Wie werden Ideen kreativ? Praktiken der Wertbestimmung in der Pharmabranche
Von Alice Melchior, Hamburg/Berlin, 25 Januar 2017
Thematischer Hintergrund
In der Pharmabranche spielen kreative Ideen und Innovationen eine herausragende Rolle, da nur so pharmazeutische Fortschritte erzielt werden können. 2013 belegte die forschende Pharmaindustrie den ersten Platz der forschungsintensivsten Industriezweige, gefolgt von Elektronik, Optik und Automobilbau (Fischer/ Breitenbach, 2013). Etwa 21% der Beschäftigten in Pharmaunternehmen arbeiten im Bereich der Forschung und Entwicklung (ebd.). Demnach ist die Pharmabranche eine sehr wissens- und forschungsintensive Branche, in der Innovationen ein fester Bestandteil sind.
Zunehmende Entwicklungskosten und -zeiten für neue Wirkstoffe bei abnehmender Erfolgsquote (ebd.), stellen die Branche vor neue Herausforderungen. Durch eine Umstellung ihrer Strategien versuchen Pharmaunternehmen auf die neuen Herausforderungen zu reagieren. Folgt man den Beschreibungen von Fischer/ Breitenbach (2013) gibt es eine Entwicklung von der Pharma 1.0 (Blockbuster-Modell; reines Streben nach Umsatzwachstum) über Pharma 2.0 (heutiges Modell; Ausweitung des Markt- und Produktportfolios) hin zu einem Modell von Pharma 3.0 (zukünftiges Modell). Die Unterschiede zwischen dem heutigen (Pharma 2.0) und dem zukünftigen Geschäftsmodell (Pharma 3.0) liegen vor allem in seiner Ausrichtung der Produktion, der Art der Innovationen sowie im Ursprung des Wachstums (s. Tab.: 1). Steht im Modell der Pharma 2.0 noch das Produkt an sich im Fokus der Wertschöpfung, ändert sich dies hin zu individuellen Patientenlösungen. Gleichzeitig verschieb sich die Basis des Wachstums von der reinen Akquisition hin zu innovativen Partnerschaften. Somit sind neben den etablierten Kollaborationsarten vor allem auch Innovationen in den praktizierten Geschäftsmodellen für die Pharma 3.0 erforderlich (ebd.; Pharmaceutical Commerce, 2011 und Kumli, 2010).
Pharma 2.0 | Pharma 3.0 | |
Herstellungsprozess | Produktorientiert | Kundenorientiert |
Innovation | Produktinnovation | Innovation des Geschäftsmodells |
Wachstum | Akquisition | Innovative Partnerschaften |
Tabelle 1: Vergleich von Pharma 2.0 und Pharma 3. 0
Eigene Darstellung; angelehnt an Fischer/ Breitenbach, 2013, 322
Die Zunahme innovativer Partnerschaften (Khanna, 2012), stellt eine Öffnung der Unternehmen gegenüber externen Wissensquellen dar. Durch diese Erweiterung des Suchhorizontes für Innovationen stehen die Unternehmen vor der Herausforderung, die wertvollen Ideen zu identifizieren. Gleichzeitig führt die Zunahme an innovativen Partnerschaften im Vergleich zur reinen Akquisition von Unternehmen zu diffuseren Akteurskonstellationen, die Einfluss auf den Prozess der Wertbestimmung haben.
Forschungsfrage und Stand der Forschung
Die zentrale Untersuchungsfrage der Dissertation lautet: Welche Praktiken und Muster prägen Akteure in der Pharmabranche aus, um den Prozess der Wertbestimmung von Ideen zu organisieren? Zur Beantwortung wird diese in zwei Unterfragen zergliedert: (1) Welche Maßstäbe werden zur Wertbestimmung herangezogen? und (2) Welche Praktiken der Wertbestimmung prägen die Akteure aus?
Maßstäbe der Wertbestimmung
Klassischer Weise ist die Wertbestimmung von Ideen oder Produkten Themengebiet der Wirtschaftswissenschaften. Hier lassen sich vor allem Konzepte und Theorien zur Kalkulation von (Markt-)Werten finden. Diese monetäre Quantifizierung durch den Preis ist jedoch nicht vollständig in seiner Bestimmung des Produktwerts. Produkte können persönliche, kulturelle oder emotionale Eigenwerte haben, die sich nicht ohne weiteres in einen monetären Wert (Preis) übersetzten lassen (Thorsby, 2003). Daher reicht eine rein marktorientierte, monetäre Perspektive nicht aus, (Beckert/ Aspers, 2011; Antal/ Hutter/ Stark, 2015 und Thorsby, 2003), will man den Wert eines Produktes oder einer Idee bestimmen. Neben der ökonomischen Debatte zur Wertbestimmung (Preis), entwickelte sich mit den Erkenntnissen Deweys (1934) in der Soziologie eine Debatte um Wertvorstellungen, die für die Wertbestimmung relevant sind.
In den neusten Bänden der Wirtschaftssoziologie, die sich mit dieser Thematik beschäftigen (Beckert/ Aspers, 2011; Beckert/ Musselin, 2013 und Antal/ Hutter/ Stark, 2015), sind es vor allem empirische Studien, die sich meist mit ästhetischen Produkten auseinandersetzen. Bei dieser Art von Produkt gibt es eine Spannung zwischen dem ökonomischen und dem ästhetischen Wert. Durch Interaktionsprozesse werden die bestehenden Wertvorstellungen auf das ästhetische Produkt angewendet und durch bekannte Wertbegriffe (bspw. 120 Euro und geschmackvoll) beschrieben (Hutter/Stark, 2015). Erst durch dieses Spannungsverhältnis, welches an Bekanntes anschließt und Neues schafft, kann der Wert eines Produktes bestimmt werden. Diese Spannungsmomente sind wichtige soziale Voraussetzungen zur Schaffung von Innovationen (Stark, 2009; de Vaan/ Vedres/ Stark, 2015).
Da Innovationen ein fester Bestandteil der Pharmabranche sind, könnte auch hier ein Spannungsverhältnis vorhanden sein. Auf Grund der Tatsache, dass die Pharmaindustrie eine sehr forschungsintensive Branche ist, wird davon ausgegangen, dass das Spannungsverhältnis zur Wertbestimmung von Pharmazeutika vor allem zwischen ökonomischen und wissenschaftlichen[1] Werten besteht. Doch Studien zur Wertbestimmung wissensintensiver Produkte sind in der soziologischen Debatte kaum vertreten. Ziel des Dissertationsvorhabens ist an diese Debatte anzuschließen und diese durch eine empirische Studie zur Wertbestimmung von wissensintensiven (pharmazeutischen) Produkte zu erweitern.
Die Praxis der Wertbestimmung
Wie oben angeschnitten sind Interaktionen, in denen die konkurrierenden Wertvorstellungen sichtbar und ausgehandelt werden für die Wertbestimmung relevant (Hutter/ Stark, 2015). Die ursprünglichste Form der Interaktion ist die face-to-face Interaktion. Dabei befinden sich die Akteure zeitgleich am selben physischen Ort und können sich gegenseitig wahrnehmen, was dem Begriff der Kopräsenz von Goffman (1963) entspricht. Damit Akteure kopräsent sind, müssen diese Zugang zum gleichen Raum haben und zur gleichen Zeit dort für einander wahrnehmbar (verfügbar) sein (ebd.). Somit haben Interaktionen immer eine (sozial-)räumliche (Raumstruktur) und (raum-)zeitliche (Verfügbarkeit im Raum) Komponente.
Durch die mediale Vermittlung (bspw. Telefon) ist es heute möglich, auch ohne die gleichzeitige Anwesenheit an ein und demselben Ort mit einander zu kommunizieren. Der Gesprächspartner muss lediglich wahrgenommen (in diesem Falle gehört) werden. Damit stellt die Interaktion per Telefon eine weitere Form der Kopräsenz dar. Ähnliches gilt auch für Interaktionen per Video, Chat oder E-Mail. Für diese unterschiedlichen Arten der Interaktionen (physisch und virtuell), die in verschiedenen Kopräsenzformen stattfinden (s. Tab.: 2), lässt sich in der Soziologie noch keine systematische Konzeptualisierung finden.
Der Mehrwert des Dissertationsvorhabens liegt somit zum einen darin, Kriterien der Wertbestimmung (bisher vor allem ästhetische Artefakte) im wissensintensiven Pharmabereich zu identifizieren. Dabei wird auf die Veränderung der Akteurskonstellationen (mehr innovative Partnerschaften) im Prozesses der Wertbestimmung empirisch eingegangen. Ein weiterer Mehrwert liegt in der theoretischen Systematisierung der unterschiedliche Kopräsenzformen (von physische zu virtuell). Dabei wird empirisch vor allem auf die Praktiken und Kopräsenzformen, die die Akteure zur Wertbestimmung pharmazeutischer Ideen nutzten, eingegangen.
Unvermittelt (physisch) | Medialvermittelt (virtuell) | ||
|
synchron | synchron | asynchron |
One-to-one | Zweiergespräch | Telefongespräch;
Videogespräch; Gespräch per Chat |
Direkte E-Mail;
Kommentarfunktion in Online-Foren |
One-to-many | Meeting
Konferenz |
Telefonkonferenz;
Videokonferenz; Gruppenchats |
E-Mailverteiler;
Anfrage in Online-Foren |
Tabelle 2: Erster Entwurf einer möglichen Systematisierung
Eigene Darstellung
Literatur
Antal, A. B./Hutter, M./Stark, D. (Hrsg.) (2015): Moments of Valuation. Exploring Sites of Dissonance. Oxford, Oxford University Press.
Beckert, J./Aspers, P. (Hrsg.) (2011): The Worth of Goods. Valuation & Pricing in the Economy. Oxford, Oxford University Press.
Beckert, J./Musselin, C. (Hrsg.) (2013): Constructing Quality. The Classification of Goods in Markets. Oxford, Oxford University Press.
de Vann, M./Vedres, B./Stark, D. (2015): Game Changer: The Topology of Creativity. In: American Journal of Sociology, 120(4): 1144–1194.
Dewey, J. (1934): Art as Expirience. New York, Berkley Publishing Group.
European Science Foundation/All European Academies (2011): The European Code of Conduct for Research Integrity. Strasbourg, Ireg.
Fischer, D./Breitenbach, J. (2013): Quo vadis? – Versuch eines Ausblicks. In: Fischer, D./Breitenbach, J. (Hrsg.): Die Pharmaindustrie. Einblick – Durchblick – Perspektiven. 4. Auflage: 305-342.
Goffman, E. (1963): Behaviour in public places: notes on the social order of gatherings. New York, The Free Press.
Hutter, M./Stark, D. (2015): Pragmatist Perspectives on Valuation: An Introduction. In: Antal, A. B./Hutter, M./Stark, D. (Hrsg.): Moments of Valuation. Exploring Sites of Dissonance, 1-12.
Khanna, I. (2012): Drug discovery in pharmaceutical industry: productivity challenges and trends. In: Drug Discovery Today, 17 (19/20): 1088-1102.
Kumli, F. (2010): Pharma 3.0. Präsentation beim Life Sciences Network Basel. Ernst & Young. https://www.slideshare.net/zaki78/ersnt-young-pharma-30-business-model (Stand: 17.01.2017)
Pharmaceutical Commerce, (2011): Ernst & Young sees rapid uptake of „Pharma 3.0“ initiatives. https://pharmaceuticalcommerce.com/latest-news/ernst-young-sees-rapid-uptake-of-pharma-3-0-initiatives/ (Stand: 17.01.2017)
Stark, D. (2009): The Sense of Dissonance. Accounts of Worth in Economic Life. Princeton/Oxford, Princeton University Press.
Thorsby, D. (2003): Determining the Value of Cultural Goods: How Much (or How Little) Does Contigent Valuation Tell Us? In: Journal of Clutural Economics, 27: 275-285.
[1] Unter wissenschaftlichen Werten sollen hier Ansprüche an das wissenschaftliche Arbeiten verstanden werden, wie es Beispielsweise die European Science Foundation/ All European Academies (2011) vorgibt.
Zitation: Melchior, Alice (2017), Wie werden Ideen kreativ? Praktiken der Wertbestimmung in der Pharmabranche, Hamburg/Berlin, 25 Januar 2017, URL: https://blogs.fu-berlin.de/organized-creativity/2017/01/27/wie-werden-ideen-kreativ-praktiken-der-wertbestimmung-in-der-pharmabranche/
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