Migration und Flucht

Ein Blog des Lateinamerika-Intituts der Freien Universität Berlin

Willkommenskultur – Ein Kommentar

Ein jeder kennt die Hoffnung. Man hofft auf einen guten Abschluss, eine gute Arbeit, mehr Geld, den lang ersehnten Urlaub. Ein Anderer hofft offen Rechnung begleichen zu können, genug Geld zu haben um die Familie versorgen zu können oder einer geliebten Person ein lang versprochenes Geschenk zu ermöglichen, doch dies wird zur Nebensächlichkeit wenn die einzige Hoffnung darin besteht, unabhängig von Hab und Gut, einen Ort Zuhause zu nennen ohne alltäglicher Angst vor Unterdrückung, Verfolgung oder Tod. Man könnte sagen ein Leben ohne jegliche Perspektive. Dort haben Hoffnungen einen vollkommen anderen Stellenwert. Die Hoffnung auf Bildung, Selbstbestimmung, Sicherheit, ein gutes Leben, eine Arbeitsstelle, Geld, mehr Rechte, aber besonders das Hoffen auf ein besseres Leben. Wie das, was man in diesem Moment hat, und insbesondere die Angst vor Erniedrigung, Vergewaltigung, Mord ist der Antrieb Millionen von Menschen. Ihr Leben den Schleppern für mehreren Tausend Euro anzuvertrauen um als Flüchtling Asyl in den EU-Staaten zu bekommen. Nach langen, kräftezehrenden und gefährlichen Monaten/Tagen/Stunden über Land oder Meer gelangen sie an die Küsten Griechenlands, Italiens und der Türkei. Nach dem Ankommen in der EU erfolgt meist die Ernüchterung, denn Registrierung und stellen eines Asylantrages im Zielland ist nicht einfach, insbesondere nicht durch die Vielzahl an Menschen, die die europäischen Staaten erreichten. Doch wie kam es zu den Massen, die Deutschland bis heute beschäftigen?

Die lange ignorierten Probleme im Nahen Osten und Nordafrika führten zu Flüchtlingswellen, die ihren Höhepunkt am 4. – 6. September 2015 fanden und die europäischen Staaten im vergangenen Jahr nachhaltig veränderten. Innerhalb von 72 Stunden machten sich Tausende von Menschen auf dem Weg nach Deutschland und waren der Anfang der sog. Willkommenspolitik. Ausgangpunkt waren die Flüchtlinge, die tagelang in Budapest gezwungen wurden am Bahnhof zu verweilen, da die ungarische Regierung den Weitertransport nach vorangegangener Registrierung nach Osteuropa aussetzte. Bewegung in die Situation brachte eine Twitternachricht des BamF (Bundesministeriums für Migration und Flüchtlinge) das auch nichtregistrierte syrische Flüchtlinge in Deutschland willkommen seien. Die darauffolgende Kettenreaktion war vorhersehbar. Ungarn nutze die Chance und verfolgte fortan eine Eskalationspolitik (Blume 2016: 2). So erklärte man, man könne die Registrierung nicht mehr gewährleisten und schob das „Problem Flüchtlinge“ ab, nach Österreich und Deutschland. Es machten sich nicht Menschen zu Fuß auf dem Weg, die ungarische Regierung schickte volle Busse Richtung Grenze und später wurden Züge geschickt um die Menschen abzuholen (ebd.). Folge der Grenzöffnung waren eine Million Flüchtlinge, die sich keiner Sicherheitsprüfung unterzogen wurden und eine Entscheidung, die das Land spaltete. Man kann es auch eine Zäsur für Gesellschaft und Politik nennen, die ganz Europa veränderte. Andere europäische Staaten kapitulierten unter dem Ansturm, und ebneten den Flüchtlingsstrom nach Deutschland. Es folgte eine Willkommenskultur, die, besonders in den Ballungsräumen, schnell an ihre Grenzen stieß.

Für die Asylbewerber*innen bedeutete das Chaos der Willkommenskultur einen Verlust der euphorischen Vorstellungen und Hoffnungen, die sie vor der Einreise hatten. Asylbewerber*innen leben in Auffanglager in kleinen Räumen mit Wänden aus MDF-Platten, wo Menschen mit den verschiedensten kulturellen und schulischen Hintergründen aufeinandertreffen. Was eigentlich nur als Überganglösung geplant war, ist mittlerweile Realität geworden, denn noch immer leben viele Asylbewerber*innen in den Auffanglagern und warten auf ihre Aufenthaltsgenehmigung, Abschiebung, oder auf integrationstypische Dinge, wie Deutschkurse, Plätze an Schulen und Kindergärten, Wohnungen, etc. Das anfängliche offensichtliche Fehlen von Infrastruktur, Polizei, Rechtlichem, Administrativem und Logistischen scheint bis heute nicht gelöst. Was ist das Resultat dessen?

Resultat dieser bürokratischen Versäumnisse sind die Auffanglager, die sich z.T. bereits in eigene Städte verwandelt haben, in denen die Menschen isoliert und abgeschottet von der eigentlichen Gesellschaft leben und nicht in der Lage sind sich zu integrieren. Zwar liest und hört man immer wieder Erfolgsgeschichten über voll integrierten Asylbewerber*innen, doch in Wahrheit ist das nur ein Bruchteil der Realität, ein Mittel des Schönschreibens der Willkommenskultur in Deutschland. Denn die Willkommenspolitik hat sich eher in eine Isolations- oder Abschottungspolitik entwickelt, als eine angemessene Integrationsstrategie, insbesondere auch durch dem Irrtum, den viele erliegen Integration sei eine einseitige Angelegenheit der Anpassung an die bestehende Gesellschaft, denn es ist grundsätzlich ein wechselseitiger Austausch. Die Hoffnung kann man an dieser Stelle als Spiegelbilder der Herkunftsländer betrachten, die die Asylbewerber*innen und die aufnehmende Gesellschaft trennen. Die Vorstellungen über das Andere sind bei der Integration  von besonderem Interesse, da der Grad der Integration davon beeinflussen werden kann, wie z. B.  kann die Offenheit oder die Abschottung gegenüber der Neuankömmlinge forciert oder bremst werden. Folglich werden die Asylbewerber*innen häufig verallgemeinert und als zu wenig demütig oder dankbar dargestellt, oder über Terroranschläge oder sexuelle Übergriffe (Silvesternacht in Köln) gleichgesetzt, obwohl auch es sich auch hier nur um kleine Gruppen handelt. Auch die Unterscheidung Migrant*innen und Asylbewerber*innen wird kaum noch vorgenommen, trotzdem rechtlich und politisch gesehen ein Unterschied besteht. Migrant*innen immigrieren z.B. durch Arbeit, und können abgeschoben werden. Asylbewerber*innen bzw. Flüchtlinge kommen z.B. aus Ländern mit politischer Verfolgung, denen Asyl gewährt werden muss.

Folgen der Gleichsetzung aller Migrant*innen und Asylbewerber*innen sind vielschichtig. Der Irrtum Integration als Anpassung anzusehen und die Taten Einzelner treiben viele in die Fremdenfeindlichkeit, dem Rechtspopulismus und der Rechtsradikalität, denn diejenigen fürchten durch die Zuwanderung eine Veränderung der nationalen Kultur und eine Belastung des Sozialsystems. Eine Ursache ist der gegenwärtige Anstieg der Popularität des Rechtspopulismus in ganz Europa. Die Populisten definieren sich als Stimme des Volkes und nutzen die Unzufriedenheit der Bevölkerung aus und schlagen daraus Profit, wie die letzten Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern; Niedersachsen und  Berlin. Hervorzuheben ist, dass es einen Unterschied zwischen radikalen politischen Entscheidungen in einem Ausnahmezustand und verallgemeinerte Aussagen durch die ein Ausnahmezustand entstehen soll und somit die radikale Entscheidung forciert (Cassier 2016:16). Ersteres war z.B. Winston Churchills Ablehnung jeglicher Verhandlungen mit Nazideutschland, da das Leben von Millionen von Menschen auf dem Spiel standen.  Letzteres ist Teil des Leitbild rechtspopulistischer Parteien, die den Islam als Religion in Gänze als in Konflikt stehend mit der deutschen Verfassung stellt (ebd.). Solche Äußerungen liefern dem Leser die Schlussfolgerungen immer auf einem Silbertablett, eine Schlussfolgerung, die nur aus schwarz und weiß besteht. Entweder verbietet man den Islam, oder es wird die Beschädigung der Verfassung stillschweigend akzeptiert. Wie ein solches Verbot in einem Land mit Religionsfreiheit aussehen soll, bleibt dabei zu jeder Zeit spekulativ (ebd.). Im Falle der Asylbewerber*innen werden diese von Opfern zu Tätern umdefiniert, zu Invasoren, die die Kultur, die Gesellschaft und das politische System gefährden. Die Aussage und Wirkungen werden grundsätzlich unter der Thematik des Tabubruchs inszeniert, d.h. die übergroße Mehrheit der Parteien, Medien und Bevölkerung hat entschieden jeden anzugreifen oder mundtot zu machen, der sich gegen die Äußerung wehren, der Islam sei verfassungswidrig oder eine Gruppierung gefährde das Land (ebd.). Sie verdrehen somit die Tatsachen und stellen die Mehrheit als totalitär und ohne jegliche Moral da, die andere Positionen unterdrücken, um sich so als Retter zu inszenieren und den Islam als Sündenbock der Probleme darzustellen. Weitere Nährboden für die Bewegungen ist der Vertrauensverlust an das System und den Parteien selbst. Merkels „Das schaffen wir“ wurde zu einer Phrase, die den Eindruck von Schönreden einer Situation an die Menschen vermittelt, dabei erwecken die Behörden den Eindruck der Überforderung. Resultat ist, dass die Integration politisch und administrative sichtlich nicht voranschreitet und man das Empfinden hat, dass die Behörden auf der Stelle treten.

Die Willkommenskultur hat sich in Deutschland sehr schnell in eine Abschottung umgewandelt, in dem es an Integrationsmitteln fehlt. Integration auf Basis der Anpassung und der Wir-Ihr Mentalität ist zum Scheitern verurteilt, nicht zuletzt durch die Lebensbedingungen der Asylbewerber*innen, den Vorurteilen anderer, die Taten Einzelner oder der Politik. Der Verlust des Vertrauens der Bevölkerung scheint am problematischsten, da dadurch Fremdenfeindlichkeit, Populismus und Radikalismus entstehen und besonders Gegenbewegungen politisch Fuß fassen um die Willkommenskultur zu untergraben und fremde Kulturen und Religionen zu verunglimpfen. Doch Integration des Anderen ist eine Bereicherung einer jeden Gesellschaft und deren Kultur. Hierbei sollte Integration vielmehr sein als ein mit allem vertraut werden  – Staat, Bürger und Asylbewerber*innen – nämlich ein aufeinander zugehen um den Teufelskreis zu durchbrechen, nach dem Motto respektvoller Umgang untereinander und miteinander. Denn nur dann können wir den Menschen ihre Hoffnungen und Wünsche ermöglichen, das Sozialsystem gerecht nutzen und den rechtspopulistischen Parolen zu begegnen. Zu erreichen ist dies nur durch mehr Transparenz in politischen Entscheidungen, mehr Aufklärung durch die Medien und mehr Diskussion um Fakten geradezurücken um sich gegen den politischen und sozialen Rechtsruck in ganz Europa zu verteidigen und das Vertrauen der Bevölkerung wiederzugewinnen

Man sollte sich heute vielmehr fragen, wie wir sein wollen und nicht was wir schaffen wollen. Wollen wir offen gegenüber anderen sein, oder uns abschotten und somit den Terrorismus in seinem Bestreben die Welt zu entzweien noch unterstützen. Oder wollen wir den Menschen die Hoffnungen wiedergeben?

Literatur:

Blume, Georg, Marc Brost, Tina Hildebandt, Alexej Hock, Sybille Klormann, AngelaKöckritz, Matthias Krupa, Mariam Lau, Gero von Randow, Merlind Theile, Michael Thumann und Heinrich Wefing 2016: Was geschah an diesem Wochenende wirklich?. Die Zeit 35, S. 2.

Cassier, Philip 2016: Die Rhetorik der Radikalen. Die Welt 136, S. 16.

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Der Beitrag wurde am Freitag, den 7. Oktober 2016 um 22:13 Uhr von Bianca Biermann veröffentlicht und wurde unter Beiträge, Migration nach Europa abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf Ihrer Seite einrichten.

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