Argula von Grumbach – Frau im politischen Diskurs

Leider war die heutige Sitzung nicht sehr gut besucht, was vermutlich auch daran liegt, dass viele von euch den Text schwierig fanden. Es ist allerdings ausgesprochen schade, denn an diesem Text kann man besonders gut erkennen, wie die von Luther formulierten Gedanken eine solche Sprengkraft enwickeln konnten.

Argula von Grumbachs Brief an die Universität Ingolstadt beginnt mit einem Aufruf an alle gläubigen Christen udn alle verblendeten Pharisäer, sich aufzuraffen und aufzustehen „in diesen letzten Tagen“ (63). Jetzt käme es wirklich darauf an, sich das Seelenheil zu sichern. Eine solche Weltuntergangsvorstellung war damals weit verbreitet. Die grosse Instabilität und die schiere Geschwindigkeit der gesellschaftlichen Veränderungen, bei denen oft nicht erkennbar war, wie sie positivgewendet werden sollten, liessen den Eindruck entstehen, dass die Welt wie sie war, nicht weiter bestehen könnte (was ja in gewisser Weise auch geschehen ist). Auch Luthers Obrigkeitsverständnis ist in dem Glauben entwickelt worden, dass die Frage, welcher weltlichen Obrigkeit zu gehorchen wäre nur kurzfristig, nicht aber langfristig geklärt werden müsste.

Es folgt eine Rechtfertigung ihres Briefes – also der Einmischung einer Frau in die universitären Angelegenheiten. Und schon hier zeigt sich erstmals die grundlegende Argumentation von Grumbachs. Durch den auf Arsacius ausgeübten Zwang zum Widerruf, hätten die Offiziellen der Universität – deren legitime Einflussbereich sich auf das weltliche bezieht – sich in geistliche Angelegenheiten eingemischt. Was einer glaubt, lässt sich nicht verordnen und Gott allein sieht, ob es der wahre Glaube ist. Wo Luther grosse Zweifel hatte, ob sich je wirklich einschätzen liesse, wann die Grenze zu legitimem Widerstand ereicht ist, sagt Argula von Grumbach klar, dass eine solche Grenzüberschreitung nicht unwidersprochen stehen bleiben könnte.

Public Domain, Wikimedia Commons

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Im ganzen Text betont von Grumbach immer wieder die Bedeutung des Wortes und zeigt deutlich, dass sie die übersetzte Bibel gründlich gelesen hat. Es gehörte in der damaligen Zeit zum Diskurs, die Übereinstimmung einer Argumentation mit der Bibel darzulegen und von Grumbach bedients ich dieser Rhetorik – und wendet sie gegen die Gelehrten. Sie verweist auf die klassische Textstelle bei Paulus, die besagt, die Frau solle in der Gemeinde schweigen. Ihr entgegen stellt sie zahlreiche andere Stellen, an denen die Bibel auf die Offenbarung des Wortes gegenüber all jenen verweist, die nicht traditionell zu den Starken zählen – Frauen, Kinder, Alte [67]. Im Zusammenhang mit der auch von Luther vertretenen Vorstellung, dass jeder Gläubige das Wort auslegen müsse, kommt sie dann zu dem Schluss, dass sie als Frau sehr wohl in der Lage und berechtigt sei, sich eine Meinung dazu zu bilden, ob die Universität hier ihre Kompetenz überschritten habe.

Von Grumbach nimmt sich jedoch im Verlauf des Textes auch immer wieder zurück und betont ihre Role als Frau, die sich nur aus der Not gezwungen sieht, in die Debatte einzugreifen – da kein Mann zugunsten Arsacius eingegriffen hätte. Aus feministischer Sicht ist das sicher keine starke Position. Interessant an dem Text ist jedoch, wie sich aus der theologischen Grundidee Luthers eine neue Sicht auf die Möglichkeit zur Beteiligung an der politischen Auseinandersetzung ableiten lässt. Es ist genau diese Auseinandersetzung darüber, wer am politischen Diskurs teilnehmen darf, der zahlreiche Konflikte bis in die modernen Bürgerbewegungen prägt. Arsacius übrigens hat den Widerruf nicht widerrufen (dürfen) und auch selbst nicht maßgeblich zu den Auseinandersetzungen der Reformation beigetragen. Die vielgelesene Flugschrift Argula von Grumbachs blieb also für den konkreten Fall ohne Wirkung.

 

Webresource

Zu Frauen und Reformation ist anlässlich des Reformationsjubiläums eine Webplattform eingerichtet, die durchaus einen ersten Einstieg ermöglicht (andere, kritische Quellen sind ergänzend zu suchen). Dort finden sich zu verschiedenen Frauen der Reformation auch weitergehende Lesehinweise.

NACHTRAG

Hier noch die Notizen der Diskussion – eine gute Zusammenfassung wesentlicher Punkte.

Argula_von_Grumbach - notizen

 

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Der Beitrag wurde am Montag, den 28. November 2016 um 14:58 Uhr von Ulrike veröffentlicht und wurde unter Inhaltliches abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf Ihrer Seite einrichten.

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