Demokratischer Rechtsstaat hin oder her: KBS erhält neuen Regierungschef!

Der 59-jährige Kim In Gyu ist zum neuen Chefintendanten des halbstaatlichen Fernsehsenders KBS gewählt worden. Noch vor zwei Jahren war er während des Präsidentschaftswahlkampfs hauptverantwortlich für die Medienwirksamkeit Lee Myung Baks, der schließlich 2008 zum Staatsoberhaupt eingeschworen wurde. Oppositionsparteien und Bürgerinitiativen sowie die Gewerkschaft des Senders kritisieren die Entscheidung scharf. Sie sehen darin einen weiteren Schritt der Regierung, die Medien unter ihre volle Kontrolle zu bringen.

Der 59-jährige Kim In Gyu ist zum neuen Chefintendanten des halbstaatlichen Fernsehsenders KBS gewählt worden. Noch vor zwei Jahren war er während des Präsidentschaftswahlkampfs hauptverantwortlich für die Medienwirksamkeit Lee Myung Baks, der schließlich 2008 zum Staatsoberhaupt eingeschworen wurde. Oppositionsparteien und Bürgerinitiativen sowie die Gewerkschaft des Senders kritisieren die Entscheidung scharf. Sie sehen darin einen weiteren Schritt der Regierung, die Medien unter ihre volle Kontrolle zu bringen.

Kreuzzugartige Medienreform unter Präsident Lee

Bereits während des Präsidentschaftswahlkampfes Ende 2007 betonte das Camp um Lee Myung Bak, man werde die Medienlandschaft umkrempeln und flächendeckende Privatisierungen bei Sendern vornehmen. Die Rechtskonservativen, die schließlich an die Macht kamen und ihr Versprechen wahr machen zu scheinen, rechtfertigten ihren Kreuzzug damit, dass die Medien „links“ und ihnen gegenüber feindlich gesonnen seien. Dies sahen sie ein weiteres Mal bestätigt, als sich nur wenige Monate nach der Amtseinführung Lees im Frühling vergangenen Jahres der Skandal um die Rindfleisch-Frageentfachte. Die rechtskonservative Regierung sah darin eine Verschwörung vor allen Dingen des Politmagazins „PD Notebook“ des Fernsehsenders MBC.

In der Folge wurde nicht nur MBC unter Druck gesetzt, sondern auch der Chefintendant des Nachrichtensenders YTN sowie der von KBS abgesetzt, um mit regierungsnahen Personal ausgetauscht zu werden. Während man bei YTN äußerst fragliche Methoden bei der Durchsetzung der Personalie bezüglich der Aktionärsversammlung praktizierte, wurden bei KBS Grundprinzipien des Entscheidungsprozesses für Personalfragen umgangen, um den Wunschkandidaten (Lee Byung Sun) auf den Thron zu setzen. Seit damals werden diese Vorgänge von Opposition und der Öffentlichkeit als Versuche der Regierung kritisiert, die Medien in ihre Gewalt zu bringen.

Doch bisher konnte sich die Regierung dahinter verstecken, dass der Personalreformprozess nach dem Gesetz abgelaufen und damit rechtens sei. Jüngste Gerichtsentscheidungen sprechen jedoch eine andere Sprache. Dass nun mit Kim In Gyu ein weiteres Mal ein eindeutig regierungstreuer Mann an die Spitze von KBS gesetzt wurde, gibt dem Widerstand gegen die Einbahn-Politik der Regierung Rückenwind.

Gericht: Absetzung von Chefintendant Jeong „nicht rechtens“!

Vorbote des Bumerangs gegen die Medienpolitik der Regierung war die Entscheidung des Seouler Verwaltungsgerichts am 12. November. Das Gericht hatte in der Angelegenheit einer Nachrichtensprecherin des Senders MBC (Park Hye Jin) für den Sender und gegen die Korea Communications Comission (EKCC) entschieden. Das EKCC hatte eine Klage eingereicht, in der es Sanktionen forderte, weil die Nachrichtensprecherin im Dezember letzten Jahres am Schluss der Nachrichtensendung kommentiert hatte, dass sie sich als Mitglied der Gewerkschaft am Streik beteiligen müsse, weshalb sie die Nachrichten vorerst nicht moderieren könne, und im Übrigen den Inhalten und dem Prozedere der Fernsehgesetz-Reform nicht zustimmen könne. Der Sender hatte gegen diese Sanktionsklage des EKCC gewehrt und hat schließlich Recht bekommen. Zuvor war der Kollege von Park, Shin Gyeong Min, als Nachrichtensprecher abgesetzt worden. Zwar wurde die Personalie mit regulärem Personalwechsel begründet. Doch Shin war noch mehr als seine Kollegin bekannt dafür, am Ende der Hauptnachrichten kritische Kommentare zu machen, die sich bei den Zuschauern großer Beliebtheit erfreuten – weniger jedoch bei der Regierung.

Eine weitaus gewichtigere Entscheidung machte ein anderes Verwaltungsgericht der Hauptstadt am selben Tag. Dieses Gericht entschied, dass die Entlassung des ehemaligen KBS-Chefintendanten, Jeong Yeon Ju, nicht rechtens gewesen sei. Sein Entlassung wurde damit als „nichtig“ erklärt. Doch da seine reguläre Amtszeit bis zum 23. November gedauert hätte, gab es keine Möglichkeit, seinen unrechtmäßig verlorenen Arbeitsplatz wieder einzunehmen. Die Bedeutung dieser Entscheidung ist jedoch von weitaus größerer Signifikanz als nur ein Arbeitsplatz. Die vorzeitige Entlassung Jeongs als Chefintendant von KBS im Sommer 2008 war ein entscheidender Meilenstein in der umstrittenen Medienpersonalpolitik der neuen Regierung.

KBS´ Personalkomission regierungsfreundlich ausgehebelt

Der Chefintendant wurde von rechtsradikalen Gruppierungen angeklagt, als Chef von KBS gemisswirtschaftet zu haben, woraufhin die Staatsanwaltschaft begann, Ermittlungen anzustellen. Dies wurde schließlich zur rechtlichen Grundlage der Entlassung Jeons. Doch damit man sichergehen konnte, dass ein Regierungstreuer den Posten übernimmt, musste die Personalkomission des Senders umgestellt werden, sodass die rechtskonservative Hannaradang (Grand National Party – GNP) die Mehrheit der Komissionsmitglieder stellte. Dazu war unter anderem nötig, Professor Sin Tae Seob als Mitglied abzusetzen.

Es folgte ein bizarrer Verlauf der Dinge. Zuerst wurde Professor Sin an seiner Universität entlassen, weil ihm vorgeworfen war, ohne Erlaubnis als Komissionsmitglied bei KBS fungiert zu haben. Es wird vermutet, dass das Bildungsministerium Druck auf die Universitätsleitung ausgeübt hatte. Nur einige Wochen später nahm dies der EKCC zum Anlass, ihn als Komissionsmitglied zu entlassen, weil er ja nun keiner Universität mehr angehörte. Stattdessen rückte Professor Kang Seong Cheol nach.

Somit war die Komission in der Mehrzahl mit regierungstreuen Mitgliedern besetzt. Das EKCC war schon davor auf diese Politikpraxis vorbereitet worden, indem der Lee-Treue Choi Si Jung zum neuen Vorsitzenden der Organisation ernannt wurde. Bereits damals entrüstete man sich in Opposition und der Öffentlichkeit darüber, wie einem so eindeutig Regierungsnahen ein eigentlich neutral zu haltendes Amt verliehen wurde

Das Gericht gab Professor Sin knapp ein halbes Jahr später, im Januar 2009, Recht, dass seine Entlassung von der Universität Unrecht gewesen sei. Um Juni dieses Jahres entschied das Gericht, dass die Entlassung Sins durch Choi Si Jung vom EKCC ebenfalls illegal gewesen sei. Doch da man bei KBS längst vollendete Tatsachen geschafft hatte, war dieser gerichtliche Sieg nur von symbolischem Wert. Dahingegen wird die jüngste Entscheidung des Obersten Gerichtshofes für Professor Sin konkret bedeuten, wieder an der Universität lehren zu können. Der Oberste Gerichtshof hatte am 17. November der Klage Professor Sins stattgegeben, dass seine Universität ihn zu Unrecht entlassen hatte. Man hatte ihm damals angeboten, ihn nicht zu entlassen, wenn er sein Amt im Verwaltungsrat von KBS aufgeben würde.

Gericht: ‚Gewerkschafter kämpften für Meinungsfreiheit und neutrale Berichterstattung‘

Auch der 13. November hatte weiteres Licht ins juristische Dunkel der Medienpolitik gebracht. Ein Seouler Verwaltungsgericht entschied erneut gegen das EKCC, das der Politsendung „Nach den Nachrichten“ (MBC) vorgeworfen hatte, unausgeglichen über den Verlauf der Mediengesetz-Debatte berichtet zu haben. Das Gremium unter Leitung von Choi Shi Jung forderte, dass der Sender eine Entschuldigung ausstrahle. Das Gericht jedoch erklärte den entsprechenden Paragrafen im Fernsehsendergesetz, auf den sich das EKCC dabei stützte, als verfassungswidrig. Entscheidend dabei war, dass dadurch die Meinungsfreiheit der Medien verletzt würde, so das Gericht.

Schließlich hat auch das Seouler Zentralgericht am 13. November eine weitere denkwürdige Entscheidung im Fall der entlassenen YTN-Gewerkschaftsmitglieder veröffentlicht. Mehreren Gewerkschaftsmitgliedern des Nachrichtensenders war vorgeworfen worden, die Arbeit ihres Unternehmens zu behindern, als sie sich im Sommer des vergangenen Jahres aktiv an Boykott-Aktionen gegen den neuen Chefintendanten Gu Bon Hong beteiligten. In der Folge wurden rund 20 Mitarbeiter, darunter auch der Gewerkschaftsführer No Jong Myeon, fristlos entlassen.

Nun jedoch entschied das Gericht, dass die Entlassungen als Bestrafung der Angestellten nicht rechtmäßig gewesen sei. Für das Gericht schien es als erwiesen, dass sich die kritischen Angestellten mit ihren Protestaktionen gegen eine mögliche Vereinnahmung des Senders für die Interessen der Regierung eingesetzt haben. Sie hatten gegen Gu heftigen Widerstand geleistet, weil er Präsident Lee sehr nahe steht. Damit hätten sie, so das Gericht, versucht, die in der Verfassung festgeschriebene Meinungsfreiheit der Medien und neutrale Berichterstattung zu bewahren.

Noch lange kein Gras über der Sache?

Alle diese jüngsten Gerichtsentscheidungen machen sehr deutlich, dass die Methoden, mit denen die Medienlandschaft nach der Machtübernahme durch die Lee-Regierung umgekrempelt worden war, juristisch sehr fraglich sind – und noch lange kein Gras über die Sache gewachsen ist. Selbst die Entscheidung des Verfassungsgerichtsbezüglich des Gesetzesverabschiedungsprozess der sogenannten Mediengesetze im vergangenen Oktober beinhaltete trotz ihrer Widersprüchlichkeit die deutliche Aussage, dass die Regierungspartei ihren Willen illegal durchgesetzt hatte. Das Regierungslager jedoch nutzte die schwammig formulierte Entscheidung des Verfassungsgerichts wieder einmal dazu, die Sachlage entsprechend ihren Interessen zu interpretieren.

Die jüngste Personalentscheidung beim Sender KBS vom 19. November scheint nach einer ähnlichen Strategie erfolgt zu sein. Mit der Mehrheit in der Personalkomission des Senders hat man auch hier (wie im Parlament) Deutungs- und Entscheidungmehrheit. Bereits Lee Byung Sun war ein Mann aus Präsident Lees Reihen, aber wahrscheinlich nur eine Übergangslösung. Eigentlich hatte der nun frisch gebackene Chef-Intendant, Kim In Gyu, bereits gleich nach der Regierungsübernahme vor, zum Chef des Senders zu werden. Schließlich war er bereits im Präsidentschaftswahlkampf Lees Medienchefideologie gewesen.

Bislang musste er jedoch mit dem Chefsessel der Korea Digital Media Association (KODIMA) Vorlieb nehmen. Wahrscheinlich hatte sich das Regierungslager im vergangenen Jahr, als der Gegenwind gegen die Regierung in Form der Kerzendemonstrationen sehr stark war, nicht getraut so weit zu gehen. Kim, seit Jahren bereits Vorstandmitglied von KBS, musste damals öffentlich erklären, er würde nicht für den Posten kandidieren, um der Kritik gegen die Regierungspolitik ein wenig Wind aus den Segeln zu nehmen. Jetzt, nur ein Jahr nachdem er der Presse gesagt hatte er „will nicht mehr über KBS sprechen“, ist er plötzlich dessen Chef ernannt worden.

Es ist bemerkenswert, wenn in einem zumindest formal demokratischen Rechtsstaat reihenweise Gesetze, bis hin zur Verfassung, übertreten werden können, um die Interessen eines bestimmten politischen Lagers durchzusetzen. Andererseits zeigen die vielen nachträglichen Gerichtsentscheidungen, dass man rein juristisch selbst in Südkorea mit einer solchen Politik nicht mehr durchkommt. Die – illegal umgesetzten – Tatsachen jedoch sind bereits vollendet.

Gewaltige Spaltungen über politische Konflikte

Das südkoreanische Verfassungsgericht kam am 29. Oktober zu einem strittigen Urteil über die Frage, ob die Verabschiedung der sogenannten Mediengesetze durch das Parlament rechtens sei. Am 22. Juli dieses Jahres hatte die regierende rechtskonservative Partei Hannaradang (Grand National Party – GNP) unter großem Protest der Öffentlichkeit und der Oppositionsparteien ein Gesetzespaket in der Nationalversammlung durchgebracht, das unter anderem großen Unternehmen und Zeitungshäusern den Einstieg in den Fernsehmarkt ermöglicht.
Die Gegner der Gesetze befürchten hauptsächlich, dass mit dem neuen Gesetz einschlägigen Großkonzernen, den jaebeol, und großen rechtskonservativen Zeitungshäusern, wie Chosun Ilbo, Joongang Ilbo oder Donga Ilbo, die mittels finanzieller Mittel bzw. hohen Auflagen bereits die öffentliche Meinungsbildung stark beeinflussen, noch größere Einflussnahme ermöglicht würde. Das, so das Argument, würde den ohnehin schon verzerrten Medienmarkt vollends entdemokratisieren.

Kommentar zur umstrittenen Mediengesetz-Entscheidung des südkoreanischen Verfassungsgerichts

Das südkoreanische Verfassungsgericht kam am 29. Oktober zu einem strittigen Urteil über die Frage, ob die Verabschiedung der sogenannten Mediengesetze durch das Parlament rechtens sei. Am 22. Juli dieses Jahres hatte die regierende rechtskonservative Partei Hannaradang (Grand National Party – GNP) unter großem Protest der Öffentlichkeit und der Oppositionsparteien ein Gesetzespaket in der Nationalversammlung durchgebracht, das unter anderem großen Unternehmen und Zeitungshäusern den Einstieg in den Fernsehmarkt ermöglicht.
Die Gegner der Gesetze befürchten hauptsächlich, dass mit dem neuen Gesetz einschlägigen Großkonzernen, den jaebeol, und großen rechtskonservativen Zeitungshäusern, wie Chosun Ilbo, Joongang Ilbo oder Donga Ilbo, die mittels finanzieller Mittel bzw. hohen Auflagen bereits die öffentliche Meinungsbildung stark beeinflussen, noch größere Einflussnahme ermöglicht würde. Das, so das Argument, würde den ohnehin schon verzerrten Medienmarkt vollends entdemokratisieren.

Verfassungsklage gegen Regierungspartei

Während der Abstimmung im Plenarsaal im Sommer war es nicht nur zu Handgreiflichkeiten zwischen den Abgeordneten gekommen, sondern auch zu Unregelmäßigkeiten beim Abstimmen. Sowohl Abgeordnete der Hannaradang als auch Oppositionspolitiker wurden von CCTV-Kameras dabei gefilmt, wie sie die elektronischen Wahlknöpfe anderer Abgeordneter drückten, um das Ergebnis entsprechend zu beeinflussen. Gleich am Folgetag reichte die größte Oppositionspartei Minjudang (Democratic Party – DP) eine Verfassungsbeschwerde beim höchsten Gericht ein. Hauptargument war, dass man beim Prozedere der Abstimmung über die Gesetze gegen das Parlamentsgesetz verstoßen habe.

Das Verfassungsgericht kam nach mehreren Monaten der Prüfung am 29. Oktober schließlich zu dem Ergebnis, dass der Abstimmungsprozess tatsächlich nicht rechtens gewesen sei.

Abstimmung über Gesetze “illegal”

Die Auswertung des Videomaterials ergab, dass bei mindestens acht Abgeordneten der Abstimmknopf von einem Kollegen „missbraucht“ worden war. Des Weiteren entschied das Verfassungsgericht, dass auch die wiederholte Abstimmung gegen das geltende Gesetz verstoßen hatte.

Nach dem Parlamentsgesetz Südkoreas darf über denselben Vorschlag nur einmal pro Tag abgestimmt werden. Der Vizepräsident des Parlaments jedoch hatte zum erneuten Abstimmen gerufen, nachdem beim ersten Gang nicht hinreichend Abgeordnete anwesend waren.

Schließlich hatte das höchste Gericht außerdem am Abstimmungsprozess bemängelt, dass vor der Abstimmung zum Zeitungsgesetz, das Teil des Pakets war, die eigentlich vorgeschriebene Frage- und Diskussionsrunde ausgespart worden war.

Unrecht, aber gültig?

Umso überraschender wurde die Entscheidung des Verfassungsgerichts aufgenommen, dass durch diesen damit eindeutig illegalen Prozess verabschiedete Gesetz trotzdem gültig sein solle!

Viele sehen darin eine politische Entscheidung des Verfassungsgerichts zu Gunsten der Regierungspartei, die schon vor den Präsidentschaftswahlen 2007 und Parlamentswahlen 2008 im Sinne ihres Hauptklientels angekündigt hatte, den Medienmarkt liberalisieren zu wollen. Kritiker befürchten, dass nach der vierten Gewalt, den Medien, nun auch die dritte Gewalt, die Judikative, zum Strohmann der Regierung mutieren würde.

Das Verfassungsgericht hingegen behauptet, diese widersprüchliche Entscheidung gerade deshalb getroffen zu haben, um die Gewaltenteilung zu stärken! Denn wenn das Verfassungsgericht, so die Logik, jedes Mal, wenn es prozedurale Probleme im Parlament gibt, darüber entscheiden würde, eine Gewaltenteilung zwischen Judikative und Legislative nicht mehr gegeben wäre. Man wolle lediglich die Autonomie der Legislative nicht beeinträchtigen und die Abgeordneten dazu anhalten, die Sache selbst zu klären.

Wiederholung der Geschichte?

Schon einmal vor 13 Jahren hatte das Verfassungsgericht nach dieser Logik entschieden. Damals hatte die Vorgängerpartei der Hannaradang, die Sinhangukdang (New Korea Party – NKP), ein neues Arbeitsgesetz im Parlament durchgepeitscht. Auch damals hatte die Oppositionspartei, die Vorgängerpartei der heutigen Oppositionpartei Minjudang, Klage beim Verfassungsgericht eingelegt – mit demselben Ergebnis.

Die Argumentation des Verfassungsgerichts scheint mehr als merkwürdig, folgt aber einer sehr einfachen Logik. Das einseitige Durchsetzen eines Gesetzes bedeute zwar die Verletzung der Rechte der Abgeordneten der Oppositionsparteien, aber da die Mehrheit der Anwesenden dafür gestimmt habe, kann man in Hinblick auf die Verfassung nicht davon sprechen, dass das Majoritätsprinzip verletzt worden sei.

Und solange nicht gegen Prinzipien der Verfassung verstoßen wurde und wenn das Gesetz bereits verabschiedet ist, auch wenn im Verabschiedungsprozess das Parlamentsgesetz dabei verletzt wurde, habe das Verfassungsgericht nicht die Befugnis, diese Entscheidung für ungültig zu erklären.

“Gewählt, aber nicht Präsident!”

In Zeitungen und im Internet herrschte daraufhin große Aufruhr. Nur 24 Stunden nach dem Urteil zählte die sonst spärlich besuchte Kommentarseite des Verfassungsgerichts nicht weniger als 1 500 neue Einträge – die große Überzahl davon kritisch.

Überwiegend geht es um die Widersprüchlichkeit der Entscheidung. Das sei so, “als wenn man entscheidet, es wäre Abseits, aber das Tor trotzdem gelten lässt.” Oder “als wenn man die Medaille behalten darf, obgleich festgestellt wurde, dass man gedopt war.” Ein Netizen mit der ID “An Jun Geun”, womit offensichtlich auf den gleichnamigen Freiheitskämpfer angespielt wird, schrieb in seinem Eintrag, “Ist dann also auch die [von Japan zwecks Kolonialisierung erzwungene] Vereinigung Koreas und Japans [Anfang des 20. Jahrhunderts] zwar verfassungswidrig, aber im Resultat gültig?”

Unterdessen wurde vor dem Blauen Haus, dem Sitz des Präsidenten, ein junger Mann fotografiert, der dort eine Ein-Personen-Demonstration abhielt. Auf seinem Schild stand: “Sie sind zwar gewählt, aber nicht Präsident!”

Reaktionen bei Regierung und Opposition konträr

Während die großen Zeitungshäuser, die sich von der Verabschiedung des Gesetzespakets Vorteile erhoffen, die Entscheidung in ihren Editorials und Kolumnen begrüßen, kritisieren progressive Zeitungen das Urteil umso schärfer. Die Regierungspartei spricht davon, dass man die Entscheidung des Verfassungsgerichts anerkennen und aufhören solle, durch weitere Kritik an den Gesetzen zu politisieren. Die Oppositionsparteien sind sich einig, dass die Entscheidung eine politische im Sinne der Regierung gewesen sei.

Wer hat Recht? Im äußersten Zweifelsfall entscheidet gerade darüber die letzte Instanz des Staates – das Verfassungsgericht.

Nach offizieller Bekundung erfüllt das südkoreanische Verfassungsgericht die Rolle, „die gesellschaftliche Ordnung friedlich aufrecht zu erhalten, indem es die Verfassung konkret in die Realität umsetzt, den Missbrauch von öffentlicher Gewalt Einhalt gebietet, die Grundrechte der Bürger, die durch die öffentliche Gewalt verletzt worden sind, wiederherstellt und außerdem extremen Auseinandersetzungen zwischen politischen Kräften vorbeugt.“

Beim deutschen Bundesverfassungsgericht ist neben solchen grundlegenden Aufgabendefinition zusätzlich angefügt: „Das Gericht ist aber kein politisches Organ. Sein Maßstab ist allein das Grundgesetz. Fragen der politischen Zweckmäßigkeit dürfen für das Gericht keine Rolle spielen. Es bestimmt nur den verfassungsrechtlichen Rahmen des politischen Entscheidungsspielraums. Die Begrenzung staatlicher Macht ist ein Kennzeichen des Rechtsstaats.“ Man kann davon ausgehen, dass dies auch für das südkoreanische Verfassungsgericht gilt.

Fazit

Letztlich hat das Verfassungsgericht sich selbst keinen Gefallen mit der Entscheidung getan. Da hiermit das Misstrauen, dass es politische Entscheidungen fälle, weiter gewachsen ist, hat sich das Gericht damit immens geschadet. In demokratischen Rechtsstaaten ist das Verfassungsgericht die höchste Instanz. Wenn sich jedoch dieses höchste Gericht in der Ausübung dieser so fundamental wichtigen Rolle selbst so eindeutig widerspricht, erschüttert dies seine Integrität erheblich. Denn das Verfassungsgericht ist in der Verantwortung, schwerwiegende Entscheidungen zu treffen, und zwar (zumindest juristisch) widerspruchslos.

Auch für keine der beiden Seiten des Konflikts ist die widersprüchliche Entscheidung hilfreich. Die Regierung(spartei) sieht sich neben der Kritik, die Medien zu manipulieren zu wollen, mit dem Vorwurf konfrontiert, die vierte Instanz zu ihren Gunsten manipuliert zu haben. Die Oppositionsparteien haben offensichtlich allen Grund, die Entscheidung in Zweifel zu ziehen. Nur die potentiellen Interessensgruppen, Zeitungshäuser und (andere) Investoren, haben nun faktisch freie Hand und freuen sich als Dritte.

Trotzdem muss man die Begründung des Verfassungsgerichts, dass man die Parteien damit auffordern wolle, die Verantwortung selbst zu übernehmen und eine Lösung zu finden, ernstnehmen. Während es nicht von der Hand zu weisen ist, dass das Verfassungsgericht, insbesondere in Zeiten der Diktatur, Entscheidungen politisch gefällt hat, und selbst von vielen Staatsrechtlern wegen zweifelhalfter Entscheidungen immer wieder scharf kritisiert wird, ist es mindestens ebenso offensichtlich, dass in Südkorea eine regelrechte Verfassungsklagen-Inflation herrscht.

Insbesondere Parteien in der Opposition neigen dazu, bei Streitfragen unterhalb der Verfassungsgrenze die Latte zu hoch zu legen, um ihren Forderungen den nötigen dramatischen Nachdruck zu verleihen. Gleiches gilt für die sehr extrem physisch ausgelebte Protestkultur innerhalb der Nationalversammlung, die dem bereits sehr angeschlagenen Ansehen des Parlaments – national wie international – wenig zuträglich ist.

Zusammenfassend kann man folglich festhalten, wenn die Parteien im Parlament ihre Arbeit vernünftig machen würden, müssten sie nicht das Verfassungsgericht anrufen, und hätten sich auf demokratisch und juristisch einwandfreiem Weg auf einen Kompromiss geeinigt. Und wenn das Verfassungsgericht durch überzeugende, widerspruchsfreie Entscheidungen die nötige Autorität genießen würde, hätte man sich im Parlament erst gar nicht zu so einer Eskalation des Konflikts hinreißen lassen, weil man sich bewusst gewesen wäre, dass man in der letzten Instanz damit nicht durchkommen würde – einmal ganz abgesehen von den zu erwartenden kritischen Reaktionen der Öffentlichkeit und/oder Wählerschaft.

Die Opposition fordert auch nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts eine Revision der Mediengesetze – wie auch die große Mehrheit der Bevölkerung. Die Regierung ist bisher stur geblieben. Auch in anderen großen Streitfragen stehen sich die Kräfte derzeit wieder einmal an verhärteten Fronten gegenüber.

Hätte das Verfassungsgericht konsequent entschieden, wären die Parlamentsparteien zu einem erneuten Kompromiss quasi gezwungen – so liegt es nun allein in den Händen der rechtskonservativen Regierung mit ihrem großunternehmerfreundlichen Präsidenten an der Spitze, auf die Forderungen der Opposition zu reagieren.

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* Dieser Kommentar erschien auch auf der Internetseite des Instituts für Koreastudien an der Freien Universität Berlin (IKS).

„Tsuhallyu“? Medienpolitik der südkoreanischen Regierung schlägt Wellen

„Hallyu“ ist ein Begriff aus dem Koreanischen, heißt so viel wie „koreanische Welle“ und meint damit den Erfolg südkoreanischer Populärkultur wie Musik, Film und Produkte wie Autos, Mobilfunktelefone und ähnliche Erzeugnisse in Asien und der Welt. Nicht nur koreanische Beobachter sehen eine Welle der Begeisterung über südkoreanische Kulturprodukte über den Globus schwappen.

Die jüngste und beeindruckenste Schaumkrone der Welle, um bei dem bildlichen Vergleich zu bleiben, ist der Ritterschlag für Schauspielerin Jeon Do-yeon („Secret Sunshine“, 2007; „Beste Schauspielerleistung“) von der französischen Regierung.

Immer häufiger stehen Schauspieler, Sänger und andere Entertainer des Landes im internationalen Rampenlicht. In Südkorea ist man auf seine kulturellen Botschafter stolz. Das Image und die Tourismusbranche des Landes profitiert am meisten von der Welle.

Umso gelähmter reagiert die Öffentlichkeit auf die Welle von Entlassungen bekannter und beliebter Entertainer des südkoreanischen Rundfunks und Fernsehens seit dem Amtsantritt Präsident Lee Myung-Baks Anfang des vergangenen Jahres. Die Verantwortlichen dementieren zwar jegliche politische Motivation, doch in Presse und Internet wird bereits eine heiße Debatte über die tatsächlichen Hintergründe geführt. Auch bei den zur Zeit stattfindenden Untersuchungen der Administration durch das Parlament wurden die Personalien zum Politikum.

„Hallyu“ ist ein Begriff aus dem Koreanischen, heißt so viel wie „koreanische Welle“ und meint damit den Erfolg südkoreanischer Populärkultur wie Musik, Film und Produkte wie Autos, Mobilfunktelefone  und ähnliche Erzeugnisse in Asien und der Welt. Nicht nur koreanische Beobachter sehen eine Welle der Begeisterung über südkoreanische Kulturprodukte über den Globus schwappen.

Die jüngste und beeindruckenste Schaumkrone der Welle ist der Ritterschlag für Schauspielerin Jeon Do-yeon(„Secret Sunshine“, 2007; „Beste Schauspielerleistung“) von der französischen Regierung. Immer häufiger stehen Schauspieler, Sänger und andere Entertainer des Landes im internationalen Rampenlicht. In Südkorea ist man auf seine kulturellen Botschafter stolz. Das Image und die Tourismusbranche des Landes profitiert am meisten von der Welle.

Umso gelähmter reagiert die Öffentlichkeit auf die Welle von Entlassungen bekannter und beliebter Entertainer des südkoreanischen Rundfunks und Fernsehens seit dem Amtsantritt Präsident Lee Myung-Baks Anfang des vergangenen Jahres.

Die Verantwortlichen dementieren zwar jegliche politische Motivation, doch in Presse und Internet wird bereits eine heiße Debatte über die tatsächlichen Hintergründe geführt. Auch bei den zur Zeit stattfindenden Untersuchungen der Administration durch das Parlament wurden die Personalien zum Politikum.

Komiker Kim in der Hauptrolle einer Tragödie

Jüngstes Opfer der Entlassungen im Medienbereich ist der Entertainer Kim Je Dong, der am vergangenen 12. Oktober die letzte Folge seiner Fernsehsendung „Star – Golden Bell“ aufnahm. Einige Tage zuvor hatte Herr Kim erfahren, dass ihn sein Sender KBS nicht mehr beschäftigen wolle. Vermutungen legen nahe, dass Komiker Kim zum Verhängnis wurde, dass er sich in letzter Zeit in ein anderes Licht der Öffentlichkeit gestellt hatte. Er hatte bei den Trauerfeiern zum Tod des vorigen Präsidenten Roh Moo Hyun die Moderation übernommen.

Außerdem hatte er sich „kritisch“ (?) dazu geäußert, dass eine Zwangsräumungsaktion in einem Seouler Bezirk schließlich zu Toten geführt hatte. Im Mai hatten sich die Bewohner gesträubt, ihre Wohnungen zu verlassen, um teuren Neubauten Platz zu machen. Sie wurden in einer sehr fragwürdigen Nacht-und-Nebelaktion eines Sonderkommandos der Polizei überwältigt, bei dem es zu dem Unglück kam.

Auch die große Streikaktion der Fabrikarbeiter des Automobilherstellers Ssangyong im vergangenen Sommer hatte Herr Kim auf seinem persönlichen Blog erwähnt. Die Teilnahme an der Gründungsfeier der Roh Moo Hyun-Stiftung am 9. Oktober hatte wahrscheinlich das Fass zum Überlaufen gebracht.

Der neue Chefintendant von KBS, Lee Byeong Sun, bestritt zwar, dass politische Motive oder sogar „politische Vergeltung“ hinter der Entscheidung gestanden hätten, die Öffentlichkeit jedoch scheint ihre Zweifel zu haben. Die GNP-Abgeordnete Na Gyeong Won hatte in einer Anhörung Intendant Lee gefragt, ob Herr Kim gefeuert worden war, weil er auf der Trauerfeier für den ehemaligen Präsidenten Roh „linke Aussagen gemacht hat“.

Daraufhin ging ein Sturm der Entrüstung durch die Editorials und Internetforen, warum man versuche, einen Entertainer in politische Auseinandersetzung hineinzuziehen, die sich eindimensional auf fragwürdigen Bewertungen von „links“ oder „rechts“ bewegten.

Die Begründung des Senders ist banal. Herr Kim habe die Sendung fünf Jahre lang moderiert – das sei lang genug. Ähnliche Begründungen hatte man vor einiger Zeit auch für den Rocksänger Yun Do Hyeon vorgeschoben, der seine Fernsehsendung „Loveletter“ (KBS 2 TV) und seine Radiosendung „Yun Do Hyeons Musikshow“ (KBS FM) abgeben musste. Über seinen Kollegen sagte Yun in einem jüngsten Interview, er hätte ihn einmal davor gewarnt, dass ihn dasselbe Schicksal wie ihn ereilen könne, wenn er nicht vorsichtiger sei.

Bereits im Oktober 2008 musste Sänger und Moderator Shin Hae Cheol seine Radiosendung „Shin Hae Cheol´s Gost Station“ beim Sender SBS aufgeben. Da Shin bereits 2004 auf Protestkundgebungen gegen den Versuch einer Amtsenthebung des damaligen Präsidenten Roh Moo Hyun durch rechtskonservative Kräfte „negativ aufgefallen“ war, waren vielen bereits im letzten Jahr klar, dass Shin nicht, wie er damals noch beschönigte, der Sendung „müde geworden“ war , sondern tatsächlich der Sender ihn entlassen hatte.

Maulkorb für sozial engagierte Medienmenschen?

Auch die allbekannte Schauspielerin Kim Min Seon („Ogamdo“ 2009) bekam den neuen Gegenwind der rechtskonservativen Regierungspartei GNP und rechtsradikalen Bürgergruppen deutlich zu spüren. Grund war, dass sie sich vor Kurzem auf ihrer persönlichen Internetseite zum Rindfleischskandal vom vergangenen Jahr äußerte, der zu Massendemonstrationen gegen die Politik der Lee-Regierung geführt hatte. 

Die für ihre stürmischen Kommentare bekannte rechtskonservative „eiserne Lady“, die GNP-Politikern Jeon Yeo Ok, hatte den Angriff auf die Schauspielerin eingeleitet, als sie die persönlichen Einträge der Schauspielerin zum Politikum machte.

Bereits im April hatte die Radiomoderatorin und Komikerin Kim Mi Hwa des Senders MBC („Die Welt und wir“) die neuen Tendenzen zu spüren bekommen, als rechtskonservative, regierungsparteinahe Gruppen Druck ausübten, um sie absetzen zu lassen. Als Hintergrund der Anfeindungen vermutete man die Tatsache, dass Frau Kim aktiv an den Kerzendemonstrationen des vergangenen Jahres teilgenommen hatte.

Im Juli 2008, als täglich Kerzendemonstrationen in der Seouler Innenstadt und vielen anderen Städten des Landes stattfanden, hatte der damals gerade frische Kulturminister Yu In Chon, seines Zeichens ehemaliger Volksschauspieler, seine Kollegen aufgerufen, nun endlich ihre Teilnahme an den Kerzendemonstrationen einzustellen und an ihre Arbeitsplätze zurück zu kehren. Viele Celebrities hatten als „Bürger“ an den Protestkundgebungen teilgenommen.

Kritische Politprogramme werden ab-, Redakteure versetzt

Opfer der Entlassungwelle in der Medienlandschaft beschränken sich jedoch nicht auf den Berufsstand der klassischen Entertainer. Kurz nachdem die neue Regierung für eine neue Leitung beim Nachrichtensender YTN gesorgt hatte, wurde Redakteur Im Jang Hyeok zwangsversetzt.  Seit Jahren war Herr Im für die Rubrik „Dolbalyeongsang“ beim Sender zuständig.

Hier wird Videomaterial zusammengeschnitten, das es nicht in die Nachrichten geschafft hat, aber über Politik und Gesellschaft umso mehr aussagt. Auf unterhaltsame Weise werden dem Zuschauer Tatsachen präsentiert, mit denen er sich seine eigene Meinung bilden kann. Nachdem Herr Im diese Zwangspause eingelegt hatte, nahm er seine Arbeit wieder auf, nur um kurze Zeit später für zwei Monate erneut suspendiert zu werden. Begründung: er habe die Regierung einseitig kritisiert.

Der für das Politmagazin „Sisa 360“ verantwortliche Produzent vom Fernsehsender KBS, Hong Seong Hyeob, musste ebenfalls für seinen Investigativ-Journalimus büßen. Er wurde zur KBS-Abteilung auf der Insel Jeju versetzt – weiter weg von Seoul und der Zentrale des Senders geht es nicht.

Auch die Politsendung „Sisa Tonight“ (KBS 2TV), die aktuelle Entwicklungen aus Politik und Gesellschaft kritisch unter die Lupe nahm, wurde bereits im November letzten Jahres aus dem Programm gestrichen. Das Magazin „Mediafocus“ (KBS), ehemals bekannt für kritische Analysen über Medienberichterstattung, wurde Ende vergangenen Jahres stark verändert.

Hintergrund ist der Wechsel am Ruder der Sendeanstalt. Auf Treiben dem neuen Präsidenten Nahestehender wurde Jeong Yeon Ju, der ehemalige Chefintendant von KBS, kurzerhand ab- und der regierungsfreundliche Lee Byeong Sun eingesetzt. Die für solche Personalentscheidung verantwortlichen Gremien wurden mit zwielichtigen Methoden gefügig gemacht.

Eingeleitet jedoch wurde der Sturz des „linken“ Chefs, der den neuen Machthabern im Blauen Haus offensichtlich ein Dorn im Auge war, von rechtskonservativen Gruppen, die Jeong wegen angeblicher Dienstvergehen angezeigt haben. Nach Monaten Prozedieren wurde Jeong jedoch Ende August schließlich von allen Anklagepunkte freigesprochen. Für die Regierungskritiker ein klarer Beweis dafür, dass es bei der Personalie lediglich um die Machtergreifung im wichtigsten Rundfunkhaus des Landes ging.

Kritische Meinungsmacher bekommen Gegenwind deutlich zu spüren

Auch Professor Son Seok Heui, der seit Langem die erfolgreiche Diskussionssendung „100-Minuten-Debatte“ (MBC) moderiert, wird allen Anzeichen nach schon bald seinen Hut nehmen müssen. Offiziell geht die geplante Personalie auf die Programmumgestaltung, die zweimal im Jahr vorgenommen wird, zurück. Inoffiziell wird jedoch vermutet, dass seinen Vorgesetzten die Zunge ihres smarten Moderators zu spitz sei.

Der ehemalige Vorsitzende der GNP, Hong Jun Pyo, schürte die Atmosphäre weiter, als er in einem Liveinterview Äußerungen machte, die darauf anspielten, dass die geplante Entlassung Sons wegen überhöhter Gagenforderungen seinerseits zu Stande gekommen sei. Sons Talk-Sendung beim Radiosender von MBC, „Im Blick“, wird er fortführen können – bis auf Weiteres.

Professor Kim Yong Min, der für den Radiosender von CBS das Politmagazin „Sisa Jockey“ moderiert, ist bisher noch mit relativ leichten Einschränkungen davongekommen. Er hatte eine seiner Sendungen wie folgt eingeleitet:

„Präsident Lee ist ´Kirchenältester´ und repräsentativster Pro-Amerikaner. Er wird außerdem dafür kritisiert, dass er sich zudem mit projapanischen Kollaborateuren zusammengetan und seine politischen Feinde politisch ermordet zu haben. Des Weiteren pervertierte sich die Politik von Tag zu Tag, weil er die Opposition nicht anerkennen wollte; er ist von Speichelleckern umgeben. Demonstrationen gegen die Regierung hat er mit Polizeigewalt  brutal unterdrückt. Geendet hat dies schließlich, als er aus dem Amt getrieben wurde.“

Nach einer kleinen Kunstpause beendete der Moderator seine Einleitung mit den Worten: „Mit Präsident Lee ist hier Präsident Rhee Syng Man gemeint.“ Daraufhin musste Professor Kim für die Zukunft gänzlich auf seine Einleitung verzichten.

Professor Jin Jung Gwon ist ein weiterer Fall, der vielerseits mit in diese jüngste Personalpolitik gestellt wird. Professor Jin war am Fachbereich für Germanistik  der ChungAng Universität angestellt, vor Kurzem wurde ihm jedoch der Arbeitsvertrag mit der Begründung nicht verlängert, er hätte formelle Voraussetzungen nicht erfüllt. Die Mehrheit jedoch vermutet politische Absichten der Universitätsleitung dahinter. Der umstrittene Präsident der Hochschule, Park Beom Hun, ist ein enger Vertrauter aus dem Umfeld des Wahlkampf-Teams von Präsident Lee Myung Bak.

Professor Jin hingegen ist einer der bekanntesten und schärfsten Kritiker in der südkoreanischen Gesellschaft. Mit der neuen Regierung und besonders mit dem Rindfleischskandal letzten Jahres war Jin wieder auf die öffentliche Bühne zurückgekehrt, nachdem er sich in den vergangenen Jahren mehr und mehr zurückgezogen und auf seine akademische Arbeit beschränkt hatte. Auch seine Lehraufträge an anderen Universitäten wurden ihm in der Folge gestrichen.

Werden die Medien „erobert“ und „gleichgeschaltet“?

Alle diese Beispiele sind Teil einer zweiten Welle von Personalien in der Medienlandschaft. Anfang letzten Jahres, kurz nach dem Amtsantritt Lee Myung Baks, wurden zunächst (in einer ersten Welle) die Intendanten der wichtigsten Fernsehanstalten ausgewechselt. Weitere Personalreformen sorgten dafür, dass die Gremien, die für Personal und Inhalte zuständig sind, so zusammengesetzt sind, dass regierungsnahe Mitglieder die Mehrheit haben.

Die rechtskonservative Regierungspartei GNP, die eine deutliche Mehrheit im Parlament hat, hat Gesetze erlassen, die eine strenge Internetzensur zulassen. Jüngst wurde das sogenannte Mediengesetz „durchgepeitscht“, wonach Großunternehmen und großen (fast ausschließlich rechtskonservativen) Zeitungshäusern der Zugang zum Fernsehmarkt zugänglich gemacht wird.

Austausch der Intendanten, Absetzen von kritischen Sendungen, Entlassung von Journalisten, Erlassung von die Meinungsfreiheit gefährdenden Gesetzen – viele sehen in diesen Entwicklungen eine gezielte Medienpolitik der „Gleichschaltung“ seitens der Regierung, die unter dem „Schock“ der Kerzendemonstrationen des vergangenen Jahres leide.

Ein jüngster Kommentarfast diese Ansicht wie folgt zusammen:

„Die Abteilung für Staatssicherheit wird wiederbelebt, die Bespitzelung von Zivilisten durch den militärischen Geheimdienst wird wieder aufgenommen und sogar die Mithaftungsregelung soll wieder eingeführt werden. Nicht nur hat man das Mediengesetz durchgepeitscht, um die Rundfunkanstalten unter Kontrolle zu bekommen, sondern selbst kritische Medienmenschen aus dem Entertainmentbereich verjagt. Yun Do Hyeon und Shin Hae Cheol sind schon abgefertigt worden und nun war Kim Je Dong dran. Wenn das so weiter geht, werden wir die Auferstehung der „Ddaengjeon News“ der 80er Jahre wiedererleben.“

Dieser Kommentar spiegelt eine Seite der Debatte wieder. Obgleich selbst die Financial Times früh davor warnte, das mit der Regierungspolitik Präsident Lees die „politische Uhr zurückgedreht“ würde. Auf der anderen Seite der Debatte spricht man von „übertriebenen Anschuldigungen“, „Verschwörungen gegen die Regierung“ und „unnötigem Überpolitisieren“. 

Die Tragödie der südkoreanischen Politik: nur mit liebsamen Komödianten

Dass hier eine eindeutige Überpolitisierung stattfindet, wird kein Beobachter von der Hand weisen können. Nur wer was mit welchen Absichten überpolitisiert, darüber lässt sich streiten. In diesem Zusammenhang ist interessant, zur Kenntnis zu nehmen, dass es in Fällen anderer Medienmenschen, wie dem Komiker Shim Hyeon Seob, dem Sänger Kim Heung Guk oder dem Schauspieler Lee Cham zu keiner merklichen Politisierung gekommen  war.

Komiker Shim hatte bei den Präsidentschaftswahlen 2002 den rechtskonservativen Kandidaten Lee Hoi Chang öffentlich und aktiv unterstützt, hat aber keine merklichen Nachteile im Nachhinein erfahren, obgleich Lees scharfer Kontrahent Roh Moo Hyun Präsident geworden war.

Sänger Kim, der den Präsidentschaftskandidaten Jeong Mong Jun unterstützt hatte, der sich kurz vor der Wahl mit Roh Moo Hyun auf eine gemeinsame Kandidatur geeinigt hatte, um dann noch kurzfristiger wieder seine Kooperation aufzukündigen, sorgte 2005 für einen Skandal. In seinem Buch stellte er die Behauptung auf, dass die Meinungsumfrage, nach der schließlich Roh zum gemeinsamen Kandidaten für die Präsidentschaft gewählt wurde, manipuliert worden sei. Dennoch erhielt Kim während der gesamten Zeit der Roh-Regierung Engagements beim Radiosender SBS und selbst bei Sitcoms der Fernsehanstalt MBC. Später wurde ihm sogar mit dem Ehrenamt des „Bürgerbotschafters“ des Justizministeriums anvertraut.

Lee Cham, ein eingebürgerter Deutscher, der seit Jahrzehnten in Südkorea lebt und u.a. als Schauspieler erfolgreich ist, war während des Präsidentschaftswahlkampfes 2007 der Verantwortliche für das Kanalprojekt von Präsidentschaftskandidat Lee Myung Bak. Vor Kurzem wurde er als erster Südkoreaner mit Migrationshintergrund zum Chef der staatlichen Tourismusagentur ernannt.

Schaut man in die USA, wo sich bei Präsidentschaftswahlen häufig Schauspieler und andere Bekanntheiten einschalten, zeigt sich, dass den Betreffenden fast nie Nachteile durch ihre politische Partizipation entstehen. Im Gegenteil: zum Beispiel wurde die bekannte Schauspielerin und politische Aktivistin Jane Fonda 2005 zu einem Gala-Dinner ins Weisse Haus eingeladen, obgleich sie nur ein Jahr zuvor die Bush-Regierung öffentlich heftig für die Irak-Invasion kritisiert hatte.

Wie auch immer schließlich die Bewertung der aktuellen Entlassungswelle in Südkoreas Medienlandschaft ausfallen wird, zeigt sich jetzt schon, dass es sich um eine „Tsuhallyu“ handelt – eine tsunamiartige Entwicklung, bei sich der zuerst das Wasser gespenstisch ins Meer zurückzieht, um dann mit voller Wucht für große Verwüstung zu sorgen.

Nachtdemonstrationsverbot verfassungswidrig

Seoul, 24. September 2009. Das südkoreanische Verfassungsgericht (Constitutional Court of Korea – CCK) hat entschieden, dass Artikel 10 und 23 des Demonstrationsgesetzes gegen die Verfassung verstoßen.

In Artikel 10 wird das Demonstrieren nach Sonnenuntergang und vor Sonnenaufgang verboten. Artikel 23, Absatz 1 sieht für den Fall eines Verstoßes gegen diesen Paragraphen eine Strafe (bis zu einem Jahr Haft oder bis zu ca. 600 Euro Bußgeld) vor.

Fünf der neun Richter sehen in den zwei Paragraphen einen Verstoß gegen das in der Verfassung zugesicherte Recht auf Versammlungsfreiheit (§ 21, Abs. 2), zwei sehen einen Widerspruch darin und zwei bewerten die betreffenden Artikel als verfassungskonform.

Das Verfassungsgericht entschied des Weiteren, dass die Paragraphen des Demonstrationsgesetzes bis Ende Juni kommenden Jahres temporär ihre Gültigkeit behalten. Falls bis dahin jedoch keine der Verfassung entsprechenden Revision des Demonstrationsgesetzes vorgenommen wurde, werden die Paragraphen danach automatisch aus dem Gesetz gestrichen.

Insbesondere im Zusammenhang mit den monatelangen Kerzendemonstrationen gegen die Lee-Myung-Bak-Regierung im vergangenen Jahr ist die Entscheidung von Bedeutung. Viele Teilnehmer der Demonstrationen, die offiziell als Festivals oder Kulturfeste deklariert werden mussten, um dem Verbotsparagraphen zum umgehen, sollten auf Grund dieses Paragraphen für ihre Teilnahme an den Demonstrationen belangt werden.

Darunter befand sich auch Bürgerrechtler Ahn Jin-Geol, der Klage beim Verfassungsgericht im Mai 2008 einreichte.

Der Verbotsparagraph geht auf die Diktatur unter Park Chung-Hee zurück, der kurz nach seinem Militärputsch 1961 gleich im Folgejahr neben vielen anderen restriktiven juristischen Regelungen auch das Demonstrationsgesetz und den Paragrafen (damals noch) 6 schuf.

Ende der 80er Jahre, nach der sogenannten „Demokratisierung von 1987“ wurde (1989) das Demonstrationsgesetz dahingehend entschärft, dass das Verbot in eine „Erlaubnisregelung“ abgändert wurde. Das heisst, es war weiterhin verboten, nachts unter freiem Himmel zu demonstrieren, es konnte jedoch erlaubt werden.

Eine Entscheidung des Verfassungsgerichts aus dem Jahr 1994, zwei Jahre nach dem Amtsantritt Südkoreas erstem zivilen Präsidenten Kim Young-Sam, befand das Versammlungsverbot mit acht zu einer Stimme als verfassungskonform.

Das liegt heute mehr als eine Dekade zurück. Dennoch war die Entscheidung des Verfassungsgerichts heute nicht so eindeutig wie das vor 15 Jahren.

24. September 2009

Kommentar zur geplanten Kabinettsumbildung in Südkorea

Bei der vom amtierenden südkoreanischen Präsident Lee Myung Bak bekanntgegebenen Kabinettsumbildung vom 4. September gab es eine große Überraschung. Der ehemalige Präsident der Eliteuniversität Seoul National University, Jeong Un Chan, wurde vom Blauen Haus nach rund drei Monaten Überlegungen mit einer dramatischen Wendung kurz vor Schluss zum neuen Ministerpräsident vorgeschlagen. Jeong, seines Zeichens Professor für Wirtschaftswissenschaften, ist bekannt fur seine gemaßigt-liberale Haltung und seit der Regierung Lees auch für seine deutliche Kritik an mehreren Kernpolitiken des Präsidenten. Mit dieser Wahl ergibt sich ein doppeltes Dilemma, insbesondere auch in Hinsicht auf die aktuellen Pläne einer Verfassungsrevision zu Gunsten einer gleicheren Machtverteilung zwischen Präsident und Premier.

Das „Transformer-Dilemma“

Hannes Mosler, M.A.

Institut für Koreastudien (FU Berlin)


Bei der vom amtierenden südkoreanischen Präsident Lee Myung Bak bekanntgegebenen Kabinettsumbildung vom 4. September gab es eine große Überraschung. Der ehemalige Präsident der Eliteuniversität Seoul National University, Jeong Un Chan, wurde vom Blauen Haus nach rund drei Monaten Überlegungen mit einer dramatischen Wendung kurz vor Schluss zum neuen Ministerpräsident vorgeschlagen. Jeong, seines Zeichens Professor für Wirtschaftswissenschaften, ist bekannt fur seine gemaßigt-liberale Haltung und seit der Regierung Lees auch für seine deutliche Kritik an mehreren Kernpolitiken des Präsidenten. Mit dieser Wahl ergibt sich ein doppeltes Dilemma, insbesondere auch in Hinsicht auf die aktuellen Pläne einer Verfassungsrevision zu Gunsten einer gleicheren Machtverteilung zwischen Präsident und Premier. 

 

„Transformer“ Jeong Un Chan

Bis zu seiner offiziellen Bestätigung, nach einer Anhörung im Parlament, ist Professor Jeong Un Chan (Chung Un Chan) „Ministerpräsidenten-Kandidat“. Damit auch diese letzte Formalität ohne Hindernisse vonstatten geht, scheint sich Jeong bereits eine Strategie ausgedacht zu haben – zu möglichst wenig seiner ehemaligen Kritikpunkte an der Lee-Regierung zu stehen; oder wohlwollend ausgedrückt: sich kompromissbereit zu zeigen.

Generell hat der Wirtschaftsprofessor die Deregulierungspolitik und übermäßige Marktfreundlichkeit der Regierung sowie die Politik zur Steuererleichterung der Reichen kritisiert. Stattdessen ist Jeong bekannt dafür, Gemeinnützigkeit, fairen Wettbewerb, gesunde Finanzen etc. zu betonen. Jeong hat in der Vergangenheit nicht nur die Abschaffung des Gesetzes zur Trennung von Bankwesen und Unternehmenskapital, sondern vor allen Dingen auch das Vier-Flüsse-Projekt der Regierung stark kritisiert. Dieses Projekt ist eine Art Überbleibsel des eigentlich weitaus ambitionierteren Planes, die größten Flüssen der Halbinsel zu einem landesweiten Kanalsystem auszubauen, das jedoch auf großen Widerstand gestoßen war.

Die kürzlich in diesem Kontext in Angriff genommene Politik des sogenannten „Green Deals“ hatte Jeong zuvor noch singemäß als ein Rückfall in alte Zeiten der Entwicklungsdiktatur bezeichnet. Des Weiteren sehe er das Projekt für die geplante Verwaltungsstadt Sejong aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive zwar kritisch, aber ansonsten hätte er im direkten Gespräch mit dem Präsidenten die Erkenntnis gewonnen, dass sich ihre „Wirtschaftsphilosophie nicht groß unterscheiden“.

Auf einen gemeinsamen Nenner kommen die beiden einflussreichsten Staatsbeamten bei Themen, wie dem Freihandelsabkommen mit den USA, das Jeong aus Prinzip befürwortet, oder der Frage der „Ineffizienz der koreanischen Demokratie“. Jeongs Perspektive auf Gesellschaftsveränderungen richtet sich weniger auf die Rolle der Arbeiter oder der Zivilgesellschaft, sondern betont vielmehr die Rolle der Regierung bzw. der Eliten. Insofern wird er als gemäßigter Konservativer oder „rationalen Marktfundamentalist“ bezeichnet. Im Allgemeinen sind sich die beiden Politiker auch darin ähnlich, in der politischen Mitte, d.h. ideologischer Farblosigkeit stehen zu wollen. Hier hören die Gemeinsamkeiten jedoch schnell auch wieder auf – zumindest noch bis vor Jeongs Ernennung.

Seine ersten Dementi bezüglich seiner deutlichen Kritik an Lees Regierungspolitik haben ihn in nur einem Tag einen Spitznamen eingebracht – in der Presse wird der ehemalige Universitätspräsident, der bisher für seine Eloquenz und tendenzielle Progressivität bekannt war, als „Transformer“ verhöhnt – eine moderne Art „Windhose“ zu sagen.

Selbst seine engsten Vertrauten, ehemalige Schüler des Wirtschaftswissenschaftsprofessors, zeigen sich „tief erschüttert“ von der Entscheidung ihres akademischen Vaters. Sie hätten ihm eindringlich davon abgeraten, hätten sie im Vorhinein von seiner Entscheidung gewusst, sagen sie einer Zeitung im Interview. Als Grund für den Schritt sehen sie vor allem seinen Wunsch, an der Realpolitik mitzumischen. Bereits im Vorfeld der Präsidentschaftswahl Ende 2007, als Jeong als potentieller Kandidat der Minju-Partei (DP) gehandelt wurde, hätte Jeong in ihrer Anwesenheit davon gesprochen, dass es vielleicht die letzte Möglichkeit sei, den Sprung in die Politik zu schaffen.

 

Gekränkte Opposition

Die Parteien in der Opposition gehen mit dem Premier-Kandidaten deutlich härter ins Gericht. Die DP kritisierte sowohl die Entscheidung Präsident Lees als auch die Professor Jeongs als widersprüchlich, da sich ihre Vorstellungen eigentlich konträr gegenüber stehen würden. Damit wird augenscheinlich darauf abgezielt, das rein strategische Gewicht bei der Entscheidung zu verdeutlichen. Nicht nur weil die DP Jeong noch vor zwei Jahren als Präsidentschaftskandidaten gehandelt hat, fühlt man sich im gemäßigt liberalen Lager „betrogen“ und „hintergangen“.

Selbst bei den erst ein halbes Jahr zurückliegenden Nachwahlen vom April dieses Jahres ist die DP mehrere Male an Jeong herangetreten, um ihn in die Partei zu holen. Die progressiven Parteien des tendenziell linken Spektrums, die Minjunodong-Partei (DLP) und die Progressive Neue Partei (PNP), bewerten Jeongs Entscheidung als „Konvertieren“ und „Reinwaschen der Regierungspolitik“.

Die Reaktion der tatsächlich reaktionären Liberalen Fortschrittspartei (LPP) fiel umso harscher aus, da man hier ein ganz besonderes Verhältnis zu dieser Entscheidung hat. Bis vor Kurzem noch sollte Sim Dae Pyeong, ehemaliger gemeinsamer Vorsitzender der LPP neuer Premier werden. Als Folge innerparteilicher Konflikte jedoch kam es um die Personalfrage zum Eklat und Sim verkündete sowohl seinen Parteiaustritt als auch, dass er das Angebot der Regierung nicht annehmen werde.

Hintergrund der Aufregung ist, dass die Lee-Regierung nach einem politisch relativ neutralen Kandidaten Ausschau gehalten hat, der zudem noch weder aus der Hochburg-Region (Provinz Gyeongsan) der Regierungs- noch aus der der Hauptoppositionspartei (Provinz Jeolla) stammt. Dabei spitzte sich die Auswahl auf Kandidaten aus der zentral gelegenen Provinz Chungcheong zu, da hierdurch ein weiterer strategisch wichtiger Aspekt gewonnen werden konnte – die Unterstützung der Wähler aus der latent konservativen Provinz Chungcheong. Die LPP jedoch hat ihre Hochburg in eben dieser Provinz, weshalb ihr die Strategie des Blauen Hauses zuwiderläuft. So ist es auch kein Wunder, dass der gehässige Spitzname „Transformer“ aus den Reihen der LPP stammt. Der Parteivorsitzende Lee Hoi Chang hat sich mit seinem rüpelhaften Verhalten Sim gegenüber außerdem noch die Sympathien verspielt, die er sich vorher als „vernünftiger Konservativer“ Kritiker der Regierungspolitik verdient hatte.

Die Opposition ist sich einig, diese Widersprüche bei der Anhörung des Premier-Kandidaten im Parlament deutlich zur Sprache zu bringen. Es ist abzusehen, dass es nicht nur um moralische Fragen des Kandidaten gehen wird. Er wird bereits von vielen Seiten verdächtigt, sich seine Befreiung vom Dienst an der Waffe erschlichen, identische Aufsätze mehrmals in verschiedenen Publikationen und in verschiedenen Sprachen veröffentlicht, Einkommenssteuern hinterzogen, während seiner Zeit als Präsident der Seoul Nationaluniversität einen Professor, der der sexuellen Belästigung bezichtigt wurde, geschützt, entgegen den Bestimmungen für Beamte Beratertätigkeiten ausgeführt und in den vergangenen Dekaden eigentlich substantielle wenig Forschungsarbeit betrieben zu haben.

Der Sonderausschuss des Parlaments, der die Anhörung am 21. und 22. September durchführen wird, setzt sich jedoch in der Mehrzahl (sieben von insgesamt dreizehn Abgeordneten) aus Politikern der Regierungspartei GNP zusammen. Nach der Auswertung der Befragung der Kandidaten lässt der Parlamentspräsident die Vollversammlung über den Antrag in einer geheimen Wahl abstimmen, wobei mehr als die Hälfte der aktuell 291 Abgeordneten teilnehmen und deren Mehrheit für den Kandidaten stimmen müssen, damit der Antrag angenommen wird. Falls er abgelehnt werden sollte, muss der Staatspräsident einen neuen Kandidaten vorschlagen. Die Regierungspartei GNP hat mit 167 Sitzen bereits die Mehrheit im Parlament, weshalb die Wahl der Vollversammlung in dieser Entscheidung nur noch Makulatur würde.

 

 
Tektonik im Regierungslager

Innerhalb der Regierungspartei (GNP) hält man sich bisher noch weitgehend bedeckt, was die Wahl des Premiers angeht, obgleich es schon brodelt. Bekannter Maßen gibt es in der GNP spätestens seit der Präsidentschaftswahl 2007 zwei deutliche Lagerbildungen. Die Machtkämpfe im Regierungslager haben sich entlang der Gräben zwischen Präsident Lee und der ehemaligen Parteivorsitzenden Park Geun Hye entfacht. Park ist die Tochter vom ehemaligen Militärdiktator Park Chung Hee und hat ihre persönliche Unterstützung nicht nur im südöstlichen Daegu, sondern auch zum Teil in der Provinz Chungcheong.

Die Bennenung von Jeong, von der man sich breitere Unterstützung auch von gemäßigten Liberalen verspricht, kann hier zu Zweierlei führen. Zum einen ist denkbar, dass die Rechnung Lees aufgeht und man sich einerseits vom rechtsextremen Flügel distanziert, der sich für die Regierung immer mehr zum Klotz am Bein zu entwickeln scheint, und andererseits gleichzeitig die gemäßigte Liberale umarmt. Außerdem stärkt man die Pro-Lee-Faktion innerhalb der GNP dadurch gleichzeitig gegenüber der Pro-Park-Faktion. Vielleicht reicht es sogar für die kommende Präsidentenwahl, um einen effektiven Gegner gegenüber Park zu haben.

Das heisst, das der Spielraum für Park in der Partei und mit Präsidentschaftsambitionen kleiner würde. Zum anderen ist denkbar, dass die Macht und der Einfluss Lee Hoi Changs von der LPP mit ihrer Hochburg in der Provinz Chungcheong geschwächt wird, was sich wiederum in eine potentielle Stärkung oder zumindest ein Vorteil für Park entwickeln könnte, die ihre persönliche zweite Hochburg in dieser Region weiss. Damit würde sie einen größeren Hebel innerhalb der Partei gegenüber potentiellen Kandidaten für die kommende Präsidentenwahl haben.

In diesem Zusammenhang sind vor den Regionalwahlen im kommenden Jahr vor allen Dingen auch die Nachwahlen Ende Oktober dieses Jahres schon ein Vortest dafür, einzuschätzen, in welche Richtung sich der Machtkampf entscheiden wird. Mit dem Rücktritt des Parteivorsitzenden Park Heui Tae, der bei den Nachwahlen antreten wird, und Jeong Mong Jun als neuem Parteivorsitzenden jedoch wird bereits deutlich, dass das Pro-Park-Lager in der Partei immer weiter marginalisiert wird. Jeong Mong Jun als Nachkomme der Hyundai-Familie und bereits sechsfacher Parlamentsabgeordneter wendet mit seiner Amtsübernahme das innerparteiliche Machtblatt deutlich zu Gunsten des Pro-Lee-Lagers. Und auch er liebäugelt mit dem Präsidentenamt.

Zwischenparteilich jedoch macht es die DP der GNP sehr einfach, da sie inhaltlich wenig zu bieten hat, und sich nur auf Negativ-Kampagnen gegen die Regierungspartei konzentriert. Ohne Ideen und Charakterköpfe wird sie wenig zu bieten haben bei den kommenden Wahlen.

 

„Bulldozer“ Lee Myung Bak

Der ausgesprochene Keynesianer Jeong scheint tatsächlich in einem klaren Kontrast zum bisherigen Präsident Lee, der wegen seiner Methoden und Inhalte auch „Bulldozer“ genannt wird und von Neoliberalen umgeben ist, zu stehen. Während Präsident Lee den klassischen Hau-Ruck-Präsidenten darstellt, wie man ihn Südkorea insbesondere in den 60ern und 70ern erlebt hat, vertritt der Gelehrte Jeong eher eine gemäßigte Linie. Das war wahrscheinlich ein entscheidender Punkt für den Präsidenten, sich für ihn zu entscheiden. Denn so kann er sich mit seinem neuen Kabinett als kompromissbereit und offen darstellen und der Opposition zusätzlichen Wind aus den Segeln nehmen.

Präsident Lee wird sich von seiner Wahl folglich nicht nur versprechen, sich als offen und kompromissbereit darstellen zu können, sondern sich liberal-gemäßigt zu zeigen, und sowohl die zwischenparteilichen als auch die innerparteilichen Machtverhältnisse zu seinen Gunsten lenken zu können. Ob diese Wunschvorstellung aufgeht, oder sich später als eine Milchmädchenrechnung entpuppt, hängt auch vom zukünftigen Ministerpräsidenten ab. Er wird es schwer haben, sich fest im Sattel zu halten, wenn er an seinen bisherigen Maßstäben und Wertvorstellungen festhalten will, wie er sie bisher geäußert hatte.

Theoretisch ergeben sich zwei Möglichkeiten, das Amt des Ministerpräsidenten zu interpretieren. Lee Hoi Chang unter Präsident Kim Young Sam (1993-1998) oder Go Gun unter Präsident Roh Moo Hyun (2003-2008) haben das Amt mit Charakter ausgefüllt und sich damit auch im Volk beliebt und einen Namen gemacht.

Lee Hoi Chang, der nun als Vorsitzender der LPP dem Premier-Kandidaten Jeong feindlich gegenübersteht (s.o.), hatte damals die Chance genutzt und das Ministerpräsidentenamt als Sprungbrett für das Präsidentenamt verwendet, wenn er auch bei den Wahlen letztlich scheiterte. Kim Young Sam machte als erster ziviler Präsident zwar unweigerlich „progressive“ Politik, aber hatte dennoch einen autoritären Führungsstil an sich. Doch Lee Hoi Chang agierte so souverän, dass er neben den reformerischen Kräften der damaligen Regierungspartei selbst Unterstützung im Demokratisierungslager und sogar bei Umweltgruppen fand. Da Lee Hoi Chang angeblich einen vierten Anlauf bei den Präsidentschaftswahlen 2011 nehmen will, ärgert ihn die Schwächung seiner Partei und damit seiner Position in seiner Hochburg Chungcheong doppelt.

Die andere Möglichkeit für Jeong das Amt zu interpretieren, ist, sich der starken Seite der Macht hinzugeben, ähnlich dem noch amtierende Ministerpräsident Han Seung Su. Von ihm, wie schon von vielen Ministerpräsidenten Südkoreas, war in den vergangenen einandhalb Jahren seiner Amtszeit wenig zu sehen oder hören – er spielte keine wirkliche Rolle, außer die der ausführenden Hand des Präsidenten. Zugegebener Maßen hat der Premier auch nicht die besten Qualifikationen. Seine Politikerkarriere nahm er in den 80er Jahren unter dem Militärdiktator Roh Tae Woo (1987-1993) auf; in Bezug auf seine Rolle und Verantwortung während der Wirtschaftskrise 1997/8 und während der Wirtschaftskrise 2008 wird ihm Übles nachgetragen. Schließlich haben die Verdächtigungen bezüglich der Ableistung des Wehrdienstes seines Sohnes missbilligende Blicke eingebracht.

Auch vor diesem Hintergrund ist Kandidat Jeong, als eloquenter Saubermann und als ehemaliger Präsident der elitären Seoul National Universität, durchaus ein wirksames Positiv, das Präsident Lee gut in sein strategisches Bild passt; insbesondere in Anbetracht der im nächsten Jahr stattfindenden Regionalwahlen. Um nach den deutlich gewonnenen Präsidentschaftswahlen von 2007 und dem ebenfalls überzeugenden Sieg bei den Parlamentswahlen 2008 auch noch die dritte Medaillie 2010 bei den Regionalwahlen zu erringen, muss sich die Regierung mausern, und versucht deshalb mit allen Kräften, sich von ihrem Image, nur für Reiche und Großunternehmen Politik zu machen, abzuhäuten.

Doch so riskant die Entscheidung Jeongs war, das Amt anzunehmen, so gefährlich ist die Personalie auch für das Blaue Haus. Es ergibt sich damit ein doppeltes Dilemma: wenn Jeong an seinen Überzeugungen festhält und einen starken Premier mimt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er nicht lange im Amt überleben wird, da sie sich eindeutig mit denen von „Bulldozer“ Lee beißen; wirft er sie jedoch über Bord – und sei es auch unter dem Argument der „Kompromissbereitschaft“ oder „Realpolitik“, wird er nicht nur seine Funktion als Alibi für den Präsidenten schnell verlieren, sondern auch sein ganzes Kapital an Sympatisanten und Unterstützern.

Die beste Lösung wäre, wenn Jeong an seinen Wertvorstellungen festhielte, und Präsident Lee sich zurücknehmen würde. Doch nach den bisherigen Erfahrungen scheint es dieses produktive Dazwischen auch bei diesem gordischen Knoten nicht zu geben.

 

Ministerpräsident im politischen System Südkoreas

Vor allen Dingen interessant ist diese neue Kabinettskonstellation vor dem Hintergrund, dass aktiv im Regierungslager die Bestrebungen bestehen, mit einer baldigen Verfassungsrevision dem Ministerpräsident weitreichende Befugnisse zuzusprechen, die bisher allein vom Präsidenten verfügt werden konnten. Das heisst, der Ministerpräsident soll eine dem Präsidenten gegenüber kontrollierende oder zumindest beeinflussende Funktion zukommen. Auch die aktuelle Verfassung sieht für den Ministerpräsidenten gewisse Befugnisse zu, doch entscheidend ist, wie diese Institution interpretiert wird.

Insofern ist die Ernennung Professor Jeongs ein riskanter Einsatz beim Spiel um die Verfassungsrevision. Auch hier wiederholt sich das Dilemma, wenn auch in abgemilderter Form. Wird die Verfassung geändert und bleibt Jeong seinen Maßstäben treu, kommt der Präsident mächtig in die Bredoullie; fügt sich der kommende Premier trotz verfassungsmäßig gestärktem Rücken dem Willen des Präsidenten, wird die Verfassungsänderung bedeutungslos – und nicht zuletzt der politische Effekt, den sich die Regierung offensichtlich von diesem weiteren Schachzug verspricht.

Nach der seit 1987 gültigen Verfassung ist die institutionelle Stellung des Ministerpräsidenten gegenüber dem Staatspräsidenten sehr schwach. Der Premier wird vom Präsidenten eingesetzt (VV, § 86, Abs. 1), berät ihn und überschaut die Ministerien auf Anweisung des Präsidenten (VV, § 86, Abs. 2). Außerdem muss der Premier an der Waffe gedient haben, um das Amt bekleiden zu dürfen. (VV, § 86, Abs. 3) Die Kabinettsmitglieder werden zwar vom Premier vorgeschlagen, der Präsident hat jedoch das Ernennungsrecht (VV, § 87, Abs. 1). Entsprechend verhält es sich mit der Amtsenthebung der Kabinettsmitglieder. (VV, § 86, Abs. 4) Auch bei der Ernennung der Minister wird so verfahren. (VV, § 94)

Der Ministerpräsident ist neben dem Präsidenten stellvertretender Vorsitzender des Kabinettsrats (VV, § 88, Abs. 2-3) und hat die Befugnis, Vorschläge ins Parlament einzureichen (VV, § 89, Nr. 17). Theoretisch ist dem südkoreanischen Premier damit die Grundlage gegeben, die „Staatsangelegenheiten“ auf Ebene der Ministerien zu überschauen, jedoch sind ihm gegenüber dem Präsidenten die Hände gebunden. Das ist der institutionelle Grund dafür, das bisher nur sehr wenig Ministerpräsidenten selbstständig gearbeitet haben.

Der noch amtierende Premier ist ein Paradebeispiel dafür, wie stark und willkürlich der Präsident Einfluss ausüben kann. Er wurde von den meisten der bisherigen Präsidenten lediglich als Schutzschild benutzt, der einfach geopfert wurde, wenn ein größeres Problem auftaucht. Das ist ein Grund dafür, weshalb die Häufigkeit der Premier-Wechsel in Südkorea weltweit mit am höchsten ist.

Nach dem erst vor Kurzem präsentierten Vorschlag für eine Verfassungsrevision, wie sie bereits seit Jahren in der Diskussion ist, würde sich zumindest theoretisch das Amt des Ministerpräsidenten stark verändern. Zwar ist eine solche radikale Reform unter „Bulldozer“ Lee schwer vorstellbar bzw. die Wirksamkeit dieser unter einer ähnlichen Regierungsführung.

Aber die Idee, die hinter dem Vorschlag steckt, ist durchaus vernünftig. Nach dem Vorschlag der staatlichen Kommission für Verfassungsrevision ist vorgesehen, dass der Premier durch das Parlament gewählt wird, ihm das Übersehen der ganzen Staatsgeschäfte sowie die Befehlsgewalt über das Militär zugesprochen wird. Des Weiteren soll er die Befugnis erhalten, Kabinettsmitglieder zu ernennen und den Vorschlag zur Auflösung des Parlaments machen zu können. Somit wäre die Machtverteilung zwischen Präsident und Premier gleichmäßiger verteilt und eine gegenseitige Kontrolle möglich.

 

Fazit

 

Es gibt im Koreanischen das Sprichwort „Man muss in die Höhle gehen, um den Löwen zu fangen.“ Wenn es Jeong als Ministerpräsident gelingen sollte, an seinen Überzeugungen festzuhalten und diese konkret in seiner Arbeit umzusetzen, wird sich die politische Landschaft dadurch deutlich zum Besseren weiterentwickeln können; insbesondere im Hinblick auf die ernsthaft diskutierten Vorschläge zur Verfassungsreform. Das heisst, wenn man den Worten Präsident Lees glauben darf, und es ihm tatsächlich um „Harmonie und Veränderung“ bei der Entscheidung geht, darf man durchaus optimistische Hoffnungen hegen.

Doch wie bei jedem Sprichwort gibt es auch in der Realität immer einen alternativen Verlauf der Geschichte. Auch wenn es zu diesem Zeitpunkt noch zu früh ist, eine endgültige Einschätzung vorzunehmen, sieht es zumindest bisher so aus, als wenn sich eher ein anderes Sprichwort bewahrheiten wird: „Wer der schwarzen Tinte zu nahe kommt, verfärbt sich schwarz.“ (近墨者黑)

Dass Präsident Lee Myung Bak (2008-2013) das Land wie ein „Bulldozer“ führt, hat sich in seinen ersten anderthalb Jahren Amtszeit sehr deutlich gezeigt. Ob Ministerpräsidentschaftskandidat Jeong zu einem wendehälsigen „Transformer“ oder zu einem „Reformer“ der bisherigen Regierungspolitik wird, kann man nur abwarten. Wenn Jeong von der Nationalversammlung bestätigt wird, wird sich im Ergebnis der Nachwahlen Ende Oktober bereits zeigen, welche Volksweisheit sich in der Realität bewahrheitet.

18. September 2009

Kommentar zu den Nachwahlen in Südkorea

Am 29. April sind in Südkorea landesweit in 15 Wahlkreisen Nachwahlen (Wiederholungswahlen) abgehalten worden. Neben Mandaten in kommunalen und regionalen Parlamenten sowie zweier Provinzbildungsdirektoren richtete sich die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die fünf neu zu wählenden Parlamentarier der Nationalversammlung. Die regierende Hannaradang (Grand National Party – GNP), die sowohl bei den Präsidentschaftswahlen im Dezember 2007 als auch bei den Parlamentswahlen im April 2008 die oppositionelle Minjudang (Democratic Party – DP) mit großem Abstand hinter sich lassen konnte, kam bei diesen Wahlen von 15 zu vergebenden Ämtern auf nur ein einziges; die Zahl ihrer Abgeordneten konnte sie gar nicht erhöhen. Die Nachwahlen sind im Ergebnis somit in erster Linie eine Absage an die Regierungspolitik Präsident Lee Myung Baks und seiner Hannaradang (GNP). Doch auch die Oppositionspartei hat nur einen Sitz im Parlament gewinnen können. Somit ist das Wahlergebnis auch eine Absage an die Politik der großen Parteien als solche.

Klare Absage an die Regierungspolitik

Hannes Mosler, M.A.

Institut für Koreastudien (FU Berlin)

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Überblick

Am 29. April sind in Südkorea landesweit in 15 Wahlkreisen Nachwahlen (Wiederholungswahlen) abgehalten worden. Neben Mandaten in kommunalen und regionalen Parlamenten sowie zweier Provinzbildungsdirektoren richtete sich die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die fünf neu zu wählenden Parlamentarier der Nationalversammlung. Die regierende Hannaradang (Grand National Party – GNP), die sowohl bei den Präsidentschaftswahlen im Dezember 2007 als auch bei den Parlamentswahlen im April 2008 die oppositionelle Minjudang (Democratic Party – DP) mit großem Abstand hinter sich lassen konnte, kam bei diesen Wahlen von 15 zu vergebenden Ämtern auf nur ein einziges; die Zahl ihrer Abgeordneten konnte sie gar nicht erhöhen. Die Nachwahlen sind im Ergebnis somit in erster Linie eine Absage an die Regierungspolitik Präsident Lee Myung Baks und seiner Hannaradang (GNP). Doch auch die Oppositionspartei hat nur einen Sitz im Parlament gewinnen können. Somit ist das Wahlergebnis auch eine Absage an die Politik der großen Parteien als solche. (Nicht weniger als 44,3% der Befragten einer KIOS-Umfrage vom 27. April gaben an, dass sie keine der aktuellen Parteien unterstützen.)

Ein kurzer Rückblick. Nach dem Rechtsruck im Blauen Haus, dem Sitz des südkoreanischen Präsidenten, Ende 2007 folgte eine weitere Plattenverschiebung nur vier Monate später im Parlament. Der Regierungswechsel 2008 wurde getragen vom Unmut der Bevölkerung gegenüber der zwar reformerischen Regierung unter Roh Mu Hyun, die jedoch wenig sichtbare Ergebnisse vorzeigen konnte. Genau darauf hatte die rechtskonservative Opposition der Hannaradang (GNP) abgezielt, als sie Lee Myung Bak als „Wirtschaftspräsident“ präsentierte und zu den Regierungen und Kim Dae Jung und Roh Mu Hyun die These der „verlorenen zehn Jahre“ vertrat – bis zur Parlamentswahl offensichtlich mit großem Erfolg. Hätten die Wahlen zur Nationalversammlung nur einen Monat später stattgefunden, wäre die Wahl vielleicht völlig anders ausgegangen. Seit Mai 2008 gingen Tausende, teilweise Zehntausende, aus Protest gegen die neue Regierungspolitik für Monate auf die Straßen. Damit begann der abrupte Abstieg der Lee-Regierung: Umfragewerte, die bereits ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl auf einem Dauerhoch gestanden hatten, plumpsten auf unter 10%, obwohl Lee noch nicht mal ein Jahr im Amt war; es folgten Proteste gegen das geplante Überlandkanalsystem, übertriebene Wirtschaftsprojekte, zentralistisch-manipulative Medienpolitik und viele andere neoliberalistische Programme der neuen Administration. Mit der jetzigen Wahlschlappe scheint die Hannaradang (GNP) vorerst auf einem Tief angelangt zu sein. Doch erst die Regionalwahlen im Sommer des kommenden Jahres werden zeigen können, ob die Südkoreaner tatsächlich bewusst eine rechtskonservative Regierung unter Lee Myung Bak und seiner Hannaradang (GNP) wollten, oder sich eigentlich eine Politik wünschen, die sich ernsthaft um die Demokratie und damit um Gesellschaft und Wirtschaft kümmert.

Geht man nach den absoluten Zahlen, sind die Veränderungen durch die Nachwahlen nicht weiter erwähnenswert. Bei einem mehr als doppelten Vorsprung der regierenden Hannaradang (GNP; 170 Sitze) vor der oppositionellen Minjudang (DP; 83 Sitze) bestand von Anfang keine Möglichkeit mit den fünf von insgesamt 299 Sitzen der Nationalversammlung große Veränderungen im quantitativen Machtverhältnis hervorzurufen. Doch das Ergebnis lässt in der politisch-symbolischen Dimension durchaus die Interpretation zu, dass auch diese Nachwahlen Ausdruck einer kritischen Zwischenbewertung der Regierung durch das Volk sind. Seit vielen Jahren wird die jeweils amtierende Regierung bei Nachwahlen von den Wählern abgestraft. Dieses Mal lag die Wahlbeteiligung mit 40,8% im Vergleich zu den vorangegangenen Nachwahlen außerdem noch sehr hoch. Während diese Aspekte auf ein grundsätzliches Funktionieren der südkoreanischen Demokratie im Sinne der Willensbildung hinzuweisen scheinen, zeigt eine genaue Betrachtung des prozessualen Hergangs der Kandidatenaufstellung in den Parteien grundlegende Mängel der Demokratisierung der Parteien auf. Auch die für Südkorea typische Politkultur der Wähler manifestierte auch selbst bei diesen „Miniparlamentswahlen“ deutlich.

Drei Abgeordnete der Hannaradang (GNP), einer der Minjudang (DP) und ein Parteiloser wurden verurteilt, weil sie bei den Parlamentswahlen 2008 „falsche Angaben“ gemacht, Wählern „Zuwendungen“ gegeben oder vor Beginn der offiziellen Wahlkampfzeit mit der Wahlwerbung begonnen haben. Das Gesetz sieht vor, dass bei solchen Vergehen gegen das Wahlgesetz bereits gewählte Abgeordnete ihr Mandat verlieren und durch Nachwahlen bzw. Wiederholungswahlen neu vergeben werden.

Hauptstadtsieg für Minjudang (DP)

Die fünf Wahlkreise, in denen neue Parlamentarier gewählt wurden, liegen in Regionen verteilt, die traditionell als Hochburgen bestimmter politischer Lager gelten. Eine Ausnahme ist der Wahlkreis Bupyeong (Pup’yŏng), Stadtteil von Incheon, das zum Einzugsgebiet der Hauptstadt Seouls gehört. Das heisst, dass das Wahlergebnis hier eine objektive Aussage über die Unterstützung der Bürger entweder der Regierung oder der Opposition darstellt. Beide Parteien hatten zur Unterstützung ihrer Kandidaten populäre Parteigrößen vor allen Dingen in diesem Wahlkreis mobilisiert. Da die Minjudang (DP) hier einen Sitz erringen konnte, war die Stimmung in der Wahlnacht überschwänglich.

Bei der Kandidatenaufstellung der Parteien hat sich die allgemeine Schwäche der politischen Institutionalisierung Südkoreas deutlich gezeigt. Von Anfang an machten die Parteien kein Hehl daraus, dass sie Kandidaten „strategisch“ aufstellen. Das heißt, Kandidaten stellen sich nicht zur Wahl, bei der sie demokratische Prozesse an der Basis durchlaufen, sondern werden – ähnlich wie sonst bei der Vergabe von Listenplätzen – von der Parteispitze nach Belieben bestimmt. Der Kandidat der Minjudang (DP) in Bupyeong (Pup’yŏng) war bei diesen Nachwahlen die Ausnahme, weil er tatsächlich im Incheoner Wahlkreis nicht nur beheimatet ist, sondern hier auch von der Pike auf die Partei mit aufgebaut hat; abgesehen davon, hat er auch für den Autokonzern GM-Daewoo gearbeitet, der hier angesiedelt ist und somit wichtigstes Wahlkampfthema war. Sein Hauptkontrahent war ein ehemaliger stellvertretender Wirtschaftsminister der Regierungspartei, der große Versprechen zur Unterstützung des Konzerns in der Krise gab. Der Sieg der Opposition in diesem Wahlkreis kann als klare Absage an die Regierungspolitik interpretiert werden.

Eigentlich hatte sich die Minjudang (DP) auch in den zwei Wahlkreisen der südwestlich gelegenen Stadt Jeonju (Chŏnju) sichere Siege ausgerechnet, da diese Region (Honam) traditionelle Hochburg der Partei ist. Selbst bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen, die Lee Myung Bak (Yi Myŏngbak) landesweit insgesamt mit fast doppelt so vielen Stimmen (48,5%) gegen den Oppositionskandidaten Chung Dong-young (Chŏng Tong-yŏng; 26,3%) gewann, hatte er in diesem Wahlkreis mit gerade mal knapp 10% der Stimmen gegen Chung (80%) „verloren“. Doch bei diesen Nachwahlen war es gerade Chung, der der Minjudang (DP) die Wahlparty zur Hälfte ruinierte. Denn er war nach wochenlangem Streit mit der Parteiführung aus der Partei ausgetreten, als Parteiloser zur Wahl angetreten und konnte sie mit eindeutiger Mehrheit (72%) für sich entscheiden. Der Wahlkreis liegt in der Heimat Chungs und hier hatte der Kim Dae Jung-Zögling auch seine politische Karriere vor 13 Jahren als Parlamentarier begonnen. Die Parteispitze der Minjudang (DP) argumentierte, dass man Chung nicht aufstellen könnte, weil er 2007 bereits Präsidentschaftskandidat gewesen war. Denkbar ist, dass weniger dieser fadenscheinige Grund als vielmehr strategische Überlegungen des amtierenden Parteichefs, Chung Se Gyun (Chŏng Se-kyun), dahinter standen, der bereits die Präsidentschaftswahlen 2012 im Auge hat und in Chung einen potentiellen Nebenbuhler sieht.

Die Verantwortung für das Zerwürfnis liegt nicht nur auf Seiten der Parteiführung. Auch Chung muss sich die Frage gefallen lassen, warum er, der unter Roh Mu Hyun bereits Vereinigungsminister war, bis zum Schluss darauf bestanden hat, sich für die Wahl aufstellen zu müssen. Diese Frage drängt sich auch deshalb auf, weil Chung außerdem im Nachbarwahlkreis dafür gesorgt hat, dass auch Shin Kuhn (Sin Geon; Geheimdienstchef unter Kim Dae Jung) aus der Minjudang (DP) austrat und sich als Parteiloser zur Wahl stellte und schließlich auch gewählt wurde. Somit wird deutlich, dass es sich bei Chungs machtpolitischem Taktieren nicht nur um Fahrlässigkeit, sondern um strategisches Kalkül gehandelt hat. Für sich persönlich und seine Kreise hat Chung mit diesem Erfolg Macht demonstriert und sein klägliches Scheitern bei den Präsidentschaftswahlen ein bisschen wiedergutmachen können. Doch für die Oppositionspartei bedeutet dies eine Schwächung. Chung hatte zwar noch vor der Wahl gesagt, er würde bei einem Erfolg der Minjudang (DP) wieder beitreten. Das lehnt die Führung jedoch bis heute rigoros ab. Und somit dieser Zwist auch eine Schwächung der gesamten Parteipolitik, weil mit Parteimitgliedschaften augenscheinlich leichtfertig und verantwortungslos umgegangen wird.

Dass Chung Dong-young sich und seinen Verbündeten Shin Kuhn (Sin Geon) in einer Hochburg der Minjudang (DP) als Parteilose aufgestellt hat und dann auch noch beide gewinnen konnten, zeigt die Wirkung der hiesigen Tradition politischer Kultur. In diesem Zusammenhang muss auch die Vorgehensweise der Parteien seit den letzten Präsidentschaftswahlen gesehen werden. Natürlich haben seit jeher die Partei-Bosse und –Eliten über die Schicksale von Kandidatur-Anwärtern entschieden. Doch mit dem Anfang vom Ende der „Zeit der Drei Kims“, also im Übergang zur Roh Mu Hyun-Regierung, bemühte man sich allseits merklich, parteiinterne Prozesse transparenter und demokratischer zu gestalten. Teilweise wurden Vorwahlen nach amerikanischem Vorbild eingeführt, um mehr Menschen in den Prozess mit einzubeziehen. Im Vorfeld der Parlamentswahlen 2004 wurde ausgehend vom progressiven Lager durch eine Art „spill-over-Effekt“ erreicht, dass fast alle Parteien versuchten, den Prozess der Kandidatenaufstellung so demokratisch wie möglich umzusetzen. Es kam ein regelrechter Wettstreit der Parteien darüber in Gang, wer sich dem Wahlvolk als „demokratischste“ Partei darstellen kann. Schließlich fiel man zwar auch hier hinter den Erwartungen zurück, aber die Verbesserungen waren deutlich.

Undemokratische Verfahren – Parteien defizitär institutionalisiert

Die Präsidentschaftswahlen 2007 haben dann wieder einmal gezeigt, wie wenig hilfreich ein gut gewolltes System ist, wenn die Menschen nicht bereit sind, sich daran zu halten. Nach langem Streit zwischen Faktionen der Hannaradang (GNP), die jeweils den beiden potentiellen Kandidaten Lee Myung Bak und Park Geun Hye (Pak Kǔnhye) nahestanden, einigte man sich auf einen Vorwahlen-Modus, der eindeutig die Chancen für Lee verbesserte. Park Geun Hye war bis vor einigen Jahren Vorsitzende der Hannaradang (GNP) und wurde bereits als nächste Präsidentin gehandelt. Die parteiinterne Niederlage nahm sie professionell zur Kenntnis. Hier bahnten sich bereits Risse in der Hannaradang (GNP) an. Nach der erfolgreichen Präsidentschaftswahl dominierte Lee Myung Bak die Partei, während sich die Park-Treuen benachteiligt fühlten. Als im Vorfeld der Kandidatenaufstellung für die 18. Parlamentswahlen im April 2008 durch einseitige Bestimmung der Parteispitze die Park-Getreuen wiederum von Kandidaturen ausgeschlossen werden sollten, traten viele aus der Partei aus, um als Parteilose anzutreten. Nicht wenige gründeten die Partei „Pro-Park-Koalition“ (Pro-Park Alliance – PPA). Andere, die als Parteilose antraten, ließen durchblicken, dass sie Park nahestanden, um von ihrer Popularität zu profitieren. Nach der Wahl konnte die Hannaradang (GNP) ihre Sitze im Nachhinein noch einmal um 17 Sitze aufstocken. Einige der Parteilosen und der Pro-Park-Koalition (PPA) traten der Hannara jedoch nicht wieder bei.

Bei den jetzigen Nachwahlen im Wahlkreis Gyeongju (Kyŏngju) konnte sich ein Kandidat durchsetzen, der sich als Parteiloser ausgab, aber auf hauswandgroßen Plakaten mit einem gemeinsamen Foto mit Park Geun Hye für sich bzw. mit ihr warb – mit Erfolg. Es spricht Bände, dass nicht der Hannaradang-Kandidat gewonnen hat, obgleich er tatkräftig vom einflussreichen älteren Bruder des Präsidenten, Lee Sang Deuk, unterstützt worden war. Damit ist ein weiteres Charakteristikum südkoreanischer Politkultur benannt – Regionalismus bzw. Personenkult. Das südöstlich gelegene Gyeongju (Kyŏngju) ist grundsätzlich rechtskonservativ, aber vor allen Dingen auch Park-treu. Auch die erfolgreiche Wahl der zwei Minju-Abtrünnigen im Südwesten stimmt mit diesem Wahlmuster überein. Hier ist die Wählergunst vor allen Dingen an die Person Chung Dong-young gebunden. Geholfen hat wahrscheinlich nicht nur, dass man sich von der Wahl des verlorenen Sohnes versprach, eine große Persönlichkeit „heimzuholen“, sondern auch, dass die Minjudang (DP) aggressiven Negativwahlkampf gegen Chung und Sin gemacht hat – ein Rezept, dass sich eigentlich bereits sowohl bei der Präsidentschaftswahl als auch bei der Parlamentswahl als Bumerang entpuppt hatte.

Auch die Minjudang (DP) hatte zur Kandidatenaufstellung ein Gremium installiert, das offiziell sogar von Parteiexternen geführt wurde, um ihrem eigenen Anspruch zu genügen, eine transparente und faire Kandidatenauswahl zu treffen. Doch die Folgewirkungen haben sich erst bei den jetzigen Nachwahlen gezeigt, als Chung als Spitzenkandidat austrat. Hier zeigt sich deutlich, wie in den vergangenen Jahren in den Parteien eine Organisationsreformpolitik umgesetzt wird, die mit Demokratisierung, Öffnung und Transparenz begründet wurde, aber schließlich zum Gegenteil führte.

Sisyphus-Sieg der progressiven Parteien

Der Wahlkreis in der südöstlich gelegenen Stadt Ulsan gehört eigentlich zu einer Region (Yeongnam/ Yŏngnam), die traditionell von Nachfolgeparteien der Diktatur und/oder rechtskonservativen Parteien dominiert wird. Zwar hat die progressive Minjunodongdang (Democratic Labor Party – DLP) durch die hohe Dichte von Fabrikarbeitern, die in der hier konzentriert angesiedelten Schwerindustrie (u.a. Hyundai) tätig sind, spätestens seit den Regional- und Kommunalwahlen 2002 einen Fuß in der Tür. Aber da der historische Aufschwung der Stadt auf den Initiator der Entwicklungsdikatur, Park Chung Hee, zurückgeht, wurden und werden die Wahlkreise deutlich von der amtierenden Regierungspartei beherrscht. Umso positiver ist das Zeichen, das damit gesetzt wurde, dass Jo Seung Su von der Jinbosindang (Progressive New Party – PNP) gewählt wurde. Jo konnte hier bereits 2004, damals noch als Kandidat der DAP, die Zustimmung der Bevölkerung erhalten, musste jedoch später sein Mandat aufgeben, weil ihm Übertreten des Wahlgesetzes angelastet werden konnte. Der jetzige Weg zum Neueinstieg ins Parlament war durchwachsen. Jo war Teil der Faktion, die sich im Verlauf von parteiinternen Konflikten Anfang 2008 von der Minjunodongdang (DLP) abspaltete und die Jinbosindang (PNP) gründete. Deshalb standen sich zuerst jeweils ein Kandidat der beiden progressiven Parteien Minjunodongdang (DLP) und Jinbosindang (PNP) in Ulsan gegenüber; man befürchtete, die Stimmen zu spalten, was wahrscheinlich den Sieg für den Kandidaten der Hannaradang (GNP) bedeutet hätte. Als die offizielle Wahlkampfzeit schon längst begonnen hatte, stritt man sich im progressiven Lager immer noch über eine gemeinsame Kandidatur und Kandidaten. Die lagerinternen Streitereien, die man bis in die 1980er Jahre zurückverfolgen kann, erinnern entfernt an die Konflikte innerhalb der Grünen in Deutschland in den 80er Jahren; ähnlich fundamental kommen die Auseinandersetzungen auch hier zum Ausdruck. Unter anderem ist der Sprecher der Minjunodongdang (DLP) im Verlauf der Streitigkeiten aus Protest zurückgetreten. Dass man sich schließlich auf einen Kandidaten einigen konnte, gibt Hoffnung für die Entwicklung des progressiven Lagers; dass Jo mit seiner Kandidatur auch noch erfolgreich war, macht Hoffnung für die Entwicklung der Parteienlandschaft im Allgemeinen. Neben den fünf Sitzen der Minjunodongdang (DLP) ist Jo nun der sechste Parlamentarier einer progressiven Partei in der südkoreanischen Nationalversammlung. Doch von vertrauenswürdiger Kooperation oder gar Versöhnung der beiden Parteien kann man hier nicht sprechen. Auch wenn das Ergebnis stimmt, hat sich im Prozess deutlich gezeigt, wie labil das progressive Lager weiterhin bleibt.

Fazit

Vom Ergebnis her zu urteilen, haben die Nachwahlen ihre Funktion als Zwischenbewertung der Regierung durch das Volk mehr oder weniger erfüllt. Das Regierungslager hat 5:0 verloren und damit ein klares Warnsignal vom Volk erhalten. Nun ist es wichtig, daraus auch die richtigen Lehren daraus zu ziehen – und das trifft ausnahmslos auf alle Parteien zu. Die Regierungspartei hatte sich am Folgetag nach dem Wahldebakel noch bedeckt gehalten. Parteiintern jedoch ist zu vermuten, dass es zwischen den konkurrierenden Faktionen brodelt – ein Parteitag steht unmittelbar bevor. Reformkräfte der Partei fordern nun eine Erneuerung der Partei. Dazu gehört auch eine klare Aufgabenverteilung innerhalb des Regierungslagers zwischen Blauem Haus und Parlament. Die Minjudang (DP) stellt sich mit ihrem einen gewonnenen Parlamentssitz überschwänglich als Siegerin dar. Doch auch hier haben die Machtkämpfe um die Parteiführung mit dem Wahlerfolg Chungs unweigerlich begonnen. Das wird sich wahrscheinlich bei der anstehenden Wahl des neuen Fraktionsvorsitzenden in kapp zwei Wochen bereits manifestieren. Die Jinbosindang (PNP) freut sich über ihren ersten Parlamentseinzug, aber für eine Fraktionsbildung, für die mindestens 20 Abgeordnete notwendig sind, reicht es selbst im Zusammenschluss mit der Minjunodongdang (DLP) noch lange nicht – abgesehen von den delikaten Beziehungen innerhalb des progressiven Lagers.

Wie den institutionellen Defekten des Parteiensystems, die sich auch bei diesen Wahlen wieder einmal deutlich gezeigt haben, beizukommen ist, bleibt weiterhin eine schwer zu beantwortende Frage. Dass unter anderem die Wahlkreisorganisationen der Parteien 2004 gesetzlich verboten wurden, hat sicherlich nicht zur Förderung einer funktionierenden Basisdemokratie beigetragen. Auch die teilweise eingeführten Vorwahlen sind ein umstrittenes Thema. Die Einführung der Zweitstimme andererseits hat sich durchaus bewährt, wenn auch 56 Listenmandate von 299 Sitzen im Parlament ein sehr geringer Anteil ist. Aber eine einfache Erhöhung wäre auch nicht die Lösung, weil sich dadurch die traditionelle Mandatsschacherei höchstwahrscheinlich nur ausweiten würde, obgleich das Gegenteil bewirkt werden soll. Insofern zeigt sich hier auch sehr deutlich, dass das politische System von institutioneller Seite her zu justieren, nur eine Seite der Medaille ist. Auf deren anderen Seite steht die Weiterentwicklung der politischen Kultur bzw. Praxis. Das gilt sowohl für die Politiker als auch für die Wähler.

Nach den Wahlen ist vor den Wahlen. Im Oktober folgen weitere Nachwahlen und im kommenden Jahr stehen Regionalwahlen an.

4. Mai 2009