Der Flughafen BER – Ein Albtraum eines jeden Stakeholders

“Für mich ist die Erfahrung mit ‘BER’ das schwärzeste Kapitel meiner Architektentätigkeit.” (Meinhard von Gerkan 2018)

Flughafen BER

Um annähernd die mittlerweile 26-jährige Historie des Großprojekts Flughafen BER verstehen zu können, hilft es zum Anfang all dessen zurückzukehren. Tatsächlich wurde bereits 1992 dem Vorhaben nachgegangen einen neuen Flughafen zu bauen, als in einem Raumordnungsverfahren nach einem geeigneten Standort gesucht wurde. Mit dem Planfeststellungsbeschluss von 2004 wurden dann die ersten wichtigen Weichen für die Entwurfs- und Genehmigungsplanung gestellt, die 2005/2006 aufgenommen wurden. Als 2007 die erwarteten Baugenehmigungen folgten, startete im selben Jahr noch die Ausführungsplanung. Der eigentliche Baubeginn lässt sich demnach mit dem 11.07.2008 datieren. Das sind 16 Jahre Vorbereitungs- und Planungsphase bis zum ersten “Spatenstich”. Obwohl diese Zeitspanne eine ausgiebige Darlegung der Projektziele, Vertragsbedingungen und mindestens die Bemühung zur Verständigung der zahlreichen Stakeholder zulassen würde, schließt sich schon bald ein konfliktreicher Arbeitsverlauf an, der geprägt ist von der Überschätzung der eigenen Kompetenzen, einer illusorischen Beurteilung des Zeit- und Budgetpensums sowie Schönigungen der Tatsachen, unausgesprochenen Problemen, einer Entfremdung vom eigentlichen Projekt, einem ständigen Personalwechsel und den nicht zu guter Letzt unzähligen Änderungsanforderungen.

Doch wie konnte es zu solch einer katastrophalen Lage kommen? Die Antwort ist mehr als komplex, weshalb sich dieser Artikel lediglich einer, aber sehr entscheidenden Dimension dieses Problems widmet: Den Change Requests. Als Change Requests werden im Fachjargon des Projektmanagements die Änderungsanforderungen bezeichnet, die von seitens der Stakeholder an dem Projekt vorgenommen werden bzw. vorgenommen werden sollen. Solche Change Request Anträge werden oftmals stark debattiert, da sie bereits erreichte oder zukünftige Zwischenergebnisse eines Projekts in Frage stellen und damit das Endergebnis, also das anvisierte Ziel des Projekts, stark bedrohen können. Im Interesse aller ist es, oftmals mithilfe eines Change-Managements, nach Möglichkeit Auftraggeber und Auftragnehmer im Einverständnis zusammen zu bringen. Solche Change Requests sind in der Tat im Laufe der Jahre zu einer elementaren Charakteristik des Flughafen BERs geworden und überspannen das gesamte Projekt. Eine ungefähre Vorstellung davon gibt der 1269 Seiten umfangreiche Bericht des BER-Untersuchungsausschusses, welcher 2016 veröffentlicht wurde. Hierfür wurden Aussagen von über 70 Zeugen ausgewertet und 1650 Aktenordner zur Analyse hinzugezogen. Darin heißt es, dass die Anzahl von teils sehr umfangreichen Änderungen an der Entwurfs- und Genehmigungsplanung gleichermaßen auch einschneidende Konsequenzen für die Ausführungsplanung hatte, nach deren Vorgabe schlussendlich gebaut wird. Diese Kette an unentwegten Änderungen, welche laut Untersuchungsausschussbericht vorwiegend von den Flughafengesellschaften geäußert und beantragt wurden, habe nicht nur zu zeitlichen Verzögerungen in der Planung, sondern eben auch in der baulichen Umsetzung geführt. Der  ehemalige Technik-Geschäftsführer und Zeuge des BER-Untersuchungsausschuss, Dr. Manfred Körtgen, begründet diesen Verzug damit, dass mit jedem Änderungsantrag jedes Gewerk tangiert wird und sich dadurch zwangsläufig immer wieder weitere Änderungen und Anpassungen ergeben. Der Zeuge Hans-Joachim Paap, Architekt des zu Beginn beauftragten Architektur-Büros gmp, spricht von über 500 Änderungswünschen, die vom Bauherren Flughafen Berlin Brandenburg GmbH (FBB) ausgingen, von denen sechs so stark in die Bausubstanz eingriffen, dass es hierfür neue Baugenehmigungen bzw. Bauanträge benötigte. Insofern erscheint die Einschätzung des bis 2012 beschäftigten gmp Architekten Meinhard von Gerkan, es handele sich um eine Aneinanderreihung von “überfallartigen Änderungswünschen”, in Anbetracht der Umstände als zutreffend. Darüber hinaus beschreibt von Gerkan die damalige Situation aus heutiger Sicht wie folgt:

„Die genehmigte Planung stimmte nicht mehr mit den bei der Realisierung verlangten Änderungen überein; die neu gefertigten und zur Genehmigung eingereichten Pläne entsprachen nicht mehr der baurechtlich geprüften Grundlage. Falls man sich in Berlin und Brandenburg der preußisch-deutschen Geradlinigkeit und Gesetzestreue rühmt, sollte man sich auch den gelegentlich allzu bürokratischen Regeln unterordnen, den Versuchungen bauherrlicher Allmacht widerstehen und, im Interesse der Gemeinschaft, die demokratischen Regeln respektieren, die sich unsere Gesellschaft und allen voran deren politische Repräsentanten gegeben haben.“

Oder anders formuliert, in den Augen der gmp Architekten stand das Bauvorhaben mit all den stetigen Change Requests zu verschiedensten Zeitpunkten in keinem realistischen Verhältnis mehr zu den realen Gegebenheiten, der Kostenschätzung, aber auch zum Zeitparadigma. Eine Ballung an Änderungsanforderungen, trotz mindestens eines Planänderungsstopps im Januar 2010, gab es laut von Gerkan insbesondere 2008-2009 und 2010-2011, dies bestätigt zum Teil auch der Bericht des BER-Untersuchungsausschuss. Sowohl zeitintensiv als auch kostspielig und damit Erwähnung in dem Bericht finden dabei 1) der Ausbau eines neuen Retail-Konzepts, 2) der Ebenenshift, 3) die Errichtung der doppelstöckigen Fluggastbrücken und 4) der Sicherheitskontrollen. Das Vorhaben bei dem ersteren Change Request 2007 war es die Finanzierbarkeit des Flughafens weiter zu sichern, indem die Aviation-Flächen zugunsten der Non-Aviation-Flächen verkleinert wurden, um einen größeren Bereich für Geschäfte und ein Walk-through-Konzept zu ermöglichen. Dies begründete der Zeuge Thomas Weyer, ebenfalls ehemaliger Technik-Chef, im Untersuchungsausschuss konkret wie folgt:

„Im Planungsbereich gab es in der Tat Änderungen, natürlich, und dafür war ich zum Teil auch verantwortlich, weil natürlich die Finanzierbarkeit dieses Projektes im Vordergrund stand. Ein wesentlicher Aspekt – wir haben es eben schon gestreift – ist das Thema Non-Aviation, weil ein Flughafen von reinen Aviation-Umsätzen heutzutage nicht mehr leben kann, das heißt, man muss ein Kompensat finden, und das ist natürlich dann im Bereich Shopping, im Bereich Werbung, Gastronomie und was da alles eine Rolle spielt, Parking usw. Das ist in der Tat optimiert worden, um am Ende der Tage ein finanzierbares Projekt vorweisen zu können.“

Der Change Request Ebenenshift hingegen kam aufgrund von aktualisierten Verkehrsplanungen durch die Fluggesellschaften zustande, wodurch die Geschäftsführung den vollständigen Ausbau der Ebene E2 und die Umfunktionierung der Ebene EoZ durchsetzte. Dies geschah unter anderem in Hinblick auf die Hoffnung, dadurch mehr Flexibilität und Funktionalität zu erreichen, auch wenn dies gleichzeitig eine enorme Veränderung des bereits Bestehenden und ein zusätzliches Budget von 18,6 Mio. Euro bedeutete. In der Initialisierungsphase des dritten einschneidenden Change Request zur Errichtung von doppelstöckigen Fluggastbrücken für den sich neu ankündigenden Flugzeugtyps A380, warf der Zeuge und damalige FBB-Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Wowereit in einer Versammlung die Frage auf, welche Voraussetzungen und Finanzierungsmaßnahmen es bedarf, um Abfertigungskapazitäten für den A380 zu schaffen. Aus der Sicht von Wowereit sprächen Imagegründe zugunsten des Flughafens für diese zeitnahe Umrüstung. Diese Einschätzung teilte Thomas Weyer damals nicht und äußerte sich in dem Untersuchungsausschussbericht folgendermaßen:

„Meine Aussage war damals glasklar: Sie können da gerne bauen, aber sie wird die nächsten 15 Jahre nicht genutzt werden, weil der A 380 auf ewige Zeit nicht nach Berlin kommen wird. Dafür ist der Markt einfach nicht groß genug, und die werden den Flieger hier nicht vollbekommen. […] Deswegen macht das keinen Sinn, zumal so etwas auch relativ zügig nachrüsten kann.“

“[…] Der A 380 war damals noch nicht einmal fertig, wenn ich mich recht entsinne, sondern das war eine prophylaktische Geschichte, nach dem Motto: In zwei Jahren kommt der, dann ist der fertig, und dann müssen wir halt auch in der Lage sein, einen solchen A 380 – weil Berlin ist wichtig, da kommt er hin –, und dann muss man den halt eben auch entsprechend abfertigen können. […]”

Weyer behauptet, diese Entscheidung, welche weitere 24,6 Mio. Euro forderte, sei bloß politisch motiviert gewesen. Ein weiterer umfangreicher Change Request äußerte sich darin, als mit dem Voranschreiten der Zeit sich 2010 neue EU-Sicherheitsbestimmungen ankündigten, für deren Umsetzung es eine Terminalerweiterung benötigte. Diese hätte zu dem Zeitpunkt jedoch bereits den Zeit- und Kostenrahmen gesprengt, weshalb ein alternativer Weg gegangen worden ist. So galt es nun zusätzliche Kontrolllinien bzw. so genannte Pavillons zu erbauen, die zwar Wirtschaftlichkeit versprachen, aber einen enormen Planungsaufwand notwendig machten. Für jene Änderungsanforderung wurden damals 40 Mio. Euro in Pavillons und weitere 10 Mio. Euro in die Umbaumaßnahmen investiert.

Die Vielzahl von über 500 Änderungsanforderungen, die vielen zu berücksichtigenden Stakeholder und die bereits vereinbarten Vertragsbedingungen unter anderem über die Zielsetzung, das Zeit- sowie Budgetpensum, all diese Aspekte haben vermutlich in ihrer Konstellation zu der undurchdringbaren Konfliktsituation geführt, die heute nach 36 Jahren bei diesem Großprojekt vorzufinden ist. Die Rücksichtnahme und Einarbeitung von den überwiegend von der Geschäftsführung erteilten “nutzerseitigen” Change Requests war oftmals direkt verbunden mit massiven Eingriffen in die Planung, in sechs Fällen bedurfte es sogar noch umfassenderen Maßnahmen in Form von neuen Baugenehmigungen, und erheblichen Termin- und Kostenrisiken, die – so kann vermutet werden – bis heute das gesamte Projekt ernsthaft gefährden. Entscheidend wichtig ist in diesem Sinne bei solchen Großprojekten das Change-Management, durch welches die Änderungsanforderungen analysiert und organisiert werden, aber auch die Projektkultur und das Projektdesign haben einen entscheidenden Einfluss auf den Erfolg eines Projekts, so die Ergebnisse der Forschergruppe van Marrewijk, Clegg, Pitsis und Veenswijk.

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