Die Vorfreude war groß: Das Abi mit super Leistungen bestanden, für das Traumstudium angenommen, endlich bei den Eltern ausziehen und machen was man will und dann…? Und dann findet man keine Wohnung am Studienort. Bewerbungen in WGs werden kaum beantwortet und wer eingeladen wird, ist auch nur einer von vielen. Die Warteliste des Studentenwohnheims ist nahezu unendlich und bietet mit Platz 4.100 auch kaum Hoffnung. Ein Bekannter in der Stadt lädt zu sich ein aber nach der dritten Woche auf dem Küchensofa wird die Atmosphäre etwas angespannt. Was nun? Ins Hostel ziehen? 12€ pro Nacht machen 360€ im Monat. Das ist immerhin günstiger als die meisten WG-Zimmer. Dafür gibt es keine Privatsphäre. Und anstatt sich mit den Studieninhalten auseinanderzusetzen, wird die kostbare Zeit stattdessen mit der Wohnungssuche verbracht. So hatte sich das niemand vorgestellt. Wer diese Scene selber nicht erlebt hat, lernt an der Uni sehr schnell Studenten kennen, denen es so geht.
Der Wohnungsmangel in deutschen Städten trifft in erster Linie diejenigen, die am wenigsten haben. Sozialhilfeempfänger, Geringverdiener aber eben auch Studenten. Dabei ist Wohnungsmangel ein dehnbarer Begriff. Wer genug Geld hat bekommt sofort ein Dach über dem Kopf. Es herrscht ein Mangel an Sozialwohnungen. An Wohnungen, die man sich auch bei geringem Einkommen leisten kann. Private Investoren haben den Mangel an Studentenunterkünften erkannt und schaffen mit Einraumwohnungen Abhilfe. Leider in einem Preisniveau ab 500€ oder sogar 1.000€ [1].
In dieser unschönen Lage kommt nun Hilfe aus einer unerwarteten Richtung. Der Lebensmitteldiscounter Aldi plant, allein in Berlin 2.000 neue Wohnungen zu bauen. Diese Wohnungen sollen innerhalb des S-Bahnrings entstehen und eine Verbindung aus Supermarkt im Erdgeschoss und darüber liegenden Mietwohnungen darstellen. Aldi schreibt dazu in einer Pressemitteilung:
„Zwei Leuchtturmprojekte werden in einer ersten Phase bereits umgesetzt. Hier wird das Konzept ‚Gemischt genutzte Immobilien‘ exemplarisch realisiert. 200 Wohnungen sollen im ersten Schritt in den Stadtteilen Neukölln und Lichtenberg entstehen. Weitere fünfzehn Standorte in der Kombination aus ALDI Markt und Wohnungsbau befinden sich in konkreter Planung.“[2]
Das ein Konzern wie Aldi ein solches Diversifikations-Projekt natürlich nicht aus reiner Nächstenliebe ins Leben ruft, dürfte nicht verwundern. Tatsächlich führt der Discounter eine Modernisierungskampagne seiner Standorte durch. Nur ist es in Städten wie Berlin nicht mehr so einfach eine Baugenehmigung zu bekommen, wenn man als Einzelhandel einstöckige Filialen baut. Die Städteplaner versuchen diese Art der Platzverschwendung zu vermeiden und so sind auch Unternehmen aufgefordert, einen Beitrag für mehr Wohnraum zu leisten [3].
bestehender Markt | neuer Markt | |
bestehende Produkte | Marktdurchdringung | Markterweiterung |
neue Produkte | Produktdifferenzierung | Diversifikation |
Ansoff-Matrix, auch Produkt-Markt-Matrix genannt
Auf den ersten Blick scheint dies eine klassische Win-win-Situation zu sein. Berlin bekommt mehr Wohnraum, es werden keine Grünflächen zugebaut, Aldi darf nicht nur seine Märkte modernisieren, sondern auch die Verkaufsfläche vergrößern. Und vor allem entsteht auch günstiger Wohnraum. Wird Aldi also auch zum Kostenführer im Immobilienmarkt?
Auch weiter Fragen bleiben noch offen. Werden alle Wohnungen zu sozialen Preisen angeboten oder wird es ähnlich dem Gourmetangebot im Discounter auch eine höherpreisige Sparte geben? Und wie sehen die Wohnungen eigentlich konkret aus? Architektur und Städteplanung hat viel mehr zu leisten als bloße Unterkünfte. Hier geht es darum, zu gestalten, wie Menschen miteinander leben und interagieren sollen. Ist es noch zeitgemäß nur Wohnräume zu schaffen, die auf Familie mit Kind aufgelegt sind? Skandinavische Konzepte wie CoHousing sorgen dafür, dass Menschen miteinander agieren können, statt nur nebeneinander her zu leben. Immerhin, wenn man sich die Kundschaft von Aldi anschaut, stellt man schnell fest: Hier sind fast alle Gesellschaftsschichten vertreten. Sollte sich das auch in den Wohnungen von Aldi widerspiegeln, wäre das Potential wie eine Verständigung und ein Näherkommen zwischen verschiedenen Gesellschaftsschichten gegeben. Natürlich nur im kleinen Rahmen. 2.000 Wohnungen sind nicht Berlin.
Und ein weiterer, positiver Aspekt zeichnet sich bereits ab. Aldis Konkurrenz zieht nach. Lidl und andere Supermärkte wollen ihre Märkte ebenfalls mit Wohnungen ausstatten [4]. So soll ein Leuchtturmprojekt ja auch laufen. Es soll andere inspirieren und animieren. Es hat sicherlich Vorteile, wenn die eigene Kundschaft im selben Gebäude wohnt. Ob sich dadurch das Leben so mancher Studenten verbessern wird, bleibt abzuwarten.
Aus unternehmerischer Sicht lässt sich so eine Diversifikation in Chancen und Risiken aufteilen. Auf der Seite der Chancen kann der Wohnungsbau für Aldi einen enormen Imagegewinn bedeuten. Aldi als Unternehmen, dass sich, obwohl Branchen fremd, um mehr Wohnraum kümmert. Wenn es sich dann auch noch um günstigen Wohnraum handelt, ist der Konzern praktisch der „Knight in shining Armor“. Ebenfalls hat Aldi durch die Mieten eine zusätzliche Einnahmequelle und der Supermarkt im eigenen Haus bindet auch die Mieter als Kunden.
Auf der anderen Seite birgt eine Diversifikation auch nicht zu unterschätzende Risiken. Zum einen stellen Immobilien eine enorme Investition und somit Kapitalbindung dar. Dadurch kann ein Unternehmen weniger agil auftreten. Eine große Frage ist auch, wo Aldi die Expertise herbekommt, um ein solches Projekt durchzuführen und auch zu verwalten? Und auch das mit dem Image ist so eine Sache. Sollte sich herausstellen, dass besagte Wohnungen zum Beispiel einfachen Standards nicht genügen oder die Verwaltung mangelhaft ist, kann das schnell negative Folgen haben. Das macht den vorherigen Punkt der Expertise um so wichtiger.
Chancen | Risiken |
Imageverbesserung durch den Bau dringend benötigter Wohnungen | Tätigung von Investitionen –> hohe Kapitalbindung |
Kunden „in-house“ -> sichere Einnahmequelle | Organisationsprobleme nach Eintritt in einen zuvor unbekannten Markt |
zusätzliche Einnahmequelle zum regulären Lebensmittelhandel -> Verbesserung der Wirtschaftlichkeit durch Wachstum | Imageschäden möglich bei mangelhafter Organisation |
Dieser Beitrag sollte ein kleinen Überblick geben, über die Umstände, die zu Aldis Leuchtturmprojekt geführt haben. Die Diversifikationsstrategie des Discounters bietet einige Chancen, sowohl für das Unternehmen als auch für Wohnungssuchende in Berlin. Auch ein Vorreitereffekt lässt sich bereits erkennen, da weitere Supermärkte den Schritten Aldis folgen. Ob das Leuchtturmprojekt die Situation auf dem Wohnungsmarkt tatsächlich verbessert, bleibt jedoch abzuwarten. Der nächste Beitrag wird darüber berichten, was verschiedene Experten zu den Discounterwohnungen zu sagen haben.
Quellen:
[1]https://www.welt.de/politik/deutschland/article182356920/Wintersemester-2018-Wohnungsnot-treibt-Studenten-in-Notunterkuenfte.html, 20.05.2019.
[3] https://www.capital.de/immobilien/warum-aldi-wohnungen-baut, 21.05.2019.
[4] https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/immobilien/wohnungen-bei-lidl-discounter-stocken-auf/21170964.html, 30.05.2019.