27. Januar 2011 von Christian Lammert
“Er (der Präsident) hat von Zeit zu Zeit dem Kongress über die Lage der Union Bericht zu erstatten und Maßnahmen zur Beratung zu empfehlen, die er (der Präsident) für notwendig und nützlich erachtet,“ so steht es in Artikel 2, Abschnitt 3 der Verfassung von 1787. Die Rolle und Funktion der State of the Union Adress haben sich über die Zeit hinweg natürlich verändert. Heute spricht der Präsident weniger zu den Abgeordneten im Kongress, als vielmehr zur Bevölkerung und insbesondere zu den eigenen Wählern und den Medien. Ziel ist es weniger den Kongress zu informieren, als vielmehr die Bevölkerung für die eigenen Positionen und natürlich mit Blick auf die nächsten Wahlen zu mobilisieren. Kein Wunder also, dass die jeweilige Oppositionspartei gleich nach der Rede des Präsidenten mit einer Gegenrede auf den Präsidenten reagiert, in diesem Jahr gleich zweimal, was einiges über den Zustand der Republikanischen Partei aussagt. Die State of the Union Adress ist Teil des ‚going public‘, mit dem Präsident und Kongress die öffentliche und veröffentlichte Meinung erreichen wollen. Ist der Adressat der Rede nicht nur der Kongress, sondern die breite Öffentlichkeit, so darf es nicht verwundern, wenn die Rede Stimmungen, Einschätzungen und Erwartungen der Öffentlichkeit aufnimmt, ob man das alles nun als populistisch oder responsiv charakterisiert, sei dahingestellt. Zugleich – und das ist immanenter Bestandteil solcher Ansprachen in den USA – geht das nicht ohne eine gewisse Glorifizierung des US-Amerikanischen in allen Bereichen. Und allzu pessimistisch darf die Beschreibung der Lage der Nation auch nicht ausfallen. Selbst in Krisenzeiten muss der Hoffnungsschimmer immer deutlich werden, am besten natürlich, wenn sich die Hoffnungen aus der ‚glorreichen‘ Vergangenheit der USA und anhand individueller Schicksale ableiten lassen.
Obama ist all dies gelungen, aber das darf auch nicht verwundern, weil sich dieses Drehbuch in allen Reden zur Lage der Nation wiederfindet. Was vielleicht erklärt, warum die Ansprachen generell kaum Wirkung auf die Zustimmung der Bevölkerung zur Politik des Präsidenten haben, trotz allen medialen Bohei. 92 Prozent der Befragten fanden Obamas Rede gut, alle wichtigen Probleme seien angesprochen worden. Aber das wird es dann auch gewesen sein, zumindest was die Öffentlichkeit betrifft, wenn es gut läuft für Obama kann er vielleicht noch einen oder zwei Prozentpunkte bei den ‚approval rates‘ zulegen, aber dann übernimmt der politische Alltag wieder in Washington
Das Interessante solcher Reden für die politische Analyse ist immer, wie sich der Präsident zwischen den beiden Parteien verorten lässt. Dies spielte insbesondere im aktuellen Kontext der stark polarisierten politischen Debatte eine Rolle. Und hier müssen alle Präsidenten einen schwierigen Spagat hinbekommen: auf der Seite erwartet man klare politische Zielvorgaben, auf der anderen Seite aber auch eine gewisse Überparteilichkeit. Unter diesem Gesichtspunkt war die Rede Obamas langweilig, soll heißen pragmatisch im Inhalt, gemäßigt in der Rhetorik und kaum konfrontativ. Aber das entsprach auch der Erwartungshaltung. Inhaltlich blieb die Rede immer nur an der Oberfläche, war wenig konkret und das wurde auch in den Medien kritisiert. Aber auch das ist ‚business as usual‘ und darüber hinaus stark abhängig von den jeweiligen Medien. Leicht bekommt man den Eindruck, Obama habe zwei Reden gehalten, wenn man die Berichterstattungen auf Fox News und MSNBC gesehen hat.
Thomas Greven kritisiert nun in seinem Kommentar, dass die Rede Zweifel aufkommen ließe, „dass sich Obama noch einmal von der rechten Mitte wegbewegen wird“ und das ist wohl die spannendste Frage überhaupt. Sehen wir hier gleiche Muster wie unter Präsident Clinton, der nach der desaströsen Niederlage der Demokraten bei den Zwischenwahlen 1994 versuchte die von den Republikanern so definierte Mitte neu zu besetzen, erfolgreich für ihn, weil er seine Wiederwahl 1996 erreichte, aber mit weitreichenden Folgen nicht nur für die Sozialpolitik in den USA. Geht Obama hier einen gleichen Weg, indem er versucht der sich immer weiter nach rechts bewegenden Republikanischen Partei nach zu hetzen, um so die für die Wahlen so wichtige politische Mitte zu besetzen, die in historischer Perspektive schon lange keine Mitte mehr ist? Ich denke nein. Obama nennt vier zentrale Bereich US-amerikanischer Politik, die die USA aus der Krise herausführen sollen: Innovation, Bildung, Infrastruktur und einen ausgeglichenen Haushalt.
Anhand dieser Politikbereiche werden natürlich die Unterschiede zu den Republikanern nicht deutlich, aber in der darin zugeschriebenen Rolle des Staates. Hier wird nicht ein ‚end of big government‘ propagiert, sondern eher ‚smart government‘ gefordert. Der Staat muss aktiv in zentrale Bereiche wie Bildung und Infrastruktur investieren und intervenieren, um die US-amerikanische Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig und innovationsfähig zu machen. Und das trotz der desaströsen Haushaltslage! Zugleich hat Obama deutlich gemacht, dass mit ihm eine Rücknahme der Gesundheitsreform und auch Kürzungen bei ‚Social Security‘ und ‚Medicare‘ nicht machbar sind. Erneut hat er sich dafür ausgesprochen, die Steuersenkungen für Reiche nach zwei Jahren auslaufen zu lassen. Gut, das hat er schon einmal gesagt und nicht eingehalten. Und was die Unternehmenssteuern anbelangt: hier fordert er zwar eine Senkung der, Spitzensteuersätze, aber zugleich die Schließung der immens vielen Steuerschlupflöcher im System. Zweidrittel der großen Unternehmen in den USA zahlen aufgrund dieser Ausnahmeregelungen momentan überhaupt keine Unternehmenssteuern. Dies würde sich mit einer Reform ändern, also eigentlich haben wir hier eine hinter Republikanischer Rhetorik versteckte Steuererhöhung.
Die Unterschiede zu den Republikanern nehmen deutlichere Konturen an, wenn man sich anschaut, was der Republikaner Paul Ryan programmatisch vertritt, der die offizielle Reaktion der Republikanischen Partei auf Obamas Rede zur Lage der Nation präsentiert hat (Michelle Bachman lassen wir mal ganz (rechts) außen vor, nur eine kleine Anekdote am Rande: in ihrer Rede sieht Bachmann immer rechts an der Kamera vorbei, mal ein ganz andere Ausdruck von ‚Off Center‘) . Da wird die Abschaffung der Einkommens- und Unternehmenssteuer zugunsten einer allgemeinen Verbrauchssteuer gefordert, starke Kürzungen bei ‚Social Security‘ und ‚Medicare‘ soll ebenfalls abgeschafft werden und durch einem Gutschein ersetzt werden, mit dem sich Rentner dann auf dem privaten Markt eine private Krankenversicherung kaufen sollen. Hiervon grenzt sich Obama deutlich ab und versucht die politische Mitte wieder stärker in die ‚richtige‘ Mitte zu rücken. Ist das genug? Ich finde nicht, aber im momentanen Kontext US-amerikanische Politik ein wichtiger Schritt, der deutlich macht, das Wahlen und Präsidenten doch einen Unterschied machen, auch wenn man sich mehr erhoffen mag und vielleicht auch erhofft hat. Aber manchmal hilft es, sich die Alternativen vorzustellen, die Sarah Palin oder Michelle Bachmann heissen könnten!