Migration und Flucht

Ein Blog des Lateinamerika-Intituts der Freien Universität Berlin

Klimamigration in Lateinamerika

Der Klimawandel ist die aktuell größte globale Herausforderung für die Menschheit. Der durch treibhausgase verursachte weltweite Temperaturanstieg führt zum Anstieg des Meeresspiegels und Extremwetterereignissen wie Stürme, Dürren und Waldbrände. Diese Entwicklung hat nicht nur gravierende Auswirkungen auf das Ökosystem unseres Planeten und unsere Lebensgrundlage, sondern beeinflusst in weiterer Folge auch die Mobilität der Menschen. 

Klimawandel und Migration 

Bis Mitte der 1980er Jahre spielte der Zusammenhang zwischen Umweltfaktoren, dem Klimawandel und der menschlichen Mobilität ein der Wissenschaft und insbesondere der Migrationsforschung kaum eine Rolle. 

Dies änderte sich, als das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) 1985 den Begriff des „Umweltflüchtling“ definierten. Der Begriff bezeichnet Menschen, die für einen gewissen Zeitraum oder dauerhaft ihre angestammte Heimatstätte verlassen müssen, weil Umweltereignisse dort ihre Existenz bedrohen.[1]

In den 2000er Jahren rückte das Thema auch auf politischer und institutioneller Ebene in den Fokus: 2007 wurde beispielsweise die Internationale Organisation für Migration (IOM) damit beauftragt sich des Themas der Umweltmigration anzunehmen und seit 2015 gibt es bei der IOM eine Einheit, die sich ausschließlich dem Thema „Migration, Umwelt und Klimawandel“ widmet.[2]

Die Folgen des Klimawandels bekommen besonders Menschen im globalen Süden zu spüren. Sie sind diejenigen, die wenig bis gar nicht zur globalen Klimakrise beigetragen haben, aber nun am stärksten unter den Folgen leiden.[3]

Der Ständige interinstitutionelle Ausschuss der Vereinten Nationen (IASC) hat vier wesentliche klimabedingte Migrationsbewegungen auslösende Szenarien identifiziert: 

1) Hydrometerologische Katastrophen: Der Anstieg des Meeresspiegels, sowie dessen hydrometerologische Folgen (Zunahme von periodischen Überflutungen, tropischer Stürme, Küstenerosion, Versalzung der Küstengewässer) stellen einen wesentlichen Anlass möglicher Massenwanderungen dar. 

2) Folgen der schleichenden Verschlechterung von Umweltbedingungen: Dürren, Wüstenbildung und der damit verbundene Rückgang der landwirtschaftlichen Erträge gehören laut Teilstudien des UN-Millennium Ecosystem-Assessment zu den zukünftig stärksten Folgen, die Menschen aus Trockenregionen auswandern lässt. Denn die Folgen des Wassermangels sind weitreichen: Schwierigkeiten der Trinkwasserversorgung, Ernteverluste, Gesundheits- und Hygieneprobleme. 

3) Signifikanter andauernder Verlust von Staatsterritorium: Einige Staaten müssen aufgrund von Landverlusten und der Versalzung von Küstenregionen Bewohner ihrer Inselstaaten permanent umsiedeln.

4) Bewaffnete Konflikte um schwindende Ressourcen: Der klimabedingte Rückgang kultivierbarer Ackerflächen und Wasservorräte begünstigt religiöse, ethnische und zivilgesellschaftliche Konflikte. [4]

In den kommenden Jahrzehnten werden viele Menschen mit den Auswirkungen des Klimawandels auf ihre Lebensgrundlage konfrontiert werden und infolgedessen freiwillig oder fluchtartig innerhalb von Staaten und über staatliche Grenzen hinweg migrieren. Dabei haben die westlichen Industriestaaten, als Hauptverantwortliche für den Klimawandel, eine besondere Verantwortung gegenüber den Leittragenden der klimabedingten Migration. Es wird entscheidend sein, inwiefern die Industriestaaten bereit sind ihrer Verantwortung für den Schutz der KlimamigrantInnen nachzukommen. Dies kann entweder durch die Aufnahme dieser Menschen oder durch erhebliche Unterstützungsleistungen, um die Klimafolgen abzumindern geschehen. Aber auch nationalstaatliche und regionale Rechtsinstrumente müssen KlimamigrantInnen in den Herkunftsländern besser schützen. Es ist dringend notwendig das Phänomen der klimabedingten Migration anzuerkennen und Regelwerke daran anzupassen.[5]

Klimamigration in Lateinamerika 

Als Nährboden für schon heute zu beobachtende Klimarisiken und -konflikte gelten fragile Regierungsstrukturen – Staaten im Übergang von autoritären zu demokratischen Strukturen, oder Staaten mit geringen legislativen und administrativen Problemlösungskompetenzen. Zahlreiche Länder in Lateinamerika und der Karibik erfüllen genannte Voraussetzungen auf die eine oder andere Weise und zählen in Kombination mit ihrer geographischen Exposition somit zu den weltweit am stärksten vom Klimawandel betroffenen Regionen.[6]

Neben den Verlusten von Wäldern zählen auch das Schmelzen der Andengletschern, Veränderungen der Regenmengen und -art, die Gefahr der Wüstenbildung, sowie der Anstieg des Meeresspiegels zu den gravierenden Folgen des Klimawandels.[7] Im Zentrum der Klimakrise stehen somit die Wasserversorgung, die Stromsicherheit, die Landnutzung und die Urbanisierung. In ländlichen Gebieten kommt es vermehrt zu klimabedingten Trockenperioden, in Städten zu Hitzewellen und in den tropischen Anden zu schmelzenden Gletschern. Die damit einhergehende Dürren, Überschwemmungen und Beeinträchtigung der Wasserversorgung haben gravierende Auswirkungen auf die Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung: Kleinbäuerliche Strukturen verschwinden zunehmend und der Abwanderungsdruck steigt. Auch die Stromversorgung ist in Gefahr, da Lateinamerika 60% seiner gesamten Stromversorgung aus Wasserkraft und einen Großteil davon aus Gletscherwasser.[8]

Durch die schwindenden Ressourcen laufen laut einem WBGU Gutachten besonders lateinamerikanische Länder Gefahr, noch stärkeren bewaffneten Konflikten ausgesetzt zu sein.[9] Die Konflikte spielen sich zwischen internationalen Agrarkonzernen, regionalen Großgrundbesitzern, Landarbeitern und indigenen Bevölkerungsgruppen ab, ausgeführt werden sie häufig durch angeheuerte Paramilitärs.

Zuletzt ist auch der steigende Urbanisierungsdruck als Folge des Klimawandels in Lateinamerika zu benennen, denn durch klimabedingten Abwanderungsdruck aus ländlichen und anderen gefährdeten Gebieten leben inzwischen fast 80% der Menschen in Lateinamerika heute in Städten. Die Megacities haben mit Umweltproblemen, illegalen Wohnsiedlungen, mangelnder Transportinfrastruktur, Kriminalität sowie unzureichender Sanitär- und Wasserversorgung und den klimabedingten Extremereignissen wie Überflutungen, Hitzewellen und ähnlichen zu kämpfen.[10]

Besonders von den Auswirkungen des Klimawandels in Lateinamerika sind die sehr armen Bevölkerungsgruppen, die oftmals nicht in der Lage sind, sich vor Ort an die schwerwiegenden Veränderungen anzupassen und dementsprechend häufig migrieren wollen. Klimabedingte Migration wird jedoch bis heute im lateinamerikanischen Kontext kaum politisch adressiert. Die Länder lassen nur vage Absichten zum Umgang mit Klimamigration verlauten und in den nationalen Klimaschutzzielen spielt Migration kaum eine Rolle.[11] Für den Umgang mit der zukünftigen klimabedingten Migration bedarf es den Aufbau und die Weiterentwicklung kommunaler Strukturen in Form von Verwaltungen, klimasensibilisierter Politik.[12] Aber auch transnational und hier in Europa müssen wir uns Gedanken über mögliche Problemlösungen machen, so sind doch die westlichen Industriestaaten Hauptverantwortliche des Klimawandels. Gleichzeitig hat Lateinamerika für Europa im Zuge diverser Freihandelsabkommen, auch eine große wirtschaftliche und geopolitische Bedeutung. Diogo Serraglio und Benjamin Schraven plädieren daher für mehr wissenschaftliche und politische Kooperationen um nachhaltigere und sozial inklusivere Entwicklungsperspektiven der Klimamigration zu schaffen.[13]


[1] https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/282320/der-zusammenhang-zwischen-klimawandel-und-migration

[2] https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/286832/umwelt-und-klimamigration-begriffe-und-definitionen

[3] https://www.global2000.at/publikationen/klimamigration

[4] https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/57263/betroffene-gebiete

[5] https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/57269/fazit

[6] https://www.kas.de/de/web/auslandsinformationen/artikel/detail/-/content/sicherheitsrisiko-klimawandel

[7] https://www.die-gdi.de/die-aktuelle-kolumne/article/warum-wir-mehr-ueber-klimamigration-in-lateinamerika-reden-muessen/

[8] https://www.kas.de/de/web/auslandsinformationen/artikel/detail/-/content/sicherheitsrisiko-klimawandel

[9] https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/57263/betroffene-gebiete

[10] https://www.kas.de/de/web/auslandsinformationen/artikel/detail/-/content/sicherheitsrisiko-klimawandel

[11] https://www.die-gdi.de/die-aktuelle-kolumne/article/warum-wir-mehr-ueber-klimamigration-in-lateinamerika-reden-muessen/

[12] https://www.kas.de/de/web/auslandsinformationen/artikel/detail/-/content/sicherheitsrisiko-klimawandel

[13] https://www.die-gdi.de/die-aktuelle-kolumne/article/warum-wir-mehr-ueber-klimamigration-in-lateinamerika-reden-muessen/

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Der Beitrag wurde am Samstag, den 31. Juli 2021 um 16:46 Uhr von Anna-Sally Westermann veröffentlicht und wurde unter Allgemein, Beiträge, Berichte abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf Ihrer Seite einrichten.

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