang) eine deutliche Mehrheit im 300-Sitze starken Parlament erreichen würde. Diese Einschätzungen basierten zum größten Teil auf dem Umstand, dass die regierende Administration unter Lee Myung-Bak durch die meisten ihrer Vorstöße für Unzufriedenheit in der Bevölkerung gesorgt hatte. Entsprechend lautete das Wahlkampfmotto der Opposition: „Abstrafung der Regierung“.
Die Regierung sollte abgestraft werden dafür, dass sie trotz der Wahlversprechen keine Besserung der Lebensumstände für die einfachen Bürger erreicht habe, die Volksmeinung in wichtigen Fragen wie der Lebensmittelsicherheit ignoriere, das Verhältnis zu Nordkorea weiter verschlechtere, die Umwelt durch Megabauprojekte zerstöre, die Medien- und Meinungsfreiheit über die Maßen einschränke, systematisch Bürger in ihrer Privatsphäre verletze, kurz: die Zeit zurückdrehen würde. In jüngster Vergangenheit waren noch weitere Skandale hinzugekommen. Bei den Nachwahlen zum Bürgermeisteramt von Seoul im Oktober 2010 hatten Mitarbeiter des damaligen Parlamentspräsidenten Pak Hi-Tae (NWP) einen DDoS-Angriff auf die Server der Nationalen Wahlkommission verübt, um der NWP-Kandidaten bei der Wahl zu helfen. Gegen Ende 2011 begannen sich Verdachtsmomente zu häufen, nach denen enge Verwandte des Präsidenten Lee Myung-Bak, allen voran sein älterer Bruder Lee Sang-Deuk, in Schwarzgeldaffären verwickelt seien; die Staatsanwaltschaft nahm die Untersuchung auf. Anfang 2012 wurde der Skandal um Bestechungsversuche bei parteiinternen Vorstandswahlen der NWP im Jahr 2008 publik. Auch in diesem Fall war der Abgeordnete Pak Hi-Tae involviert und trat schließlich von seinem Amt zurück. Der illegale Lauschangriff der Regierung auf Bürger, die sich im Internet kritisch über die Regierung geäußert hatten, liegt bereits zwei Jahre zurück, Anfang März dieses Jahres kamen jedoch Geständnisse und Tonbandaufnahmen von zentralen Akteuren ans Licht. Später folgten Tausende Dokumente, die im Internet veröffentlicht wurden und die Ausmaße der Bespitzelungsaktion erahnen lassen.
Zwei Wochen vor der Wahl waren in einer beispiellosen Aktion die Gewerkschaften der wichtigsten Fernsehsender des Landes in einen Streik getreten, um ihrem Protest gegenüber der regierungsfreundlichen Manipulation der Berichterstattung Ausdruck zu verleihen. Nach dem Amtsantritt Lees wurden durch rechtlich unzulässige Vorgänge die Chefintendanten der wichtigsten Rundfunkanstalten kurzerhand frühzeitig gegen regierungsfreundliches Personal ausgewechselt. Die Manipulation der Berichterstattung im Sinne der Regierung nahm mit den stark abfallenden Umfragewerten in den letzten Jahren rapide zu. Vor diesem Hintergrund sind die Erfolge von alternativen Nachrichtenquellen wie den Podcast-Sendungen „Ich bin die Hinterlist (in Person)!“ (Nanŭn Ggomsuda!) oder „Der Fragenaufklärer“ (Itŏllam) zu interpretieren. Auch die alternativen Nachrichtensendungen (MBC Chedaero Nyusŭ Teskŭ, Riset KBS Nyusŭ), die von den streikenden Medienarbeitern der großen Sender gemacht werden, werden auf Youtube immer häufiger abgerufen. Das Budget für die Herstellung solcher Sendungen liegt bei einem winzigen Bruchteil dessen, was sonst dafür bereitgestellt wird, aber die Inhalte übertreffen ihr Original deutlich an Qualität, was den Umgang mit zentralen politischen, sozialen und ökonomischen Fragen des Landes angeht.

Durch die Podcast-Sendung „Nanŭn Ggomsuda“ wurde unter anderem der Verdacht der Wahlmanipulation bei den Nachwahlen zum Bürgermeisteramt 2011 erhoben. Mehrere Personen aus dem direkten Arbeitsumfeld des damaligen Präsidenten des Parlaments wurden daraufhin verhört. Ihnen wurde zur Last gelegt, die Internetseite der Wahlaufsichtsbehörde am Tag der Wahl mit einem DDOS-Angriff lahmgelegt zu haben, damit die Bürger die neuen Orte der Wahllokale nicht finden und somit nicht wählen würden. Davon sollen sie sich versprochen haben, dass es der Kandidatin der Regierungspartei helfen würde, die Wahl für sich zu entscheiden. In der Podcast-Sendung „Itŏllam“ wurde der Lauschangriff auf einfache Bürger durch das Büro des Ministerpräsidenten publik gemacht. Kurz vor den Wahlen legte einer der Hauptakteure sogar ein Geständnis in der Sendung ab, was dazu führte, dass die Staatsanwaltschaft die Verbindungen bis ins Blaue Haus verfolgte. In den alternativen Nachrichten auf der Internetplattfrom Youtube publizieren die entlassenen Nachrichtensprecher vor allem die Berichte, die in ihrer früheren Redaktion der Zensur zum Opfer gefallen waren und gehen solchen Fällen investigativ mit Kamerteams nach.
Vor diesem Hintergrund ist es dem ersten Anschein nach mehr als verwunderlich, wenn die deutliche Mehrheit der Wahlgänger sich dennoch für die Regierungspartei entschieden hat. Wie kann man erklären, dass alles für eine Abstrafung des Regierungslagers und einen politischen Richtungswechsel gesprochen hatte, aber die Regierungspartei von den Wählern bestätig wurde? Haben die Südkoreaner über die Untaten der Regierung hinweggesehen oder sind sie im Grunde zutiefst konservativ?

Wähler

Das scheint keine plausible Erklärung. Ein Rückblick auf die vergangen Jahre legt nahe, dass viele südkoreanische Bürger durchaus in der Lage sind, die Politik kritisch zu beurteilen. Das haben hat sich kurz nach dem Amtsantritt Lee Myung-Baks und der Parlamentswahl 2008 gezeigt, als Millionen Menschen auf die Straße gingen, um gegen die seinem Volk gegenüber ignorante Politik der Regierung zu protestieren. Auch bei den verschiedenen Wahlen derletzten Jahre war dies deutlich zu erkennen. Bei den regionalen Wahlen 2010 wurde das Regierungslager noch deutlich abgestraft. Es ging damals hauptsächlich um Bildung, Umwelt und soziale Gerechtigkeit. Die Kandidaten der Opposition und ihre Partei gingen diese Themen offensiv an und konnten sich damit gegenüber dem Regierungslager klar positionieren; inhaltlich haben sie überzeugt. Außerdem begann damals die Kooperation zwischen den verschiedenen Parteien des Oppositionslagers, die konkret in zahlreichen erfolgreichen Kandidatenvereinigungen mündete.
Selbst die Katastrophe der südkoreanischen Militärfregatte „Ch‘ŏnan“, die vom nordkoreanischen Militär versenkt sein soll, hat hier dem rechtskonservativen Lager nicht als Stimmungsmacher dienen können. So deutlich war die Stimmung im Volk vor zwei Jahren. Unter den vergleichsweise wenigen Ämtern, die das Regierungslager für sich entscheiden konnte, war nur das Seouler Bürgermeisteramt von größerer Bedeutung. Der damals amtierende Bürgermeister Oh Se-Hoon setzte sich gegen seine Herausforderin Han Myung-Suk von der DVP durch. Jedoch verstrickte sich der bestätigte Bürgermeister gleich darauf in einen Streit mit der Mehrheit des Seouler Stadtparlaments, die die Durchsetzung einer unentgeltlichen Schulspeisung in der Hauptstadt propagierte. Bürgermeister Oh nutzte sein Veto-Recht und ließ dann eine Bürgerabstimmung durchführen, in der die Frage geklärt werden sollte. Er verlor sie und löste kurz darauf sein Versprechen ein, im Falle einer Niederlage zurückzutreten. Auch hier hatte die Opposition klar Stellung bezogen und sich die Anliegen der Bürger politisch zu Herzen genommen.
Das ist auch bei den Menschen angekommen, die sich schließlich gegen das Veto des Bürgermeisters aussprachen. Die Stimmung wurde 2011 bei der Nachwahl des vakanten Bürgermeisteramtes erneut bestätigt. Gewählt wurde mit Park Won-Soon eine bekannte Persönlichkeit der Zivilgesellschaft, der der Oppositionspartei nahesteht (er ist nach seinem Amtsantritt der DVP beigetreten), und bekannt ist für seine Ideen und Aktionen stark sozialdemokratischen Charakters.

Parteien

Fast allen Parteien in Korea ist gemein, dass ihnen von den Wählern sehr wenig Vertrauen entgegengebracht wird. Es herrscht seit jeher eine starke Parteienverdrossenheit, da man in Korea noch nicht einmal auf ein angenommenes „Goldenes Zeitalter der Parteien“ zurückschauen kann. Begründet liegt dieses Misstrauensverhältnis wahrscheinlich unter anderem in den drei zentralen Charakteristika der Parteien in Korea. Erstens, Parteien haben sich seit dem ersten Parlament Ende der 1940er Jahre immer wieder gespalten, (wieder) fusioniert und/oder neugegründet entlang der Interessen von charismatischen Führern und nicht entlang von sozioökonomischen Bruchlinien (cleavages). Zweitens, es gibt seit jeher immer wieder Politiker, die in Parteien ein- und austreten sowie Parteien wechseln nicht aus Überzeugung, sondern um ihrer persönlichen Vorteile willen. Drittens, Parteien standen schon immer im meistens berechtigten Verdacht, die Wähler nur als Stimmvieh anzusehen und ausgenommen von den Wahlterminen nach den Interessen der Parteiführung bzw. der verschiedenen innerparteilichen Faktionen zu handeln. Dies bezieht sich zum einen sowohl auf die ignorante Haltung gegenüber demokratischen Prinizipien als auch auf das Übertreten von Gesetzen. Diese Ursachen für die Parteienverdrossenheit wirken bis heute nach wie eine Erblast. Während der zehn Jahre unter den Präsidenten Kim Dae-Jung und Roh Moo-Hyun hat es verschiedene Reformen und tatsächliche Veränderungen in der Politik gegeben, nach dem Reformhöhepunkt im Jahr 2004 jedoch neigt sich der Reform-Graph wieder steil nach unten. Die statistisch erfassten Fälle von Vergehen gegen das Wahlgesetzt während des Wahlkampfes der vergangenen Wochen gehen weit über bisherige Erfahrungen hinaus. Es gab insgesamt 1096 Fälle, in denen es zu einer offiziellen Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft kam. In 39 Fällen wurden Personen verhaftet. Das ist eine Steigerung im Vergleich zu vor vier Jahren um 38,4% und es wird darauf hinauslaufen, dass im kommenden Oktober, kurz vor den Präsidentschaftswahlen, eine umfangreiche Nachwahl anberaumt werden muss. In den meisten Fällen handelte es sich um absichtliche Verbreitung falscher Informationen über den Kontrahenten, Bestechung oder andere Fälle von illegalen oder gewalttätigen Aktionen.
Zum anderen ist insbesondere die Ämtervergabe, aber auch die Kandidatennominierung hier zentral, wie sich ebenfalls bei dieser Wahl erneut deutlich erkennen ließ.

Neue Welt Partei (NWP)

Vor diesem Hintergrund hat sich die NWP strategisch sehr klug und die DVP strategisch sehr unklug verhalten. Erstens waren die Voraussetzungen für die NWP insofern gut, als dass sie auf eine vergleichsweise lange Geschichte zurückschauen kann. Das letzte Mal, dass sich die Partei umbenannt hatte, war 1997. Sie war damit die Partei mit der längsten Lebensdauer. Dass diese lange Geschichte der NWP ihren Ursprung in den Parteien der Diktaturen hatte, scheint dabei weniger gestört zu haben. Zweitens hat die Partei mit der Benennung Park Geun-Hyes zur Notstandsvorsitzenden eine gute Wahl getroffen, um sich erfolgreich vom „lahmenden“ Blauen Haus zu distanzieren. Sie hatte im parteiinternen Vorwahlkampf 2007 zwar gegen Lee Myung-Bak verloren, aber sich in ihrem Kampf die Sporen verdient, die ihr nun zu Gute kamen. Auch mit dem politischen Familienerbe im Rücken aus der Zeit, als ihr Vater Park Chung-Hee als Militärdiktator regierte, konnte sie ihrer Partei eine gewisse wenn auch ambivalente Autorität verschaffen. Vor diesem Hintergrund konnte sie sich und ihrer Partei den Anschein zu geben, auch sie wolle die Regierung abstrafen. Dies hat sie, drittens, medienwirksam mit der symbolischen Parteierneuerung umgesetzt. Der Parteiname wurde von Hannaradang in Neue-Welt-Partei geändert, die Parteifarbe von Blau in Rot geändert und ein innovatives Parteilogo kreiert. Desweiteren wurde diese explizierte Selbstreform bei der Aufstellung der Kandidaten unterstrichen, bei der einige politische Schwergewichte, die dem amtierenden Präsidenten nahestehen, ausgehebelt wurden. Dass sich unter den nominierten Kandidaten neben vielen ihrer Vertrauten auch Frauenbelästiger, akademische Täuscher und unglaubwürdige Jungtalente befanden, machte dabei offensichtlich keinen Unterschied.

Demokratische Vereinte Partei (DVP)

Die DVP hingegen machte vieles strategisch falsch und wurde auf den letzten Metern umso mehr von ihren Nominierungspannen eingeholt. Nach Analysen der Wahlexperten war es nämlich der Skandal um den Kandidaten Kim Yong-Min, der dafür gesorgt hat, dass in vielen Fällen, in denen die Entscheidung sehr knapp ausfiel, eher dem Kandidaten des Regierungslagers der Zuspruch gegeben wurde. Doch entscheidend für den gesamten Wahlausgang war dieser eine Skandal sicherlich nicht. Das Prozedere der Kandidatenaufstellung insgesamt ist einer der entscheidenden Punkte. Die DVP stellte eine Reihe von Kandidaten auf, die umstritten waren, entweder aus persönlichen Gründen oder weil der Kandidat der falschen Faktion der Partei angehörte. Die DVP hat sich erst Mitte Dezember vergangenen Jahres aus verschiedenen politischen Kräften des Oppositionslagers zusammengefunden. Damals vereinigte sich die Demokratische Partei (DP) mit der Bürgervereinigungspartei (BVP), die sich kurz zuvor aus Gruppen der Zivilgesellschaft, Gefolgsleuten des vorherigen Präsidenten Roh Moo-Hyun und einem der zwei Gewerkschaftsdachverbände, der FKTU (Federation of Korean Trade Unions), gegründet hatte. Beabsichtigt war, eine möglichst breite Front gegen das Regierungslager in einer Partei zu schaffen, doch gleichzeitig bedeutete die Fusion auch potentielle Konflikte im Innern. Bei der Aufstellung der Kandidaten sind dann eben diese Konflikte zu Tage getreten, da jede Faktion ihren Anteil an Nominierungen einforderte und der Wille der Bürger, den sie eigentlich vertreten sollten, in vielen Fällen auf der Strecke blieb. Das ist den Wählern nicht verborgen geblieben. Auch in der NWP gab es innerparteiliche Auseinandersetzungen zwischen den beiden großen Lagern der pro-Park-Geun-Hye- und der pro-Lee-Myung-Bak-Faktion. Doch wahrscheinlich war es die weise die Einsicht vor allem des pro-Lee-Lagers, dass die meisten sich schließlich doch stillschweigend zum Bauernopfer machen ließen und nicht wie zuvor angekündigt als Parteilose antraten, um dann nach einer erfolgreichen Wahl wieder in die NWP einzutreten. So stand die NWP am Ende als reformwillige Partei da, die sich deutlich von der Lee-Regierung distanziert. Die DVP hingegen gab sich in der Öffentlichkeit den Anschein, dass es nur noch darum ginge, die so sicher geglaubte Macht schon einmal auf die verschiedenen Kräfte des eigenen Lagers zu verteilen. Der schlechte Eindruck, den die Partei damit auf die Wähler gemacht hat, ist umso stärker ausgefallen, als dass sich die DVP ebenfalls Reform und Innovation auf die Fahnen geschrieben hatte; hier jedoch in aller Öffentlichkeit offenbar völlig schamlos genau das Gegenteilige praktizierte.
Der zweite große Patzer der Parteführung der DVP war, dass man außer Negativwahlkampf keine stichhaltige, deutliche und konkrete Wahlkampfagenda hatte. Die DVP schien sich in Sicherheit zu wiegen, dass die Lee Myung-Bak-Regierung durch ihren anti-demokratischen Führungsstil dem Regierungslager schon ausreichend Schaden zugefügt hätte. So gab es für die zu umwerbenden Wähler keine klare Message, keine Vision – kurz: keinen entscheidenen Grund, weshalb man sich als Wähler unbedingt für einen Regierungswechsel hätte entscheiden sollen. Selbst der ungeheuerliche Abhörskandal wurde von der DVP nur als ein weiterer Punkt in ihre Liste aufgenommen, die im Wahlkampf immer einfach nur widerholt wurden. Echtes Engagement, aktives Vorgehen und überzeugende Alternativen zeigte die DVP nicht. Die Parteivorsitzende und ehemalige Ministerpräsidentin Han Myung-Sook nahm zwei Tage nach der Wahlschlappe ihren Hut. Sie hat damit die Verantwortung für die groben Fehler der Parteiführung übernommen. Manche behaupten, sie sei von Anfang an die falsche Besetzung gewesen, weil man sie zwar als harmonisierende Führungspersönlichkeit schätze, aber in einer kriegsähnlichen Wahlkampfzeit es eher eines Generals bedürfe – oder eben der Tochter eines solchen wie im Fall von Park Geun-Hye.

Vereinte Progressive Partei (VPP)

Aus historischen Gründen war es in Korea für Parteien links von Konservativen und Liberalen immer schwer nur einen Fuß ins Parlament zu setzen. Bereits vor der Teilung 1948 war der Kalte Krieg ausgebrochen. Die USA hatten den Süden der Halbinsel besetzt und auch auch unter dem damaligen südkoreanischen Staatsführer Rhee Syngman (Yi Sŭng-Man) blieb man im Süden stark antikommunistisch. Daran änderte sich nicht viel während der Dekaden der Militärdiktaturen zwischen den Jahren 1961 und 1993 und wurde erst mit dem Amtsantritt Kim Dae-Jungs 1998 entscheidend geschwächt. Es war ein historischer Moment als 2004 mit den zehn Abgeordneten der Demokratischen Arbeiterpartei (DAP) zum ersten Mal eine progressive Partei links von Konservativen und Liberalen ins Parlament einzog. Das war das Ergebnis einer veränderten Gesellschaft, aber auch der Reform des Wahlgesetzes, durch die das Verhältniswahlrecht mittels Zweitstimme eingeführt wurde. Die Zustimmung durch die Zweitstimme war bei der DAP so gleichmäßig über das ganze Land verteilt wie bei sonst keiner anderen Partei. So konnten ganze acht Kandidaten (13,1%) der Parteiliste in die Nationalversammlung einziehen. Zwei Mandate wurden direkt gewonnen. Doch bereits vier Jahre später kam die Ernüchterung. Die Unterstützung schrumpfte auf 5,7% der Zweitstimmen (3 Sitze) zusammen und nur zwei Wahlbezirke konnten gewonnen werden. Daraufhin spaltete sich die Progressive Neue Partei (PNP) 2008 von der DAP ab, um dem fundamentalistischen Anschein der Partei zu entkommen und sich mehr populär und salonfähig zu geben. Im vergangenen Jahr kam es jedoch zu erneuten Konflikten in der PNP, in Folge dessen sich wieder Teile abspalteten, um wieder mit der DAP zur heutigen VPP zu fusionieren. Hinzu kamen wieder andere aus dem engeren Umfeld des ehemaligen Präsidenten Roh Moo-Hyun und zivilgesellschaftliche Gruppen. Schließlich tat sich diese salonfähige progressive Partei mit der liberalen DVP zusammen, um sich an der breiten anti-Lee-Myung-Bak-Front zu beteiligen. Quantitativ hat sie von den ausgehandelten Kandidatenvereinigungen per Umfrage profitiert, sie erkämpfte sieben Direktmandate, in ihrer allgemeinen Unterstützung bei den Wählern ist sie jedoch wieder hinter ihrem Ergebnis von 2004 zurückgeblieben. Auch von ihrem erklärten Ziel mit 20 Abgeordneten eine eigene Fraktion im Parlament zu bilden, blieben sie weit entfernt. Bedrückender jedoch ist, dass isch die VPP weit aus ihrer links-progressiven Ecke herausbewegt hat, um dennoch ohne entscheidendes Mitspracherecht auf der Strecke zu bleiben. Neben dieser nicht unproblematischen Kompromissbereitschaft sind die Gründe für das Scheitern der VPP vor allem im bedenklichen Prozedere des (Vor-) Wahlkampfes zu suchen. Denn auch hier sind zweifelhafte Kandidaten auf Grund von innerparteilichen Faktionsinteressen aufgestellt, authentische Kandidaten der Kandidaturvereinigung geopfert geworden, und in einem entscheidenden Fall hat man sich sogar zu plumper Wahlkampfmanipulation hinreißen lasse. Dies trifft die VPP umso mehr, als dass von einer progressiven Partei ein höheres Niveau an moralischem Verhalten – zu recht – erwartet wird. Das heißt, auch hier wurde wertvolles Kapital verschenkt.

Trends

Bei dieser Wahl konnten zum ersten Mal Auslandskoreaner in 107 Ländern per Briefwahl teilnehmen. Zwischen Ende März und Anfang April hätten rund 2,2 Millionen Koreaner, die im Ausland leben, durch Briefwahl ihre Stimme abgeben können. Doch nur ca. 120 meldeten sich überhaupt dafür an und schließlich waren es nur knapp 57.000, die tatsächlich den Gang zu ihrem Konsulat machten, wo die Briefwahlurnen aufgestellt waren. Die Wahlbeteiligung der angemeldeten Auslandskoreaner betrug 45,7%, zählt man jedoch alle im Ausland lebenden wahlberechtigten dazu, lag die tatsächliche Beteiligung bei nur 2,5%. Koreaner, die für eine begrenzte Zeit im Ausland leben, konnten bereits Mitte der 1960er bis in die frühen 1970er Jahre hinein wählen. Durch die Verschärfung der Diktatur in den 1970er Jahren, wurde ihnen das Recht jedoch wieder entzogen. Seit Ende der 1990er Jahre gab es immer wieder Versuche, das Wahlrecht auch für im Ausland lebende Koreaner mit einer anderen Staatsangehörigkeit bzw. Aufenthaltsgenehmigung, dich sich also langfristig im Ausland aufhielten, per Verfassungsklage durchzusetzen. Erst im Sommer 2007 entschied das südkoreanische Verfassungsgericht schließlich, dass das Wahlgesetz, das im Ausland lebenden Koreanern das Wahlrecht nicht zubilligte, verfassungswidrig sei. Die betreffenden Paragraphen des Gesetzes wurden entsprechend geändert. Umgekehrt können seit 2005 Ausländer, die in Korea leben, auch an Wahlen teilnehmen. Jedoch müssen sie nach Erhalt ihrer Aufenthaltserlaubnis mindestens drei Jahre im Land gelebt haben; das Wahlrecht beschränkt sich außerdem auf regionale Wahlen. Ausländer, die die koreanische Staatsbürgerschaft haben, können an allen Wahlen teilnehmen. Aktuell leben etwas mehr als 1 Millionen Ausländer in Südkorea.
Bei diesen Parlamentswahlen sind zum ersten Mal Abgeordnete mit Migrationshintergrund ins Parlament gewählt wurden, sowie eine Reihe verhältnismäßig junger Kandidaten. Die beiden zugewanderten Kandidaten sind der 53-jährige Cho Myŏng-Chul (NWP) aus Nordkorea und die 35-jährige Jasŭmin Lee (NWP) von den Philippinen. Verhältnismäßig junge Kandidaten sind der 30-jährige Kim Kwang-Chin (DVP), die 32-jährige Kim Chae-Yŏn (VPP), die 34-jährige Chang Ha-Na (DVP) und der 35-jährige Mun Tae-Sŏng (NWP), der 36-jährige Yi Chae-Yŏng (NWP) imd der 38-jährige Kim Sang-Min (NWP). Die Abgeordneten dieser Legislaturperiode sind im statistischen Durschnutt knapp 54 Jahre alt. Außer im letzten Fall handelt es sich dabei um Abgeordnete, die mit Listenplätzen in die Nationalversammlung einziehen. Insgesamt haben alle Parteien bei diesen Wahlen viele sehr junge Kandidaten ins Rennen geschickt, um einem allgemeinen Trend zu entsprechen. Die zuhnemende Internetöffentlichkeit spätestens seit den Kerzenlichterdemonstrationen Anfang 2008 hat dafür gesorgt, dass sich die Parteien diesen Medien und den jungen Nutzern dieser Medien zuwenden. Außerdem sind Jugendarbeitslosigkeit, Studiengebühren und Altersversorgung auch in Südkorea längst zentrale Themen.
Der Anteil der Frauen im Parlament ist nach diesen Wahlen gestiegen. Durch Direktwahlen ist mit 19 Abgeordneten die bisher höchste Zahl erreicht worden. Ganze 13 davon stellt die DVP. Vor vier Jahren waren es 14, 2004 zehn und 2000 sechs Sitze, die von Frauen gewonnen werden konnten. Dabei waren mit nur 63 Kandidatinnen weniger als die Hälfte ins Rennen gegangen als noch vor vier Jahren (132 weibliche Kandidaten). Zusammen mit den Frauen, die durch quotierten (50%) Listenplätze in die Nationalversammlung kommen, sind es insgesamt 60 Frauen unter 240 Männern, die im Zentrum der Politik für die kommenden vier Jahre mitmischen werden.
Die sogenannten Sozialen Netzwerkdienste (Social Network Services – SNS), wie Facebook oder Twitter nehmen auch in Korea eine wichtige Stellung in der Nachrichtenkonsumption wie auch im alltäglichen Meinungsaustausch ein. Es gibt wahrscheinlich keine Partei und keinen Politiker, der nicht bei mindestens einem der verschiedenen Dienste angemeldet ist und so von sich Reden macht. Einige Analysen sprechen von 10% zusätzlichen Stimmengewinns im Falle der aktiven SNS-Nutzung vor und während des Wahlkampfes. Tendenziell waren es eher die Liberalen und Progressiven, die sich der neuen Technik bedienten, wenn die Rechtskonservativen in den letzten Jahren auch stark aufgeholt haben. Und so wurde dem Einfluss der Diskurse in den Internetmedien auch für die Wahlen große Bedeutung beigemessen. Schaut man sich jedoch das Ergebnis an, scheint die Wirkung an den Stadtgrenzen der Hauptstadt Halt zu machen. Hauptsächlich ist dies wahrscheinlich dem Umstand zuzuschreiben, dass die überwiegende Mehrzahl der SNS-Nutzer dem Mitte-Links-Spektrum zuzuordnen sind, und die drei großen rechtskonservativen Zeitungshäuser (Choson Ilbo, Joongang Ilbo, Donga Ilbo) zusammen mit den mittlerweile einseitig regierungsfreundlichen Fernseh- und Radiosendern (KBS, MBC, SBS, YTN) immer noch ein sehr starkes Gegengewicht ausmachen. Deshalb ist die öffentliche Netzmeinung keinesfalls mit der öffentlichen Offlinemeinung gleichzusetzen. Mit anderen Worten, der Trend zu einem Regierungswechsel, der sich im Netz abzuzeichnen schien und an dem sich offensichtlich die meisten Wahlexperten orientierten, war eine falsche Fährte – der koreanische Frühling blieb aus.
Auch der Regionalismus, von dem man bei den Wahlen vor vier Jahren nur noch wenig zu spüren meinte, hat sich bemerkbar gemacht, wenn auch schwächer als es im ersten Augenscheint aussieht. Die Ergebnisse nach Wahlbezirken zeigen (siehe Grafik 6), dass die NWP ihre traditionellen Hochburgen im Südwesten alle bis auf vier Ausnahmen gewonnen hat. Hinzu kommen weite Teile der zentral gelegenen Provinz Ch’ungch’ŏng und die nordöstlichen Provinzen Kangwon und Kyŏnggi. Die sogenannte Honam-Region im Südwesten wie auch die Insel Cheju, die traditionell in der Hand der Opposition sind, hingegen sind eindeutig von Kandidaten der DVP oder der kooperierenden VPP beherrscht. Schließlich konnte die Opposition in der traditionell liberalen Hauptstadt Seoul einen großen Vorsprung gegenüber der Regierungspartei retten. Hier gewann die Opposition 32 der 48 Wahlbezirke, während das Regierungslager auf nur 16 kam.

Ein weiterer Hinweis darauf, dass regionalistische Tendenzen einen nicht zu vernachlässigen Einfluss auf das Wahlergebnis genommen haben, sind die gescheiterten Versuche mehrerer Kandidaten in der Hochburg des jeweils anderen Lagers zu gewinnen. Die prominentesten Fälle haben sich in in den südwestlichen Wahlbezirken Kwangjus und Cheonjus und den südöstlichen Wahlbezirken Taegus und Pusans ereignet. In den traditionell oppositionellen Hochburgen haben Kandidaten Yi Chŏng-Hyŏn und Chŏng Un-Ch’an (beide NWP), in den traditionell konservativen Hochburgen Kandidaten Kim Pu-Kyŏm und Mun Sŏng-Kŭn (beide DVP) an ihren Herausforderung gescheitert. Sie verloren jedoch jeweils mit rund zehn Prozentpunkten Rückstand nur knapp, was durchaus als Zeichen für die weitere Erweichung des hartnäckigen Regionalismus interpretiert werden kann. Die Erfolge der Kandidaten Mun Hong-Ch’ŏl (DVP) und Cho Kyŏng-T’ae (DVP) in den Städten Kimhae und Pusan können in derselben Richtung gedeutet werden. Ein Ende des „primitiven Regionalismus“, wie es von manchen bei den letzten Wahlen bereits in nahe Aussicht gestellt wurde, ist aber offensichtlich doch noch nicht erreicht.
Eine Tendenz, die sich bei diesen Wahlen jedoch herauszuschälen scheint, ist die zunehmende Wichtigkeit der verschiedenen Altersgruppen mit entsprechend anders ausgerichtetem Wahlverhalten. Insbesondere den Wählern im Alter von 20 bis Ende 30 sagt man nach, progressiv bis liberal und den Rechtskonservativen gegenüber kritisch eingestellt zu sein. Insbesondere in Seoul lag die Wahlbeteiligung dieser jüngeren Wähler im Verhältnis zum restlichen Land mit 64,1% relativ hoch. Hier liegt wahrscheinlich ein nicht unwesentlicher Grund für das gute Abschneiden des Oppositionslagers. Im landesweiten Durchschnitt war die Wahlbeteiligung der jeweiligen Kohorte umso höher desto älter die Wähler waren. Dies erklärt zu einem gewissen Teil den übermäßigen Zuspruch für das Regierungslager. Vor diesem Hintergrund sprechen manche schon davon, dass regionale und ideologische Unterschiede hinter die Auswirkung unterschiedlicher Ansichten der verschiedenen Generationen zurücktreten werden.

Ausblick

Schon mehrmals hat es „Superwahljahre“ wie dieses gegeben. Im Dezember 2007 entschied Lee Myung-Bak die Präsidentenwahlen für sich und nur fünf Monate später gewann die Regierungspartei (damals noch unter dem Namen Hannaradang) die Parlamentswahlen haushoch. Hier hat sich die kurze Zeitspanne zwischen den Wahlen als ein entscheidender Faktor für den Ausgang der Parlamentswahlen herausgestellt. Auch die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen jeweils im Dezember 1987 und im April 1988 folgten mit fünf Monaten sehr schnell aufeinander. Dahingegen liegen die sieben Monate Zeitunterschied in diesem oder die acht Monate zwischen die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen jeweils im März und Dezember des „Superwahljahrs“ 1992 viel weiter auseinander. Dennoch sind die sieben Monate bis zum 19. Dezember 2012 ein sehr kurze Zeit; insbesondere für das Oppositionslager, um sich zu sammeln und neu zu positionieren.
Doch auch das Regierungslager wird sich anstrengen müssen, will man auch das Blaue Haus weiterhin in seiner Gewalt behalten. Anders als bei den Parlamentswahlen sind regionale Fragen oder Fragen der einzelnen Wahlbezirke weit weniger wichtig und hauptsächlich die Unterstützung der Partei des jeweiligen Präsidentschaftskandidaten ausschlaggebend. Nach den Zweitstimmen zu urteilen, ist die Unterstützung bei den Wählern für das Regierungs- und das Oppositionslager in etwa gleichverteilt. Der Wahlsieg geht folglich aus den Erfolgen in den einzelnen Wahlbezirken aus. Außerdem kann man davon ausgehen, dass sich das Regierungslager bei diesen Wahl mit aller Macht gegen die drohende Übermacht des Oppositionslagers gestemmt hat. Das heißt, dass sie dieses Ergebnis bei den Präsidentenwahlen schwerlich wird überbieten können. Hinzu kommt, dass auch die Wahlkampfthemen sich enger an der Regierungspolitik insgesamt orientieren werden. Schließlich werden Präsidentenwahlen in Korea immer schon hauptsächlich in der Hauptstadtregion entschieden, in der rund ein Viertel der Bevölkerung lebt. Und gerade hier hat die NWP dieses Mal eine relativ deutliche Schlappe hinnehmen müssen.
Der nächste Akt des Politik-Dramas wird voraussichtlich von den Auseinandersetzungen um die Zusammensetzung des Parlaments bestimmt sein. Wie immer in Korea nach Parlamentswahlen ist auch dieses Mal zu erwarten, dass es harte Kämpfe um die einflussreichen Positionen der wichtigen Ausschüsse geben wird. Abgesehen davon ist wahrscheinlich, dass die Streitfragen, die im Wahlkampf nicht geklärt werden konnten, spätestens hier wieder aufbrechen werden. Schließlich kann man annehmen, dass in vielen Wahlbezirken nachgewählt werden muss, weil es bereits laufende Verfahren in vielen Fällen von Übertretung des Wahlgesetztes gegeben hat. Das heißt, dass bereits lange vor dem eigentlichen Wahlkampf für die Präsidentenwahlen im Dezember der letzte Akt begonnen werden wird.

Fazit

Die stetig niedrige Wahlbeteiligung und das damit einhergehende Problem der unverhältnismäßigen Repräsentation sind ein Phänomen, das fast alle Industrienationen teilen. Dass neben grundlegenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Großproblemen, die ebenfalls in den meisten Ländern zu finden sind, selbst die so aktive Internetöffentlichkeit Koreas nicht viel gegen die Parteienverdrossenheit anrichten konnte, ist bedenklich. Es macht umso deutlicher, wie wichtig es ist, die Aufgaben und Praxis der Parteien zu hinterfragen und zu reformieren.
Der deutliche Anstieg von Gesetzesverstößen während des Wahlkampfes und die eklatanten Rückschritte im Prozedere der innerparteilichen Nominierung von Kandidaten geben Anlass, sich Sorgen um die Parteien zu machen. Wie kommt man heraus aus diesem Dilemma? Technokratische Flickereien an Gesetzen sind Verschlimmbesserung. Es muss ein grundsätzliches Umdenken in den Köpfen stattfinden.
Die Versäumnisse der Nationalen Wahlkommission (NAW) alarmieren, weil sie häufig einseitige Tendenzen zur Regierungsfreundlichkeit zeigen. Die NAW hat in den letzten Jahren des Öfteren Wahllokale kurzfristig verlegt, ohne dies ausreichend bekannt zu geben und hat bei offensichtlichen Vergehen zweifelhafte Entscheidungen im Sinne regierungsnaher Politiker gefällt. Im Vorfeld dieser Wahlen informierte die Internetseite der NAW, dass die Wahllokale um 20 Uhr schließen würden, nur um kurz vor dem Wahltag dies plötzlich in 18 Uhr umzuwandeln. In einem Seouler Wahlbezirk wurden kurz vor der Stimmenauszählung 28 unversiegelte Wahlurnen entdeckt.
Die Demokratisierung und Reformierung der Politik in Südkorea schien mit dem neuen Jahrtausend vielversprechend voranzukommen. Doch spätestens der schwache Negativwahlkampf der Opposition bei den Präsidentenwahlen 2007 und die in beiden Lagern auftretenden Unregelmäßigkeiten bei der Aufstellung von Kandidaten für die Parlamentswahlen 2008 waren eine deutliche Warnung. In den vergangenen vier Jahren unter Päsident Lee Myung-Bak, der von Anfang an erklärte, er wolle nichts mit Yŏido, dem Sitz des Parlaments, zu tun haben, hat sich die Schlammschlacht zwischen einer immer ignoranteren Regierungspartei und einem immer überheblicheren Oppositionslager noch verschlimmert. Der Rest dieses Jahres wird zeigen, ob die Präsidentschaftswahlen diese Art der Politik weiter auf die Spitze treibt oder einen positiven Durchbruch ermöglichen wird.

Nachwahlen in Südkorea: Das Pendel schlägt zurück – Regierungspartei zeigt Nerven, Opposition probiert Handlungsfähigkeit.

Kommentar zu den Nachwahlen vom 27. April 2011

  • Mit knapp 40% wurde die zweithöchste Wahlbeteiligung bei Wiederholungs- und Ersatzwahlen erzielt, die hauptsächlich auf die besondere Situation am Vorabend des Superwahljahres 2012 und die strategische Kandidatur von politischen Schwergewichten zurückgeführt werden kann.
  • Verlierer der Wahl sind das weiter zersplitterte Regierungslager der Großen Nationalpartei (GNP) und die Newcomerpartei von Ryu Shi-Min sowie er selbst, während die Demokratische Partei (DP) rechtzeitig vor den Wahlen im kommen-den Jahr symbolisch aufholt.
  • Klarer Gewinner ist der Parteivorsitzende der DP, Sohn Hak-Kyu, der nicht nur seine Position in der Partei stärken konnte, sondern auch insgesamt seine Aus-sichten auf Unterstützung seiner nun sehr wahrscheinlichen Kandidatur für das Präsidentenamt im kommenden Jahr deutlich verbessert hat.
  • Die ehemalige Vorsitzende der GNP, Park Geun-Hye, und ihre Faktion haben ebenfalls eine bessere Position für das anstehende interne Kräftemessen gegenüber den Lee Myung-Bak-Getreuen.
  • Die Hauptschauplätze der Wahlen waren bestimmt von bedenklichen Kandidatenaufstellungen, Negativkampagnen und dem Einsatz illegaler Wahlkampf-methoden; von den Wählern ist die politische Klasse dafür nicht in jedem Fall abgestraft worden.
  • Die Karten sind neu gemischt, rechtzeitig zum Wahlschaltjahr, in dem ansteht, klarzustellen, ob das Volk mit dem rechtskonservativen Ruck der vergangenen fünf Jahre einverstanden war, oder doch wieder mehr Demokratie wagen möchte.
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