Dal deserto rosso (2021)

Kommentar von Rahel Jung (SoSe 2021)

Das Gedicht mit dem nummerierten Titel II reiht sich ein in ein Werk namens Dal deserto rosso, dass gerade erst dabei ist zu erscheinen.Der Titel spielt auf den Film von Michelangelo Antonioni an, der auch immer wiederin den Gedichten der Sammlung zitiert wird.Die `rote Wüste` ist dabei ihre, unsere Lebensrealität, die in den Gedichten derSammlung beschrieben wird.Eindeutig, insbesondere in dem kommentierten Gedicht, ist der Bezug zu, beziehungsweisedie Beschreibung von dem Leben in Zeiten des Covid-19-Virus.

Auch dieses Gedicht von Maria Borio ist, als Ergebnis zeitgenössischer Poesie, quasi als Fließtext verfasst und möglich wie Prosa zu lesen. Es findet sich kein sich durchziehender Reim und auch das Metrum ist nicht von größerer Relevanz. Aber auch hier lassen sich einige Auffälligkeiten erkennen. Im dritten Vers beispielsweise findet sich eine Häufung an doppelten Konsonanten (gg, zz, rr, ff) und meines Erachtens ist dies nicht nur der italienischen Sprache geschuldet, sondern absichtlich so gewählt, während im Folgenden sich viele Vokale, insbesondere „i“ und „a“ finden lassen. Spannend erscheint mir die Konkretisierung von „qualcosa, una polvere, lapislazzulo“, bei der es vom Allgemeinsten hin zu einem bestimmten Stein führt.

Bei „cielo che si scioglieva“ handelt es sich – ebenso wie bei scricchiola, wo man geradezu am Wortlaut hört, wie es knirscht, knistert, quietscht und ächzt – um Onomatopoesie, denn man kann sich auf Grund der palatal- Laute geradezu vorstellen, wie sich etwas auflöst. Mit „Ma il senso?“ schließt sich daran eine rhetorische Frage

an. „Mani nel lattice, bocca nel cotone“ bilden in erster Linie ein Parallelismus, aber noch spannender ist die Art Metapher, die sich aus „lattice“ und „cottone“ ergibt, denn an sich sind das nur die Materialen, aus denen jedoch Handschuhe und Masken gemacht sind, auf die die Begriffe referieren.

Um das Gedicht inhaltlich näher zu betrachten, habe ich thematisch Schwerpunkte gesetzt und werde gezielt über diese näher schreiben. 1) Covid: Das Gedicht als solches hat in erster Linie die Zustände während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 auf Grund der Covid-19-Pandemie zum Thema. Konkret beschrieben wird diese anhand eines Einkaufs im Supermarkt. Lange Schlangen bilden sich davor, man steht in großzügigem Abstand zueinander, es herrscht Stille. Diese neuen Regeln wurden verordnet, „la polizia e tutti“ verbreiten sie und achten auf deren Einhaltung. Schon dieses „alle2 verkörpert die allgemeine Verunsicherung einer ganzen Gesellschaft, es ist so diffus gehalten, wie auch das Gefühl von Angst war, das sich in dieser Zeit verbreitet hat – eine Unsicherheit, mit der niemand umzugehen wusste. Zur Sicherheit werden, wie im Gedicht beschrieben, Handschuhe und Maske getragen, um sich vor dem Unsichtbaren, aber Gefährlichen, zu schützen,

von dem man nicht wirklich weiß, was es ist, wie auch die Frage nach dem Grund, warum es sich zu retten gilt (vgl. “e gli uomini da che cosa”), suggeriert. Der Einkaufswagen wird gefüllt, keiner weiß was kommt und es gilt, sich mit Nahrung einzudecken, geradezu einen „Vorrat“ („riserva“) anzuhäufen, um selbst zumindest sicher zu sein. Ein egoistischer Vorgang, der zu ausverkauften Regalen führte.

2) Kapitalismus und Klima: Gerade in Zusammenhang mit dem Einkauf, bzw. in der Art und Weise wie Maria

Borio diesen beschreibt, versteckt sich auch eine Kapitalismuskritik. Es handelt sich um ein Anhäufen von Dingen, die in der Werbung angepriesen wurden, sie verhandelt sie als „pulite“, als cleane, herausgeputzte Objekte, die glänzen sollen, nur um gekauft zu werden und das Kapital zu vermehren, ungeachtet von ihrer Qualität oder was mit ihrer Produktion verbunden ist. Das Thema des Klimawandels liegt weit versteckter und ist eine offenere Art der Interpretation. Und dennoch lassen sich drei Stellen absolut als Hinweis darauf verstehen. Zu allererst könnte sich hinter der Frage „Era il cielo che si scioglieva?“ ein Verweis auf die durch die Pollution erzeugten Ozonlöcher verbergen. Ferner wird die vermeintliche Rettung des Himmels vor der Korrosion direkt erwähnt und dadurch erscheint das Klimathema als eindeutig evident. Letzter Verweis findet sich in der Beschreibung des Plastiks beim Einkauf; Plastik – ein Verhängnis der Menschen, was zur Zerstörung des eigenen Planeten führt. 3) Religion: Nur kurz eingehen möchte ich auf den Vergleich zur christlichen Religion, genauer zu einer Bibelstelle aus dem Neuen Testament. Ganz konkret wird ein Vergleich zwischen den beiden Versen aus dem Evangelium nach Markus „Danach trieb der Geist Jesus in die Wüste. Dort blieb Jesus vierzig Tage lang und wurde vom Satan in Versuchung geführt“ (Evangelium nach Markus 1,12 f.) und der Situation während des Lockdowns aufgrund des Coronavirus im Frühjahr 2021 gezogen. So wie Jesus fastete, wird also auch in dem Gedicht II von einer Zeit des Entzugs gesprochen, in der einer möglichen Versuchung nicht nachgegeben werden soll.

Bibliographie:

Antonella Anedda. In: Poesiefestival Berlin. Haus für Poesie. Online

Maria Borio. In: Words without Borders. Contributor. Online