Der Prozess der Nachverhandlungen

Von: Johannes Schorling (Masterstudiengang Interdisziplinäre Lateinamerikastudien, 3. Fachsemester)

Juan Manuel Santos´ Hauptinteresse bestand nach dem gescheiterten Referendum darin, ein Abkommen mit den Farc zu erreichen und damit als „Friedenspräsident“ in die Geschichte einzugehen. Deshalb lautete seine Strategie, statt langwieriger Nachverhandlungen nur einzelne Punkte neu zu verhandeln und dabei symbolische Zugeständnisse an das „Nein“-Lager zu machen, ohne jedoch den grundlegenden Charakter des Abkommens in Frage zu stellen. Außerdem ging es für Santos darum, eine Vereinnahmung des Friedensprozesses durch seinen Widersacher Uribe zu verhindern und diesen politisch zu neutralisieren.

Für die Farc bedeutete das „Nein“ eine Niederlage, da sie zuvor auf ihrer nationalen Konferenz in Llanos del Yarí einstimmig für den Friedensvertrag mit der Regierung gestimmt hatte. Nach diesem eindeutigen Signal für den Frieden hätten die Farc ihre Glaubwürdigkeit verspielt, wenn sie nach dem gescheiterten Referendum wieder zu den Waffen gegriffen hätten. Auch aufgrund ihrer militärischen Schwäche konnte ein Wiederaufleben des Konflikts nicht im Interesse der Farc sein. Ähnlich wie Santos hatte die Guerilla kein Interesse an langen Nachverhandlungen, durch die sie sich in einer andauernden Situation juristischer und politischer Unsicherheit befunden hätte. Die Farc signalisierten dementsprechend ihre Bereitschaft, einzelne Punkte des Abkommens zu „präzisieren“.

Nach anfänglicher Konzeptlosigkeit gelang es Präsident Santos in den Tagen nach dem Referendum schnell, die Initiative zurückzugewinnen – wobei ihm auch die Verleihung des Friedensnobelpreises Auftrieb gab. Santos gelang es, das „Nein“-Lager zu spalten, indem er mit einem Teil konstruktive Gespräche führte und dadurch die Fraktion rund um Uribe isolierte. So traf sich der Präsident zum Beispiel mit diversen kirchlichen Verbänden, die in der „Nein“-Kampagne eine wichtige Rolle gespielt hatten, um ihre Bedenken bezüglich einer angeblichen „Gender-Ideologie“ im ursprünglichen Abkommen auszuräumen. Ein Großteil der Kirchenverbände unterstützte daraufhin das neue Abkommen (siehe hier und hier). Auch diverse Interessensverbände von Militärangehörigen bekräftigten nach Treffen mit der Regierung ihre Zustimmung zur vereinbarten Übergangsjustiz – eine Absage an Uribe, der sie mit seiner Kritik an der vermeintlich zu harten Bestrafung für Angehörige der Streitkräfte für sich hatte gewinnen wollen.

Uribe ging es nach dem Referendum vor allem darum, sich als legitimen Verhandlungspartner ins Spiel zu bringen. Er schlug deshalb einen „Nationalen Pakt“ und die Einrichtung eines technischen Komitees unter Beteiligung der Regierung, der Farc und von VertreterInnen des „Nein“-Lagers vor. Eine Woche nach dem Referendum veröffentlichte Uribe eine Liste mit konkreten Veränderungsvorschlägen – auch um den Vorwurf zu entkräften, er sabotiere lediglich den Friedensprozess. Zu den Vorschlägen gehörten z.B. Gefängnisstrafen statt alternativer Sanktionen für die Verantwortlichen für schwere Kriegsverbrechen, keine Amnestie für Delikte im Zusammenhang mit dem Drogenhandel und die Anbindung der Übergangsjustiz an die reguläre Justiz. Kritiker warfen Uribe daraufhin vor, einige dieser Vorschläge seien nicht umsetzbar und dienten einzig der Verzögerung. Um solche Ablenkungsmanöver zu vermeiden, beschränkte Santos den Zeitraum für die Einreichung von Vorschlägen auf drei Wochen und kündigte zudem an, „nicht praktikable Vorschläge“ in den weiteren Verhandlungen nicht zu berücksichtigen, um den Prozess nicht unnötig in die Länge zu ziehen. Sowohl der Präsident als auch die Farc insistierten zudem darauf, dass nur die Regierung zur Verhandlungen mit der Guerilla legitimiert sei.

Letztlich stimmten nach dem Referendum also die Interessen zwischen Santos und den Farc an einer raschen Lösung überein. Beide Seiten behandelten den Konflikt zwischen BefürworterInnen und GegnerInnen des Friedensabkommens daher wie eine kleinere Meinungsverschiedenheit, die sich durch geringe Anpassungen und Präzisierungen auflösen lasse – und einigten sich in nur drei Wochen auf einen neuen Vertrag. Für das weitere Verfahren standen danach im wesentlichen drei Optionen zur Auswahl, die Präsident Santos bei einem Staatsbesuch in Großbritannien präsentierte: Erstens die Befragung aller 1.100 Gemeinden Kolumbiens, in Form eines sog. Cabildo Abierto, ob diese als Verwaltungsbezirk dem neuen Abkommen zustimmen würden. Diese Form der Befragung hätte jedoch den Nachteil gehabt, weder juristisch noch politisch bindend zu sein. Zweitens die erneute Befragung der kolumbianischen Bevölkerung in einem zweiten Plebiszit. Oder drittens die Ratifizierung durch den Kongress. Diese letzte Option wurde durch ein Urteil des Verfassungsgerichts vor dem ersten Referendum möglich: Das Gericht hatte geurteilt, dass der Präsident im Falle eines „Nein“ zwar das Initiativrecht verliere, den Sonderrechtsakt zur schnellen Umsetzung des Abkommens in Gang zu setzen. Er behalte dieses Initiativrecht jedoch, wenn er ein verändertes Friedensabkommen umsetzen wolle. Mit diesem Urteil versetzte das Verfassungsgericht Präsident Santos von vornherein in eine strategisch günstige Ausgangsposition. Nachdem Santos zu der Einschätzung gelangt war, dass sich mit dem Uribe-Lager keine Einigung erzielen lassen würde, entschied er sich statt eines erneuten Plebiszits für den sicheren Weg durch den Kongress, wo er über eine klare Mehrheit verfügte.