Migration und Flucht

Ein Blog des Lateinamerika-Intituts der Freien Universität Berlin

Tagungsbericht: Prämissen des Migrationsrechts

EIN BERICHT AUS DEM BÜRO

 



Im Sommersemester lief ich durch das Gebäude des Lateinamerikainstituts am Breitenbachplatz und überlegte mir, was ich denn so in dem 3. Fachsemester machen sollte.

“Ihr könnte ein Auslandssemester machen” “Ihr könnt Kurse an der Uni besuchen!” “Ihr könnt ein Praktikum machen!” – die Stimmen von den Informationsveranstaltungen halten noch nach und es kamen noch weitere dazu: “Lateinamerikastudien ist ein Orchideenfach, was du damit wohl später mal machen wirst!” und “Arbeitserfahrung! Arbeitserfahrung ist das A und O! Netzwerken und gu-cken in welchen Job du dir später für dich selbst vorstellen kannst!”.

Später entdeckte ich auf der LAI Internetseite ein paar Ausschreibungen. Dann bewarb ich mich beim Sachverständigen-rat deutscher Stiftungen für Migration und Integration (SVR).

Das Bewerbungsgespräch lief gut und ich hatte eine Zusage für den Praktikumsplatz. Von Anfang August bis Ende Oktober bin ich nun Praktikantin im Forschungsbereichs des SVR. Der SVR wurde 2008 von verschiedenen deutschen Stiftungen gegründet (u.a. die Mercator Stiftung und die VolkswagenStiftung) wie der Webseite zu entnehmen ist, “lag (der Initiative) der Befund zu Grunde, dass es einer unabhängigen Institution der wissenschaftlichen Politikberatung in diesem komplexen und emotionalisierten Themenfeld bedarf”. Um diesem Anspruch gerecht zu werden gibt es zwei Abteilungen im SVR: zum einen gibt es den Arbeitsbereich des Jahresgutachtens, in welchem jedes Jahr ein Gutachten herausgegeben wird, in welchem ver-schiedene Themen behandelt werden und Handlungsempfehlungen in den Themenfeldern verge-ben werden. Der andere Arbeitsbereich des SVR ist der Forschungsbereich. In diesem Bereich wird eigenständige, anwendungsorientierte Forschung im Bereich Migration und Integration betrieben. Die Ergebnisse dieser Arbeit werden in Form von Pressekonferenzen, Publikationen, Vorträgen und Hintergrundgesprächen mit der Öffentlichkeit geteilt.
Bei dieser Arbeit unterstütze ich nun das Team bei verschiedenen Forschungsvorhaben. Und da alle immer viel zu tun haben ist leider nicht so viel Zeit um alle spannenden Veranstal-tungen in Berlin zum Thema Migration und Integration zu besuchen. Im Folgenden könnt ihr nun einen kurzen Bericht über eine aktuelle Tagung an der Humboldt Universität zu Berlin lesen, bei welcher es um Prämissen des Migrationsrechts ging. Auf diese hatte mich eine Kollegin aufmerksam gemacht.


Eine Woche später machte ich mich auf den Weg vom Hackeschen Markt (wo die Büroräume des SVR sind) zum Grimm-Zentrum der Humboldt Universität zu Berlin und setzte mich in das Auditorium. Mir ging durch den Kopf dass das – soweit ich mich erinnern konnte- die erste richtige Tagung war die ich je besucht hatte.

Zu Beginn stellte Dr. Frederik von Harbou die Idee des Migrationsrechts vor. Er bezog sich damit auf sämtliche rechtliche Komplexe welche mit der Migration von Menschen zu tun haben. Zentral geht es dabei um verschiedene Zwecke welche eine Aufenthaltserlaubnis be-gründen können: Arbeit/Bildung, Familie, Flucht, Besuch/Urlaub. Des Weiteren umfasst das Mig-rationsrecht, nach seinen Ausführungen, die Niederlassungserlaubnis welche ohne bestimmten Zweck und nach frühestens fünf Jahren ausgestellt werden kann. Er erläuterte zudem, dass diese Thematiken nicht wirklich in die Curricula von rechtswissenschaftlichen Studiengängen ein-gearbeitet sind, obwohl es sich um sehr komplexe rechtliche Regelungen handelt, welche auch verschiedene rechtliche Ebenen durchziehen (internationales Recht, nationales Recht aber auch rechtliche Regelungen auf Bundesebene).

Nach diesem ersten Input machte Emilia Jawad von der Universität Wien weiter. Sie stellte ihre vorläufigen Ergebnisse einer Diskursanalyse des EU Diskurses über Migration vor. Sie kam bisher zu dem Ergebnis, dass im Diskurs der EU zwar irreguläre Migration als kriminelles Verhalten dargestellt wird, welches dem zufolge bekämpft werden muss. Diese „Bekämpfung“ finde aber nicht in dem Maße statt in welchem die EU darüber spreche. Dadurch schließt Emilia Jawad darauf, dass dieses Spannungsverhältnis zwischen Wort und Tat gewollt ist und die EU bewusst, ähnlich wie in den USA, diese irreguläre Migration öffentlich verdammt aber sie nicht unterbindet, da sie im Endeffekt im ökonomischen Interesse der EU sei.

Im Anschluss daran stellte Kevin Fredy Hinterberger, ebenfalls von der Universität Wien, den Gegenstand seines Promotionsvorhabens vor. Ähnlich wie Emilia Jawad befasst auch er sich mit irregulärer Migration. Sein Forschungsgegenstand sind Personen welche durch eine irreguläre Einreise nach Österreich gekommen sind und auch einen irregulären Aufenthaltsstatus haben. Da dieser irreguläre Aufenthalt bekämpft werden soll, stehen nach der offiziellen EU Logik verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung: die freiwillige Ausreise, die Abschiebung und die Regulation. Da viele der Personen nicht freiwillig ausreisen können oder wollen, viele aber auch nicht abgeschoben werden können, es in Österreich aber scheinbar auch kein Duldungsdo-kument gibt oder dieses nur sehr selten ausgestellt wird, bleiben diese Menschen in einer grau-en Zone hängen. Um dem entgegenzuwirken spricht sich Hinterberger für die Schaffung rechtlicher Regelungen (Regulation), z.B. in Formen von Amnesien, aus.

Thematisch ging es in dem Bereich der Grenzsicherung und Aufrechterhaltung der Kon-trolle durch Nationalstaaten weiter: Der nachfolgende Sprecher, Dr. Matthias Lehnert, hielt einen Vortrag über EU Agenturen und als Beispiel stellte er Frontex vor. Der Begriff der Agentur stammt aus den USA aus dem ‚New Public Management‘ Bereich. Anstelle von Weisungen und Aufsicht (Hierarchie) gelten bei Agenturen Autonomie, Effizienzgedanke und Outputorientiertheit. Agenturen haben vier Merkmale: Sie sind

  1. Behörden für öffentliche Angelegenheiten
  2. Teil der Exekutive
  3. Behörden für bestimmte Aufgaben

institutionell ausgegliedert und selbst-ständig.
Frontex ist damit der Prototyp einer europäischen Agentur und sie hat fünf Tätigkeitsbereiche:

  1. Analysen
  2. Forschung und Entwicklung von Grenzschutz
  3. Schulungen und Handbücher
  4. Organisation und Durchführung von Rückführungen und Abschiebungen
  5. Grenzschutz.

Nummer 4) und 5) werden allerdings nicht direkt von Frontex-Beamten durchgeführt, sondern die Agentur gibt nur „Empfehlungen“ ab, welchen selten bis nie von den nationalen Behörden widersprochen wird. Das große Problem liegt laut Dr. Lehnert darin, dass Frontex keiner Kontrolle unterliegt. Seit 2011 gibt es zwar einen Menschenrechtsausschuss bei Frontex, doch kann dieser nur allgemeine Berichte erstellen, hat nur eingeschränkte Beobachtungsmöglichkeiten und hat somit keine ef-fektiven Möglichkeiten Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Demzufolge ergeben sich als Probleme bei Frontex: Intransparenz, keine Kontrolle, fehlende Hinterfragung der Abwehr illegalisierter Migration und es stellt sich die Frage gegen wen Migranten Rechtsschutz suchen können. Diesen Beitrag fand ich persönlich sehr spannend, da ich mir schon länger darüber Ge-danken gemacht habe wie Frontex funktioniert. Man hört immer nur den Namen dieser EU Agentur, weiß aber nicht worin ihre Aufgaben bestehen und wie sie sich legitimiert.

Nach der Mittagspause ging es weiter mit einem Beitrag von Pauline Enders de Oliveira über den „legalen Zugang zu Schutz in der EU“ gehalten. Asyl ist bis heute ein territorial gebun-denes Recht. Dadurch entsteht aber die Problematik, dass die Personen, welche Asyl beantra-gen möchten, erstmal auf das Territorium eines anderen Staates kommen müssen um ebenje-nes zu beantragen. Dies wird zum Problem, da es keinen legalen Weg gibt das Territorium eines anderen Staates zu erreichen in welchem dann um Asyl gebeten werden kann. Um dieses Prob-lem zu lösen gibt es verschiedene Ansätze, welche Frau Enders de Oliveira vorgestellt hat:

  1. Visumspflicht aufheben
  2. ‚Asyl’visum / humanitäres Visum
  3. extraterritoriale Asylzentren
  4. staatliche Aufnahme Programme (Kontingente/Resettlement)
  5. „private sponsorship“
  6. Familiennachzug

Jeder der möglichen Lösungsansätze hat vor und Nachteile und generell frage ich mich, wieso die Bewegungsfreiheit von Menschen durch irgendwelche Grenzen und Vorschriften einge-schränkt werden muss. Doch meiner Einschätzung nach wird es in allzu naher Zukunft nicht zu einem weltweiten Abbau von Grenzen kommen und somit ist es durchaus sinnvoll über mittel-fristige Lösungen für das Problem des fehlenden legalen Zugangs zu finden. Bei Ideen wie „extraterritorialen Asylzentren” ist meines Erachtens allerdings Vorsicht geboten, da es zu einem System ähnlich dem australischen führen könnte.

Mit diesem letzten Beitrag schließe ich nun meinen Blogbericht über mein Praktikum beim SVR und die Tagung zu Prämissen des Migrationsrechts und hoffe euch einen kleinen Einblick in die Welt der staatlichen Ideen zur Regulierung von Aufenthalten gegeben haben zu können!


Weitere Informationen

https://www.svr-migration.de
https://www.migrationsrecht2016.eu

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Der Beitrag wurde am Freitag, den 7. Oktober 2016 um 15:17 Uhr von Dörte Krebsbach veröffentlicht und wurde unter Beiträge, Berichte, Migration nach Europa abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf Ihrer Seite einrichten.

Eine Reaktion zu “Tagungsbericht: Prämissen des Migrationsrechts”

  1. Ivana Marotta

    Wenn Agenturen wie Frontex intransparent arbeiten und nicht ausreichend gegen Menschenrechtsverletzungen vorgehen können, müsste man Frontex nicht ersetzen oder eventuell die Strukturen und Möglichkeiten der Agentur so modifizieren, dass bestimmte Problematiken besser gelöst werden können?

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