Sebastian Czaja, Fraktionsvorsitzender und Generalsekretär der FDP im Berliner Abgeordnetenhaus und Spitzenkandidat der FDP für die Wahlen von 2016, kommt gut gelaunt in den Konferenzraum, in dem schon viele interessierte Zuhörer sitzen. Das Thema BER ist der FDP nicht fremd, quasi ein Heimspiel für ihn. 2017 führte die FDP einen mit großen Erfolg gekrönten Wahlkampf zur Offenhaltung Tegels. Den im Vorhinein angestrengten Tegel-Volksentscheid gewann die FDP am 24.09.2017 mit einer beachtlichen Mehrheit. Eng verknüpft mit der Offenhaltung Tegel war und ist immer auch die Problematik des BER. Bevor Czaja unsere Fragen beantwortet, leitet er die Diskussion mit einer kurzen Zusammenfassung ein, in der er planungstechnische, politische und kapazitative Probleme benennt: „Ich finde das ist ein hochspannendes Thema, welches Sie gewählt haben, weil es ist vor allem eines das niemals aus der Zeit fällt, was niemals vergangen ist, sondern für Berlin immer aktuell bleiben wird und darin liegt im Grunde schon das Problem. Ich will nochmal ganz kurz in die Historie der Stadt Berlin absteigen und zurückblicken. Zurückblicken auf das Jahr 1996. 1996 hat man in Berlin im Grunde die Weichen für die Flughafenpolitik gestellt, man hat in Berlin die Grundsatzentscheidung getroffen wie es weitergehen soll mit den damaligen Flughäfen Schönefeld, Tempelhof und Tegel. 1996 hat man in Berlin in einem gemeinsamen Konsensentschluss der Länder verabredet, dass man sich auf einen zentralen Flughafen konzentriert. (…) Entweder wird es Schönefeld mit Erweiterung zum BER oder es wird Sperenberg. Gegen Sperenberg hat man sich politisch entschieden, man hat gesagt dieser Flughafen könnte nicht erfolgreich werden, weil er zu weit draußen ist, weil er verkehrlich schlecht angebunden ist (…). Dann hat man sich politisch entschieden und hat gesagt wir wollen aber ein Erfolgsprojekt definieren am Rande der Stadt was aber eigentlich zur Stadt Berlin gehört, nämlich den Flughafen Schönefeld erweitern zum (…) BER. In dem Zusammenhang hat man verabredet, dass man Tempelhof und Tegel schließt, weil man 1996, da war Bonn im Übrigen noch Hauptstadt, davon ausgegangen ist, dass sich die Metropolregion Berlin-Brandenburg nicht so richtig gut entwickeln wird. Man hat 1996 also im Höchstfall mit 30 Millionen Passagieren gerechnet. Die Entwicklung ist eine Andere geworden. Berlin ist hochattraktiv, was hervorragend ist (…) und alle Zahlen sprechen im Grunde die gleiche Sprache, nämlich dass sich Berlin noch besser entwickeln wird. (…) Das Problem ist am Ende des Tages, dass der Flughafen BER eine Dauerbaustelle bleibt, immer wieder umgebaut, immer wieder verbessert werden muss. Am Ende des Tages wird sich das Parlament immer weiter mit dem BER befassen müssen. Schon allein, weil er mittlerweile 10 Milliarden kostet. 10 Milliarden – wir sind bei 2,5 Milliarden die angedacht waren gestartet. (…) Der damalige Bürgermeister Wowereit sagte in einer Hauptausschusssitzung 2006: „2,5 Milliarden an einen ausgeben? Das machen wir lieber kleinteilig an sämtliche Unternehmen in der Region“. Wenn wir eins aus diesem BER lernen können, dann das, dass Bauprojekte nicht frühzeitig kleingerechnet werden, sondern realgerechnet. Wir haben mittlerweile die Situation, dass wir am Tag 1,3 Millionen Steuergeld für diesen Flughafen ausgeben, dass wir über weitere Milliarden Nachschuss sprechen und niemand regt sich darüber auf. Wenn ich morgen in dieser Stadt die Hundesteuer von 30 auf 50 Euro erhöhen würde, hätten wir einen Aufstand. Aber bei einem Bauvorhaben auf Gleichgültigkeit zu setzen und zu sagen: „Das ist so weit weg, das sind Milliarden“ das ist aus meiner Sicht der falsche politische Ansatz.“
Teilgruppe FDP: Hat der Volksentscheid zur Offenhaltung Tegels den Bau des BERs in irgendeiner Art beeinflusst?
Czaja: Wenn es einen Einfluss gegeben hat durch den Volksentscheid, dann ist es, dass das Land Berlin relativ schnell probiert hat, eine Antwort auf die Kapazitätsfrage zu finden. […] Man muss, wenn man als Standort Berlin attraktiv bleiben möchte, sich dringend mit der Frage beschäftigen.
Durch das Ausscheiden von Air Berlin am Markt, hatten wir allein im November/Dezember 2017 800.000 Übernachtungen in der Stadt weniger.
Teilgruppe FDP: Wie würden Sie den Kommunikationsfluss zwischen Landes-, Bundesregierung und Ihnen als Opposition in Bezug auf den Bau des BERs bewerten?
Czaja: Um im Luftverkehr zu bleiben, hoffe ich, dass wir irgendwann die Blackbox finden, weil der Kommunikationsfluss eine Katastrophe ist. […] Wenn sogar die Grünen im Deutschen Bundestag einen Untersuchungsausschuss zum BER versuchen in die Debatte zu bringen und uns dafür anspielen, weil sie nicht hinreichende Informationen in der eigenen Landesregierung erhalten. Dann beschreibt es den Zustand und dokumentiert, wie schwer es sein muss für die Opposition.
Unser Informationszugang ist somit sehr dünn. Wir entscheiden am Ende über sämtliche Tranchen der Finanzierung, aber als Parlamentarier habe ich nicht ernsthaft die Chance eine Transparenz herzustellen.
Teilgruppe FDP: Was waren die größten Fehler im bisherigen Verlauf und was hätte die FDP anders gemacht?
Czaja: Punkt 1: Die kleinteilige Vergabe. Ich hätte den Auftrag einem Generalunternehmen übergeben. Punkt 2: Eröffnung 2012. Ich hätte hier die Frage gestellt, wie das Projekt eines Reparaturbetriebs zu einem funktionierenden Flughafen führen kann oder muss man auch radikaler an das Bauvorhaben rangehen und gewisse Dinge auf 0 setzen, um neu zu starten? Dieser Punkt ist heute jedoch überschritten, da sie immer wieder auf unvorhersehbare Dinge im Ablauf stoßen. Punk 3: Ich hätte nicht sämtliche Planer rausgeschmissen, auch wenn ich mich mit Ihnen politisch
überworfen habe. Was an dieser Baustelle gebraucht wird, ist Detailkenntnis. Diese bauen Sie sich erst im Ablauf auf durch Zugehörigkeit zu einem Unternehmen oder Kenntnis über eine Baustelle. Durch permanente Fluktuation in der Geschäftsführung sind unheimlich viele
Kenntnisse und Zeit durch die Einarbeitung verloren gegangen.
Teilgruppe FDP: Was ist Ihre Meinung bezüglich einer Teilprivatisierung des BERs?
Czaja: Glauben Sie, dass es jemanden gibt, der dieses Teil kaufen würde? Bezüglich der jetzigen Situation ist es so, dass der Flughafen Tegel die Cash-Cow ist. Dieser ist abgeschrieben und bringt das Geld in die Gesellschaft. Durch ihn erhält die Flughafengesellschaft den Großteil der
Einnahmen. […]Eine Privatisierung könnte die Probleme am BER nicht einfach lösen und ich sehe nicht, wo ein potenzieller Investor Rendite erzielen könnte.
Teilgruppe FDP: Wie sollte sich dann das Management zusammensetzen? Für welche Aufgaben sollte der Staat zuständig sein?
Czaja: Finanzieren muss der Staat. Ebenso muss er das Projekt kontrollieren. Aber realisieren sollte er es am Besten immer ohne politisches Management. Hierzu eine kleine Anekdote aus dem Aufsichtsratssitzung 2012: Kurz vor der Eröffnung setzte man sich zusammen und es stellt sich die Frage, ob der Flughafen eröffnet werden könne. Darauf schaute einer der Beteiligten in einen Bericht und meinte: Ja, denn im Ampel-Controlling ist es gelb und nicht rot. Auf die Nachfrage, was das Problem sei, stellte sich heraus, dass sich die Türen im Falle einer
Rauchentwicklung nicht schließen lassen. Der damalige regierende Bürgermeister fragte daraufhin nach, wie das Problem zu lösen sei. Als Lösungsvorschlag wurde die Eröffnung der O2-World genannt, bei der studentische Hilfskräfte im Fall von Rauchentwicklung die Türen manuell
schließen sollten. Dieser Vorschlag wurde angenommen und daraufhin die Einladungen zur Eröffnung rausgeschickt. Ein Ingenieur wies den Vorschlag sofort ab[…]. Die Politik sollte sich somit in einem Mindestmaß, also für alles was notwendig ist, einbringen und kontrollieren. Aber die Geschäftsführung, die auch heute politisch besetzt ist mit Herrn Lütke
Daldrup, sollten Experten übernehmen.
Bericht eines Besuchs auf dem Flughafengelände
Czaja: Ich als Parlamentarier möchte einen Rundgang machen
[…] Exekutive und Legislative wir haben so ein bisschen Struktur in diesem Land. Glauben Sie ich kriege den Vor-Ort-Termin? Glauben Sie ich darf da umherlaufen? […]
Wissen Sie was passiert, wenn man uns dann einen Termin anbietet?
Dann spielt sich folgendes ab. Ich habe es einmal gemacht vor einigen Jahren. Dann kriegen sie einen vorgeschriebenen Weg und sie sind
kontrollierter als in Nordkorea. Ich habe probiert nach rechts oder nach links abzuweichen, weil ich am Horizont was gesehen habe, was ich mir angucken wollte. Glauben Sie ich durfte das?!
Teilgruppe FDP: Standen dort Security-Guards und haben gesagt: „Ja, tut mir leid, hier nicht“?
Czaja: Ja, genau so! Sechs Leute, sechs Leute die ihnen den Weg strukturieren. […] Ich war noch nicht in Nordkorea ich könnte mir vorstellen, dass es dort so ist. Und das bei einem Projekt, wo sie
vollkommene Transparenz und Klarheit brauchen. Ich verstehe es nicht,
es ärgert mich richtig, weil es unnötig ist, weil es völlig unnötig ist.
In einer Situation, in der wir politische Verantwortung hätten in der Stadt, würde ich genau das Gegenteil tun. Maximale Transparenz herstellen.
Teilgruppe FDP: Andere Parteien sagen, dass der neue Untersuchungsausschuss keine neuen Erkenntnisse bringt. Sie fordern zwar Glaubwürdigkeit und Transparenz, aber die Frage, die ich mir stelle ist, wie man sicherstellen will, dass der neue Untersuchungsausschuss einen Mehrwert schafft.
Czaja: […] Es sind fünf Fragenkomplexe, die wir gestellt haben zum Thema Masterplan. Ganz entscheidend, weil der Masterplan die Antwort im Rahmen eines Volksentscheids war. Auf die Schließung von Tegel. [..] Wie geht eine Landesregierung eigentlich in der Öffentlichkeit mit einer solchen Situation um. Hat sie nur was in die Debatte gebracht, was am Ende des Tages gar nicht funktioniert oder hat sie etwas in die Debatte gebracht, was dazu helfen soll den Volksentscheid zu beeinflussen. Das ist eine Frage. Die zweite Frage bei dem Thema Masterplan ist das was ich vorhin angesprochen habe. Ist der überhaupt in der Lage das abzubilden und wenn ja, wie lange dauert das. Master Plan 2040 planen und und und. Was hängt da dran, wer hat den mitgezeichnet, wie ist der zu Stande gekommen? Das ist eine ganz entscheidende Frage dieser Masterplan. Der nächste Fragekomplex ist das ganze Thema Prognose. Wir haben in Berlin tatsächlich die Situation, dass wir unterschiedlichste Auskünfte haben zu der Passagierprognose. Wir haben in Berlin die Situation, dass Prognosen,
die beauftragt worden sind am Ende des Tages aus den Akten verschwunden sind. Mit denen müssen wir uns beschäftigen. Wo sind die hin?
Warum sind die weg? Sind die Prognosen den baulichen Zustand angepasst worden? Sind die Prognosen schlechter oder besser? Wir wissen es nicht. Das müssen wir aufarbeiten. Wir müssen drittens aufarbeiten, wie ist das mit dem ganzen Thema Schallschutz eigentlich beim BER und wie
regelt sich das für Tegel, da kann man Synergien draus ziehen. Wir haben viertens natürlich auch die Frage aufgeworfen: 2016 im Wahljahr hatte der Regierende Bürgermeister Michael Müller tatsächlich schon Kenntnis von den Verschiebungen? Und ich finde das wichtig. Wenn du vor der Wahl gefragt wirst in einem öffentlichen Hearing bei RBB mit allen Spitzenkandidaten, und Ramona Pop hat das massiv damals gemacht, als Vorsitzende der Grünen, Wird der Flughafen eröffnet? Wann hatten sie davon Kenntnis? All diese Fragen. Und er hat sie ja mehr oder weniger
nicht beantwortet, obwohl er nach unseren Recherchen Kenntnis hatte und hätte bereits vor der Wahl klar sagen können, dass der Eröffnungstermin sich wieder einmal verschiebt. Er hat es aber nach der Wahl getan. Da
geht es um die Frage, wie ernst nimmt die Landesregierung eigentlich
die Wählerinnen und Wähler in der Stadt. Da geht es um ganz grundsätzliche Fragen und die Frage von Demokratieverständnis. Und das werden wir in diesem Ausschuss eben auch untersuchen. Es geht um die Frage, wieso musste denn ein Technikchef gehen, wieso musste denn
ein Planer gehen, wieso musste denn die Aktenlage eingeklagt werden? Es ist ja so, dass teilweise Akten mitgenommen worden sind. Akten, die der Baustelle gehören wurden mitgenommen und müssen heute wieder zusammengesucht oder eingeklagt werden. Ein umfassendes Thema. […] Da erhoffen wir uns eben Kenntnis draus und auch Transparenz und wir wollen auch durchaus gucken, wann wo bewusst im Rahmen eines Volksentscheids gelogen wurde.
Zum Thema Teileröffnung des BER:
Czaja: Eine Teileröffnung […] habe ich auch vorhin gesagt, dass ich das für durchaus praktikabel halte. Es ist eine gewisse organisatorische Herausforderung, weil der U-Bahn Schacht läuft direkt in den Hauptterminal ein. Das führt dazu, dass wenn das Hauptterminal in der Mitte mit dem U-Bahn Schacht angebunden ist und sie eröffnen Pier Nord, dass trotzdem alles durch die Baustelle muss. Und das führt zu den logistischen Herausforderungen bei so einer Teileröffnung. Rein von
der Fachlichkeit her sind Teileröffnungen immer das Beste, weil sie quasi zu einer Dynamik auf der Baustelle führen, weil sie Prozesse beschleunigen und deshalb macht es durchaus Sinn über Teileröffnung zu sprechen. Die Frage ist nur inwieweit das am Flughafen BER tatsächlich machbar
ist und auch 2020 wäre eine Teileröffnung. Das ist keine Kompletteröffnung. Ist ja nicht so, dass der Flughafen eröffnet,
sondern da öffnet ein Teil und der Rest wird dann weiter realisiert werden
müssen.“
Teilgruppe FDP: Welche Finanzierungsfragen bleiben offen, die noch beantwortet werden müssen?
Czaja: […] was muss noch alles aktuell investiert werden? Und da rede ich nur von dem Ist-Stand, da rede ich noch nicht von dem Masterplan. […] Herausforderungen, Notwendigkeiten im baulichen Betrieb. Dann bin ich bei der kompletten Frage des Flughafengeländes. Also bei der Frage: Was passiert mit Schönefeld? Wie viel muss da noch investiert werden? Wie sieht das Nutzungskonzept aus in Kooperation mit der Bundesregierung, wo ja ein neuer Terminal für 750 Million gerade gebaut wird. Da bin ich nur im Bestand unterwegs. Und dann kommt noch der Masterplan hinzu, der bis heute noch mit keinem einzigen Euro unterlegt, untersetzt ist. Nichts,
gar nichts. Es ist völlig unklar, was da an Mitteln notwendig sein wird. […]
Im Weiterenreferiert Czaja über die Baukostensteigerungen
und die Inbetriebnahme der Betankungsanlage, die bis dato noch nie benutzt wurde. Er kommt zu dem Schluss, dass es viele Risiken und Herausforderungen gibt, die noch bezahlt werden müssen. Diese möchte die FDP abgebildet haben.