Die Deutschen wissen es besser, oder Herr Taufiq?

Die Deutschen hätten vom Ägypter Hassan Taufiq viel über sich selbst lernen können. Seine Reiseberichte aus dem 19. Jahrhundert bieten wertvolle Einblicke in die deutsche Kultur und Gesellschaft jener Zeit. Stattdessen diktierten sie, wie er seine eigene Kultur darstellen sollte. Ein Narrativ, das bis heute nachwirkt.

Von Svenja Borgschulte

Kennen Sie den Namen Hassan Taufiq al-Adl? Vermutlich nicht. Denn obwohl er eine bemerkenswerte akademische Laufbahn in Deutschland absolviert hat, sucht man meist vergeblich Informationen über ihn. Trotz seiner bedeutenden Beiträge zur arabischen Sprache und Kultur wird er in Deutschland kaum gewürdigt.

Ḥassan Taufiq wurde 1862 in Alexandria geboren und begann 1875 sein Studium an der al-Azhar Universität in Kairo, das er 1882/83 abschloss. Er setzte sein Studium an der neu gegründeten Dar al-Ulum (Haus der Wissenschaften) fort und erweiterte sein Wissen um Fächer wie Geographie, Geschichte, Mathematik und Chemie, die an der al-Azhar nicht mehr unterrichtet wurden. 1887 war er der einzige Absolvent seines Jahrgangs.

Überflieger und Pionier der arabischen Sprachvermittlung

Im gleichen Jahr bereiteten das preußische Bildungs- und Außenministerium die Gründung eines Bildungsinstituts in Berlin vor, um deutsche Kolonialbeamte auszubilden. Dafür wurde ein Arabischlehrer gesucht, der ägyptisches Arabisch unterrichten konnte. Obwohl er jung und unerfahren war und dazu kein Wort Deutsch sprach – er hatte an einer Abendschule „nur“ Französisch gelernt –, wurde Taufiq für diese Aufgabe ausgewählt und nach Berlin ans Seminar für Orientalische Sprachen (SOS) geschickt. Das Seminar spielte eine bedeutende Rolle bei der deutschen Kolonisation Ostafrikas, wo neben Deutsch auch Suaheli als Amtssprache etabliert wurde. Es wurden aber auch die Sprachen der Länder unterrichtet, mit denen das Deutsche Reich Handels-, diplomatische und politische Beziehungen unterhielt oder anstrebte, wie beispielsweise Ägypten.

Eine Woche dauerte Taufiqs Reise von Alexandria über Triest und Wien, bis er schließlich am 20. September 1887 sein Ziel Berlin erreichte, wo er in den folgenden fünf Jahren angehende deutsche Orientalisten, Diplomaten und staatliche Dolmetscher unterrichten sollte. Er wurde mit anderen ausländischen Studierenden untergebracht und begann bald Deutsch zu lernen und die arabische Sprache und Kultur zu lehren. Gemäß Vertrag war Taufiq dazu verpflichtet im Seminar eine ägyptische Tracht zu tragen. Der junge Ägypter trug das traditionelle Gewand mit Stolz, denn es unterschied ihn erkennbar von den Absolventen ziviler Schulen, die damals typischerweise Anzüge und Tarbusche trugen. Seine Kleidung identifizierte ihn als Absolventen einer traditionellen religiösen Institution, wie Al-Azhar und Dar al-Ulum es waren. In Ägypten wäre er so sofort als religiöser Gelehrter erkannt worden, Deutsche kannten den Unterschied damals nicht – er war ihnen mutmaßlich auch egal.


Hassan Taufīq al-Adl im Ornat eines Religionsgelehrten zur Audienz beim Deutschen Kaiser, Berlin 1892

Zwischen Tradition und Stereotype

Die Vorteile eines Landsmannes wurden nicht genutzt. Das SOS gab Taufiq vor, was er tragen, sagen und über seine eigene Kultur unterrichten sollte. Die deutschen Imaginationen arabischer Kultur wurden so in den Unterrichtsräumen Taufiqs zur Realtität. Dadurch hat auch Taufiq daran mitgewirkt, Stereotype zu formen und zu reproduzieren, indem er das Bild bedient hat, wie Deutsche Ägypten und sogar den sogenannten „Orient“ betrachtet haben. Mit der Realität hatten diese damals wie heute nicht viel gemein.

Wie die Deutschen auf Taufiq und seine Landsmänner schaute, lässt sich über Anekdote aus seinem Reisebericht „Frohe Nachrichten von der Urlaubsreise durch Deutschlands und die Schweiz. Die Reise eines Arabers von und nach Berlin“ entnehmen. Es war der erste detaillierte Bericht über das Deutsche Reich und dessen Hauptstadt Berlin in arabischer Sprache überhaupt. Hier beschreibt er auf über 400 Seiten und in zwei Bänden mehrmals Begegnungen mit Deutschen, die ihn beispielsweise ungeniert anstarren oder immer wieder fragen, wo er denn eigentlich herkomme. Berlin reichte als Antwort nicht aus. Er beschreibt auch die Kontrolle durch einen Polizisten, der aus dem Nichts auftaucht und seine Personalien kontrolliert. Dieses Racial Profiling ist heute zwar verboten, aber immer noch weit verbreitet. 

Taufiqs Perspektive auf Deutschland: Ein verlorenes Kapitel der Kulturgeschichte

Aus seinem Werk könnten wir noch heute viel darüber lernen, was Taufiq selbst über die Deutschen dachte, wie er auf sie geblickt hat. Er berichtete über Schulen, Universitäten, Bibliotheken und Museen. Er schrieb über den Postdienst, die Transportmittel, das Klima und das alltägliche Leben der Menschen. Seine beiden Reiseberichte bieten einen tiefen Einblick in seine Begegnung mit der deutschen Kultur und Gesellschaft um die 1890er Jahre. Das Problem: Taufiq hat seine Werke für ein ägyptisches Publikum geschrieben. Bis heute – weit über hundert Jahre später – hat sich niemand die Mühe gemacht, seine Werke, darunter auch welche zu Kinderpädagogik, Sportunterricht, arabische Literaturgeschichte und die Etymologie der ägyptisch-arabischen Umgangssprache ins Deutsche zu übersetzen.

1892 hörte Taufiq am SOS auf, 1903 wurde er Lektor in Cambridge und starb nach nur einem Jahr Tätigkeit unerwartet und sehr jung. Dort wurde er mit Nachrufen bedacht und auch für seine Zeit am Seminar in Berlin erinnert und bis heute als Akademiker geehrt. Obwohl Hasan Taufiq maßgeblich zur Vermittlung der arabischen Sprache und Kultur in Deutschland beitrug sein Engagement eine wichtige Grundlage für spätere wissenschaftliche und diplomatische Beziehungen bildete, wird weder er selbst noch seine Leistung oder sein Vermächtnis in Deutschland geehrt. Am Stellenwert, den Deutschland seinen Arbeitsmigrant*innen einräumt, hat sich bis heute nichts geändert. 


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