Für unseren zweiten Blogeintrag haben wir uns etwas Hilfe geholt. Hatten wir im letzten Blogbeitrag unsere eigenen Rechercheergebnisse präsentiert, wollten wir nun zusätzlich Experten zum Thema Aldi und Wohnungsmarkt befragen. Hierzu hat sich freundlicherweise der leitende Redakteur Immobilien der Zeitung DIE WELT, Michael Fabricius, zur Verfügung gestellt. Ebenso die Senior Spezialistin Unternehmenskommunikation von ALDI Nord, Verena Lissek. Zum Schluss kommt noch ein Berliner Stadtplaner zu Wort, der aber anonym bleiben möchte. Dafür an dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank an unsere Interviewpartner.
Der Journalist
Das Nachfolgende ist eine sinngemäße Wiedergabe des Interviews mit Michael Fabricius.
Wie im letzten Beitrag schon angesprochen, führt ALDI das Wohnungsbauprojekt nicht aus reiner Nächstenliebe durch. Im Zuge einer Modernisierungskampagne ist ALDI zur Zeit damit beschäftigt, seine Filialen baulich zu überholen. Das führt oft dazu, dass die Märkte abgerissen und in neuer Gestalt wieder aufgebaut werden. Der Hauptgrund für diesen Neubau ist die Vergrößerung der Verkaufsfläche. Das Problem dabei? Baugenehmigungen werden in Berlin für einstöckige Gebäude kaum noch vergeben. Es geht also um eine effiziente Nutzung der Flächen. Wenn ALDI Wohnungen über dem Markt baut, kann auch der Markt vergrößert werden. Zusätzlich sind die Kunden gleich im eigenen Haus. Geplant sind sogar Fahrstühle bis an den Markteingang. Der ALDI-Markt als verlängerter Kühlschrank sozusagen. Das ist Kundenbindung.
Das dabei auch noch positive PR entsteht kommt natürlich gelegen, ist aber nicht das Ziel des Projektes. Es wird auch keine Risikostreuung angestrebt, im dem der Konzern Standbeine in anderen Branchen aufstellen will. Es wird also keine Diversifikation im eigentlichen Sinn angestrebt, da mit den Wohnungen auch kein Gewinn angestrebt wird.
Hier geht es um Effizienz. Um Baugenehmigungen. ALDI ist ein schlanker, optimierter Konzern, der sich auf sein Kerngeschäft fokussiert und sich notgedrungen im Immobilienmarkt wiederfindet. Es werden somit auch nur Wohnungen über Märkten entstehen und nicht unabhängig davon. Und diese werden sehr wahrscheinlich in der Hand des Konzerns bleiben, da die Grundstücke auf keinen Fall verkauft werden.
Generell geht ALDI sehr vorsichtig vor. Es gibt zwei Pilotprojekte in Berlin Neukölln und Berlin Lichtenberg. Und bevor die nicht erfolgreich verlaufen sind, wird man auch mit keinen weiteren Bauprojekten rechnen können. Es wird also ein längerer Prozess werden und in der Masse auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn es um den Wohnungsmangel insgesamt in Berlin geht. Auch ist nicht jeder ALDI-Markt für einen Wohungsüberbau geeignet. Es geht hierbei um die Standortfrage. So kommen Märkte an Autobahnen, in Gewerbegebieten oder anderen Standorten,an denen das Wohnumfeld ungeeignet erscheint, nicht in Frage. Die Kaltmiete soll 10€ pro qm nicht übersteigen und ein Teil der Wohnungen werden auch für 6,5€ pro qm vermietet. Damit ist sichergestellt, dass die Wohnungen auch garantiert vermietet sind. Das Bauprojekt wir an einen Bauträger abgegeben und auch die Verwaltung der Wohnungen soll eine professionelle Wohnungsverwaltung übernehmen.
ALDI
Diese Einschätzung wird auch von ALDI bestätigt, wie das folgende Interview zeigt.
Unsere Ansprechpartnerin war Verena Lissek, Senior Spezialistin Unternehmenskommunikation.
1. Inwiefern beabsichtigt ALDI den Berliner Wohnungsmangel zu
begrenzen?
Unsere konkreten Vorhaben im Bereich Immobilien beziehen sich derzeit
ausschließlich auf den Raum Berlin. In Berlin haben wir uns für eine
Strategie entschieden, um den Vorgaben der Stadt bzw. der
städtebaulichen Notwendigkeiten sowie dem Wohnungsmangel zu begegnen.
Bislang haben wir dort zwei Leuchtturmprojekte definiert, die an den
Standorten Berlin Lichtenberg und Neukölln realisiert werden sollen.
Insgesamt sollen in Berlin rund 2.000 Wohnungen gebaut werden. Für die
Leuchtturmprojekte in Berlin Lichtenberg und Neukölln gilt maximal 200
Wohnungen.
2. Handelt es sich bei den Wohnungen um Sozialwohnungen? Bzw. was ist
das Publikum/ die Zielgruppe des Projekts?
Wir statten die Objekte freiwillig zu einem Drittel mit Sozialwohnungen
aus. Hier gilt der aktuelle Satz der Stadt (6,50 Euro pro Quadratmeter).
3. Inwiefern wird ALDI durch die Diversifikation/ den Eintritt in den
Immobilienmarkt zu einem Mischkonzern?
Natürlich ist und bleibt der Lebensmitteleinzelhandel unser
Hauptgeschäft. Dafür müssen wir in der Region ein zukunftssicheres
Filialnetz entwickeln. Größere Verkaufsflächen sind dafür sowohl jetzt
schon als auch erst recht in der Zukunft unverzichtbar. Mit der
Mischnutzung bekommen wir so Vorteile für alle Beteiligten:
Einzelhandelsflächen, Nachverdichtung und dringend benötigten Wohnraum.
4. Was sind die Risiken für ALDI im Einstieg in den Immobilienmarkt?
Die Unternehmensgruppe ALDI Nord zeichnet sich durch schlanke
Strukturen, effektives Management sowie jahrzehntelange Erfahrung in der
Baubranche aus. Darüber hinaus profitieren wir von einem starken
Netzwerk.
5. Werden die Wohnungen ausschließlich auf bestehenden Märkten gebaut
oder gibt es Bestrebungen Wohnungen auch ohne ALDI-Markt zu errichten?
Bei den entsprechenden Flächen handelt es sich um Bestandsstandorte.
Die Märkte werden an den jeweiligen Standorten erneuert. Grundsätzlich
kann man sagen, dass bei den ausgewählten Projekten der Markt
(Giebeldach) abgerissen wird. Der Neubau hat im Erdgeschoss einen ALDI
Markt, darüber liegend entstehen Etagen mit Wohnungen. Eine
„Erweiterung“ oder „Aufstockung“ eines bestehenden Marktes ist statisch
nicht möglich.
6. Es scheint eine win-win-Situation für alle Beteiligten zu sein.
Welche negativen Seiten gibt es?
Der Entschluss für unsere Immobilienvorhaben ist die Symbiose aus dem
Interesse der Stadt Berlin an bezahlbarem Wohnraum und großflächigen
ALDI Verkaufsstellen – eine Win Win-Situation für beide Seiten.
Da wir uns mit unseren Vorhaben in einer Reihe mit sämtlichen großen
Bauvorhaben in Berlin befinden, kann es aufgrund der Komplexität
unterschiedlicher Abstimmungen und Genehmigungsverfahren natürlich zu
Verzögerungen kommen. Nichtsdestotrotz freuen wir uns über die positive
Begleitung und Unterstützung unserer Planungen seitens der
verantwortlichen Stellen des Landes Berlin sowie der jeweiligen
Stadtbezirke. Auf diese vertrauensvolle Zusammenarbeit setzen wir auch
weiterhin.
7. Woher nimmt ALDI die Expertise für dieses Projekt?
Wir sind in diesem Bereich gut aufgestellt und arbeiten erfolgreich mit
langjährigen Partnern zusammen.
[Zum Öffnen der Antworten bitte die Fragen anklicken.]
Der Städteplaner
Auch aus der Perspektive der Stadtplanung ist das Vorhaben selbstverständlich wünschenswert. Schließlich ist es die Vorgabe der Stadt, dass Lebensmittelmärkte die Fläche nicht mehr einstöckig bebauen sollen. Das entspricht dem Vorhaben der Nachverdichtung ohne neue Flächen zu versiegeln. Aus Sicht der Stadtplanung kann die Lösung des Wohnungsmangels nicht das Zubauen der freien Flächen sein. Städte leben von grünen Erholungsflächen.
Besonders positiv wird der Leuchtturmcharakter des Projekts hervorgehoben. Dieser kann andere Unternehmen dazu motivieren, es ALDI nachzutun.
Es gibt aber auch Probleme bei diesem Model. ALDI darf seine Verkaufsfläche vergrößern, da es sich der Konzern leisten kann, Wohnungen darüber zu bauen. Wie sieht es aber mit Unternehmen aus, die finanziell nicht dazu in der Lage sind? Hier müsste sicherlich im Einzelfall verhandelt werden, um nicht unfaire Wettbewerbsvorteile zu generieren. Ebenfalls unklar ist die Frage nach den zusätzlichen Stellplätzen für die Autos der Mieter. Die beste Lösung wäre sicherlich eine Tiefgarage aber die ist sehr kostenintensiv.
Die Studenten
Wir sind ursprünglich mit der Annahme an unsere Betrachtung gegangen, dass ALDI ein klassisches Diversifikationsprojekt durchführt. Dies ist nicht der Fall. Tatsächlich ist der Discounter eher zurückhaltend, beim Einstieg in den neuen Markt, da es nicht um eine breitere Aufstellung geht. Es sollen schlicht effiziente Möglichkeiten gefunden werden, um das Kerngeschäft voranzutreiben. ALDI führt diese Projekte auch nicht allein, sondern beauftragt Partnerunternehmen. Eine Art Ausflug per Anhalter sozusagen.