Die Umsetzung des Nationalen Integralen Programms zur Substitution illegaler Anbaukulturen

Von: Kristina Stier (Masterstudiengang Interdisziplinäre Lateinamerikastudien, 3. Fachsemester)

Die folgende Analyse bezieht sich auf den Zeitraum zwischen Ende November 2016 (der Unterzeichnung des Friedensvertrages) und Ende März 2017.

Die Tagezeitung Semana bezeichnete den Beginn der Umsetzung des Nationalen Integralen Programms zur Substitution illegaler Anbaukulturen (Programa Nacional Integral de Sustitución de Cultivos de Uso Ilícito – PNIS) Ende Januar 2017 als „kleines Fenster an Möglichkeiten, einen anderen Weg im gescheiterten Kampf gegen die Drogen auszuprobieren“. Mit Beginn der Umsetzung des PNIS unter der Leitung des Hohen Rats für den Postkonflikt wurden die Details für die Umsetzung bekannt gegeben: Insgesamt sollen über einen Zeitraum von zwei Jahren 72.000 Familien Verträge zur freiwilligen Substitution unterzeichnen und dabei im ersten Jahr rund 24 Mio. kolumbianische Pesos u.a. zur unmittelbaren Ernährungssicherung und für kurzfristige einkommensgenerierende Projekten erhalten. Im zweiten Jahr sollen sie mit weiteren 12 Mio. für langfristige einkommensschaffende Projekte gefördert werden. 50.000 Hektar illegaler Anbaukulturen sollen in 40 Gemeinden, die sich in den am stärksten betroffenen Departements befinden, innerhalb des ersten Jahres substituiert und weitere 50.000 Hektar vernichtet werden (Semana 2017a). Dass Letzteres den sozialen Protest und damit das Risiko für gewaltsame Auseinandersetzungen anheizen wird, wie Semana berichtete, ist alles andere als verwunderlich, schließlich handelt es sich hierbei nicht nur um einen Widerspruch, sondern um eine Verletzung der im Vertrag von Havanna getroffenen Vereinbarungen und darüber hinaus um einen Widerspruch zu dem seit einigen Jahren von der kolumbianischen Regierung verfolgten Diskurs, in welchem diese auf eine Änderung der internationalen Drogenpolitik drängt. Im Rahmen der Vergabe des Friedensnobelpreises hatte Präsident Santos noch betont, wie wichtig es sei, auf eine Substitutionsstrategie zur Verbesserung der Lebensbedingungen in den Regionen zu setzen, statt auf eine Strategie der reinen Vernichtung (vgl. El Espectador 2017). Semana sprach von der „verzweifelten Maßnahme“ der schnellen Vernichtung der Pflanzen in Anbetracht der beträchtlich gestiegenen Anbauflächen. Jedoch dürfte hierbei wohl auch der durch den Regierungswechsel in den USA – Donald Trump gilt als Verfechter der „Harten Hand“ gegen die Drogen und gab dies zu Beginn seiner Amtslaufzeit bereits deutlich zu verstehen – ausgeübte Druck auf die kolumbianische Regierung eine Rolle spielen.

Bereits ab Ende November 2016, nur wenige Tage nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages, berichteten zahlreiche Medien über Vernichtungen von illegalen Anbaukulturen in zahlreichen Departements durch das Militär – so zum Beispiel auch in Putumayo, Catatumbo und Nariño, die zu den am meisten vom Anbau betroffenen Gebieten zählen. Obwohl diese Teil der Substitutionsprogramme sind, wurden teilweise Drohungen gegen die Bevölkerung ausgesprochen, sollte sie nicht kooperieren. Eines von zahlreichen Beispielen ist hier z.B. die Gemeinde San José del Guaviare im Departement Guaviare, die am 28. Februar 2017 eine Vereinbarung zur freiwilligen Substitution unterzeichnet hatte. Einen Tag später begannen Militärs in Teilen des zur Gemeinde gehörenden Gebiets mit Vernichtungen der Pflanzen – auch durch Besprühungen mit Glyphosat, wie der Espectador 2017 berichtete. Für Pedro Arenas von Indepaz verdeutlichen Vorfälle wie dieser auch die fehlende Koordination zwischen den zuständigen Behörden. Weiterhin wurde berichtet, dass die FARC die betreffenden Gemeinden dazu aufforderten, auf die Umsetzung der im Friedensvertrag unter dem PNIS getroffenen Vereinbarungen zu bestehen. Vor diesem Hintergrund haben sich im Januar 2017 rund 7.000 betroffene Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zur Koordination der Koka, Amapola und Marihuana anbauenden Kleinbauern (Coordinadora de Cultivadores de Coca, Amapola y Marihuana – COCCAM) zusammengeschlossen. Im Departement Nariño kam es, Berichten zufolge, in den vergangenen Wochen aufgrund der Interventionen des Militärs zur Vernichtung der Anbaukulturen zu Straßenblockaden zwischen Tumaco und Pasto durch Kokabauern mit gewaltsamen Ausschreitungen, bei denen mehrere Personen verletzt wurden und ein Polizist starb.

Neben dem Bruch mit den im Friedensvertrag festgelegten Vereinbarungen und Fehlkoordination zeigt sich, dass vor allem das Machtvakuum, dass die FARC durch ihren Rückzug aus den Regionen und dem Drogenanbau und –handel hinterlassen haben, eine Bedrohung für die betroffenen Regionen und einen Weg hin zur Substitution der illegalen Kulturen darstellt. Der Beginn der Friedensverhandlungen der Regierung mit dem ELN (Ejercito de Liberación Nacional) Anfang Februar gibt Hoffnung, dass die Guerilla nicht versuchen wird, die Kontrolle über ehemals von den FARC kontrollierte Gebiete zu übernehmen (Die Zeit 2017). Jedoch schaffen paramilitärische und andere kriminelle Gruppen sowie Dissidenten der FARC Anreize für die Bevölkerung, weiterhin illegale Pflanzen zu kultivieren und bedrohen diejenigen, die sich für eine Substitution einsetzen. Semana 2017a berichtete alleine von drei Fällen, in denen Vereinbarungen mit den Gemeinden nicht zustande kommen konnten, da kriminelle Akteur*innen Druck auf diese ausgeübt hatten. In einigen Gemeinden – wie Tumaco – wurden aufgrund dieser Ereignisse in der Bevölkerung Stimmen laut, die die Unterstützung durch die FARC erbitten, denn „hier zeigt die Regierung keine Präsenz, vor allem nicht jetzt…“ (Semana 2017b).

Auch wenn die Substitution im Rahmen einer „Alternativen Entwicklung“ als Mittel der Angebotskontrolle in der internationalen drogenpolitischen Debatte umstritten ist – Experten argumentieren, dass u.a. vor allem stärkere Strafverfolgung und Grenzkontrollen zu einer effektiveren Angebotskontrolle nötig seien (vgl. Brombacher und Maihold 2009) – so bietet der PNIS, wie im Friedensvertrag vereinbart, die Chance auf eine strukturelle Veränderung und eine Entwicklung abseits der Abhängigkeit von illegalen Anbaukulturen in den Regionen Kolumbiens, die einen solchen strukturellen Wandel am dringendsten nötig haben. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Regierung den getroffenen Vereinbarungen nachkommt und diejenigen, die Bereitschaft zur Substitution illegaler Anbaukulturen zeigen, die vertraglich festgelegte Unterstützung sowie Sicherheitsgarantien erhalten. Dies kann nur durch eine effektive staatliche Sicherheitskontrolle, soziale Präsenz in den Regionen sowie eine bessere Koordination der Strategien zur Substitution und Vernichtung der Pflanzen (wie vertraglich festgelegt) erfolgen. Weiterhin müssen Umstrukturierungen der öffentlichen Politiken erfolgen, die eine Steigerung der Produktivität alternativer Anbauprodukte ermöglichen und die Abhängigkeit von Importen verringern (vgl. La Nación 2017).

Zu bedenken ist auch die Tatsache, dass ein struktureller Wandel durch Substitution und die Schaffung neuer Lebensgrundlagen nicht von heute auf morgen erfolgen. Vor allem die bevorstehenden Wahlen im Jahr 2018 und ein möglicher Regierungswechsel zugunsten der politischen Opposition (Centro Democráctico) bieten ein Risiko für die langfristige Umsetzung des Programms. Eine Bevölkerung, die bereits jahrzehntelang unter Gewalt und staatlicher Abwesenheit litt, verliert schnell das Vertrauen in die Regierung, sollte diese die anfangs so vielversprechenden Vereinbarungen nicht einhalten.

Zudem scheint die US-amerikanische Administration dem Friedensvertrag skeptisch gegenüber zu stehen. Außenminister Rex Tillerson gab bereits zu verstehen, die Details des mit den FARC ausgehandelten Friedensvertrages überprüfen zu wollen, um zu sehen, „bis zu welchem Punkt die USA diesen unterstützen werden“. Die USA „werden die Kooperation fortsetzen, wenn Kolumbien seinen Verpflichtungen im Kampf gegen die Drogen nachkommt“ (El Tiempo 2017). Der dem US-amerikanischen Kongress vorgelegte Haushaltsentwurf für 2018 sieht eine Kürzung der Gelder für internationale Entwicklungshilfe um 30% vor. Die Tatsache, dass dadurch auch 450 Mio. US-Dollar, die die Administration unter Barack Obama der kolumbianischen Regierung als Unterstützung für die Umsetzung des Friedensvertrages und insbesondere die freiwillige Substitution der illegalen Anbaukulturen zugesagt hatte, auf dem Spiel stehen (Proceso 2017), dürfte diese weiter unter Druck setzen.