Parlamentswahlen in Südkorea: Volksverdrossene Parteien konnten das parteiverdrossene Volk nicht überzeugen

Die Regierungspartei (Saenuridang) konnte die Wahl deutlich für sich gewinnen, weil sie sich gegenüber der Lee Myung-Bak-Regierung erfolgreich als ‚Opposition im Regierungslager‘ darstellen konnten; dies ist hauptsächlich der Parteiführerin Park Geun-Hye zu verdanken.
Die Oppositionspartei (Minju Tonghapdang) blieb sehr weit hinter ihren Möglichkeiten zurück, die Mehrheit im Parlament zu übernehmen, weil sie sich und ihre Ideen nicht deutlich positionieren konnte und in ihrem Negativwahlkampf überheblich erschien.
Die Vereinte Progressive Partei (VPP oder Tonghap Chinbodang) feierte zwar einen quantitativen Sieg von nicht weniger als 13 Sitzen im Parlament, ihre allgemeine Unterstützung im Volk jedoch schrumpfte, wie auch ihre progressive Identität.
Park Geun-Hye hat sich nicht nur innerhalb der Regierungspartei, sondern auch außerhalb dieser als starke Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen im Dezember positioniert. Das Rennen ist jedoch noch vollkommen offen.

Die Wahlbeteiligung war mit 54,3% höher als bei den Wahlen im Jahr 2008 (46,1%), aber im Allgemeinen immer noch niedrig, z.B. niedriger als bei den letzten regionalen Wahlen im Jahr 2010 (54,4%).

Kommentar zu den Parlamentswahlen in Südkorea am 11. April 2012

(PDF)

Hannes B. Mosler

Instiut für Koreastudien

Freie Universität Berlin

Wahlergebnis

Das Endergebnis spricht eine deutliche Sprache. 127 der zu vergebenden 246 Direktmandate gingen an die konservative Regierungspartei Neue-Welt-Partei (NWP oder Saenuridang), während die lieberale Oppositionspartei Demokratische Vereinte Partei (DVP oder Minju Tonghapdang) nur 106 Sitze erringen konnte. Die progressive Vereinte Progressive Partei (VPP oder Tonghap Chinbotang) erreichte sieben Direktmandate, womit sie die ehemals weitaus stärkere rechtskonservative Partei für Freiheit und Fortschritt (PFF oder Chayuseonjindang) auf den vierten Platz (3 Direktmandate) verwies. Nach geltendem Wahlgesetz werden nur 54 Sitze (18%) des 300-Sitze starken Parlaments über die Zweitstimme an die Parteien vergeben. Außerdem werden die Listenplätze nach einem Modus vergeben, der – anders als zum Beispiel in Deutschland – tendenziell für die bereits großen Parteien vorteilhaft ist. Insgesamt stellt sich das Ergebnis in einer knappen aber klaren Mehrheit der Regierungspartei im Parlament dar.

Rund 40 Millionen Menschen waren am 11. April zum 19. Mal seit der Republikgründung im Jahr 1948 aufgerufen, die Abgeordneten der Nationalversammlung zu wählen. Etwas über die Hälfte der 40 Millionen Wahlberechtigten gingen auch tatsächlich an die Urnen (ca. 21,8 Mio.). Mit einer Wahlbeteiligung von 53,4% konnte man sich um 7,5%-Punkte im Vergleich zu den Wahlen 2008 (46,1%) verbessern.

Verfolgt man die Tendenz der Wahlbeteiligung in den vergangenen Jahren (Präsidentschafts-, Nationalversammlungs-, regionale etc. Wahlen) jedoch insgesamt, blieb die Wahlbeteiligung damit weiterhin niedrig.

Insbesondere das Oppositionslager und seine Unterstützer hatten sich bemüht, so viele Wähler zu mobilisieren wie möglich, da sie davon ausgingen, dass ihre Chancen bei einer höheren Wahlbeteiligung besser stünden. Tatsächlich gingen zumindest im ländlichen Bereich mehr Wähler in der Altergruppe 50 bis 70 an die Wahlurnen als ihre jüngeren Mitbürger. Die die iederlage der Opposition ist jedoch sicherlich nur zu einem sehr geringen Teil auf eine allgemein niedrige Wahlbeteiligung zurück zu führen. Ein wichtiger Hinweis auf die Hintergründe ist die Wahlbeteiligung der verschiedenen Alterskohorten. Vor allem in der Hauptstadt, in der rund ein Viertel der Bevölkerung lebt, mehr jüngere Wähler zu Wahl gegangen; in den Provinzen, vor allem im traditionell konservativen Südosten, der gleichzeitig auch die meisten Wahlbezirke hat, waren es die Älteren, die sich reger an der Wahl beteiligten. In der tendenziell konservativen Region Yŏngnam (= Nord- und Süd-Gyŏngsan sowie die Städte Pusan, Taegu und Ulsan) und leben ca. 5,6 Millionen Menschen auf rund 30.000 km², während es in der traditionell oppositionellen Region Honam (= Nord- und Süd-Jeolla und Kwangju) ungefähr 2,5 Millionen Menschen auf 20.000 km² sind. Bedenkt man, dass im Durschnitt 200.000 Wähler in einem Wahlbezirk leben, gibt es im konservativen Südosten doppelt so viele Wahlbezirke. Tatsächlich sind es insgesamt 67 Wahlbezirke in der Region Yŏngnam, während es nur 30 in der Region Honam sind.

Einschätzung

Die regierende NWP konnte die Wahl deutlich für sich gewinnen, weil sie sich gegenüber der Lee Myung-Bak-Regierung erfolgreich als Opposition im Regierungslager darstelle. Dies ist hauptsächlich der Parteiführerin Park Geun-Hye zu verdanken, die sich dadurch in eine bevorzugte Ausgangslage für die Präsidentschaftswahlen in acht Monaten gebracht hat. Im Vergleich zu den Parlamentswahlen vor vier Jahren hat die NWP zwar knapp 8% an Zustimmung eingebüßt. Sie belegt nunmehr 152 anstatt von 162 Sitze der Nationalversammlung. Aber dass sie nach rund vier Jahren desaströser Regierungspolitik dennoch die absolute Mehrheit im Parlament erreichen konnte ist ein deutliches Zeichen. Das heißt jedoch im Umkehrschluss nicht, dass damit auch schon die Präsidentschaftswahlen gewonnen wären, denn im Vergleich der Zustimmungswerte durch die Zweitstimme zeigen sich nur geringe Unterschiede, wenn nicht sogar ein kleiner Vorsprung des liberal-progressiven Lagers.
Die oppositionelle DVP blieb sehr weit hinter ihren Möglichkeiten zurück, die Mehrheit im Parlament zu übernehmen, weil sie sich und ihre Ideen nicht deutlich positionieren konnte. Sie konnte sich im Rückblick um etwas mehr als 11% – von 80 auf 127 Sitze -verbessern, wäre jedoch selbst mit der Hilfe von kleineren Koalitionspartnern in der Minderheit. Die Ausgangslage der DVP bei diesen Wahlen war weitaus besser als vor vier Jahren, da Skandale des Regierungslagers wie Pilze aus dem Boden sprossen. Doch hauptsächlich Fehler in der Parteiführung haben dazu geführt, dass man den „gedeckten Tisch umwarf“ und schließlich mir leeren Händen und leerem Magen dastand.
Für die VPP scheinen die 13 Sitze im Parlament zunächst ein großer Sieg, wenn man bedenkt, dass sie bei ihrem ersten Parlamentseinzug 2004 insgesamt 10 Sitze erhielt. (Vor vier Jahren waren es 7 Sitze.) Doch diese quantitative Verbesserung steht im Unverhältnis zu den Einbußen an Qualität. Denn die VPP ist längst nicht mehr so progressiv, wie ihr Name Glauben machen will, und ihre allgemeine Unterstützung im Volk ist in der Zwischenzeit sogar von 13,1% auf 10,3% zusammengeschrumpft. Die PNP (Progressive Neue Partei oder Chinbosin‘gdang), die sich von der VPP abgespalten hatte, ist gar völlig in der Versenkung verschwunden; das gilt jedoch auch für andere Kleinparteien, auch des rechtskonservativen Lagers.
Die geringe Wahlbeteiligung trotz zahlreicher Skandale, der schlechten Situation des Landes und der Bemühungen des gesamten Oppositionslagers und der jungen Menschen auch im Internet ist erschütternd. Die Wahlbeteiligung ist mit 54,3% zwar etwas höher als bei den letzten Wahlen 2008, aber im Allgemeinen immer noch niedrig; z.B. niedriger als bei den letzten regionalen Wahlen im Jahr 2010 (54,4%). Dahinter steht das traditionelle Misstrauen gegenüber den Parteien, dessen Berechtigung von diesen im Vorfeld dieser Wahlen wieder einmal bestätigt wurde: Erstens hat keine der Parteien wichtige Fragen seriös in den Wahlkampf eingeführt. Zweitens kam es im (Vor-) Wahlkampf zu noch mehr Gesetztesverstößen als bisher. Drittens wurden Kandidaten in den Parteien hauptsächlich nach Faktionsinteressen aufgestellt. Viertens gab es immer wieder Kandidaten, die in Korruptions-, Sex- und andere Skandale verwickelt waren.

Hintergründe

Der relativ deutliche Sieg der Regierungspartei hat viele überrascht. Nach fast fünf Jahren unter der Regierung Lee Myung-Baks war das Regierungslager selbst einer der größten Skeptiker in Hinsicht auf das Wahlergebnis. Die eindeutige Mehrzahl der sogenannten Wahlexperten setzte mindestens auf einen knappen Sieg der Oppositionspartei Demokratische Vereinte Partei (DVP oder Minju Tonghapdang). Die überwiegende Einschätzung war, dass die DVP zusammen mit der Vereinten Progressiven Partei (VPP oder Tonghap Chinbodang) eine deutliche Mehrheit im 300-Sitze starken Parlament erreichen würde. Diese Einschätzungen basierten zum größten Teil auf dem Umstand, dass die regierende Administration unter Lee Myung-Bak durch die meisten ihrer Vorstöße für Unzufriedenheit in der Bevölkerung gesorgt hatte. Entsprechend lautete das Wahlkampfmotto der Opposition: „Abstrafung der Regierung“.
Die Regierung sollte abgestraft werden dafür, dass sie trotz der Wahlversprechen keine Besserung der Lebensumstände für die einfachen Bürger erreicht habe, die Volksmeinung in wichtigen Fragen wie der Lebensmittelsicherheit ignoriere, das Verhältnis zu Nordkorea weiter verschlechtere, die Umwelt durch Megabauprojekte zerstöre, die Medien- und Meinungsfreiheit über die Maßen einschränke, systematisch Bürger in ihrer Privatsphäre verletze, kurz: die Zeit zurückdrehen würde. In jüngster Vergangenheit waren noch weitere Skandale hinzugekommen. Bei den Nachwahlen zum Bürgermeisteramt von Seoul im Oktober 2010 hatten Mitarbeiter des damaligen Parlamentspräsidenten Pak Hi-Tae (NWP) einen DDoS-Angriff auf die Server der Nationalen Wahlkommission verübt, um der NWP-Kandidaten bei der Wahl zu helfen. Gegen Ende 2011 begannen sich Verdachtsmomente zu häufen, nach denen enge Verwandte des Präsidenten Lee Myung-Bak, allen voran sein älterer Bruder Lee Sang-Deuk, in Schwarzgeldaffären verwickelt seien; die Staatsanwaltschaft nahm die Untersuchung auf. Anfang 2012 wurde der Skandal um Bestechungsversuche bei parteiinternen Vorstandswahlen der NWP im Jahr 2008 publik. Auch in diesem Fall war der Abgeordnete Pak Hi-Tae involviert und trat schließlich von seinem Amt zurück. Der illegale Lauschangriff der Regierung auf Bürger, die sich im Internet kritisch über die Regierung geäußert hatten, liegt bereits zwei Jahre zurück, Anfang März dieses Jahres kamen jedoch Geständnisse und Tonbandaufnahmen von zentralen Akteuren ans Licht. Später folgten Tausende Dokumente, die im Internet veröffentlicht wurden und die Ausmaße der Bespitzelungsaktion erahnen lassen.
Zwei Wochen vor der Wahl waren in einer beispiellosen Aktion die Gewerkschaften der wichtigsten Fernsehsender des Landes in einen Streik getreten, um ihrem Protest gegenüber der regierungsfreundlichen Manipulation der Berichterstattung Ausdruck zu verleihen. Nach dem Amtsantritt Lees wurden durch rechtlich unzulässige Vorgänge die Chefintendanten der wichtigsten Rundfunkanstalten kurzerhand frühzeitig gegen regierungsfreundliches Personal ausgewechselt. Die Manipulation der Berichterstattung im Sinne der Regierung nahm mit den stark abfallenden Umfragewerten in den letzten Jahren rapide zu. Vor diesem Hintergrund sind die Erfolge von alternativen Nachrichtenquellen wie den Podcast-Sendungen „Ich bin die Hinterlist (in Person)!“ (Nanŭn Ggomsuda!) oder „Der Fragenaufklärer“ (Itŏllam) zu interpretieren. Auch die alternativen Nachrichtensendungen (MBC Chedaero Nyusŭ Teskŭ, Riset KBS Nyusŭ), die von den streikenden Medienarbeitern der großen Sender gemacht werden, werden auf Youtube immer häufiger abgerufen. Das Budget für die Herstellung solcher Sendungen liegt bei einem winzigen Bruchteil dessen, was sonst dafür bereitgestellt wird, aber die Inhalte übertreffen ihr Original deutlich an Qualität, was den Umgang mit zentralen politischen, sozialen und ökonomischen Fragen des Landes angeht.

Durch die Podcast-Sendung „Nanŭn Ggomsuda“ wurde unter anderem der Verdacht der Wahlmanipulation bei den Nachwahlen zum Bürgermeisteramt 2011 erhoben. Mehrere Personen aus dem direkten Arbeitsumfeld des damaligen Präsidenten des Parlaments wurden daraufhin verhört. Ihnen wurde zur Last gelegt, die Internetseite der Wahlaufsichtsbehörde am Tag der Wahl mit einem DDOS-Angriff lahmgelegt zu haben, damit die Bürger die neuen Orte der Wahllokale nicht finden und somit nicht wählen würden. Davon sollen sie sich versprochen haben, dass es der Kandidatin der Regierungspartei helfen würde, die Wahl für sich zu entscheiden. In der Podcast-Sendung „Itŏllam“ wurde der Lauschangriff auf einfache Bürger durch das Büro des Ministerpräsidenten publik gemacht. Kurz vor den Wahlen legte einer der Hauptakteure sogar ein Geständnis in der Sendung ab, was dazu führte, dass die Staatsanwaltschaft die Verbindungen bis ins Blaue Haus verfolgte. In den alternativen Nachrichten auf der Internetplattfrom Youtube publizieren die entlassenen Nachrichtensprecher vor allem die Berichte, die in ihrer früheren Redaktion der Zensur zum Opfer gefallen waren und gehen solchen Fällen investigativ mit Kamerteams nach.
Vor diesem Hintergrund ist es dem ersten Anschein nach mehr als verwunderlich, wenn die deutliche Mehrheit der Wahlgänger sich dennoch für die Regierungspartei entschieden hat. Wie kann man erklären, dass alles für eine Abstrafung des Regierungslagers und einen politischen Richtungswechsel gesprochen hatte, aber die Regierungspartei von den Wählern bestätig wurde? Haben die Südkoreaner über die Untaten der Regierung hinweggesehen oder sind sie im Grunde zutiefst konservativ?

Wähler

Das scheint keine plausible Erklärung. Ein Rückblick auf die vergangen Jahre legt nahe, dass viele südkoreanische Bürger durchaus in der Lage sind, die Politik kritisch zu beurteilen. Das haben hat sich kurz nach dem Amtsantritt Lee Myung-Baks und der Parlamentswahl 2008 gezeigt, als Millionen Menschen auf die Straße gingen, um gegen die seinem Volk gegenüber ignorante Politik der Regierung zu protestieren. Auch bei den verschiedenen Wahlen derletzten Jahre war dies deutlich zu erkennen. Bei den regionalen Wahlen 2010 wurde das Regierungslager noch deutlich abgestraft. Es ging damals hauptsächlich um Bildung, Umwelt und soziale Gerechtigkeit. Die Kandidaten der Opposition und ihre Partei gingen diese Themen offensiv an und konnten sich damit gegenüber dem Regierungslager klar positionieren; inhaltlich haben sie überzeugt. Außerdem begann damals die Kooperation zwischen den verschiedenen Parteien des Oppositionslagers, die konkret in zahlreichen erfolgreichen Kandidatenvereinigungen mündete.
Selbst die Katastrophe der südkoreanischen Militärfregatte „Ch‘ŏnan“, die vom nordkoreanischen Militär versenkt sein soll, hat hier dem rechtskonservativen Lager nicht als Stimmungsmacher dienen können. So deutlich war die Stimmung im Volk vor zwei Jahren. Unter den vergleichsweise wenigen Ämtern, die das Regierungslager für sich entscheiden konnte, war nur das Seouler Bürgermeisteramt von größerer Bedeutung. Der damals amtierende Bürgermeister Oh Se-Hoon setzte sich gegen seine Herausforderin Han Myung-Suk von der DVP durch. Jedoch verstrickte sich der bestätigte Bürgermeister gleich darauf in einen Streit mit der Mehrheit des Seouler Stadtparlaments, die die Durchsetzung einer unentgeltlichen Schulspeisung in der Hauptstadt propagierte. Bürgermeister Oh nutzte sein Veto-Recht und ließ dann eine Bürgerabstimmung durchführen, in der die Frage geklärt werden sollte. Er verlor sie und löste kurz darauf sein Versprechen ein, im Falle einer Niederlage zurückzutreten. Auch hier hatte die Opposition klar Stellung bezogen und sich die Anliegen der Bürger politisch zu Herzen genommen.
Das ist auch bei den Menschen angekommen, die sich schließlich gegen das Veto des Bürgermeisters aussprachen. Die Stimmung wurde 2011 bei der Nachwahl des vakanten Bürgermeisteramtes erneut bestätigt. Gewählt wurde mit Park Won-Soon eine bekannte Persönlichkeit der Zivilgesellschaft, der der Oppositionspartei nahesteht (er ist nach seinem Amtsantritt der DVP beigetreten), und bekannt ist für seine Ideen und Aktionen stark sozialdemokratischen Charakters.

Parteien

Fast allen Parteien in Korea ist gemein, dass ihnen von den Wählern sehr wenig Vertrauen entgegengebracht wird. Es herrscht seit jeher eine starke Parteienverdrossenheit, da man in Korea noch nicht einmal auf ein angenommenes „Goldenes Zeitalter der Parteien“ zurückschauen kann. Begründet liegt dieses Misstrauensverhältnis wahrscheinlich unter anderem in den drei zentralen Charakteristika der Parteien in Korea. Erstens, Parteien haben sich seit dem ersten Parlament Ende der 1940er Jahre immer wieder gespalten, (wieder) fusioniert und/oder neugegründet entlang der Interessen von charismatischen Führern und nicht entlang von sozioökonomischen Bruchlinien (cleavages). Zweitens, es gibt seit jeher immer wieder Politiker, die in Parteien ein- und austreten sowie Parteien wechseln nicht aus Überzeugung, sondern um ihrer persönlichen Vorteile willen. Drittens, Parteien standen schon immer im meistens berechtigten Verdacht, die Wähler nur als Stimmvieh anzusehen und ausgenommen von den Wahlterminen nach den Interessen der Parteiführung bzw. der verschiedenen innerparteilichen Faktionen zu handeln. Dies bezieht sich zum einen sowohl auf die ignorante Haltung gegenüber demokratischen Prinizipien als auch auf das Übertreten von Gesetzen. Diese Ursachen für die Parteienverdrossenheit wirken bis heute nach wie eine Erblast. Während der zehn Jahre unter den Präsidenten Kim Dae-Jung und Roh Moo-Hyun hat es verschiedene Reformen und tatsächliche Veränderungen in der Politik gegeben, nach dem Reformhöhepunkt im Jahr 2004 jedoch neigt sich der Reform-Graph wieder steil nach unten. Die statistisch erfassten Fälle von Vergehen gegen das Wahlgesetzt während des Wahlkampfes der vergangenen Wochen gehen weit über bisherige Erfahrungen hinaus. Es gab insgesamt 1096 Fälle, in denen es zu einer offiziellen Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft kam. In 39 Fällen wurden Personen verhaftet. Das ist eine Steigerung im Vergleich zu vor vier Jahren um 38,4% und es wird darauf hinauslaufen, dass im kommenden Oktober, kurz vor den Präsidentschaftswahlen, eine umfangreiche Nachwahl anberaumt werden muss. In den meisten Fällen handelte es sich um absichtliche Verbreitung falscher Informationen über den Kontrahenten, Bestechung oder andere Fälle von illegalen oder gewalttätigen Aktionen.
Zum anderen ist insbesondere die Ämtervergabe, aber auch die Kandidatennominierung hier zentral, wie sich ebenfalls bei dieser Wahl erneut deutlich erkennen ließ.

Neue Welt Partei (NWP)

Vor diesem Hintergrund hat sich die NWP strategisch sehr klug und die DVP strategisch sehr unklug verhalten. Erstens waren die Voraussetzungen für die NWP insofern gut, als dass sie auf eine vergleichsweise lange Geschichte zurückschauen kann. Das letzte Mal, dass sich die Partei umbenannt hatte, war 1997. Sie war damit die Partei mit der längsten Lebensdauer. Dass diese lange Geschichte der NWP ihren Ursprung in den Parteien der Diktaturen hatte, scheint dabei weniger gestört zu haben. Zweitens hat die Partei mit der Benennung Park Geun-Hyes zur Notstandsvorsitzenden eine gute Wahl getroffen, um sich erfolgreich vom „lahmenden“ Blauen Haus zu distanzieren. Sie hatte im parteiinternen Vorwahlkampf 2007 zwar gegen Lee Myung-Bak verloren, aber sich in ihrem Kampf die Sporen verdient, die ihr nun zu Gute kamen. Auch mit dem politischen Familienerbe im Rücken aus der Zeit, als ihr Vater Park Chung-Hee als Militärdiktator regierte, konnte sie ihrer Partei eine gewisse wenn auch ambivalente Autorität verschaffen. Vor diesem Hintergrund konnte sie sich und ihrer Partei den Anschein zu geben, auch sie wolle die Regierung abstrafen. Dies hat sie, drittens, medienwirksam mit der symbolischen Parteierneuerung umgesetzt. Der Parteiname wurde von Hannaradang in Neue-Welt-Partei geändert, die Parteifarbe von Blau in Rot geändert und ein innovatives Parteilogo kreiert. Desweiteren wurde diese explizierte Selbstreform bei der Aufstellung der Kandidaten unterstrichen, bei der einige politische Schwergewichte, die dem amtierenden Präsidenten nahestehen, ausgehebelt wurden. Dass sich unter den nominierten Kandidaten neben vielen ihrer Vertrauten auch Frauenbelästiger, akademische Täuscher und unglaubwürdige Jungtalente befanden, machte dabei offensichtlich keinen Unterschied.

Demokratische Vereinte Partei (DVP)

Die DVP hingegen machte vieles strategisch falsch und wurde auf den letzten Metern umso mehr von ihren Nominierungspannen eingeholt. Nach Analysen der Wahlexperten war es nämlich der Skandal um den Kandidaten Kim Yong-Min, der dafür gesorgt hat, dass in vielen Fällen, in denen die Entscheidung sehr knapp ausfiel, eher dem Kandidaten des Regierungslagers der Zuspruch gegeben wurde. Doch entscheidend für den gesamten Wahlausgang war dieser eine Skandal sicherlich nicht. Das Prozedere der Kandidatenaufstellung insgesamt ist einer der entscheidenden Punkte. Die DVP stellte eine Reihe von Kandidaten auf, die umstritten waren, entweder aus persönlichen Gründen oder weil der Kandidat der falschen Faktion der Partei angehörte. Die DVP hat sich erst Mitte Dezember vergangenen Jahres aus verschiedenen politischen Kräften des Oppositionslagers zusammengefunden. Damals vereinigte sich die Demokratische Partei (DP) mit der Bürgervereinigungspartei (BVP), die sich kurz zuvor aus Gruppen der Zivilgesellschaft, Gefolgsleuten des vorherigen Präsidenten Roh Moo-Hyun und einem der zwei Gewerkschaftsdachverbände, der FKTU (Federation of Korean Trade Unions), gegründet hatte. Beabsichtigt war, eine möglichst breite Front gegen das Regierungslager in einer Partei zu schaffen, doch gleichzeitig bedeutete die Fusion auch potentielle Konflikte im Innern. Bei der Aufstellung der Kandidaten sind dann eben diese Konflikte zu Tage getreten, da jede Faktion ihren Anteil an Nominierungen einforderte und der Wille der Bürger, den sie eigentlich vertreten sollten, in vielen Fällen auf der Strecke blieb. Das ist den Wählern nicht verborgen geblieben. Auch in der NWP gab es innerparteiliche Auseinandersetzungen zwischen den beiden großen Lagern der pro-Park-Geun-Hye- und der pro-Lee-Myung-Bak-Faktion. Doch wahrscheinlich war es die weise die Einsicht vor allem des pro-Lee-Lagers, dass die meisten sich schließlich doch stillschweigend zum Bauernopfer machen ließen und nicht wie zuvor angekündigt als Parteilose antraten, um dann nach einer erfolgreichen Wahl wieder in die NWP einzutreten. So stand die NWP am Ende als reformwillige Partei da, die sich deutlich von der Lee-Regierung distanziert. Die DVP hingegen gab sich in der Öffentlichkeit den Anschein, dass es nur noch darum ginge, die so sicher geglaubte Macht schon einmal auf die verschiedenen Kräfte des eigenen Lagers zu verteilen. Der schlechte Eindruck, den die Partei damit auf die Wähler gemacht hat, ist umso stärker ausgefallen, als dass sich die DVP ebenfalls Reform und Innovation auf die Fahnen geschrieben hatte; hier jedoch in aller Öffentlichkeit offenbar völlig schamlos genau das Gegenteilige praktizierte.
Der zweite große Patzer der Parteführung der DVP war, dass man außer Negativwahlkampf keine stichhaltige, deutliche und konkrete Wahlkampfagenda hatte. Die DVP schien sich in Sicherheit zu wiegen, dass die Lee Myung-Bak-Regierung durch ihren anti-demokratischen Führungsstil dem Regierungslager schon ausreichend Schaden zugefügt hätte. So gab es für die zu umwerbenden Wähler keine klare Message, keine Vision – kurz: keinen entscheidenen Grund, weshalb man sich als Wähler unbedingt für einen Regierungswechsel hätte entscheiden sollen. Selbst der ungeheuerliche Abhörskandal wurde von der DVP nur als ein weiterer Punkt in ihre Liste aufgenommen, die im Wahlkampf immer einfach nur widerholt wurden. Echtes Engagement, aktives Vorgehen und überzeugende Alternativen zeigte die DVP nicht. Die Parteivorsitzende und ehemalige Ministerpräsidentin Han Myung-Sook nahm zwei Tage nach der Wahlschlappe ihren Hut. Sie hat damit die Verantwortung für die groben Fehler der Parteiführung übernommen. Manche behaupten, sie sei von Anfang an die falsche Besetzung gewesen, weil man sie zwar als harmonisierende Führungspersönlichkeit schätze, aber in einer kriegsähnlichen Wahlkampfzeit es eher eines Generals bedürfe – oder eben der Tochter eines solchen wie im Fall von Park Geun-Hye.

Vereinte Progressive Partei (VPP)

Aus historischen Gründen war es in Korea für Parteien links von Konservativen und Liberalen immer schwer nur einen Fuß ins Parlament zu setzen. Bereits vor der Teilung 1948 war der Kalte Krieg ausgebrochen. Die USA hatten den Süden der Halbinsel besetzt und auch auch unter dem damaligen südkoreanischen Staatsführer Rhee Syngman (Yi Sŭng-Man) blieb man im Süden stark antikommunistisch. Daran änderte sich nicht viel während der Dekaden der Militärdiktaturen zwischen den Jahren 1961 und 1993 und wurde erst mit dem Amtsantritt Kim Dae-Jungs 1998 entscheidend geschwächt. Es war ein historischer Moment als 2004 mit den zehn Abgeordneten der Demokratischen Arbeiterpartei (DAP) zum ersten Mal eine progressive Partei links von Konservativen und Liberalen ins Parlament einzog. Das war das Ergebnis einer veränderten Gesellschaft, aber auch der Reform des Wahlgesetzes, durch die das Verhältniswahlrecht mittels Zweitstimme eingeführt wurde. Die Zustimmung durch die Zweitstimme war bei der DAP so gleichmäßig über das ganze Land verteilt wie bei sonst keiner anderen Partei. So konnten ganze acht Kandidaten (13,1%) der Parteiliste in die Nationalversammlung einziehen. Zwei Mandate wurden direkt gewonnen. Doch bereits vier Jahre später kam die Ernüchterung. Die Unterstützung schrumpfte auf 5,7% der Zweitstimmen (3 Sitze) zusammen und nur zwei Wahlbezirke konnten gewonnen werden. Daraufhin spaltete sich die Progressive Neue Partei (PNP) 2008 von der DAP ab, um dem fundamentalistischen Anschein der Partei zu entkommen und sich mehr populär und salonfähig zu geben. Im vergangenen Jahr kam es jedoch zu erneuten Konflikten in der PNP, in Folge dessen sich wieder Teile abspalteten, um wieder mit der DAP zur heutigen VPP zu fusionieren. Hinzu kamen wieder andere aus dem engeren Umfeld des ehemaligen Präsidenten Roh Moo-Hyun und zivilgesellschaftliche Gruppen. Schließlich tat sich diese salonfähige progressive Partei mit der liberalen DVP zusammen, um sich an der breiten anti-Lee-Myung-Bak-Front zu beteiligen. Quantitativ hat sie von den ausgehandelten Kandidatenvereinigungen per Umfrage profitiert, sie erkämpfte sieben Direktmandate, in ihrer allgemeinen Unterstützung bei den Wählern ist sie jedoch wieder hinter ihrem Ergebnis von 2004 zurückgeblieben. Auch von ihrem erklärten Ziel mit 20 Abgeordneten eine eigene Fraktion im Parlament zu bilden, blieben sie weit entfernt. Bedrückender jedoch ist, dass isch die VPP weit aus ihrer links-progressiven Ecke herausbewegt hat, um dennoch ohne entscheidendes Mitspracherecht auf der Strecke zu bleiben. Neben dieser nicht unproblematischen Kompromissbereitschaft sind die Gründe für das Scheitern der VPP vor allem im bedenklichen Prozedere des (Vor-) Wahlkampfes zu suchen. Denn auch hier sind zweifelhafte Kandidaten auf Grund von innerparteilichen Faktionsinteressen aufgestellt, authentische Kandidaten der Kandidaturvereinigung geopfert geworden, und in einem entscheidenden Fall hat man sich sogar zu plumper Wahlkampfmanipulation hinreißen lasse. Dies trifft die VPP umso mehr, als dass von einer progressiven Partei ein höheres Niveau an moralischem Verhalten – zu recht – erwartet wird. Das heißt, auch hier wurde wertvolles Kapital verschenkt.

Trends

Bei dieser Wahl konnten zum ersten Mal Auslandskoreaner in 107 Ländern per Briefwahl teilnehmen. Zwischen Ende März und Anfang April hätten rund 2,2 Millionen Koreaner, die im Ausland leben, durch Briefwahl ihre Stimme abgeben können. Doch nur ca. 120 meldeten sich überhaupt dafür an und schließlich waren es nur knapp 57.000, die tatsächlich den Gang zu ihrem Konsulat machten, wo die Briefwahlurnen aufgestellt waren. Die Wahlbeteiligung der angemeldeten Auslandskoreaner betrug 45,7%, zählt man jedoch alle im Ausland lebenden wahlberechtigten dazu, lag die tatsächliche Beteiligung bei nur 2,5%. Koreaner, die für eine begrenzte Zeit im Ausland leben, konnten bereits Mitte der 1960er bis in die frühen 1970er Jahre hinein wählen. Durch die Verschärfung der Diktatur in den 1970er Jahren, wurde ihnen das Recht jedoch wieder entzogen. Seit Ende der 1990er Jahre gab es immer wieder Versuche, das Wahlrecht auch für im Ausland lebende Koreaner mit einer anderen Staatsangehörigkeit bzw. Aufenthaltsgenehmigung, dich sich also langfristig im Ausland aufhielten, per Verfassungsklage durchzusetzen. Erst im Sommer 2007 entschied das südkoreanische Verfassungsgericht schließlich, dass das Wahlgesetz, das im Ausland lebenden Koreanern das Wahlrecht nicht zubilligte, verfassungswidrig sei. Die betreffenden Paragraphen des Gesetzes wurden entsprechend geändert. Umgekehrt können seit 2005 Ausländer, die in Korea leben, auch an Wahlen teilnehmen. Jedoch müssen sie nach Erhalt ihrer Aufenthaltserlaubnis mindestens drei Jahre im Land gelebt haben; das Wahlrecht beschränkt sich außerdem auf regionale Wahlen. Ausländer, die die koreanische Staatsbürgerschaft haben, können an allen Wahlen teilnehmen. Aktuell leben etwas mehr als 1 Millionen Ausländer in Südkorea.
Bei diesen Parlamentswahlen sind zum ersten Mal Abgeordnete mit Migrationshintergrund ins Parlament gewählt wurden, sowie eine Reihe verhältnismäßig junger Kandidaten. Die beiden zugewanderten Kandidaten sind der 53-jährige Cho Myŏng-Chul (NWP) aus Nordkorea und die 35-jährige Jasŭmin Lee (NWP) von den Philippinen. Verhältnismäßig junge Kandidaten sind der 30-jährige Kim Kwang-Chin (DVP), die 32-jährige Kim Chae-Yŏn (VPP), die 34-jährige Chang Ha-Na (DVP) und der 35-jährige Mun Tae-Sŏng (NWP), der 36-jährige Yi Chae-Yŏng (NWP) imd der 38-jährige Kim Sang-Min (NWP). Die Abgeordneten dieser Legislaturperiode sind im statistischen Durschnutt knapp 54 Jahre alt. Außer im letzten Fall handelt es sich dabei um Abgeordnete, die mit Listenplätzen in die Nationalversammlung einziehen. Insgesamt haben alle Parteien bei diesen Wahlen viele sehr junge Kandidaten ins Rennen geschickt, um einem allgemeinen Trend zu entsprechen. Die zuhnemende Internetöffentlichkeit spätestens seit den Kerzenlichterdemonstrationen Anfang 2008 hat dafür gesorgt, dass sich die Parteien diesen Medien und den jungen Nutzern dieser Medien zuwenden. Außerdem sind Jugendarbeitslosigkeit, Studiengebühren und Altersversorgung auch in Südkorea längst zentrale Themen.
Der Anteil der Frauen im Parlament ist nach diesen Wahlen gestiegen. Durch Direktwahlen ist mit 19 Abgeordneten die bisher höchste Zahl erreicht worden. Ganze 13 davon stellt die DVP. Vor vier Jahren waren es 14, 2004 zehn und 2000 sechs Sitze, die von Frauen gewonnen werden konnten. Dabei waren mit nur 63 Kandidatinnen weniger als die Hälfte ins Rennen gegangen als noch vor vier Jahren (132 weibliche Kandidaten). Zusammen mit den Frauen, die durch quotierten (50%) Listenplätze in die Nationalversammlung kommen, sind es insgesamt 60 Frauen unter 240 Männern, die im Zentrum der Politik für die kommenden vier Jahre mitmischen werden.
Die sogenannten Sozialen Netzwerkdienste (Social Network Services – SNS), wie Facebook oder Twitter nehmen auch in Korea eine wichtige Stellung in der Nachrichtenkonsumption wie auch im alltäglichen Meinungsaustausch ein. Es gibt wahrscheinlich keine Partei und keinen Politiker, der nicht bei mindestens einem der verschiedenen Dienste angemeldet ist und so von sich Reden macht. Einige Analysen sprechen von 10% zusätzlichen Stimmengewinns im Falle der aktiven SNS-Nutzung vor und während des Wahlkampfes. Tendenziell waren es eher die Liberalen und Progressiven, die sich der neuen Technik bedienten, wenn die Rechtskonservativen in den letzten Jahren auch stark aufgeholt haben. Und so wurde dem Einfluss der Diskurse in den Internetmedien auch für die Wahlen große Bedeutung beigemessen. Schaut man sich jedoch das Ergebnis an, scheint die Wirkung an den Stadtgrenzen der Hauptstadt Halt zu machen. Hauptsächlich ist dies wahrscheinlich dem Umstand zuzuschreiben, dass die überwiegende Mehrzahl der SNS-Nutzer dem Mitte-Links-Spektrum zuzuordnen sind, und die drei großen rechtskonservativen Zeitungshäuser (Choson Ilbo, Joongang Ilbo, Donga Ilbo) zusammen mit den mittlerweile einseitig regierungsfreundlichen Fernseh- und Radiosendern (KBS, MBC, SBS, YTN) immer noch ein sehr starkes Gegengewicht ausmachen. Deshalb ist die öffentliche Netzmeinung keinesfalls mit der öffentlichen Offlinemeinung gleichzusetzen. Mit anderen Worten, der Trend zu einem Regierungswechsel, der sich im Netz abzuzeichnen schien und an dem sich offensichtlich die meisten Wahlexperten orientierten, war eine falsche Fährte – der koreanische Frühling blieb aus.
Auch der Regionalismus, von dem man bei den Wahlen vor vier Jahren nur noch wenig zu spüren meinte, hat sich bemerkbar gemacht, wenn auch schwächer als es im ersten Augenscheint aussieht. Die Ergebnisse nach Wahlbezirken zeigen (siehe Grafik 6), dass die NWP ihre traditionellen Hochburgen im Südwesten alle bis auf vier Ausnahmen gewonnen hat. Hinzu kommen weite Teile der zentral gelegenen Provinz Ch’ungch’ŏng und die nordöstlichen Provinzen Kangwon und Kyŏnggi. Die sogenannte Honam-Region im Südwesten wie auch die Insel Cheju, die traditionell in der Hand der Opposition sind, hingegen sind eindeutig von Kandidaten der DVP oder der kooperierenden VPP beherrscht. Schließlich konnte die Opposition in der traditionell liberalen Hauptstadt Seoul einen großen Vorsprung gegenüber der Regierungspartei retten. Hier gewann die Opposition 32 der 48 Wahlbezirke, während das Regierungslager auf nur 16 kam.

Ein weiterer Hinweis darauf, dass regionalistische Tendenzen einen nicht zu vernachlässigen Einfluss auf das Wahlergebnis genommen haben, sind die gescheiterten Versuche mehrerer Kandidaten in der Hochburg des jeweils anderen Lagers zu gewinnen. Die prominentesten Fälle haben sich in in den südwestlichen Wahlbezirken Kwangjus und Cheonjus und den südöstlichen Wahlbezirken Taegus und Pusans ereignet. In den traditionell oppositionellen Hochburgen haben Kandidaten Yi Chŏng-Hyŏn und Chŏng Un-Ch’an (beide NWP), in den traditionell konservativen Hochburgen Kandidaten Kim Pu-Kyŏm und Mun Sŏng-Kŭn (beide DVP) an ihren Herausforderung gescheitert. Sie verloren jedoch jeweils mit rund zehn Prozentpunkten Rückstand nur knapp, was durchaus als Zeichen für die weitere Erweichung des hartnäckigen Regionalismus interpretiert werden kann. Die Erfolge der Kandidaten Mun Hong-Ch’ŏl (DVP) und Cho Kyŏng-T’ae (DVP) in den Städten Kimhae und Pusan können in derselben Richtung gedeutet werden. Ein Ende des „primitiven Regionalismus“, wie es von manchen bei den letzten Wahlen bereits in nahe Aussicht gestellt wurde, ist aber offensichtlich doch noch nicht erreicht.
Eine Tendenz, die sich bei diesen Wahlen jedoch herauszuschälen scheint, ist die zunehmende Wichtigkeit der verschiedenen Altersgruppen mit entsprechend anders ausgerichtetem Wahlverhalten. Insbesondere den Wählern im Alter von 20 bis Ende 30 sagt man nach, progressiv bis liberal und den Rechtskonservativen gegenüber kritisch eingestellt zu sein. Insbesondere in Seoul lag die Wahlbeteiligung dieser jüngeren Wähler im Verhältnis zum restlichen Land mit 64,1% relativ hoch. Hier liegt wahrscheinlich ein nicht unwesentlicher Grund für das gute Abschneiden des Oppositionslagers. Im landesweiten Durchschnitt war die Wahlbeteiligung der jeweiligen Kohorte umso höher desto älter die Wähler waren. Dies erklärt zu einem gewissen Teil den übermäßigen Zuspruch für das Regierungslager. Vor diesem Hintergrund sprechen manche schon davon, dass regionale und ideologische Unterschiede hinter die Auswirkung unterschiedlicher Ansichten der verschiedenen Generationen zurücktreten werden.

Ausblick

Schon mehrmals hat es „Superwahljahre“ wie dieses gegeben. Im Dezember 2007 entschied Lee Myung-Bak die Präsidentenwahlen für sich und nur fünf Monate später gewann die Regierungspartei (damals noch unter dem Namen Hannaradang) die Parlamentswahlen haushoch. Hier hat sich die kurze Zeitspanne zwischen den Wahlen als ein entscheidender Faktor für den Ausgang der Parlamentswahlen herausgestellt. Auch die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen jeweils im Dezember 1987 und im April 1988 folgten mit fünf Monaten sehr schnell aufeinander. Dahingegen liegen die sieben Monate Zeitunterschied in diesem oder die acht Monate zwischen die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen jeweils im März und Dezember des „Superwahljahrs“ 1992 viel weiter auseinander. Dennoch sind die sieben Monate bis zum 19. Dezember 2012 ein sehr kurze Zeit; insbesondere für das Oppositionslager, um sich zu sammeln und neu zu positionieren.
Doch auch das Regierungslager wird sich anstrengen müssen, will man auch das Blaue Haus weiterhin in seiner Gewalt behalten. Anders als bei den Parlamentswahlen sind regionale Fragen oder Fragen der einzelnen Wahlbezirke weit weniger wichtig und hauptsächlich die Unterstützung der Partei des jeweiligen Präsidentschaftskandidaten ausschlaggebend. Nach den Zweitstimmen zu urteilen, ist die Unterstützung bei den Wählern für das Regierungs- und das Oppositionslager in etwa gleichverteilt. Der Wahlsieg geht folglich aus den Erfolgen in den einzelnen Wahlbezirken aus. Außerdem kann man davon ausgehen, dass sich das Regierungslager bei diesen Wahl mit aller Macht gegen die drohende Übermacht des Oppositionslagers gestemmt hat. Das heißt, dass sie dieses Ergebnis bei den Präsidentenwahlen schwerlich wird überbieten können. Hinzu kommt, dass auch die Wahlkampfthemen sich enger an der Regierungspolitik insgesamt orientieren werden. Schließlich werden Präsidentenwahlen in Korea immer schon hauptsächlich in der Hauptstadtregion entschieden, in der rund ein Viertel der Bevölkerung lebt. Und gerade hier hat die NWP dieses Mal eine relativ deutliche Schlappe hinnehmen müssen.
Der nächste Akt des Politik-Dramas wird voraussichtlich von den Auseinandersetzungen um die Zusammensetzung des Parlaments bestimmt sein. Wie immer in Korea nach Parlamentswahlen ist auch dieses Mal zu erwarten, dass es harte Kämpfe um die einflussreichen Positionen der wichtigen Ausschüsse geben wird. Abgesehen davon ist wahrscheinlich, dass die Streitfragen, die im Wahlkampf nicht geklärt werden konnten, spätestens hier wieder aufbrechen werden. Schließlich kann man annehmen, dass in vielen Wahlbezirken nachgewählt werden muss, weil es bereits laufende Verfahren in vielen Fällen von Übertretung des Wahlgesetztes gegeben hat. Das heißt, dass bereits lange vor dem eigentlichen Wahlkampf für die Präsidentenwahlen im Dezember der letzte Akt begonnen werden wird.

Fazit

Die stetig niedrige Wahlbeteiligung und das damit einhergehende Problem der unverhältnismäßigen Repräsentation sind ein Phänomen, das fast alle Industrienationen teilen. Dass neben grundlegenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Großproblemen, die ebenfalls in den meisten Ländern zu finden sind, selbst die so aktive Internetöffentlichkeit Koreas nicht viel gegen die Parteienverdrossenheit anrichten konnte, ist bedenklich. Es macht umso deutlicher, wie wichtig es ist, die Aufgaben und Praxis der Parteien zu hinterfragen und zu reformieren.
Der deutliche Anstieg von Gesetzesverstößen während des Wahlkampfes und die eklatanten Rückschritte im Prozedere der innerparteilichen Nominierung von Kandidaten geben Anlass, sich Sorgen um die Parteien zu machen. Wie kommt man heraus aus diesem Dilemma? Technokratische Flickereien an Gesetzen sind Verschlimmbesserung. Es muss ein grundsätzliches Umdenken in den Köpfen stattfinden.
Die Versäumnisse der Nationalen Wahlkommission (NAW) alarmieren, weil sie häufig einseitige Tendenzen zur Regierungsfreundlichkeit zeigen. Die NAW hat in den letzten Jahren des Öfteren Wahllokale kurzfristig verlegt, ohne dies ausreichend bekannt zu geben und hat bei offensichtlichen Vergehen zweifelhafte Entscheidungen im Sinne regierungsnaher Politiker gefällt. Im Vorfeld dieser Wahlen informierte die Internetseite der NAW, dass die Wahllokale um 20 Uhr schließen würden, nur um kurz vor dem Wahltag dies plötzlich in 18 Uhr umzuwandeln. In einem Seouler Wahlbezirk wurden kurz vor der Stimmenauszählung 28 unversiegelte Wahlurnen entdeckt.
Die Demokratisierung und Reformierung der Politik in Südkorea schien mit dem neuen Jahrtausend vielversprechend voranzukommen. Doch spätestens der schwache Negativwahlkampf der Opposition bei den Präsidentenwahlen 2007 und die in beiden Lagern auftretenden Unregelmäßigkeiten bei der Aufstellung von Kandidaten für die Parlamentswahlen 2008 waren eine deutliche Warnung. In den vergangenen vier Jahren unter Päsident Lee Myung-Bak, der von Anfang an erklärte, er wolle nichts mit Yŏido, dem Sitz des Parlaments, zu tun haben, hat sich die Schlammschlacht zwischen einer immer ignoranteren Regierungspartei und einem immer überheblicheren Oppositionslager noch verschlimmert. Der Rest dieses Jahres wird zeigen, ob die Präsidentschaftswahlen diese Art der Politik weiter auf die Spitze treibt oder einen positiven Durchbruch ermöglichen wird.

Kommentar zur geplanten Kabinettsumbildung in Südkorea

Bei der vom amtierenden südkoreanischen Präsident Lee Myung Bak bekanntgegebenen Kabinettsumbildung vom 4. September gab es eine große Überraschung. Der ehemalige Präsident der Eliteuniversität Seoul National University, Jeong Un Chan, wurde vom Blauen Haus nach rund drei Monaten Überlegungen mit einer dramatischen Wendung kurz vor Schluss zum neuen Ministerpräsident vorgeschlagen. Jeong, seines Zeichens Professor für Wirtschaftswissenschaften, ist bekannt fur seine gemaßigt-liberale Haltung und seit der Regierung Lees auch für seine deutliche Kritik an mehreren Kernpolitiken des Präsidenten. Mit dieser Wahl ergibt sich ein doppeltes Dilemma, insbesondere auch in Hinsicht auf die aktuellen Pläne einer Verfassungsrevision zu Gunsten einer gleicheren Machtverteilung zwischen Präsident und Premier.

Das „Transformer-Dilemma“

Hannes Mosler, M.A.

Institut für Koreastudien (FU Berlin)


Bei der vom amtierenden südkoreanischen Präsident Lee Myung Bak bekanntgegebenen Kabinettsumbildung vom 4. September gab es eine große Überraschung. Der ehemalige Präsident der Eliteuniversität Seoul National University, Jeong Un Chan, wurde vom Blauen Haus nach rund drei Monaten Überlegungen mit einer dramatischen Wendung kurz vor Schluss zum neuen Ministerpräsident vorgeschlagen. Jeong, seines Zeichens Professor für Wirtschaftswissenschaften, ist bekannt fur seine gemaßigt-liberale Haltung und seit der Regierung Lees auch für seine deutliche Kritik an mehreren Kernpolitiken des Präsidenten. Mit dieser Wahl ergibt sich ein doppeltes Dilemma, insbesondere auch in Hinsicht auf die aktuellen Pläne einer Verfassungsrevision zu Gunsten einer gleicheren Machtverteilung zwischen Präsident und Premier. 

 

„Transformer“ Jeong Un Chan

Bis zu seiner offiziellen Bestätigung, nach einer Anhörung im Parlament, ist Professor Jeong Un Chan (Chung Un Chan) „Ministerpräsidenten-Kandidat“. Damit auch diese letzte Formalität ohne Hindernisse vonstatten geht, scheint sich Jeong bereits eine Strategie ausgedacht zu haben – zu möglichst wenig seiner ehemaligen Kritikpunkte an der Lee-Regierung zu stehen; oder wohlwollend ausgedrückt: sich kompromissbereit zu zeigen.

Generell hat der Wirtschaftsprofessor die Deregulierungspolitik und übermäßige Marktfreundlichkeit der Regierung sowie die Politik zur Steuererleichterung der Reichen kritisiert. Stattdessen ist Jeong bekannt dafür, Gemeinnützigkeit, fairen Wettbewerb, gesunde Finanzen etc. zu betonen. Jeong hat in der Vergangenheit nicht nur die Abschaffung des Gesetzes zur Trennung von Bankwesen und Unternehmenskapital, sondern vor allen Dingen auch das Vier-Flüsse-Projekt der Regierung stark kritisiert. Dieses Projekt ist eine Art Überbleibsel des eigentlich weitaus ambitionierteren Planes, die größten Flüssen der Halbinsel zu einem landesweiten Kanalsystem auszubauen, das jedoch auf großen Widerstand gestoßen war.

Die kürzlich in diesem Kontext in Angriff genommene Politik des sogenannten „Green Deals“ hatte Jeong zuvor noch singemäß als ein Rückfall in alte Zeiten der Entwicklungsdiktatur bezeichnet. Des Weiteren sehe er das Projekt für die geplante Verwaltungsstadt Sejong aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive zwar kritisch, aber ansonsten hätte er im direkten Gespräch mit dem Präsidenten die Erkenntnis gewonnen, dass sich ihre „Wirtschaftsphilosophie nicht groß unterscheiden“.

Auf einen gemeinsamen Nenner kommen die beiden einflussreichsten Staatsbeamten bei Themen, wie dem Freihandelsabkommen mit den USA, das Jeong aus Prinzip befürwortet, oder der Frage der „Ineffizienz der koreanischen Demokratie“. Jeongs Perspektive auf Gesellschaftsveränderungen richtet sich weniger auf die Rolle der Arbeiter oder der Zivilgesellschaft, sondern betont vielmehr die Rolle der Regierung bzw. der Eliten. Insofern wird er als gemäßigter Konservativer oder „rationalen Marktfundamentalist“ bezeichnet. Im Allgemeinen sind sich die beiden Politiker auch darin ähnlich, in der politischen Mitte, d.h. ideologischer Farblosigkeit stehen zu wollen. Hier hören die Gemeinsamkeiten jedoch schnell auch wieder auf – zumindest noch bis vor Jeongs Ernennung.

Seine ersten Dementi bezüglich seiner deutlichen Kritik an Lees Regierungspolitik haben ihn in nur einem Tag einen Spitznamen eingebracht – in der Presse wird der ehemalige Universitätspräsident, der bisher für seine Eloquenz und tendenzielle Progressivität bekannt war, als „Transformer“ verhöhnt – eine moderne Art „Windhose“ zu sagen.

Selbst seine engsten Vertrauten, ehemalige Schüler des Wirtschaftswissenschaftsprofessors, zeigen sich „tief erschüttert“ von der Entscheidung ihres akademischen Vaters. Sie hätten ihm eindringlich davon abgeraten, hätten sie im Vorhinein von seiner Entscheidung gewusst, sagen sie einer Zeitung im Interview. Als Grund für den Schritt sehen sie vor allem seinen Wunsch, an der Realpolitik mitzumischen. Bereits im Vorfeld der Präsidentschaftswahl Ende 2007, als Jeong als potentieller Kandidat der Minju-Partei (DP) gehandelt wurde, hätte Jeong in ihrer Anwesenheit davon gesprochen, dass es vielleicht die letzte Möglichkeit sei, den Sprung in die Politik zu schaffen.

 

Gekränkte Opposition

Die Parteien in der Opposition gehen mit dem Premier-Kandidaten deutlich härter ins Gericht. Die DP kritisierte sowohl die Entscheidung Präsident Lees als auch die Professor Jeongs als widersprüchlich, da sich ihre Vorstellungen eigentlich konträr gegenüber stehen würden. Damit wird augenscheinlich darauf abgezielt, das rein strategische Gewicht bei der Entscheidung zu verdeutlichen. Nicht nur weil die DP Jeong noch vor zwei Jahren als Präsidentschaftskandidaten gehandelt hat, fühlt man sich im gemäßigt liberalen Lager „betrogen“ und „hintergangen“.

Selbst bei den erst ein halbes Jahr zurückliegenden Nachwahlen vom April dieses Jahres ist die DP mehrere Male an Jeong herangetreten, um ihn in die Partei zu holen. Die progressiven Parteien des tendenziell linken Spektrums, die Minjunodong-Partei (DLP) und die Progressive Neue Partei (PNP), bewerten Jeongs Entscheidung als „Konvertieren“ und „Reinwaschen der Regierungspolitik“.

Die Reaktion der tatsächlich reaktionären Liberalen Fortschrittspartei (LPP) fiel umso harscher aus, da man hier ein ganz besonderes Verhältnis zu dieser Entscheidung hat. Bis vor Kurzem noch sollte Sim Dae Pyeong, ehemaliger gemeinsamer Vorsitzender der LPP neuer Premier werden. Als Folge innerparteilicher Konflikte jedoch kam es um die Personalfrage zum Eklat und Sim verkündete sowohl seinen Parteiaustritt als auch, dass er das Angebot der Regierung nicht annehmen werde.

Hintergrund der Aufregung ist, dass die Lee-Regierung nach einem politisch relativ neutralen Kandidaten Ausschau gehalten hat, der zudem noch weder aus der Hochburg-Region (Provinz Gyeongsan) der Regierungs- noch aus der der Hauptoppositionspartei (Provinz Jeolla) stammt. Dabei spitzte sich die Auswahl auf Kandidaten aus der zentral gelegenen Provinz Chungcheong zu, da hierdurch ein weiterer strategisch wichtiger Aspekt gewonnen werden konnte – die Unterstützung der Wähler aus der latent konservativen Provinz Chungcheong. Die LPP jedoch hat ihre Hochburg in eben dieser Provinz, weshalb ihr die Strategie des Blauen Hauses zuwiderläuft. So ist es auch kein Wunder, dass der gehässige Spitzname „Transformer“ aus den Reihen der LPP stammt. Der Parteivorsitzende Lee Hoi Chang hat sich mit seinem rüpelhaften Verhalten Sim gegenüber außerdem noch die Sympathien verspielt, die er sich vorher als „vernünftiger Konservativer“ Kritiker der Regierungspolitik verdient hatte.

Die Opposition ist sich einig, diese Widersprüche bei der Anhörung des Premier-Kandidaten im Parlament deutlich zur Sprache zu bringen. Es ist abzusehen, dass es nicht nur um moralische Fragen des Kandidaten gehen wird. Er wird bereits von vielen Seiten verdächtigt, sich seine Befreiung vom Dienst an der Waffe erschlichen, identische Aufsätze mehrmals in verschiedenen Publikationen und in verschiedenen Sprachen veröffentlicht, Einkommenssteuern hinterzogen, während seiner Zeit als Präsident der Seoul Nationaluniversität einen Professor, der der sexuellen Belästigung bezichtigt wurde, geschützt, entgegen den Bestimmungen für Beamte Beratertätigkeiten ausgeführt und in den vergangenen Dekaden eigentlich substantielle wenig Forschungsarbeit betrieben zu haben.

Der Sonderausschuss des Parlaments, der die Anhörung am 21. und 22. September durchführen wird, setzt sich jedoch in der Mehrzahl (sieben von insgesamt dreizehn Abgeordneten) aus Politikern der Regierungspartei GNP zusammen. Nach der Auswertung der Befragung der Kandidaten lässt der Parlamentspräsident die Vollversammlung über den Antrag in einer geheimen Wahl abstimmen, wobei mehr als die Hälfte der aktuell 291 Abgeordneten teilnehmen und deren Mehrheit für den Kandidaten stimmen müssen, damit der Antrag angenommen wird. Falls er abgelehnt werden sollte, muss der Staatspräsident einen neuen Kandidaten vorschlagen. Die Regierungspartei GNP hat mit 167 Sitzen bereits die Mehrheit im Parlament, weshalb die Wahl der Vollversammlung in dieser Entscheidung nur noch Makulatur würde.

 

 
Tektonik im Regierungslager

Innerhalb der Regierungspartei (GNP) hält man sich bisher noch weitgehend bedeckt, was die Wahl des Premiers angeht, obgleich es schon brodelt. Bekannter Maßen gibt es in der GNP spätestens seit der Präsidentschaftswahl 2007 zwei deutliche Lagerbildungen. Die Machtkämpfe im Regierungslager haben sich entlang der Gräben zwischen Präsident Lee und der ehemaligen Parteivorsitzenden Park Geun Hye entfacht. Park ist die Tochter vom ehemaligen Militärdiktator Park Chung Hee und hat ihre persönliche Unterstützung nicht nur im südöstlichen Daegu, sondern auch zum Teil in der Provinz Chungcheong.

Die Bennenung von Jeong, von der man sich breitere Unterstützung auch von gemäßigten Liberalen verspricht, kann hier zu Zweierlei führen. Zum einen ist denkbar, dass die Rechnung Lees aufgeht und man sich einerseits vom rechtsextremen Flügel distanziert, der sich für die Regierung immer mehr zum Klotz am Bein zu entwickeln scheint, und andererseits gleichzeitig die gemäßigte Liberale umarmt. Außerdem stärkt man die Pro-Lee-Faktion innerhalb der GNP dadurch gleichzeitig gegenüber der Pro-Park-Faktion. Vielleicht reicht es sogar für die kommende Präsidentenwahl, um einen effektiven Gegner gegenüber Park zu haben.

Das heisst, das der Spielraum für Park in der Partei und mit Präsidentschaftsambitionen kleiner würde. Zum anderen ist denkbar, dass die Macht und der Einfluss Lee Hoi Changs von der LPP mit ihrer Hochburg in der Provinz Chungcheong geschwächt wird, was sich wiederum in eine potentielle Stärkung oder zumindest ein Vorteil für Park entwickeln könnte, die ihre persönliche zweite Hochburg in dieser Region weiss. Damit würde sie einen größeren Hebel innerhalb der Partei gegenüber potentiellen Kandidaten für die kommende Präsidentenwahl haben.

In diesem Zusammenhang sind vor den Regionalwahlen im kommenden Jahr vor allen Dingen auch die Nachwahlen Ende Oktober dieses Jahres schon ein Vortest dafür, einzuschätzen, in welche Richtung sich der Machtkampf entscheiden wird. Mit dem Rücktritt des Parteivorsitzenden Park Heui Tae, der bei den Nachwahlen antreten wird, und Jeong Mong Jun als neuem Parteivorsitzenden jedoch wird bereits deutlich, dass das Pro-Park-Lager in der Partei immer weiter marginalisiert wird. Jeong Mong Jun als Nachkomme der Hyundai-Familie und bereits sechsfacher Parlamentsabgeordneter wendet mit seiner Amtsübernahme das innerparteiliche Machtblatt deutlich zu Gunsten des Pro-Lee-Lagers. Und auch er liebäugelt mit dem Präsidentenamt.

Zwischenparteilich jedoch macht es die DP der GNP sehr einfach, da sie inhaltlich wenig zu bieten hat, und sich nur auf Negativ-Kampagnen gegen die Regierungspartei konzentriert. Ohne Ideen und Charakterköpfe wird sie wenig zu bieten haben bei den kommenden Wahlen.

 

„Bulldozer“ Lee Myung Bak

Der ausgesprochene Keynesianer Jeong scheint tatsächlich in einem klaren Kontrast zum bisherigen Präsident Lee, der wegen seiner Methoden und Inhalte auch „Bulldozer“ genannt wird und von Neoliberalen umgeben ist, zu stehen. Während Präsident Lee den klassischen Hau-Ruck-Präsidenten darstellt, wie man ihn Südkorea insbesondere in den 60ern und 70ern erlebt hat, vertritt der Gelehrte Jeong eher eine gemäßigte Linie. Das war wahrscheinlich ein entscheidender Punkt für den Präsidenten, sich für ihn zu entscheiden. Denn so kann er sich mit seinem neuen Kabinett als kompromissbereit und offen darstellen und der Opposition zusätzlichen Wind aus den Segeln nehmen.

Präsident Lee wird sich von seiner Wahl folglich nicht nur versprechen, sich als offen und kompromissbereit darstellen zu können, sondern sich liberal-gemäßigt zu zeigen, und sowohl die zwischenparteilichen als auch die innerparteilichen Machtverhältnisse zu seinen Gunsten lenken zu können. Ob diese Wunschvorstellung aufgeht, oder sich später als eine Milchmädchenrechnung entpuppt, hängt auch vom zukünftigen Ministerpräsidenten ab. Er wird es schwer haben, sich fest im Sattel zu halten, wenn er an seinen bisherigen Maßstäben und Wertvorstellungen festhalten will, wie er sie bisher geäußert hatte.

Theoretisch ergeben sich zwei Möglichkeiten, das Amt des Ministerpräsidenten zu interpretieren. Lee Hoi Chang unter Präsident Kim Young Sam (1993-1998) oder Go Gun unter Präsident Roh Moo Hyun (2003-2008) haben das Amt mit Charakter ausgefüllt und sich damit auch im Volk beliebt und einen Namen gemacht.

Lee Hoi Chang, der nun als Vorsitzender der LPP dem Premier-Kandidaten Jeong feindlich gegenübersteht (s.o.), hatte damals die Chance genutzt und das Ministerpräsidentenamt als Sprungbrett für das Präsidentenamt verwendet, wenn er auch bei den Wahlen letztlich scheiterte. Kim Young Sam machte als erster ziviler Präsident zwar unweigerlich „progressive“ Politik, aber hatte dennoch einen autoritären Führungsstil an sich. Doch Lee Hoi Chang agierte so souverän, dass er neben den reformerischen Kräften der damaligen Regierungspartei selbst Unterstützung im Demokratisierungslager und sogar bei Umweltgruppen fand. Da Lee Hoi Chang angeblich einen vierten Anlauf bei den Präsidentschaftswahlen 2011 nehmen will, ärgert ihn die Schwächung seiner Partei und damit seiner Position in seiner Hochburg Chungcheong doppelt.

Die andere Möglichkeit für Jeong das Amt zu interpretieren, ist, sich der starken Seite der Macht hinzugeben, ähnlich dem noch amtierende Ministerpräsident Han Seung Su. Von ihm, wie schon von vielen Ministerpräsidenten Südkoreas, war in den vergangenen einandhalb Jahren seiner Amtszeit wenig zu sehen oder hören – er spielte keine wirkliche Rolle, außer die der ausführenden Hand des Präsidenten. Zugegebener Maßen hat der Premier auch nicht die besten Qualifikationen. Seine Politikerkarriere nahm er in den 80er Jahren unter dem Militärdiktator Roh Tae Woo (1987-1993) auf; in Bezug auf seine Rolle und Verantwortung während der Wirtschaftskrise 1997/8 und während der Wirtschaftskrise 2008 wird ihm Übles nachgetragen. Schließlich haben die Verdächtigungen bezüglich der Ableistung des Wehrdienstes seines Sohnes missbilligende Blicke eingebracht.

Auch vor diesem Hintergrund ist Kandidat Jeong, als eloquenter Saubermann und als ehemaliger Präsident der elitären Seoul National Universität, durchaus ein wirksames Positiv, das Präsident Lee gut in sein strategisches Bild passt; insbesondere in Anbetracht der im nächsten Jahr stattfindenden Regionalwahlen. Um nach den deutlich gewonnenen Präsidentschaftswahlen von 2007 und dem ebenfalls überzeugenden Sieg bei den Parlamentswahlen 2008 auch noch die dritte Medaillie 2010 bei den Regionalwahlen zu erringen, muss sich die Regierung mausern, und versucht deshalb mit allen Kräften, sich von ihrem Image, nur für Reiche und Großunternehmen Politik zu machen, abzuhäuten.

Doch so riskant die Entscheidung Jeongs war, das Amt anzunehmen, so gefährlich ist die Personalie auch für das Blaue Haus. Es ergibt sich damit ein doppeltes Dilemma: wenn Jeong an seinen Überzeugungen festhält und einen starken Premier mimt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er nicht lange im Amt überleben wird, da sie sich eindeutig mit denen von „Bulldozer“ Lee beißen; wirft er sie jedoch über Bord – und sei es auch unter dem Argument der „Kompromissbereitschaft“ oder „Realpolitik“, wird er nicht nur seine Funktion als Alibi für den Präsidenten schnell verlieren, sondern auch sein ganzes Kapital an Sympatisanten und Unterstützern.

Die beste Lösung wäre, wenn Jeong an seinen Wertvorstellungen festhielte, und Präsident Lee sich zurücknehmen würde. Doch nach den bisherigen Erfahrungen scheint es dieses produktive Dazwischen auch bei diesem gordischen Knoten nicht zu geben.

 

Ministerpräsident im politischen System Südkoreas

Vor allen Dingen interessant ist diese neue Kabinettskonstellation vor dem Hintergrund, dass aktiv im Regierungslager die Bestrebungen bestehen, mit einer baldigen Verfassungsrevision dem Ministerpräsident weitreichende Befugnisse zuzusprechen, die bisher allein vom Präsidenten verfügt werden konnten. Das heisst, der Ministerpräsident soll eine dem Präsidenten gegenüber kontrollierende oder zumindest beeinflussende Funktion zukommen. Auch die aktuelle Verfassung sieht für den Ministerpräsidenten gewisse Befugnisse zu, doch entscheidend ist, wie diese Institution interpretiert wird.

Insofern ist die Ernennung Professor Jeongs ein riskanter Einsatz beim Spiel um die Verfassungsrevision. Auch hier wiederholt sich das Dilemma, wenn auch in abgemilderter Form. Wird die Verfassung geändert und bleibt Jeong seinen Maßstäben treu, kommt der Präsident mächtig in die Bredoullie; fügt sich der kommende Premier trotz verfassungsmäßig gestärktem Rücken dem Willen des Präsidenten, wird die Verfassungsänderung bedeutungslos – und nicht zuletzt der politische Effekt, den sich die Regierung offensichtlich von diesem weiteren Schachzug verspricht.

Nach der seit 1987 gültigen Verfassung ist die institutionelle Stellung des Ministerpräsidenten gegenüber dem Staatspräsidenten sehr schwach. Der Premier wird vom Präsidenten eingesetzt (VV, § 86, Abs. 1), berät ihn und überschaut die Ministerien auf Anweisung des Präsidenten (VV, § 86, Abs. 2). Außerdem muss der Premier an der Waffe gedient haben, um das Amt bekleiden zu dürfen. (VV, § 86, Abs. 3) Die Kabinettsmitglieder werden zwar vom Premier vorgeschlagen, der Präsident hat jedoch das Ernennungsrecht (VV, § 87, Abs. 1). Entsprechend verhält es sich mit der Amtsenthebung der Kabinettsmitglieder. (VV, § 86, Abs. 4) Auch bei der Ernennung der Minister wird so verfahren. (VV, § 94)

Der Ministerpräsident ist neben dem Präsidenten stellvertretender Vorsitzender des Kabinettsrats (VV, § 88, Abs. 2-3) und hat die Befugnis, Vorschläge ins Parlament einzureichen (VV, § 89, Nr. 17). Theoretisch ist dem südkoreanischen Premier damit die Grundlage gegeben, die „Staatsangelegenheiten“ auf Ebene der Ministerien zu überschauen, jedoch sind ihm gegenüber dem Präsidenten die Hände gebunden. Das ist der institutionelle Grund dafür, das bisher nur sehr wenig Ministerpräsidenten selbstständig gearbeitet haben.

Der noch amtierende Premier ist ein Paradebeispiel dafür, wie stark und willkürlich der Präsident Einfluss ausüben kann. Er wurde von den meisten der bisherigen Präsidenten lediglich als Schutzschild benutzt, der einfach geopfert wurde, wenn ein größeres Problem auftaucht. Das ist ein Grund dafür, weshalb die Häufigkeit der Premier-Wechsel in Südkorea weltweit mit am höchsten ist.

Nach dem erst vor Kurzem präsentierten Vorschlag für eine Verfassungsrevision, wie sie bereits seit Jahren in der Diskussion ist, würde sich zumindest theoretisch das Amt des Ministerpräsidenten stark verändern. Zwar ist eine solche radikale Reform unter „Bulldozer“ Lee schwer vorstellbar bzw. die Wirksamkeit dieser unter einer ähnlichen Regierungsführung.

Aber die Idee, die hinter dem Vorschlag steckt, ist durchaus vernünftig. Nach dem Vorschlag der staatlichen Kommission für Verfassungsrevision ist vorgesehen, dass der Premier durch das Parlament gewählt wird, ihm das Übersehen der ganzen Staatsgeschäfte sowie die Befehlsgewalt über das Militär zugesprochen wird. Des Weiteren soll er die Befugnis erhalten, Kabinettsmitglieder zu ernennen und den Vorschlag zur Auflösung des Parlaments machen zu können. Somit wäre die Machtverteilung zwischen Präsident und Premier gleichmäßiger verteilt und eine gegenseitige Kontrolle möglich.

 

Fazit

 

Es gibt im Koreanischen das Sprichwort „Man muss in die Höhle gehen, um den Löwen zu fangen.“ Wenn es Jeong als Ministerpräsident gelingen sollte, an seinen Überzeugungen festzuhalten und diese konkret in seiner Arbeit umzusetzen, wird sich die politische Landschaft dadurch deutlich zum Besseren weiterentwickeln können; insbesondere im Hinblick auf die ernsthaft diskutierten Vorschläge zur Verfassungsreform. Das heisst, wenn man den Worten Präsident Lees glauben darf, und es ihm tatsächlich um „Harmonie und Veränderung“ bei der Entscheidung geht, darf man durchaus optimistische Hoffnungen hegen.

Doch wie bei jedem Sprichwort gibt es auch in der Realität immer einen alternativen Verlauf der Geschichte. Auch wenn es zu diesem Zeitpunkt noch zu früh ist, eine endgültige Einschätzung vorzunehmen, sieht es zumindest bisher so aus, als wenn sich eher ein anderes Sprichwort bewahrheiten wird: „Wer der schwarzen Tinte zu nahe kommt, verfärbt sich schwarz.“ (近墨者黑)

Dass Präsident Lee Myung Bak (2008-2013) das Land wie ein „Bulldozer“ führt, hat sich in seinen ersten anderthalb Jahren Amtszeit sehr deutlich gezeigt. Ob Ministerpräsidentschaftskandidat Jeong zu einem wendehälsigen „Transformer“ oder zu einem „Reformer“ der bisherigen Regierungspolitik wird, kann man nur abwarten. Wenn Jeong von der Nationalversammlung bestätigt wird, wird sich im Ergebnis der Nachwahlen Ende Oktober bereits zeigen, welche Volksweisheit sich in der Realität bewahrheitet.

18. September 2009

Kommentar zu den Nachwahlen in Südkorea

Am 29. April sind in Südkorea landesweit in 15 Wahlkreisen Nachwahlen (Wiederholungswahlen) abgehalten worden. Neben Mandaten in kommunalen und regionalen Parlamenten sowie zweier Provinzbildungsdirektoren richtete sich die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die fünf neu zu wählenden Parlamentarier der Nationalversammlung. Die regierende Hannaradang (Grand National Party – GNP), die sowohl bei den Präsidentschaftswahlen im Dezember 2007 als auch bei den Parlamentswahlen im April 2008 die oppositionelle Minjudang (Democratic Party – DP) mit großem Abstand hinter sich lassen konnte, kam bei diesen Wahlen von 15 zu vergebenden Ämtern auf nur ein einziges; die Zahl ihrer Abgeordneten konnte sie gar nicht erhöhen. Die Nachwahlen sind im Ergebnis somit in erster Linie eine Absage an die Regierungspolitik Präsident Lee Myung Baks und seiner Hannaradang (GNP). Doch auch die Oppositionspartei hat nur einen Sitz im Parlament gewinnen können. Somit ist das Wahlergebnis auch eine Absage an die Politik der großen Parteien als solche.

Klare Absage an die Regierungspolitik

Hannes Mosler, M.A.

Institut für Koreastudien (FU Berlin)

 Kommentar als PDF

Überblick

Am 29. April sind in Südkorea landesweit in 15 Wahlkreisen Nachwahlen (Wiederholungswahlen) abgehalten worden. Neben Mandaten in kommunalen und regionalen Parlamenten sowie zweier Provinzbildungsdirektoren richtete sich die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die fünf neu zu wählenden Parlamentarier der Nationalversammlung. Die regierende Hannaradang (Grand National Party – GNP), die sowohl bei den Präsidentschaftswahlen im Dezember 2007 als auch bei den Parlamentswahlen im April 2008 die oppositionelle Minjudang (Democratic Party – DP) mit großem Abstand hinter sich lassen konnte, kam bei diesen Wahlen von 15 zu vergebenden Ämtern auf nur ein einziges; die Zahl ihrer Abgeordneten konnte sie gar nicht erhöhen. Die Nachwahlen sind im Ergebnis somit in erster Linie eine Absage an die Regierungspolitik Präsident Lee Myung Baks und seiner Hannaradang (GNP). Doch auch die Oppositionspartei hat nur einen Sitz im Parlament gewinnen können. Somit ist das Wahlergebnis auch eine Absage an die Politik der großen Parteien als solche. (Nicht weniger als 44,3% der Befragten einer KIOS-Umfrage vom 27. April gaben an, dass sie keine der aktuellen Parteien unterstützen.)

Ein kurzer Rückblick. Nach dem Rechtsruck im Blauen Haus, dem Sitz des südkoreanischen Präsidenten, Ende 2007 folgte eine weitere Plattenverschiebung nur vier Monate später im Parlament. Der Regierungswechsel 2008 wurde getragen vom Unmut der Bevölkerung gegenüber der zwar reformerischen Regierung unter Roh Mu Hyun, die jedoch wenig sichtbare Ergebnisse vorzeigen konnte. Genau darauf hatte die rechtskonservative Opposition der Hannaradang (GNP) abgezielt, als sie Lee Myung Bak als „Wirtschaftspräsident“ präsentierte und zu den Regierungen und Kim Dae Jung und Roh Mu Hyun die These der „verlorenen zehn Jahre“ vertrat – bis zur Parlamentswahl offensichtlich mit großem Erfolg. Hätten die Wahlen zur Nationalversammlung nur einen Monat später stattgefunden, wäre die Wahl vielleicht völlig anders ausgegangen. Seit Mai 2008 gingen Tausende, teilweise Zehntausende, aus Protest gegen die neue Regierungspolitik für Monate auf die Straßen. Damit begann der abrupte Abstieg der Lee-Regierung: Umfragewerte, die bereits ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl auf einem Dauerhoch gestanden hatten, plumpsten auf unter 10%, obwohl Lee noch nicht mal ein Jahr im Amt war; es folgten Proteste gegen das geplante Überlandkanalsystem, übertriebene Wirtschaftsprojekte, zentralistisch-manipulative Medienpolitik und viele andere neoliberalistische Programme der neuen Administration. Mit der jetzigen Wahlschlappe scheint die Hannaradang (GNP) vorerst auf einem Tief angelangt zu sein. Doch erst die Regionalwahlen im Sommer des kommenden Jahres werden zeigen können, ob die Südkoreaner tatsächlich bewusst eine rechtskonservative Regierung unter Lee Myung Bak und seiner Hannaradang (GNP) wollten, oder sich eigentlich eine Politik wünschen, die sich ernsthaft um die Demokratie und damit um Gesellschaft und Wirtschaft kümmert.

Geht man nach den absoluten Zahlen, sind die Veränderungen durch die Nachwahlen nicht weiter erwähnenswert. Bei einem mehr als doppelten Vorsprung der regierenden Hannaradang (GNP; 170 Sitze) vor der oppositionellen Minjudang (DP; 83 Sitze) bestand von Anfang keine Möglichkeit mit den fünf von insgesamt 299 Sitzen der Nationalversammlung große Veränderungen im quantitativen Machtverhältnis hervorzurufen. Doch das Ergebnis lässt in der politisch-symbolischen Dimension durchaus die Interpretation zu, dass auch diese Nachwahlen Ausdruck einer kritischen Zwischenbewertung der Regierung durch das Volk sind. Seit vielen Jahren wird die jeweils amtierende Regierung bei Nachwahlen von den Wählern abgestraft. Dieses Mal lag die Wahlbeteiligung mit 40,8% im Vergleich zu den vorangegangenen Nachwahlen außerdem noch sehr hoch. Während diese Aspekte auf ein grundsätzliches Funktionieren der südkoreanischen Demokratie im Sinne der Willensbildung hinzuweisen scheinen, zeigt eine genaue Betrachtung des prozessualen Hergangs der Kandidatenaufstellung in den Parteien grundlegende Mängel der Demokratisierung der Parteien auf. Auch die für Südkorea typische Politkultur der Wähler manifestierte auch selbst bei diesen „Miniparlamentswahlen“ deutlich.

Drei Abgeordnete der Hannaradang (GNP), einer der Minjudang (DP) und ein Parteiloser wurden verurteilt, weil sie bei den Parlamentswahlen 2008 „falsche Angaben“ gemacht, Wählern „Zuwendungen“ gegeben oder vor Beginn der offiziellen Wahlkampfzeit mit der Wahlwerbung begonnen haben. Das Gesetz sieht vor, dass bei solchen Vergehen gegen das Wahlgesetz bereits gewählte Abgeordnete ihr Mandat verlieren und durch Nachwahlen bzw. Wiederholungswahlen neu vergeben werden.

Hauptstadtsieg für Minjudang (DP)

Die fünf Wahlkreise, in denen neue Parlamentarier gewählt wurden, liegen in Regionen verteilt, die traditionell als Hochburgen bestimmter politischer Lager gelten. Eine Ausnahme ist der Wahlkreis Bupyeong (Pup’yŏng), Stadtteil von Incheon, das zum Einzugsgebiet der Hauptstadt Seouls gehört. Das heisst, dass das Wahlergebnis hier eine objektive Aussage über die Unterstützung der Bürger entweder der Regierung oder der Opposition darstellt. Beide Parteien hatten zur Unterstützung ihrer Kandidaten populäre Parteigrößen vor allen Dingen in diesem Wahlkreis mobilisiert. Da die Minjudang (DP) hier einen Sitz erringen konnte, war die Stimmung in der Wahlnacht überschwänglich.

Bei der Kandidatenaufstellung der Parteien hat sich die allgemeine Schwäche der politischen Institutionalisierung Südkoreas deutlich gezeigt. Von Anfang an machten die Parteien kein Hehl daraus, dass sie Kandidaten „strategisch“ aufstellen. Das heißt, Kandidaten stellen sich nicht zur Wahl, bei der sie demokratische Prozesse an der Basis durchlaufen, sondern werden – ähnlich wie sonst bei der Vergabe von Listenplätzen – von der Parteispitze nach Belieben bestimmt. Der Kandidat der Minjudang (DP) in Bupyeong (Pup’yŏng) war bei diesen Nachwahlen die Ausnahme, weil er tatsächlich im Incheoner Wahlkreis nicht nur beheimatet ist, sondern hier auch von der Pike auf die Partei mit aufgebaut hat; abgesehen davon, hat er auch für den Autokonzern GM-Daewoo gearbeitet, der hier angesiedelt ist und somit wichtigstes Wahlkampfthema war. Sein Hauptkontrahent war ein ehemaliger stellvertretender Wirtschaftsminister der Regierungspartei, der große Versprechen zur Unterstützung des Konzerns in der Krise gab. Der Sieg der Opposition in diesem Wahlkreis kann als klare Absage an die Regierungspolitik interpretiert werden.

Eigentlich hatte sich die Minjudang (DP) auch in den zwei Wahlkreisen der südwestlich gelegenen Stadt Jeonju (Chŏnju) sichere Siege ausgerechnet, da diese Region (Honam) traditionelle Hochburg der Partei ist. Selbst bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen, die Lee Myung Bak (Yi Myŏngbak) landesweit insgesamt mit fast doppelt so vielen Stimmen (48,5%) gegen den Oppositionskandidaten Chung Dong-young (Chŏng Tong-yŏng; 26,3%) gewann, hatte er in diesem Wahlkreis mit gerade mal knapp 10% der Stimmen gegen Chung (80%) „verloren“. Doch bei diesen Nachwahlen war es gerade Chung, der der Minjudang (DP) die Wahlparty zur Hälfte ruinierte. Denn er war nach wochenlangem Streit mit der Parteiführung aus der Partei ausgetreten, als Parteiloser zur Wahl angetreten und konnte sie mit eindeutiger Mehrheit (72%) für sich entscheiden. Der Wahlkreis liegt in der Heimat Chungs und hier hatte der Kim Dae Jung-Zögling auch seine politische Karriere vor 13 Jahren als Parlamentarier begonnen. Die Parteispitze der Minjudang (DP) argumentierte, dass man Chung nicht aufstellen könnte, weil er 2007 bereits Präsidentschaftskandidat gewesen war. Denkbar ist, dass weniger dieser fadenscheinige Grund als vielmehr strategische Überlegungen des amtierenden Parteichefs, Chung Se Gyun (Chŏng Se-kyun), dahinter standen, der bereits die Präsidentschaftswahlen 2012 im Auge hat und in Chung einen potentiellen Nebenbuhler sieht.

Die Verantwortung für das Zerwürfnis liegt nicht nur auf Seiten der Parteiführung. Auch Chung muss sich die Frage gefallen lassen, warum er, der unter Roh Mu Hyun bereits Vereinigungsminister war, bis zum Schluss darauf bestanden hat, sich für die Wahl aufstellen zu müssen. Diese Frage drängt sich auch deshalb auf, weil Chung außerdem im Nachbarwahlkreis dafür gesorgt hat, dass auch Shin Kuhn (Sin Geon; Geheimdienstchef unter Kim Dae Jung) aus der Minjudang (DP) austrat und sich als Parteiloser zur Wahl stellte und schließlich auch gewählt wurde. Somit wird deutlich, dass es sich bei Chungs machtpolitischem Taktieren nicht nur um Fahrlässigkeit, sondern um strategisches Kalkül gehandelt hat. Für sich persönlich und seine Kreise hat Chung mit diesem Erfolg Macht demonstriert und sein klägliches Scheitern bei den Präsidentschaftswahlen ein bisschen wiedergutmachen können. Doch für die Oppositionspartei bedeutet dies eine Schwächung. Chung hatte zwar noch vor der Wahl gesagt, er würde bei einem Erfolg der Minjudang (DP) wieder beitreten. Das lehnt die Führung jedoch bis heute rigoros ab. Und somit dieser Zwist auch eine Schwächung der gesamten Parteipolitik, weil mit Parteimitgliedschaften augenscheinlich leichtfertig und verantwortungslos umgegangen wird.

Dass Chung Dong-young sich und seinen Verbündeten Shin Kuhn (Sin Geon) in einer Hochburg der Minjudang (DP) als Parteilose aufgestellt hat und dann auch noch beide gewinnen konnten, zeigt die Wirkung der hiesigen Tradition politischer Kultur. In diesem Zusammenhang muss auch die Vorgehensweise der Parteien seit den letzten Präsidentschaftswahlen gesehen werden. Natürlich haben seit jeher die Partei-Bosse und –Eliten über die Schicksale von Kandidatur-Anwärtern entschieden. Doch mit dem Anfang vom Ende der „Zeit der Drei Kims“, also im Übergang zur Roh Mu Hyun-Regierung, bemühte man sich allseits merklich, parteiinterne Prozesse transparenter und demokratischer zu gestalten. Teilweise wurden Vorwahlen nach amerikanischem Vorbild eingeführt, um mehr Menschen in den Prozess mit einzubeziehen. Im Vorfeld der Parlamentswahlen 2004 wurde ausgehend vom progressiven Lager durch eine Art „spill-over-Effekt“ erreicht, dass fast alle Parteien versuchten, den Prozess der Kandidatenaufstellung so demokratisch wie möglich umzusetzen. Es kam ein regelrechter Wettstreit der Parteien darüber in Gang, wer sich dem Wahlvolk als „demokratischste“ Partei darstellen kann. Schließlich fiel man zwar auch hier hinter den Erwartungen zurück, aber die Verbesserungen waren deutlich.

Undemokratische Verfahren – Parteien defizitär institutionalisiert

Die Präsidentschaftswahlen 2007 haben dann wieder einmal gezeigt, wie wenig hilfreich ein gut gewolltes System ist, wenn die Menschen nicht bereit sind, sich daran zu halten. Nach langem Streit zwischen Faktionen der Hannaradang (GNP), die jeweils den beiden potentiellen Kandidaten Lee Myung Bak und Park Geun Hye (Pak Kǔnhye) nahestanden, einigte man sich auf einen Vorwahlen-Modus, der eindeutig die Chancen für Lee verbesserte. Park Geun Hye war bis vor einigen Jahren Vorsitzende der Hannaradang (GNP) und wurde bereits als nächste Präsidentin gehandelt. Die parteiinterne Niederlage nahm sie professionell zur Kenntnis. Hier bahnten sich bereits Risse in der Hannaradang (GNP) an. Nach der erfolgreichen Präsidentschaftswahl dominierte Lee Myung Bak die Partei, während sich die Park-Treuen benachteiligt fühlten. Als im Vorfeld der Kandidatenaufstellung für die 18. Parlamentswahlen im April 2008 durch einseitige Bestimmung der Parteispitze die Park-Getreuen wiederum von Kandidaturen ausgeschlossen werden sollten, traten viele aus der Partei aus, um als Parteilose anzutreten. Nicht wenige gründeten die Partei „Pro-Park-Koalition“ (Pro-Park Alliance – PPA). Andere, die als Parteilose antraten, ließen durchblicken, dass sie Park nahestanden, um von ihrer Popularität zu profitieren. Nach der Wahl konnte die Hannaradang (GNP) ihre Sitze im Nachhinein noch einmal um 17 Sitze aufstocken. Einige der Parteilosen und der Pro-Park-Koalition (PPA) traten der Hannara jedoch nicht wieder bei.

Bei den jetzigen Nachwahlen im Wahlkreis Gyeongju (Kyŏngju) konnte sich ein Kandidat durchsetzen, der sich als Parteiloser ausgab, aber auf hauswandgroßen Plakaten mit einem gemeinsamen Foto mit Park Geun Hye für sich bzw. mit ihr warb – mit Erfolg. Es spricht Bände, dass nicht der Hannaradang-Kandidat gewonnen hat, obgleich er tatkräftig vom einflussreichen älteren Bruder des Präsidenten, Lee Sang Deuk, unterstützt worden war. Damit ist ein weiteres Charakteristikum südkoreanischer Politkultur benannt – Regionalismus bzw. Personenkult. Das südöstlich gelegene Gyeongju (Kyŏngju) ist grundsätzlich rechtskonservativ, aber vor allen Dingen auch Park-treu. Auch die erfolgreiche Wahl der zwei Minju-Abtrünnigen im Südwesten stimmt mit diesem Wahlmuster überein. Hier ist die Wählergunst vor allen Dingen an die Person Chung Dong-young gebunden. Geholfen hat wahrscheinlich nicht nur, dass man sich von der Wahl des verlorenen Sohnes versprach, eine große Persönlichkeit „heimzuholen“, sondern auch, dass die Minjudang (DP) aggressiven Negativwahlkampf gegen Chung und Sin gemacht hat – ein Rezept, dass sich eigentlich bereits sowohl bei der Präsidentschaftswahl als auch bei der Parlamentswahl als Bumerang entpuppt hatte.

Auch die Minjudang (DP) hatte zur Kandidatenaufstellung ein Gremium installiert, das offiziell sogar von Parteiexternen geführt wurde, um ihrem eigenen Anspruch zu genügen, eine transparente und faire Kandidatenauswahl zu treffen. Doch die Folgewirkungen haben sich erst bei den jetzigen Nachwahlen gezeigt, als Chung als Spitzenkandidat austrat. Hier zeigt sich deutlich, wie in den vergangenen Jahren in den Parteien eine Organisationsreformpolitik umgesetzt wird, die mit Demokratisierung, Öffnung und Transparenz begründet wurde, aber schließlich zum Gegenteil führte.

Sisyphus-Sieg der progressiven Parteien

Der Wahlkreis in der südöstlich gelegenen Stadt Ulsan gehört eigentlich zu einer Region (Yeongnam/ Yŏngnam), die traditionell von Nachfolgeparteien der Diktatur und/oder rechtskonservativen Parteien dominiert wird. Zwar hat die progressive Minjunodongdang (Democratic Labor Party – DLP) durch die hohe Dichte von Fabrikarbeitern, die in der hier konzentriert angesiedelten Schwerindustrie (u.a. Hyundai) tätig sind, spätestens seit den Regional- und Kommunalwahlen 2002 einen Fuß in der Tür. Aber da der historische Aufschwung der Stadt auf den Initiator der Entwicklungsdikatur, Park Chung Hee, zurückgeht, wurden und werden die Wahlkreise deutlich von der amtierenden Regierungspartei beherrscht. Umso positiver ist das Zeichen, das damit gesetzt wurde, dass Jo Seung Su von der Jinbosindang (Progressive New Party – PNP) gewählt wurde. Jo konnte hier bereits 2004, damals noch als Kandidat der DAP, die Zustimmung der Bevölkerung erhalten, musste jedoch später sein Mandat aufgeben, weil ihm Übertreten des Wahlgesetzes angelastet werden konnte. Der jetzige Weg zum Neueinstieg ins Parlament war durchwachsen. Jo war Teil der Faktion, die sich im Verlauf von parteiinternen Konflikten Anfang 2008 von der Minjunodongdang (DLP) abspaltete und die Jinbosindang (PNP) gründete. Deshalb standen sich zuerst jeweils ein Kandidat der beiden progressiven Parteien Minjunodongdang (DLP) und Jinbosindang (PNP) in Ulsan gegenüber; man befürchtete, die Stimmen zu spalten, was wahrscheinlich den Sieg für den Kandidaten der Hannaradang (GNP) bedeutet hätte. Als die offizielle Wahlkampfzeit schon längst begonnen hatte, stritt man sich im progressiven Lager immer noch über eine gemeinsame Kandidatur und Kandidaten. Die lagerinternen Streitereien, die man bis in die 1980er Jahre zurückverfolgen kann, erinnern entfernt an die Konflikte innerhalb der Grünen in Deutschland in den 80er Jahren; ähnlich fundamental kommen die Auseinandersetzungen auch hier zum Ausdruck. Unter anderem ist der Sprecher der Minjunodongdang (DLP) im Verlauf der Streitigkeiten aus Protest zurückgetreten. Dass man sich schließlich auf einen Kandidaten einigen konnte, gibt Hoffnung für die Entwicklung des progressiven Lagers; dass Jo mit seiner Kandidatur auch noch erfolgreich war, macht Hoffnung für die Entwicklung der Parteienlandschaft im Allgemeinen. Neben den fünf Sitzen der Minjunodongdang (DLP) ist Jo nun der sechste Parlamentarier einer progressiven Partei in der südkoreanischen Nationalversammlung. Doch von vertrauenswürdiger Kooperation oder gar Versöhnung der beiden Parteien kann man hier nicht sprechen. Auch wenn das Ergebnis stimmt, hat sich im Prozess deutlich gezeigt, wie labil das progressive Lager weiterhin bleibt.

Fazit

Vom Ergebnis her zu urteilen, haben die Nachwahlen ihre Funktion als Zwischenbewertung der Regierung durch das Volk mehr oder weniger erfüllt. Das Regierungslager hat 5:0 verloren und damit ein klares Warnsignal vom Volk erhalten. Nun ist es wichtig, daraus auch die richtigen Lehren daraus zu ziehen – und das trifft ausnahmslos auf alle Parteien zu. Die Regierungspartei hatte sich am Folgetag nach dem Wahldebakel noch bedeckt gehalten. Parteiintern jedoch ist zu vermuten, dass es zwischen den konkurrierenden Faktionen brodelt – ein Parteitag steht unmittelbar bevor. Reformkräfte der Partei fordern nun eine Erneuerung der Partei. Dazu gehört auch eine klare Aufgabenverteilung innerhalb des Regierungslagers zwischen Blauem Haus und Parlament. Die Minjudang (DP) stellt sich mit ihrem einen gewonnenen Parlamentssitz überschwänglich als Siegerin dar. Doch auch hier haben die Machtkämpfe um die Parteiführung mit dem Wahlerfolg Chungs unweigerlich begonnen. Das wird sich wahrscheinlich bei der anstehenden Wahl des neuen Fraktionsvorsitzenden in kapp zwei Wochen bereits manifestieren. Die Jinbosindang (PNP) freut sich über ihren ersten Parlamentseinzug, aber für eine Fraktionsbildung, für die mindestens 20 Abgeordnete notwendig sind, reicht es selbst im Zusammenschluss mit der Minjunodongdang (DLP) noch lange nicht – abgesehen von den delikaten Beziehungen innerhalb des progressiven Lagers.

Wie den institutionellen Defekten des Parteiensystems, die sich auch bei diesen Wahlen wieder einmal deutlich gezeigt haben, beizukommen ist, bleibt weiterhin eine schwer zu beantwortende Frage. Dass unter anderem die Wahlkreisorganisationen der Parteien 2004 gesetzlich verboten wurden, hat sicherlich nicht zur Förderung einer funktionierenden Basisdemokratie beigetragen. Auch die teilweise eingeführten Vorwahlen sind ein umstrittenes Thema. Die Einführung der Zweitstimme andererseits hat sich durchaus bewährt, wenn auch 56 Listenmandate von 299 Sitzen im Parlament ein sehr geringer Anteil ist. Aber eine einfache Erhöhung wäre auch nicht die Lösung, weil sich dadurch die traditionelle Mandatsschacherei höchstwahrscheinlich nur ausweiten würde, obgleich das Gegenteil bewirkt werden soll. Insofern zeigt sich hier auch sehr deutlich, dass das politische System von institutioneller Seite her zu justieren, nur eine Seite der Medaille ist. Auf deren anderen Seite steht die Weiterentwicklung der politischen Kultur bzw. Praxis. Das gilt sowohl für die Politiker als auch für die Wähler.

Nach den Wahlen ist vor den Wahlen. Im Oktober folgen weitere Nachwahlen und im kommenden Jahr stehen Regionalwahlen an.

4. Mai 2009