19. Dezember 2012 von Curd Knüpfer
In den USA läuft dieser Tage der Film “Zero Dark Thirty” an, der den Anspruch erhebt, die Ereignisse rund um die Suche nach und anschließende Tötung von Osama bin Laden möglichst originalgetreu in ein massentaugliches Filmformat zu pressen.
Schon vorab aber entfachte sich eine Debatte um die Eröffnungsszenen des Films, durch welche offenbar suggeriert wird, dass die Folter von Gefangenen maßgeblich dazu beigetragen habe an entscheidende Informationen zu gelangen.
Dies entspreche nicht den Tatsachen, so einige der Kritiker. Folter habe bei den Ermittlungen, die schlussendlich zu bin Ladens Versteck führten, keine Rolle gespielt. „Künstlerische Freiheit!“, halten andere dagegen. Ähnliche Diskussionen entfachten sich bereits an der Fernsehserie „24“, in der der Titelheld oftmals (und erfolgreich) auf Foltermethoden zurückgriff, um an terrorvereitelnde Informationen zu gelangen.
Welche Argumente dabei von welchem Rezensenten vertreten werden, scheint sich auch anhand politischer Linien abzuzeichnen: Während der Blogger Glenn Greenwald den Film als propagandistisch und moralisch verdorben verurteilt, lobt Rupert Murdoch’s New York Post die Handlung als „a clear vindication for the Bush administration’s view of the War on Terror”.
Bezeichnend ist dabei auch, dass der Kritiker der New York Times den Film als solchen zwar in höchsten Tönen lobt, zu der brisanten Frage der Folterszenen allerdings nur schreibt: “(…) it is an article of faith in ‘Zero Dark Thirty’ that viewers are capable of filling in the blanks, managing narrative complexity and confronting their complicity.“ Menschenrechtsverletzung, oder geheiligtes Mittel zum Zweck? Das liegt im Auge des Betrachters.
Von einem „national Rorschach test on the divisive subject of torture”, schreibt daher die Zeitung an anderer Stelle. Es wäre schwierig, den traditionell zentristisch ausgelegten Standpunkt der Grey Lady deutlicher zu vertreten.
Aber vielleicht ist es leichter, die Frage nach künstlerischer Freiheit und der Grenze zwischen Unterhaltung und Dokumentation einmal auszublenden.
Im Kern scheint hier nämlich eine größere Debatte ausgetragen zu werden. Es geht darum, dass ein weiteres Schlagwort auf die lange Liste von politisierten Themenfeldern gesetzt wird. Die Folter reiht sich damit ein zwischen andere „divisive subjects“ wie das Waffenrecht, Abtreibung, die Todesstrafe oder selbst den Klimawandel.
Anders als in den USA des vergangenen Jahrhunderts – als die US Regierung sicherlich oftmals menschenrechtswidrig handelte, während das „Evil Empire“ gescholten wurde – ist entscheidend, dass es heute in solchen Fragen nicht bloß darum geht, was politische Eliten hinter verschlossenen Türen oder in verrauchten Zimmern besprechen und beschließen. Stattdessen geht es um öffentliche Diskussion und ideologische Grabenkämpfe innerhalb der Zivilgesellschaft.
Der Präzedenzfall, für den die Regierung Bush II mit ihrer Absegnung von „enhanced interrogation techniques“ gesorgt hat, scheint als Folge zu haben, dass Folter zwar momentan und unter Führung der Demokraten offiziell nicht praktiziert wird, dass die Befürwortung solcher Praktiken aber längst als vertretbare, politische Meinung akzeptiert wird. Insofern mag die New York Times in ihrer Einschätzung Recht behalten: welche Position man hierbei bezieht, liegt im heutigen Amerika sicherlich an der eigenen politischen Grundeinstellung.
Für meinen Teil bleibt daher zu sagen:
Ich, als deutscher Europäer, den in Berlin die Gedenkstätten an die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen (nicht nur) des vergangenen Jahrhunderts umgeben und der über die Geschichte von Nationalismus und Staatsverbrechen im eigenen Land früh und umfangreich aufgeklärt wurde; ich, als demokratischer Bürger, würde mir wünschen, dass man über manche Dinge nicht mehr streiten muss.
Weiteres Material:
Der Beitrag „‚Spytainment‘ The Real Influence of Fake Spies“ von Amy Zegart im International Journal of Intelligence and CounterIntellience (23: 4, 2010. p 599 — 622) ist hierzu wärmstens zu empfehlen. Der Artikel kontrastiert die popkulturelle Darstellung von Spionagearbeit wie sie in Serien wie 24, Homeland, den Jason Bourne oder James Bond Filmen dargestellt wird, mit der ernüchternden Realität und weist auf mögliche Gefahren solcher Darstellungen hin.
Hier ein Auszug:
„American citizens are steeped in misperceptions about what intelligence agencies actually do, and misplaced expectations about how well they can do it. Perhaps even more disturbing, evidence suggests that policymakers—from cadets at West Point to senators on the Intelligence Committee to Supreme Court Justices—are referencing fake spies to formulate and implement real intelligence policies.“